Lawino

Lawino

Lawinos Lied (“Song of Lawino”) ist das bedeutendste Werk des ugandischen Dichters, Ethnologen, Lehrers, Juristen und Essayisten Okot p'Bitek (sprich: “Bitek”) (*1931; † 1982).

Inhaltsverzeichnis

Entstehung und Rezeption

Okot p´Bitek, ein Acholi, entwickelte sein bedeutendstes Werk über mehrere Jahre. Es wurde 1966 veröffentlicht, kurz darauf gefolgt von dem komplementären „Song of Ocol“. „Song of Lawino“ gehört nach einer durch Professor Ali Mazrui angeregten Liste der renommierten “Zimbabwe International Book Fair” zu den 100 wichtigsten Bücher Afrikas. Das Buch wird als "sprachliches Kunstwerk“ (Rainer Arnold) und eines der wichtigsten Werke anglophoner Afrika-Literatur - bestimmt aber das schönste Stück ostafrikanischer Lyrik - bezeichnet. In jedem Fall aber sind die beiden Gesänge als "einzigartiges Versepos" (Manfred Loimeier) ein "Klassiker der Weltliteratur“ (Al Imfeld). Bei Lawino und Ocol handelt es sich um Frau und Mann, ein Ehepaar aus der Acholi-Kultur in Uganda. Beide Werke haben eine komplizierte Veröffentlichungsgeschichte in Kenia und Deutschland hinter sich.

Veröffentlichungen in Kenia/Uganda/UK/F

  • 1. Acholi-Fassung/unveröffentlicht: 1956 kam "Lawino" zunächst in Okots Volkssprache Acholi und zwar unter dem Titel "Wer pa Lawino" mit einer Länge von etwa 30 Manuskriptseiten, gegliedert in 21 Abschnitte unterschiedlicher Länge, "unters Volk".
  • 2. Acholi-Fassung/unveröffentlicht: 1965 wurde Wer pa Lawino in Vorbereitung auf das Festival von Gulu in langen Diskussionen mit Acholi-Zuhörern überarbeitet und in 14 Abschnitten etwa gleicher Länge auf ca. 140 Manuskriptseiten neugestaltet. Das Stück ist noch in ein europäisches loses Reimschema abab gefasst.
  • 1. Englisch-Fassung: 1966 erschien das Stück unter dem Titel "Song of Lawino" im East-African-Printing-House, Nairobi, (EAPH), jetzt mit 13 Kapiteln auf Englisch. Der 14. Abschnitt wurde von Okot gestrichen. Das Stück war von ihm selbst unter großen Mühen und Ausdrucksverlusten ins Englische übertragen worden. Dabei hatte er das unafrikanische Reimschema abab wieder aufgegeben. Auf einem Schriftsteller-Kongress in Nairobi hatte er Lawino vorgetragen gehabt und das Stück war von den Zuhörern begeistert aufgenommenen worden. Deshalb hatte er sich zur englischsprachigen Publikation entschlossen, obwohl mit der Übersetzung "... die Flügel des Adlers ein wenig gestutzt" wurden, wie er später meinte.
  • Song of Ocol: 1967 kam dicht darauf "Song of Ocol" im gleichen Verlagshaus heraus. "Ocol" war von Okot sofort in Englisch geschrieben worden.
  • 2. Acholi-Fassung/veröffentlicht: 1969 erschien die 2. unveröffentlichte Acholi-Fassung von 1965 unter dem Titel "Wer pa Lawino" mit 14 Kapiteln im gleichen Verlag.
  • 2. Kombinierte Englisch-Fassung: 1972 erschien dann die kombinierte Lawino/Ocol-Ausgabe, ebenfalls im EAPH. Heute verlegt der Verlag Heinemann (London, Nairobi) die kombinierte Ausgabe in der Reihe African writer series.
  • Frankreich: La chanson de Lawino [Wer pa Lawino]. Übersetzung: Frank und Henriette Gauduchon. Paris/Dakar, Présence africaine/UNESCO, 1983. Und 1992 erneute Auflage bei Présence africaine: ISBN 2708704184
  • Neuübersetzung von "Song of Lawino" in Uganda durch Okots Freund und Kollegen Taban lo Liyong: The Defence of Lawino: A New Translation of Wer pa Lawino Kampala: Fountain Publishers, 2001. ISBN 9-970-02269-5. Absicht dieser umstrittenen Neuübersetzung ist es, die "gestutzten Flügel des Adlers" frei werden zu lassen und wieder für den afrikanischen Leser zu schreiben.

Veröffentlichungen in Deutschland

Auch in Deutschland haben die beiden Gesänge eine beträchtliche publizistische und übersetzerische Odyssee hinter sich.

  • 1. deutsche Lawino-Fassung: 1972 wurde "Lawino“ auf deutsch durch den Tübinger Erdmann-Verlag in der Übersetzung von Marianne Welter und mit einem Nachwort von Inge Uffelmann im Hardcover vorgelegt.
  • 1. deutsche Kombi-Fassung: Bereits seit 1977 liegt im Ostberliner Verlag Rütten & Loening eine kombinierte Ausgabe von „Lawinos Lied/Ocols Lied“ in einer allerdings längst vergriffenen und heute nur sehr schwer zugänglichen Übersetzung vor, wobei Frank Auerbach den „Ocol“ ansprechend übersetzt hat. Für „Lawino“ wurde die Übersetzung von Marianne Welter herangezogen. Eine vierseitige Kostprobe der Übersetzung von "Song of Ocol“ findet sich schon ein Jahr zuvor in "Moderne Erzähler der Welt. Ostafrika.“, Erdmann-Verlag, Tübingen, 1976.
  • 2. deutsche Lawino-Fassung: 1982 erschien "Lawino" als Taschenbuch bei Ullstein in der Reihe "Die Frau in der Literatur“, wurde aber mittlerweile aus dem Programm genommen. Unklar bleibt allerdings, warum "Ocol“ damals nicht mit herausgegeben wurde. Vielleicht, weil der "Zeitgeist" ein Frauenbuch verlangte!?
  • 2. deutsche Kombi-Fassung: 1998: Der Peter-Hammer-Verlag legt 1998 eine kombinierten Ausgabe in einer Neuübersetzung von Raimund Pousset vor, ISBN 3872947834.

Musikalische Bearbeitung

Mit zur Publikationsgeschichte gehört auch der interessante Aspekt der musikalischen Umsetzung. 1970 veranstaltete das Goethe-Institut, Nairobi, unter der Federführung von Franz Nagel im „Kenya National Theatre“ unter dem Titel „Music from Europe and Africa“ ein bedeutsames bikulturelles Musikfest. In diesem Rahmen kam es unter der Leitung von Prof. Franzpeter Goebels wohl zur Uraufführung des Musikstückes „Song of Lawino“. Die Musik stammte von Angfried Trautger. Realisiert wurde das Stück von einer afrikanischen Trommelgruppe, darunter der nigerianische Musikexperte Akin Euba, einer europäischen Solistengruppe (Cembalo, Klarinette, Cello) sowie einer afrikanischen Solistengruppe (Xylophon, Flöten, Trommeln). Den Text „sprach, sang, deklamierte und schrie wirkungsvoll Cathryn Mbathi aus Mombasa. Das weitgehend afrikanische Publikum im ausverkauften Kenya National Theatre war begeistert.“. (Siehe den Artikel: Musik aus Afrika und Europa. In: Afrika heute, 15. Nov. 1970, S. 342. Deutsche Afrika-Gesellschaft, Bonn). Franz Nagel äußerte sich im September 1974 zu dieser Aufführung in einem Vortrag an der Berliner Akademie der Künste: „Die Musik war als gelenkte Improvisation auf einer Zwölftonreihe konzipiert, wobei die afrikanischen Instrumente durchaus traditionell behandelt wurden. Das Publikum sollte gelegentlich in den Refrain einstimmen. Atemberaubender Höhepunkte: die Duett-Improvisation zwischen Goebels, Cembalo und Akin Euba, afrikanisches Schlagzeug, Symbol des Konflikts zwischen afrikanischer und europäischer Zivilisation entsprechend dem Lawino-Text. Der populäre „Song of Lawino“ und die Neugier, was wir daraus machen würden, lockte viele Afrikaner an. Weit über 50 % waren es, was wir in Nairobi noch nie erlebt hatten. Der Erfolg war im Augenblick überwältigend - und nachhaltig!“

Interpretation

Beide Gesänge - “Lawino” und “Ocol” - müssen als komplementäre Teile gesehen werden. Beide können literarisch alleine leben, aber nicht inhaltlich. Dabei mag “Lawino” literarisch das stärkere Stück sein und es markiert zudem “den Beginn eines neuen Kulturzeitalters” (Al Imfeld). Die Négritude wird abgelöst über eine Haltung der selbstbewussten Besinnung aufs Eigene. Nicht mehr der Vergleich (mit Europa) steht im Vordergrund, sondern das Versenken (in die eigene Kultur). Okot hat aber in der eher gefühlsstarken “Lawino” nicht alles inhaltlich ausdrücken können, was er zu sagen hatte. Er brauchte dazu den mehr intellektuellen “Ocol”, der Wahrheiten aussprach, die Lawino nicht sehen konnte. Erst Ocol konnte auch sympathische Züge des Westens einführen, Züge, die Okot auch geschätzt haben muss, sonst hätte er nicht den Lebensweg gehen können, den er gegangen ist.

Frauentext?

Mit der kombinierten Herausgabe wird auch die zeitgeistbedingte (Fehl-)Einordnung von “Lawino” in die Schublade “Frauentext” überwunden, denn nur ohne “Ocol” ist dieses Missverständnis möglich gewesen. “Lawino” ist die Stimme der konsequenten afrikanischen Traditionalisten. Okot verlieh diesen Wertkonservativen lediglich eine weibliche Stimme, vielleicht, weil er meinte, dass afrikanische Frauen eher die Schönheit und Sexualität bewahren, als das männliche Christentum, das so viel Angst vor Weiblichkeit zeigt und die Sexualität zerstörte. “Okot ruft den Geist der Mütter zurück!” (Al Imfeld) Bestimmt aber spielt es auch eine Rolle, dass Okot in seiner Mutter Lacwaa Cerina - die auch Lawino gerufen wurde - ein überzeugendes Beispiel für die Bewahrerin der Tradition besaß. Wie Lawino war auch seine Mutter die Führerin der Mädchen, eine bekannte Schönheit, die hervorragend tanzte, dichte-te und sang. Auch Lawinos Gegenspieler, ihr anpasslerischer Ehemann Ocol, findet ein gewisses Vorbild in Okots Leben. Sein Vater Opii Jebedyo war getaufter Protestant, Missionsschüler und Lehrer.

Hauptkonflikte

Lawino sieht sich drei großen Problemkreisen gegenüber, in denen sie mit ihrem Mann Ocol verknüpft ist. Den einen, den häuslichen Konflikt, teilt sie mit vielen Frauen auf dem Lande: die Männer ziehen in die Stadt um Geld zu verdienen. Eine oder mehrere Frauen bleiben auf dem Land zu Hause und in der Stadt hat der Ehemann seine Geliebte. Das zweite Problem ist der kulturelle Konflikt: das Aufgeben der Tradition und die bedingungslose Anpassung ihres Mannes an die Moderne. Das dritte Problem ist ein ökonomisch-politischer Konflikt: die Zerstörung der Heimstatt durch den politischen Bruderzwist und die soziale Ungerechtigkeit. Lawino kämpft an allen Fronten. Sie möchte das Glück für sich und ihre Familie retten, in dem sie fest zu allen Traditionen steht.

Der häusliche Konflikt wegen der städtischen Nebenbuhlerin Clementine bestimmt den ersten Teil des Gesangs. Hier tratscht sie sogar über Clementine (Hat sie nicht abgetrieben und die toten Zwillinge in die Latrine geworfen?) und macht sich lustig über ihr Schminken und das Tragen einer Perücke. Sie at-tackiert die abwesende Clementine nicht deshalb, weil diese ein Verhältnis mit ihrem Ehemann hat, sondern weil sie sich verwestlich zeigt und nicht in den eigenen Kulturkreis zurückkehrt. Gegen Ende des Gesangs erwähnt Lawino Clementine nur noch kurz. Jetzt kann sich Lawino Clementine durchaus als Nebenfrau ihres Mannes vorstellen. Das ist sie gewohnt, betont es oft, “... die Frau, mit der ich meinen Mann teile!”

Der kulturelle Konflikt tritt neben dem häuslichen langsam in den Vordergrund. Jetzt attackiert Lawino ihren Gatten Ocol und alle Anpassler, weil sie durch das Lesen im “dunklen Bücherwald” ihre schwarze Identität aufgegeben hätten (ihre Hoden sind zerquetscht). In bewegten Bildern schildert sie die Korruption, Verlogenheit und Unmoral der Missionare, zu denen ihre Landsleute überlaufen. Lawino attackiert den schwarzen Nachäffer des Weißen Mannes aus einer Position der Selbstsicherheit und des Stolzes heraus. Ihr sind alle Ocols widerwärtig-weibisch, sie möchte sie im Malakwang-Mahl erst mit einer Kräuterkur physisch und dann mit einem Ritual geistig-spirituell heilen. Dazu aber muss Ocol erst Vergebung von seiner Mutter und den Ahnen erflehen.

Lawino greift bei aller Kritik nicht die Lebensart der Weißen direkt an, sondern das Nachäffen durch den Schwarzen Mann. Sie ist sogar tolerant genug, die Lebensart der Weißen, trotz der tiefen Ekelgefühle gegenüber Bars, Blues und Latrinen, für die Weißen als gut und richtig anzuerkennen, aber nicht für die Afrikaner. Deshalb hat sie auch nichts mit der weißen Technik, dem tödlichen Elektroherd zum Beispiel, und dem Verhalten der Weißen, sei es der Blues in den schummrigen Nachtbars oder die verlogenen Missionare oder Lehrer zu schaffen, die verklemmt die Brüste der jungen Mädchen anstarren. Sie setzt gegen die westliche Unmoral, das Küssen und Schminken, das Anklammern beim Tanzen usw. die Schönheit der Acholi-Kultur. Sie dreht den Spieß wieder um! Sie betont deutlich die lebendige Erotik ihrer eigenen Kultur, die Schönheit des Nackten und die offene Sexualität unter den Jugendlichen. Ja, sie möchte in einer großartigen Vision der Heilung abschließend vor ihrem Ehemann, der wieder zum echten Manne wurde, tanzen und ihm die Schönheit und den Reichtum seines Hauses vor Augen führen.

Den politischen Konflikt der nach europäischem Muster rechts-links gestrickten Parteien macht sie an den Verhältnissen an ihrer Heimstatt fest. Es war wohl diese Kritik an der herrschenden schwarzen Elite, ihre Korruption, die Kriege, der Tribalismus und die hausgemachte Ausbeutung, die Okot die Verbannung aus Uganda eintrug. Sie zeigt auf, dass unter dem politischen Konflikt alle nur eines im Sinne hatten, sich in die eigene Tasche zu wirtschaften, statt in erster Linie den Aufbau einer sozial gerechten Volkswirtschaft zu sehen. Hier verlässt Okot/Lawino ganz das Thema Haus und Hof bzw. Kolonialismus, sondern formuliert eine Aufgabe, der sich augenblicklich erst die ersten schwarzen Politiker und Denker stellen: Was kann und muss Afrika für sich selbst tun, ohne auf den weißen Mann zu hoffen?

Ocol, der Speichellecker

Ocol ist von ungestümem, brutalen und verschlagenem Charakter. Okot hat ihn so gezeichnet, dass es schwer fällt, sich mit ihm zu identifizieren oder ihn zu mögen, einen, der seine Frau gnadenlos auf die Straße setzt. Ocol kann unhöflich und mit seiner spitzen Zunge sehr verletzend sein. Er ist rastlos, arrogant und von der Zeit getrieben. Einer, der in Afrika keine Zeit hat, wird als Kind betrachtet und nicht respektiert. Ocol geht darüber hinweg. Für seine Karriere als Parteipolitiker tut er alles, von Eigenlob, über Anschwärzen bis Einschmeicheln. Dabei gibt er die Fähigkeit zum Genuss auf. Er verzweifelt an seiner schwarzen Hautfarbe und an seinem Afrikanertum, bewundert die Kolonialmächte und möchte die Vorteile, die ihm uhuru brachte, nicht mehr missen. Viele seiner Landsleute erscheinen ihm dabei als Störfaktor. Sie sind faul und eigensüchtig, ängstlich und ohne Weitblick. Ocol nennt aber auch Wahrheiten, die Lawino nicht sehen will: das Bildungs- und Gesundheitsproblem, die mangelnden Frauenrechte, die weibliche Beschneidung, die Armut oder die mittlerweile tödlich-kindischen Kriegs”spiele” der überflüssigen Moran-Krieger.

Ein aktueller Rechtsfall

Es wäre interessant zu wissen, auf welche Seite sich Okot 1987 in Kenia in dem berühmten Otieno-Fall gestellt hätte. Die drei männlichen Richter haben in dem monatelang die Öffentlichkeit in Atem haltenden Fall wohl eine große Chance für Afrika vertan, bestehende Lebensweisen in neue rechtliche Normen zu gießen. Sie griffen gern auf die Tradition zurück, weil ihr männliches Interesse berührt war. Wo es ihnen nutzt aber passen sie sich westlichen Gepflogenheiten gerne an. Genau das tut auch Ocol. Seine Mätresse Clementine ist ihm natürlich eine traditionell zustehende Nebenfrau!

Aber sonst will Ocol alle Traditionen, alle Gebräuche und die Religion, aber auch die Naturmedizin, mit Feuer und Schwert ausrotten, nachdem alle noch einmal in einer großen Feier wehmütig der vergangenen Zeiten gedacht haben. Aber: dann geht es endlich nach vorn. Denn Ocol hat eine Vision. Er möchte das neue Afrika bauen, in dem die Klassengesellschaft regiert. Ein Afrika, das kein Loblied auf die besiegten Schwarzen mehr kennt. Eines, das so erfolgreich wie Europa ist.

Literarischer Wert

G.A. Heron spricht sich in seinem Vergleich von “Ocol” und “Lawino” für die höhere literarische Qualität von “Lawino” mit folgender Begründung aus: “Wenn Song of Ocol eine Antwort auf Song of Lawino ist, dann ist es eine schlechte. (...) Diese beiden Poeme sind nicht die These und die Antithese der Argumentation, aus denen der Leser dann seine Synthese ableiten kann. (...) Song of Ocol ist sehr viel schwächer als Song of Lawino (...Hier) nutzt Okot den dramatischen Ausdruck des Ehestreits um die wichtigeren Probleme der Zukunft Afrikas zu beleuchten. Ocol aber ist nur für ein Kapitel mit der häuslichen Situation beschäftigt. Am Ende des ersten Kapitels wirft er Lawino aus dem Haus und vergisst sie dann... “ Dem kann ich nicht zustimmen, denn auch Lawino erweist sich bei genauerem Hinsehen ja nicht nur am häuslichen Konflikt und ihrem Mann interessiert. Den redet sie zwar in jedem Kapitel an, aber sie wendet sich ebenfalls an ihre Clan-Angehörigen und Volksgenossen. Und: auch sie “vergisst” im Laufe des Gesanges Clementine, obwohl sie ihre Nebenbuhlerin im letzten Kapitel noch einmal ohne Namensnennung erwähnt. Aber jetzt ist Clementine nur noch eine Chiffre für ein Opfer, das Lawino bereit ist zu bringen, wenn Ocol zu den Traditionen zurückkehrt. Auch Lawino weitet den Blick vom häuslichen, über den kulturellen zum politischen Konflikt. Nur tut sie das afrikanisch gefühlvoll, sorgfältig und zeitlos - eben afrikanisch-weiblich. Es scheint für beide kein Platz mehr für häusliche Konflikte zu sein, denn es jetzt geht um eine gar gewaltige Aufgabe: die Zukunft Afrikas.

Lawino hat diese Zukunft im Auge, Ocol auch. Aber sie können - wie die Königskinder - nicht zueinander kommen. Zwar ist das Wasser nicht zu tief, aber die Wege führen in die entgegengesetzte Richtung. Lawino geht in Zukunft zurück, Ocol schreitet in die Zukunft voran. Es gibt keinen gemeinsamen Weg. Das hat Okot inhaltlich und formal auch betont, etwa, wenn es von “Ocol” keine Acholi-Fassung gibt, wohl aber von “Lawino”. Weder “Lawino” noch “Ocol” können politisch und kulturell allein wirklich leben, denn die Zeiten sind nicht so. Jede Figur wäre zum Scheitern verurteilt. Natürlich - und das spürt man ihn vielen Passagen und Bildern - gehört die Liebe des Autors seiner Lawino. Nur hat er gesehen, dass ihre Position in der reinen Form nicht mehr lebbar ist. Aber er lief nicht über zu den Ocols. Ocols Vision der Neuen Stadt war nicht die seine. Okot, der trauernde schwarze Intellektuelle, hat mit wehem Herzen versucht zu retten, was zu retten war. Er hat den Riss gelebt, der ausnahmslos durch alle AfrikanerInnen geht. Er hat gespürt, dass der Strom der Zeit auch Bewahrenswertes mit sich fortreißt, ohne dass wir viel daran ändern können. Auch an dieser Hilflosigkeit ist Okot verzweifelt.

So mag “Ocol” das literarisch weniger starke Werk sein, dennoch setzt es inhaltlich die notwendigen Kontrapunkte. Dass diese Punkte von Okot in der Rolle des Speichelleckers Ocol (immerhin der Wortbedeutung nach “der Schwarze”) präsentiert wurden, mag daran liegen, dass Okot sich die (momentane) Stärke der weißen Kultur nicht gerne eingestand. Aber Wahrheiten haben oft eine wenig schöne Verpackung. Ohne “Ocol” bliebe “Lawino” jedoch nur eine ziellos verhallende Klage im ewigen Buch der Ehekräche. Insofern scheinen mir die beiden Gesänge doch die These und die Antithese zu sein - und das Leben Okots selbst war die Synthese.


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