Leipziger Prozesse

Leipziger Prozesse

Die Leipziger Prozesse stellten den ersten Versuch dar, Kriegsverbrechen zu ahnden, die während des Ersten Weltkrieges von Deutschen begangen worden waren. Sie wurden in den zwanziger Jahren am damals höchsten deutschen Gericht, dem Reichsgericht in Leipzig, verhandelt. Die Prozesse fanden zwischen 1921 und 1927 statt. Es gab insgesamt 17 Gerichtsverfahren.

Inhaltsverzeichnis

Die Kriegsverbrecherprozesse nach dem Ersten Weltkrieg

Die Vorgeschichte der Leipziger Prozesse

Dass es nach dem Ersten Weltkrieg zu Bestrafungsverfahren gegen potentielle deutsche Kriegsverbrecher nach alliiertem Dafürhalten kommen sollte, war zum damaligen Zeitpunkt ein absolutes Novum. Die Beweggründe hierfür sind recht vielfältig und gehen mit verschiedenen Aspekten im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg sowie der Vorkriegsgeschichte einher.

So gab es bereits kurz nach Kriegsbeginn, als das Deutsche Reich in das neutrale Belgien einmarschierte, vereinzelte Rufe nach Bestrafung der Verantwortlichen. Doch erst im Laufe des Jahres 1915, insbesondere durch die Versenkung der RMS Lusitania, wuchs die Forderung nach einer Bestrafung der an Kriegsverbrechen Beteiligten zusehends heran. Der immer umfangreichere Einsatz neuer Kriegstechnologien und -waffen, wie z. B. Unterseeboote, Flugzeuge und Giftgas verlieh dieser Forderung darüber hinaus noch mehr an Gewicht. Folglich trug der Krieg selbst, dessen Ausmaß und Brutalität, sowie die veränderte Art der Kriegführung im Allgemeinen dazu bei, nach seinem Ende Prozesse gegen Kriegsverbrecher einzuleiten. Diese Absicht Kriegsverbrechen zu ahnden, war jedoch vollkommen neu in der Geschichte europäischer Kriege, denn bislang wurde eine Bestrafung von Soldaten oder gar Staatsoberhäuptern nach einem Krieg nicht praktiziert.

Die Basis für diese Praxis geht bis auf den Westfälischen Frieden von 1648/49 und der Etablierung des klassischen Völkerrechts zurück. Demnach hatte der jeweilige Herrscher einer Nation das Recht, Krieg zu führen (jus ad bellum). Weiterhin, und in diesem Zusammenhang wesentlich wichtiger, gab es nach einem Friedensschluss zwar den Anspruch des Siegers auf Reparationszahlungen, doch wurde gleichzeitig eine Amnestie festgelegt, die einerseits dem jeweiligen Staatsoberhaupt Immunität zusicherte und andererseits eine Straflosigkeit für im Krieg begangene Taten des einzelnen Soldaten oder Offiziers garantierte. Diese Art von Amnestie galt fortan stets bei europäischen Friedensschlüssen und wurde im Laufe der Zeit sogar als eine Selbstverständlichkeit angesehen.

Nachdem am 11. November 1918 die neue deutsche Reichsregierung den Krieg durch die Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens offiziell beendet hatte (Waffenstillstand von Compiègne), verweigerten die alliierten Mächte aber eine derartige Amnestie. Nicht nur der Krieg und die darin begangenen Taten waren hierfür maßgebend, sondern auch die Überzeugungen der Alliierten über das Deutsche Kaiserreich selbst. Dass Deutschland aus alliierter Sicht die alleinige Schuld am Krieg (vgl. Kriegsschuldfrage) und der darin begangenen Grausamkeiten trug, erklärt sich erst, wenn man die Hintergründe für jene Überzeugung näher betrachtet und zur Erklärung heranzieht.

Die Alliierten waren bei Kriegsende der Meinung, dass Deutschland zum einen durch seine schon Jahrzehnte vor Kriegsbeginn klar erkennbare, sehr militaristische Haltung einem kriegerischen Konflikt grundsätzlich nicht abgeneigt war. Dies äußerte sich nicht nur in der Einstellung der Bevölkerung, sondern war auch offensiver Bestandteil deutscher Politik. Exemplarisch stand hierfür das Flottenrüstungsprogramm des Kaisers (vgl. Flottengesetze) oder die informelle Annullierung der Gewährleistung der belgischen Neutralität, sowohl durch den Schlieffenplan von 1905 als auch durch persönliche Bekundungen Bethmann-Hollwegs bei Kriegsbeginn 1914.

Zum zweiten verweigerte sich Deutschland beharrlich der in fast allen europäischen Ländern seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkommenden Friedensbewegung und brachte ihr keinerlei Beachtung entgegen. Mehr noch: Sie wurde im Deutschen Reich sogar diskriminiert. Viele andere Staaten hingegen nahmen wesentliche Elemente ihrer nationalen Friedensbewegung in ihre Politik auf und favorisierten zunehmend friedliche Konfliktlösungen als sofort einen Krieg billigend in Kauf zu nehmen. In Deutschland war dies nicht der Fall: „Wenn es um Abrüstung oder um die Etablierung einer internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zur friedlichen Beilegung von zwischenstaatlichen Streitfällen ging […], immer war es das Deutsche Reich, das vehementer als andere gegen diese Vorhaben opponierte“.[1]

Letztlich, so die alliierte Überzeugung, hatte Deutschland das sich bereits lange vor 1914 entwickelnde neue Völkerrecht grundlegend ignoriert. Der Bedeutungsgehalt des Rechts zum Krieg (jus ad bellum) hatte sich inzwischen vor allem in Europa auf den Begriff der ultima ratio verkürzt. Zudem kam zu Beginn des 20. Jahrhunderts neben dem humanitären Völkerrecht, welches sich vorwiegend mit dem Schutz von Kriegsopfern beschäftigt, auch ein sogenanntes Kriegsvölkerrecht auf, das sich auf zulässige Mittel der Kriegführung bezieht. Zwar wurde vor 1914 keine Kodifikation eines umfassenden Kriegsgesetzbuches verabschiedet, doch waren durch die Haager Konferenzen von 1899 und 1907 erste eindeutige Richtlinien in diesem Zusammenhang geschaffen worden: „Kriegerisches Handeln war damit nicht länger allein am oft extensiv und parteiisch auslegbaren Gewohnheitsrecht meßbar, sondern auch und zuerst am normativ verbindlichen und erzwingbareren positiven Recht“.[2]

Jene Überzeugungen der Alliierten flossen in Bezug auf die Ahndung von deutschen Kriegsverbrechen auch in den Friedensvertrag von Versailles mit ein. In dessen Artikeln 227 bis 230 war sowohl die Forderung nach Auslieferung des Kaisers, als auch die Auslieferung von Personen, die die Alliierten noch benennen würden, enthalten. Die Betreffenden sollten anschließend vor ein Militärgericht gestellt und verurteilt werden. Diese recht allgemeinen Klauseln sollten zwar später noch juristisch präzisiert werden, doch es war von vornherein klar, dass es sich um ein alliiertes Militärgericht handeln würde, bei dem alliierte Militärgesetze bzw. Gesetzmaßstäbe zur Anwendung kommen würden.

Deutsche Revisionsbemühungen und alliiertes Nachgeben

Am 7. Mai 1919 wurde schließlich der deutschen Delegation in Versailles der Friedensvertrag übergeben, der wenige Wochen später dann auch ratifiziert wurde. Nahezu gleichzeitig unternahm man jedoch auf deutscher Seite erste Versuche, diesen Vertrag und die darin enthaltenen Artikel systematisch zu revidieren. Freiherr von Lersner, der Präsident der deutschen Friedensdelegation von Versailles, bemühte sich dabei zunächst um die Frage der Auslieferung deutscher Kriegsverbrecher. Er betonte gegenüber den Siegermächten, dass sich Deutschland in dieser Frage unkooperativ verhalten werde und sich niemand in Deutschland fände, der einer solchen Auslieferung Vorschub leisten würde.

Lersners Bemühungen fruchteten allerdings nicht, und so wurde ihm am 3. Februar 1920 eine Liste von insgesamt 890 Einzelpersonen und Personengruppen vorgelegt, die jeweils an verschiedene alliierte Mächte auszuliefern seien (Liste des personnes désignées par les Puissances Alliées pour être livrées par l'Allemagne en exécution des articles 228 à 230 du Traitè de Versailles et du Protocole du 28 juin 1919). Darunter befanden sich neben den Namen einfacher Soldaten, U-Boot-Kommandanten, Unteroffizieren und Offizieren auch Generalfeldmarschälle und ranghohe Politiker. So beispielsweise der ehemalige Reichskanzler Bethmann Hollweg, die Feldmarschälle von Hindenburg und von Mackensen, die Generale Ludendorff, von Gallwitz und von Bülow, sowie Großadmiral Tirpitz. Ergänzt wurde jene Liste durch eine teilweise sehr detaillierte Beschreibung des vorgeworfenen Tatbestandes und Einteilung in 32 „Verbrechensarten“ nach alliierter Definition.

Dass es jedoch nicht zu einer Auslieferung und einem von Alliierten geführten Prozess kommen sollte, entschied sich in relativ kurzer Zeit und war augenscheinlich alles andere als vorhersehbar. Bereits am 16. Februar 1920, also nur elf Tage nach Übergabe der Auslieferungsliste, verzichteten die Alliierten auf eine Auslieferung. Die Umstände für diesen Verzicht sind zum einen auf den öffentlichen Unmut bzw. die Empörung über jenes Auslieferungsbegehren in der deutschen Bevölkerung zurückzuführen. Diese ablehnende Haltung griff sogar bis tief in die Anhängerschaft der Republik hinein, allen voran Reichspräsident Ebert. Weiterhin erklärten die prominentesten Beschuldigten, dass sie sich nicht freiwillig vor ein alliiertes Gericht stellen lassen würden, ganz davon zu schweigen, dass sich keine staatliche Institution in der Republik an dem Auslieferungsverfahren beteiligt hätte. Den Alliierten konnte so erfolgreich suggeriert werden, dass Deutschland nicht eigenständig in der Lage sei, eine Auslieferung zu bewerkstelligen, oder, falls dies durch die Alliierten selbst vorgenommen werden sollte, es zu massiven Unruhen kommen würde. Daneben gab es noch weitere Entwicklungen, die endgültigen Verzicht der Alliierten auf eine Auslieferung und einen Prozess verursachten.

Im Jahre 1920 hatte sich die Haltung der Alliierten untereinander nachhaltig verändert und standen sich z. T. unvereinbar gegenüber. Während sich die Vereinigten Staaten zusehends aus den europäischen Angelegenheiten der Nachkriegszeit zurückgezogen hatten, blieb es allein Großbritannien und Frankreich vorbehalten, ein strafrechtliches Verfahren gegen deutsche Kriegsverbrechen in die Wege zu leiten. Die britische Regierung war allerdings zwischenzeitlich dazu übergegangen, dem deutschen Verlangen nach Revision in weiten Teilen zu entsprechen. Bereits im Dezember 1919 wurde im britischen Parlament einstimmig beschlossen, die Liste der von ihnen benannten Kriegsverbrecher drastisch zu kürzen.

In Frankreich hingegen fand diese Haltung der Briten keinerlei Verständnis. Zwar reduzierten sie ihre Liste auszuliefernder Kriegsverbrecher auf knapp 800 Personen, doch hielten sie an der Auslieferung prominenter Vertreter des Kaiserreiches fest. Darunter befanden sich immer noch Namen wie Bethmann Hollweg, Hindenburg und Ludendorff. Hierbei war jedoch klar, dass es sowohl diplomatisch ungeschickt war, an der Auslieferung jener Persönlichkeiten festzuhalten, als auch schlichtweg unrealistisch.

Diese beiden divergierenden Auffassungen trafen schließlich Mitte Februar 1920, bei einer alliierten Konferenz in London, aufeinander. Es wurde sofort erkennbar, dass ein Kompromiss zwischen Frankreich und Großbritannien nicht erzielt werden konnte. Da die USA nicht an der Konferenz teilnahmen, kam der Siegermacht Italien in dieser Frage eine Schlüsselrolle zu. Die italienische Delegation gab schließlich den Ausschlag für den britischen Standpunkt, dem deutschen Vorschlag, nämlich einen Prozess der Kriegsverbrecher durch ein deutsches Gericht in Deutschland abzuhalten, zu entsprechen. Die Alliierten verzichteten gleichermaßen darauf, sich in den Ablauf der Prozesse einzumischen. Diese Entscheidung ließ jedoch eine diplomatische Hintertür offen. Sollten die Alliierten zu der Auffassung gelangen, dass die Prozesse in Deutschland nicht ordnungsgemäß geführt und mit angemessenen Strafen geahndet werden, konnten die Betreffenden immer noch vor ein alliiertes Gericht gestellt werden.

Am 7. Mai 1920 wurde der Reichsregierung eine neuerliche Liste, die sogenannte Probeliste übergeben, die nun nur noch 45 Personen beinhaltete, darunter keine bekannten Namen mehr. Mit dieser drastisch verkürzten Liste wollte man die deutsche Justiz zunächst prüfen, ob diese tatsächlich in der Lage war, ordnungsgemäße Verfahren einzuleiten, um spätere Verfahren gegen diejenigen einzuleiten, die auf den älteren und wesentlich umfangreicheren Listen aufgeführt waren. Im Gegensatz zu den alten Listen der Alliierten erfolgte in der Probeliste eine recht detaillierte Beschreibung der jeweiligen Tatbestände, die nach Auffassung der Alliierten unweigerlich zu einer Verurteilung führen mussten. Dieser Punkt sollte bei der späteren Bewertung der Verfahren durch eine interalliierte Kommission bedeutend werden.

Die Leipziger Prozesse

Schwierigkeiten bei den Vorbereitungen des Leipziger Reichsgerichts

Das höchste deutsche Gericht, das Leipziger Reichsgericht, wurde mit der Aufgabe betraut, die Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrecher durchzuführen. Bereits vor dem alliierten Auslieferungsverzicht begann man mit vorbereitenden Arbeiten, um gegenüber den Alliierten den Willen für die Durchführung ordentlicher Verfahren in Deutschland zu bekräftigen. Allerdings gab es von Anfang an für das Reichsgericht massive Hindernisse bei der Bewältigung jenes Auftrags. So war es beispielsweise zu Beginn personell nicht adäquat besetzt und hatte zudem durch den im März 1920 erfolgten Kapp-Putsch und diesbezüglicher Verfahren ein erhebliches Maß an Mehrarbeit zu bewältigen. Um dennoch nicht in den Verdacht zu geraten, eine Verschleppung der Verfahren zu fördern und dadurch den Unmut der Alliierten auf sich zu ziehen, wurde Mitte 1920 zusätzliches Personal bewilligt.

Eine weitere Schwierigkeit bestand im Ausfindigmachen der Personen, die auf der Probeliste aufgeführt waren. Daher entschloss man sich in einem ersten Schritt am 27. Februar 1920, jene Liste zu veröffentlichen und die Genannten freiwillig um Rückmeldung zu ersuchen. Erwartungsgemäß war die Resonanz hierauf sehr gering und man ging dazu über, die Betroffenen eigenständig zu ermitteln. Allerdings wurde durch diese Veröffentlichung ein anderer Effekt, wenngleich auch ungewollt, hervorgerufen. Erneut ereiferten sich Teile der Bevölkerung über die Ahndung von Kriegsverbrechen. Statt in der Verlagerung der Prozesse ins Inland den Erfolg einer ersten geglückten Revision des Vertrages von Versailles zu sehen, wurden die angehenden Verfahren in Leipzig als noch schlimmere Demütigung Deutschlands seitens der Alliierten verstanden.

Es waren jedoch nicht die Unmutsbekundungen der Bevölkerung, die die Arbeit des Reichsgerichts so erschwerten und langwierig machten. Auf der einen Seite waren die von den Alliierten auf der Probeliste Genannten namentlich, zum Teil aber auch nur durch militärische Stellungen bezeichnet worden. Letzteres erschwerte die Ermittlungen. Außerdem wurden von alliierter Seite notwendige Informationen zur weitergehenden Ermittlung nur sehr zögernd zusammengetragen und an Deutschland überstellt.

Von wesentlicher Bedeutung waren aber die in die Prozesse involvierten Institutionen der Republik selbst. Deren Personal, darunter auch das des Reichsgerichts, sind hauptsächlich für jene Verzögerungen und teilweise sogar für eine offizielle Parteinahme zugunsten der Angeklagten verantwortlich zu machen. Das erstellte Überführungs- und Belastungsmaterial war meist zu unzureichend, um eine öffentliche Anklage zu erheben. Die „Zentralstelle für Völkerrechtsverletzungen und andere Anschuldigungen militärischer Art“ des Reichswehrministeriums sorgte hierbei nicht nur durch die bewusste Steuerung von Informationen für einen Informationsgleichstand zwischen Anklage und Verteidigung, sondern unterstützte darüber hinaus ganz offiziell die Verteidigung in jeder Hinsicht, um ihr Vorteile zu gewährleisten. Diese Verfahrensweise wurde sogar vom Oberreichsanwalt persönlich gebilligt.

Folglich standen selbst die mit der Anklage betrauten Mitglieder der Reichsanwaltschaft nebst Oberreichsanwalt Ludwig Ebermayer ihrerseits keinesfalls hinter den Prozessen. Sie sollten zwar die Anklage gegen die Beschuldigten führen und hierfür Beweise zusammenstellen bzw. dokumentieren und kamen diesem Anspruch auch oberflächlich nach, doch handelten sie weder aus eigenem Antrieb, noch aus eigener Überzeugung. Sie entsprachen lediglich nur den alliierten Maßgaben und versuchten gleichzeitig, jene Prozesse so vorteilhaft wie möglich für die Angeklagten zu gestalten. Dies erfolgte jedoch stets unter der Berücksichtigung, nicht den Anschein eines Scheinprozesses gegenüber den Alliierten zu erwecken. Diese Haltung der gesamten Reichsanwaltschaft sowie der un- und mittelbar beteiligten Institutionen der Republik war nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass jenes Personal zu Zeiten des Kaiserreichs seine Laufbahn begonnen hatte, dort Karriere machte und die dort aufrecht gehaltenen Tugenden und dessen Rechtsverständnis in die neue Republik fast unverändert übernommen hatte. Jene Defizite traten entsprechend auch auf rein gesetzlicher Ebene offen zu Tage.

Damit die Prozesse in Leipzig überhaupt eingeleitet werden konnten, mussten vorher ergänzende Gesetze für das „Gesetz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen“ verabschiedet werden. Im März 1920 erfolgte eine erste Ergänzung durch die Verfassunggebende Nationalversammlung. Jene Ergänzungsgesetze sollten einerseits dafür Sorge tragen, dass eine vorzeitige Einstellung des jeweiligen Verfahrens erschwert wurde und daher mehrere Dienststellen sowie der Oberreichsanwalt darüber zu befinden hatten. Ein weiterer Punkt war die Aufhebung des Verbots der Doppelbestrafung, die es ermöglichte, bereits rechtskräftig verurteilte Soldaten erneut für die gleichen Taten vor Gericht zu stellen. Dieser Punkt traf besonders in der juristischen Fachwelt auf heftigste Kritik, weil es einem fundamentalem Grundsatz des Rechtsstaats (Ne bis in idem) zuwiderlief, doch ließen sich auf anderem Wege die Prozesse in Leipzig nicht bewerkstelligen.

Im Mai 1921 erfolgte schließlich eine zweite Novellierung des Ergänzungsgesetzes, was jedoch eher einem politischen Zweck diente: „Sie [die Novellierung] eröffnete dem Oberreichsanwalt die Möglichkeit, auch in den Fällen, in denen nach seiner Überzeugung kein genügender Anlaß zur Anklageerhebung bestand, […] alternativ dazu einen Antrag auf Eröffnung der Hauptverhandlung zu stellen“.[3] Hierdurch war es nun dem Oberreichsanwalt möglich, auch solche Verfahren einzuleiten, die von vornherein offensichtlich mit einem Freispruch enden würden. So konnte die Reichsregierung vorerst innen- und außenpolitische Probleme entschärfen und verhindern, dass das Reichsgericht im Inland weiter diskreditiert wurde und die Alliierten neue bzw. härtere Maßnahmen forderten. Zu diesem Zweck trafen schließlich das Reichsjustiz- und Reichswehrministerium eine Vereinbarung, der zufolge sich Prozesse, die wahrscheinlich mit einer Verurteilung ausgingen, mit Prozessen, in denen einen Freispruch zu erwarten war, abwechseln sollten.

Das erste Verfahren vor dem Leipziger Reichsgericht begann am 10. Januar 1921. Drei ehemalige Pioniere standen vor Gericht, denen vorgeworfen wurde, Ende Oktober 1918 in einem belgischen Gasthaus 800 Mark und einige Wertgegenstände mit vorgezogener Waffe entwendet zu haben. Jene drei Pioniere wurden, da sie alle geständig waren, alsbald zu Strafen zwischen 2 und 5 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Auffassung des Reichsgerichts war im vorliegenden Fall der Tatbestand der Plünderung gemäß § 133 Militärstrafgesetzbuch (MStGB) eindeutig erfüllt. Die hohen Strafen und die Verweigerung einer Strafmilderung, da die Tat unter Alkoholeinfluss stattfand, sollte vor allem den Alliierten signalisieren, dass das deutsche Reichsgericht seine Arbeit ernst nahm und durchaus funktionsfähig sei. Dies wird umso offensichtlicher, da keiner dieser drei Angeklagten auf einer alliierten Auslieferungsliste vorzufinden war.

Das eigentlich bemerkenswerte an diesem Fall ist jedoch, dass die Verurteilung aufgrund des Militärstrafrechts erfolgte und auch zur Zeit während des Krieges von einem entsprechenden Militärgericht nahezu ebenso geahndet worden wäre. Obwohl in der Haager Landkriegsordnung von 1907 durchaus ein Plünderungsverbot enthalten war (Art. 28 und 47), war dies nicht Grundlage der Verurteilung. Im vorliegenden Fall handelte es sich nicht um ein Kriegsverbrechen, sondern nach Auffassung des deutschen Militärstrafrechts um ein Verbrechen bei Gelegenheit des Krieges. Jene Art von Verbrechen zu verurteilen war für das Reichsgericht vollkommen unproblematisch, doch „[d]ass Kriegshandlungen völkerrechtliche Grenzen gezogen waren, bei deren Überschreitung eine strafrechtliche Sanktion drohen konnte, hatte in der Vorstellung der deutschen Justiz keinen Platz“.[4] Diese Lücke im deutschen Rechtsverständnis kam während der Leipziger Prozesse voll zum Tragen. Aus diesem Grunde wurde schließlich die einzige bedeutende Neuerung bei den weiteren Prozessen in Leipzig eingeführt. Neben dem bereits zur Anwendung gekommenen MStGB wurde nun auch das zivile Strafgesetzbuch herangezogen. Das zivile Strafrecht wurde so zur Verfolgung und Verurteilung von Kriegsverbrechen genutzt, die das Militärstrafrecht nicht abdeckte, da sich dessen Geltungsbereich nur auf eigentliche Kriegshandlungen oder, wie beispielsweise im vorangegangenen Fall, auf die Truppendisziplin beschränkte. Das MStGB kannte keine völkerrechtswidrigen Kriegsverbrechen, was durch bereits im Krieg verhandelte deutsche Militärgerichtsurteile gegenüber feindlichen Soldaten zum Ausdruck kam.

Das Ergebnis dieser Verfahrensweise während der Leipziger Prozesse war schlussendlich, dass der Begriff „Kriegsverbrechen“ nicht und die damit verbundenen inhaltlichen Bestimmungen nur formal in das deutsche Militärrecht einflossen – wie noch zu zeigen sein wird jedoch mit sehr großen Ausnahmeregelungen und daher letztlich ohne effektive Wirkung. Dieses Versäumnis der deutschen Justiz wurde in der Folgezeit nicht mehr nachhaltig korrigiert, denn als Kriegsverbrechen erneut verhandelt wurden, kam es auf eine deutsche Interpretation hiervon nicht mehr an.

Die Prozessverläufe und die Haltung der Alliierten

In der Zeit zwischen Januar 1921 und November 1922 gab es insgesamt nur 17 Verfahren, darunter 11, die die Alliierten verhandelt wissen wollten. Von diesen 11 endeten 4 mit einer recht milden Verurteilung, die restlichen 7 Urteile lauteten auf Freispruch. Dieses Resultat rief bei den Alliierten Protest und große Unzufriedenheit hervor. In diesem Zusammenhang wurde bereits im August 1921 eine interalliierte Kommission gegründet, die sich aus Vertretern Belgiens, Frankreichs, Großbritanniens und Italiens zusammensetzte, um die Arbeit des Reichsgerichts zu beobachten und beurteilen zu können. Die Kommission fungierte dabei lediglich als eine Art Prozessbeobachter und mischte sich nicht weiter in die Verfahrensabläufe oder den Prozess ein.

Im August 1922 erfolgte aufgrund der bisherigen Prozessverläufe eine offizielle Empfehlung jener Kommission an die jeweiligen alliierten Regierungen und war äußerst weitreichend in ihrer Wirkung. Die Kommission kam einstimmig zu dem Ergebnis, dass das Leipziger Reichsgericht nicht in der Lage war, unvoreingenommen zu verhandeln und die Strafen stets zu gering und der Anteil der Freisprüche insgesamt zu hoch sei.[5] Die betreffenden Staaten nahmen diese Empfehlung zum Anlass und sendeten am 23. August 1922 eine gemeinsame Note an Deutschland, worin die weitere Zusammenarbeit alliierter Behörden mit dem Reichsgericht aufgekündigt wurde. Nur bei jenen Angeklagten, deren Namen auf der Probeliste standen, wurde noch kooperiert, doch in allen anderen Fällen fand keine Übermittlung von Unterlagen mehr statt.[6] Daher stand für die Ermittlungsarbeit des Reichsgerichts fest, dass es keine Verbesserung der Informationslage durch alliierte Dokumente geben und auch nicht zu einer Vernehmung ausländischer Zeugen kommen würde. Das Resultat hieraus war an Deutlichkeit kaum zu überbieten. Als am 17. November 1922 gegen den Angeklagten Max Grüner eine Strafe von zwei Jahren Zuchthaus aufgrund schwerer Plünderung gemäß §§ 129, 133 MStGB verhängt wurde, war dies die letzte Strafe, die das Reichsgericht in einem Urteil verhängte und zugleich die letzte öffentliche Sitzung. Alle weiteren Verfahren fanden nur noch hinter verschlossenen Türen statt.

Zu diesen nichtöffentlichen Verfahren zählte auch das Wiederaufnahmeverfahren gegen zwei Besatzungsmitglieder des U-Bootes U 86 (John Boldt und Ludwig Dithmar) sowie das Verfahren gegen ihren U-Bootkommandanten Helmuth Patzig wegen der Versenkung des englischen Lazarettschiffs Llandowery Castle. Aufgrund einer Vereinbarung von Vertretern des Auswärtigen Amtes, des Reichsjustizministeriums, der Reichsanwaltschaft und der Marineleitung von Juli 1926 sollten diese drei Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werden, um eine Kritik aus dem Ausland zu vermeiden. Am 4. Mai 1928 wurde die Verurteilung von Boldt und Dithmar in nichtöffentlicher Sitzung aufgehoben, da eine bloße Tätigkeit als Ausguck noch keine Beihilfe sei. Am 20. März 1931 wurde das Strafverfahren gegen Patzig in nichtöffentlicher Sitzung eingestellt, da laut Auffassung des Reichsgerichts hier das Gesetz über Straffreiheit vom 14. Juli 1928 sowie das dazu ergangene Ausführungsgesetz vom 24. Oktober 1930 Anwendung finden würde. Im Laufe des Strafverfahrens hatte Patzig ausgesagt, er habe am 27. Juni 1918 die Versenkung des Lazarettschiffs befohlen, da dieses das Rote Kreuz zu Unrecht trage. Als er seinen Irrtum bemerkt habe, habe er die Beschießung der Rettungsboote befohlen, damit die alliierte Kriegspropaganda keine Zeugen mehr habe. Durch diesen Ausgang der Strafverfahren gegen Boldt, Dithmar und Patzig blieb der Tod von 234 Menschen ungesühnt.[7]

Die unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführten Verfahren wurden meist sehr bald, selbst wenn bereits eine Anklageschrift formuliert war, außer Verfolgung gesetzt. Bis zum Jahre 1927 wurden auf diese Weise ca. 1.700 Fälle ad acta gelegt. Nicht selten erfolgte dabei der Einstellungsbeschluss seitens des Reichsgerichts selbst oder gar aufgrund einer einfachen Verfügung seitens der Staatsanwaltschaft. Weswegen jedoch so viele Verfahren einfach eingestellt wurden, beruhte nicht nur auf der alliierten Informationsverweigerung, sondern auf einem weiteren Sachverhalt, der im Folgenden betrachtet wird.

Alliierte Abwesenheitsverfahren

Die interalliierte Kommission zweifelte nicht nur an der Fähigkeit des Reichsgerichts, sondern legte es ferner den betreffenden Staaten nahe, sich nicht weiter auf eine Ahndung von Kriegsverbrechen durch das Reichsgericht zu verlassen und stattdessen eigene Verfahren einzuleiten. Dazu sollte von Art. 228 des Versailler Vertrages Gebrauch gemacht werden, der für eine derartige Situation vorsah, alliierte Gerichte mit der Ahndung der Kriegsverbrechen zu betrauen.[5] In diesem Zusammenhang kam erneut, wie bereits 1920, die Auslieferungsfrage deutscher Kriegsverbrecher auf. Da sich jedoch die Positionen der Beteiligten zwischenzeitlich kaum verändert hatten, kamen die gleichen Differenzen wie damals wieder auf. Frankreich befürwortete nachdrücklich eine neuerliche Auslieferungsforderung deutscher Kriegsverbrecher, aber Großbritannien setzte sich dem wiederum entgegen und konnte sich letztendlich, ebenso wie im Februar 1920, durchsetzen. So teilten schließlich die betreffenden Staaten Belgien, Frankreich, Großbritannien und Italien in der besagten alliierten Note vom 23. August 1922 mit, dass sie sich das Recht vorbehielten, „die der Kriegsverbrechen Beschuldigten selbst vor Gericht zu stellen oder gegen sie, wenn sie ihrer nicht habhaft werden könnten, Verfahren in Abwesenheit durchzuführen“.[8] Mit dieser Formulierung trug man der unrealistischen Forderung nach Auslieferung Rechnung und konnte nun dennoch auf alliierter Seite Prozesse einleiten, ohne dass der Angeklagte persönlich zugegen sein musste.

Für das Vereinigte Königreich kam eine solche Verfahrensweise jedoch überhaupt nicht in Frage – weniger deswegen, weil es eine andere Politik gegenüber Deutschland verfolgte, sondern vielmehr weil es schlichtweg illegal gewesen wäre, da das britische Recht Abwesenheitsverfahren nicht kannte. In Italien bestand zwar formal die Möglichkeit, Abwesenheitsverfahren in die Wege zu leiten, doch war schon an der bisherigen, sehr zögerlichen Ermittlungstätigkeit in Sachen Rechtshilfe für das Leipziger Reichsgericht erkennbar, dass Italien keine solchen Verfahren einleiten würde. Dies sollte sich dann auch wenige Zeit später bewahrheiten.

Lediglich Belgien und Frankreich führten Abwesenheitsprozesse durch, doch waren sie ebenso parteiisch wie die des Leipziger Reichsgerichts. Hierfür spricht allein die Tatsache, dass noch nicht einmal ein Verteidiger für die abwesenden Angeklagten zugelassen wurde und zudem nahezu ausschließlich den Ausführungen der Anklage Glauben geschenkt wurde. Entlastungsbeweise oder in der Wirkung ähnelnde Unterlagen kamen vielfach gar nicht erst zur Sprache. Zwischen August 1922 und Ende 1925 fanden in Frankreich 340 und in Belgien 153 solcher Verfahren statt. In seltenen Fällen erfolgte ein Freispruch, die restlichen Strafen waren sehr hoch und drastisch. Als Gegenreaktion auf die Abwesenheitsverfahren und deren Urteile wurde im gleichen Zeitrahmen auf deutscher Seite beim Leipziger Reichsgericht in den betreffenden Fällen die Ermittlungsarbeit aufgenommen, um sich gegen die belgischen und französischen Behauptungen bzw. Urteile zur Wehr zu setzen. Dies gestaltete sich recht schwierig, da oftmals nur über die knappe Berichterstattung ausländischer Zeitungen in Erfahrung gebracht werden konnte, welche Person zu welcher Strafe verurteilt worden war. Nähere Ausführungen, zum vorgeworfenen Tatbestand etwa, wurden fast nie gemacht.

Weiterhin bestand für die Angeklagten kein Rechtsmittel, es sei denn, sie stellten sich den jeweiligen französischen oder belgischen Behörden, was einer freiwilligen Auslieferung gleichgekommen wäre. In diesem Fall wäre das getroffene Urteil aufgehoben und die Verhandlung komplett neu aufgerollt worden. Hiervon machte jedoch aus ersichtlichem Grund niemand Gebrauch. Vielmehr wurde auf deutscher Seite ein komplett anderer Weg eröffnet: Dem in einem Abwesenheitsverfahren Angeklagten wurde vom Auswärtigen Amt nahegelegt, dem Leipziger Reichsgericht die eigene Darstellung der zur Last gelegten Beschuldigungen abzufassen und gleichzeitig damit verbunden eine Einstellung des Verfahrens auf deutscher Seite zu beantragen. Diesem Einstellungsverlangen kam die Reichsanwaltschaft in allen Fällen nach. Hierdurch hatte sich offenkundig die Rolle des Reichsgerichts komplett gewandelt. War es zuvor, wenngleich auch nur vordergründig, darum bemüht, den alliierten Erwartungen zu entsprechen und Verfahren trotz größerer Defizite und langwieriger Ermittlungen einzuleiten, fungierte es nun als konterkarierendes Instrument in Bezug auf die alliierten Abwesenheitsverfahren.

Rechtliche Entwicklungen in der Zwischenkriegszeit

In der Zeit zwischen beiden Weltkriegen konnte sich z. B. das Völkerrecht weiterentwickeln, wenngleich es insgesamt eine nicht wirklich effektiv bindende Wirkung besaß bzw. entfalten konnte, da keine funktionierende internationale Institution (Völkerbund) mit der Kontrolle seiner Einhaltung vorhanden war. Nicht minder bedeutsam ist, dass in Deutschland bis zum Kriegsausbruch 1939 internationales Kriegsvölkerrecht in nationales Recht umgesetzt worden war. So bildeten die Haager Landkriegsordnung (1907), die 3. Genfer Rot-Kreuz-Konvention und das Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen (beide von 1929) die wichtigsten Regeln im Landkrieg. Um Missverständnisse zu verhindern, sei hierbei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass durch keine der besagten Regelungen bzw. internationalen Vereinbarungen eine juristische Definition des Begriffs „Kriegsverbrechen“ erfolgte oder gar rechtliche Grundlagen für deren spätere Ahndung etabliert wurden. Trotz diesem Umstand waren aber die Soldaten der Wehrmacht, im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg, mit leicht verständlichen Verhaltensgeboten, basierend auf den genannten völkerrechtlichen Bestimmungen im Krieg, in Form von Unterricht, Schulungen, Dienstanweisungen und Befehlen vertraut gemacht worden und sollten diese auch grundlegend befolgen. Das Problem bestand jedoch darin, dass jene Richtlinien sehr leicht außer Kraft gesetzt werden konnten, ohne dass dies mit einer strafrechtlichen Ahndung verbunden gewesen wäre. So lag es beispielsweise in der Macht des rangniedersten Befehlsgebers, sprich Bataillonskommandeurs, jene Richtlinien außer Kraft zu setzen. Daneben galten für spezielle Kampfeinheiten wie z. B. die Waffen-SS oder den SD derartige Konventionen zu keinem Zeitpunkt. Folgerichtig waren insgesamt betrachtet die genannten Verhaltensgebote relativ wirkungslos.

Mit Beginn des Feldzugs gegen die Sowjetunion ab Juni 1941 änderte sich darüber hinaus generell das allgemeine Kriegsgeschehen. Der gesamte Inhalt der noch bestehenden Regelungen und Verhaltensweisen für die Wehrmacht wurde generell und grundlegend außer Kraft gesetzt und vollständig durch neue, dem Völkerrecht diametral entgegengesetzte Verhaltensrichtlinien ersetzt. Exemplarisch hierfür stehen sowohl der allgemein bekannte „Kommissarbefehl“ oder in Bezug auf die Behandlung der Zivilbevölkerung der besetzten Ostgebiete ein entsprechender Erlass seitens des Ernährungsministers Herbert Backe. Dieser verwarf völkerrechtliche Grundlagen und leitete bewusst zu Verbrechen an der russischen Zivilbevölkerung an (vgl. Hungerplan).

Abseits vom Landkrieg existierten im Luft- und Seekrieg gar nicht erst derartige Regelungen. Versuche, hierfür völkerrechtliche Gesetze bzw. Normen zu finden, scheiterten bereits 1923. Dort herrschte, wie der Zweite Weltkrieg überaus deutlich zeigen sollte, nach wie vor das Prinzip des Repressalienkriegs. Dies mag u. a. auch der Grund dafür gewesen sein, dass die Bombardements der deutschen Luftwaffe in den Nürnberger Prozessen nicht zur Sprache kamen, abgesehen von der Tatsache, dass die Alliierten durch ihre Zerstörung deutscher Städte sich ihrerseits hätten verantworten müssen.

Literatur

  • Carl Haensel: Der Nürnberger Prozess: Tagebuch eines Verteidigers. Moewig, München 1983, ISBN 3-8118-4330-3.
  • Gerd Hankel: Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg. Hamburger Edition, Hamburg 2003, ISBN 3-930908-85-9.
  • Gerd Hankel: Deutsche Kriegsverbrechen des Weltkriegs 1914–1918 vor deutschen Gerichten. In: Wolfram Wette, Gerd R. Ueberschär (Hrsg.): Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert. Darmstadt 2001, S. 85–98.
  • Kai Müller: Oktroyierte Verliererjustiz nach dem Ersten Weltkrieg. In: AVR 39 (2001), S. 202–220.
  • Kai Müller: Die Leipziger Kriegsverbrecherprozesse nach dem Ersten Weltkrieg. In: Bernd-Rüdiger Kern, Adrian Schmidt-Recla (Hrsg.): 125 Jahre Reichsgericht. Duncker & Humblot, Berlin 2006, ISBN 3-428-12105-8, S. 249–264.
  • Friedrich Kaul: Die Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher im Ersten Weltkrieg. In: ZfG. 14, 1966, S. 19–32.
  • Walter Schwegler: Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage. Die Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen als Problem des Friedensschlusses 1919/20. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1982.
  • Dirk von Selle: Prolog zu Nürnberg. Die Leipziger Kriegsverbrecherprozesse vor dem Reichsgericht. In: Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte. 3/4, 1997, S. 192–209.
  • Harald Wiggenhorn: Verliererjustiz. Die Leipziger Kriegsverbrecherprozesse nach dem Ersten Weltkrieg. Nomos, ISBN 3-8329-1538-9.
  • Harald Wiggenhorn: Eine Schuld fast ohne Sühne – Erinnerung an die Leipziger Kriegsverbrecherprozessse vor 75 Jahren. Artikel in der Wochenzeitung Die Zeit aus Hamburg vom 16. August 1996, S. 9–11.

Einzelnachweise

  1. Hankel 2003, S. 37.
  2. Hankel 2003, S. 39 f.
  3. Hankel 2003, S. 66.
  4. Hankel 2003, S. 92.
  5. a b Vgl. Hankel 2003, S. 488.
  6. Vgl. Hankel 2003, S. 487ff.
  7. Vgl. zu diesen Verfahren Schwengler 1982, S. 348–350, 354–359.
  8. Zitiert nach Hankel 2003, S. 489.

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