Lautwandel

Lautwandel

Lautwandel ist eine Art des Sprachwandels, die darin besteht, dass die Aussprache von Lauten mit der Zeit geändert wird. Dabei kann die Sprache auf der Ebene der Lautäußerung (Phonetik) und/oder des Sprachsystems (in diesem Fall der Ebene der Phonologie) betroffen sein. Wenn Lautwandel ganze Gruppen von Lauten betrifft, ist oft von Lautverschiebungen die Rede.

Inhaltsverzeichnis

Ein Beispiel aus dem Deutschen

Als Beispiel für einen Lautwandel kann man sich die Aussprache des Wortes „Maus“ ansehen: Noch im Mittelhochdeutschen sprach man es [muːs] aus, also mit einem einfachen, langen Vokal wie unser heutiges Wort „(das) Mus“. Wie in vielen anderen Wörtern ist aus diesem einfachen Vokal (= Monophthong) in unserem gegenwärtigen Deutschen ein Doppelvokal (= Diphthong) [aʊ̯] geworden; das Wort lautet [maʊ̯s]. Da hier aus einem einfachen Vokal ein Doppelvokal wurde, heißt dieser Vorgang auch Diphthongierung. Genau den gleichen Lautwandel haben andere Wörter wie das Adjektiv „laut“ oder die Substantive „Bau“, „Haus“, „Laus“ vollzogen.

Phonetische und phonologische Lautwandel

Lautwandel können die lautlichen Eigenschaften der Sprachlaute betreffen, ohne dass deshalb die Unterscheidbarkeit eines Wortes von einem anderem beeinträchtigt ist; dies wäre ein rein phonetischer (= lautlicher) Wandel. Sie können aber auch die Unterscheidbarkeit der Wörter aufheben; in diesem Fall ist das phonologische System der Sprache betroffen. Man muss also unterscheiden, ob ein Lautwandel sich als ein phonetischer oder als ein phonologischer Wandel darstellt.

Modelle der Ausbreitung des Lautwandels

Es gibt zwei Modelle für die Verbreitung von phonologischen Veränderungen im Sprachsystem. Dem ersten Modell zufolge breitet sich der Wandel phonologisch graduell aus: Alle Wörter einer bestimmten Wortklasse erleben gleichzeitig eine Veränderung des entsprechenden Lautes; diese springt aber nicht plötzlich von einem Phonem auf ein anderes um, sondern durchläuft eine schrittweise Annäherung an den Ziellaut.

Das zweite Modell besagt, dass sich die Veränderung lexikalisch graduell ausbreitet, also von Wort zu Wort: Neben dem ursprünglichen wird plötzlich ein neuer Laut benutzt und ersetzt mit der Zeit das alte Phonem. Dieser „Sprung“ geschieht erst in einem oder in einigen wenigen Wörtern und breitet sich mit der Zeit auf alle Wörter einer Wortklasse aus.

Sprachwissenschaftler sind geteilter Meinung darüber, welches der Modelle zutrifft oder ob beide möglich sind.

Spontaner und/oder kombinatorischer Lautwandel

Man unterscheidet zwischen dem spontanen und dem kombinatorischen Lautwandel. Als spontan werden jene bezeichnet, die unabhängig von der lautlichen Umgebung stattfinden (z. B. Ablaut). Kombinatorisch ist genau das Gegenteil und steht für einen umgebungsabhängigen Lautwandel (z. B. Umlaut).

Unterschiedliche Lautwandelprozesse

Faktoren, die Lautwandel verursachen, begünstigen bzw. beeinflussen, sind Assimilation, Dissimilation, Apokope, Aphärese, Synkope, Anaptyxe, Epenthese, Prothese, Metathese.

Lautwandel und sein Bezug zum Sprachsystem

Zwischen Lautwandel und Bedeutungswandel kann eine Wechselwirkung bestehen.

Außerdem kann der Lautwandel im Laufe der Zeit das gesamte grammatische System einer Sprache beeinflussen, nämlich dann, wenn ursprünglich unterschiedliche Lautformen nach dem Lautwandel nicht mehr zu unterscheiden sind. Dies wird in aller Regel weitere Änderungen im Sprachsystem nach sich ziehen, damit die Kommunikation in der Sprachgemeinschaft aufrechterhalten bleibt.

Mathematische Modellierung des Lautwandels

In der Quantitativen Linguistik gibt es Versuche dazu, Modelle für die Wahrscheinlichkeit, dass ein Lautwandel eintritt, zu entwickeln.[1] Sie stützen sich auf George Kingsley Zipf und nehmen an, dass als Einflussfaktoren Produktions- und Perzeptionsaufwand eine entscheidende Rolle spielen. (Mit „Produktions- und Perzeptionsaufwand“ ist der Aufwand gemeint, den der Sprecher beziehungsweise der Hörer betreiben muss, um eine erfolgreiche Kommunikation zu sichern.)

Ein weiterer Aspekt ist die Frage, wie ein Lautwandel in der Zeit verläuft. In der Quantitativen Linguistik wird die Hypothese vertreten, dass Sprachwandel generell gesetzmäßig verlaufen, und zwar gemäß dem Piotrowski-Gesetz; dies sollte auch für Lautwandel zutreffen. Der Nachweis ist für frühere Zeiten nicht leicht zu führen, da man ausschließlich auf schriftliche Texte angewiesen ist. Nimmt man ersatzweise die schriftliche Wiedergabe von Lauten oder einzelnen Lauteigenschaften (etwa die Länge der Vokale), so lässt sich in Einzelfällen zeigen, dass deren Änderungen dem angegebenen Sprachgesetz folgt.[2]

Literatur

  • Norbert Boretzky: Einführung in die historische Linguistik. Rowohlt, Reinbek 1977, 79 ff. ISBN 3-499-21108-4.
  • Henry M. Hoenigswald: Language Change and Linguistic Reconstruction. University of Chicago Press, Chicago/London 1960
  • Winfred P. Lehmann: Einführung in die historische Linguistik. Autorisierte, vom Verfasser durchgesehene Übersetzung von Rudolf Freudenberg. Winter, Heidelberg 1969, S. 129 ff.

Einzelnachweise

  1. http://www-alt.uni-trier.de/uni/fb2/ldv/lql_wiki/index.php/Sound_change
  2. Karl-Heinz Best: Spracherwerb, Sprachwandel und Wortschatzwachstum in Texten. Zur Reichweite des Piotrowski-Gesetzes. In: Glottometrics 6, 2003, S. 9-34. S. 24 wird der Schreibwandel des Vokals [a]/[e] in Wörtern des Typs „Gäste/Geste“ sowie S. 25 die schriftliche Kennzeichnung der Vokallänge in Texten des 15. - 18. Jahrhunderts modelliert.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Lautwandel – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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