Lionardo Da Vinci

Lionardo Da Vinci
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Leonardo da Vinci, Selbstbildnis, um 1512 (Rötelzeichnung, Biblioteca Reale, Turin)
   Leonardo da Vinci
(Standbild, Uffizien, Florenz)

Leonardo da Vinci [leoˈnardo daˈvintʃi] (* 15. April 1452 in Anchiano bei Vinci; † 2. Mai 1519 auf Schloss Clos Lucé, Amboise, eigentlich: Leonardo di ser Piero, toskanisch auch Lionardo) war Maler, Bildhauer, Architekt, Anatom, Mechaniker, Ingenieur und Naturphilosoph. Sein Namenszusatz „da Vinci“ ist kein Familienname, sondern bedeutet aus Vinci. Der Geburtsort Vinci ist ein Kastell bzw. befestigtes Hügeldorf und liegt im Florentiner Territorium (ca. 30 km westlich von Florenz) nahe Empoli.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft, Lehre und Studien (1452 - 1481)

Herkunft

Leonardos Eltern waren der 25-jährige Notar Piero da Vinci und nach neuestem Forschungsstand mit hoher Wahrscheinlichkeit die getaufte, damals 22-jährige, arabische Sklavin Caterina, die bei Piero vorübergehend als Magd arbeitete.[1] Die Mutter heiratete wenig später den Töpfereibesitzer Accattabriga di Piero del Vacca aus Vinci und bekam fünf weitere Kinder. Der Vater Piero war seinerseits viermal verheiratet und hatte von seinen beiden letzten Frauen neun Söhne und zwei Töchter. Nach der Trennung von Caterina nahm er Leonardo als leiblichen Sohn an. Als erfolgreichem Notar gehörten zu seinen Klienten die Medici wie auch Mitglieder der regierenden Signoria, des Rats des Stadtstaates Florenz.

Leonardo verbrachte den größten Teil seiner Jugend in Florenz. Schon früh interessierte er sich für Musik, Zeichnen und Modellieren. Sein Vater zeigte einige seiner Zeichnungen Andrea del Verrocchio, der die künstlerische Begabung des Jungen erkannte und ihn in seine Werkstatt aufnahm.

Lehrjahre bei Verrocchio

Verrocchio war einer der bedeutendsten Bildhauer im damaligen Florenz, außerdem als Goldschmied und Maler tätig. In seinem Atelier lernte und arbeitete Leonardo etwa von 1470 bis 1477, unter anderem in Gesellschaft von Lorenzo di Credi und anderer Schüler, die weniger berühmt geworden sind.

Taufe Christi, von Verrocchio und Leonardo, um 1475
Blumen, Skizze Leonardos

Im Alter von 20 Jahren hatte Leonardo seine Lehrzeit abgeschlossen, arbeitete aber weiter in Verrocchios Werkstatt. Er soll − so berichtet u. a. Giorgio Vasari, ein Pionier unter den Kunstchronisten und erster Biograph Leonardos – auf dem Bild Taufe Christi, das Verrocchio für die Mönche von Vallombrosa malte, den auf der linken Seite knienden Engel in das Bild seines Lehrers eingefügt haben (heute in den Uffizien in Florenz zu sehen). Das ursprünglich in Tempera gemalte Bild wurde später z. T. in Öl übermalt (evtl. von Leonardo), so dass ein fundiertes Urteil über die Urheberanteile schwierig ist. Leonardos Beitrag wird nicht nur im Gesicht des Engels, sondern auch in Teilen der Bekleidung und des landschaftlichen Hintergrunds vermutet. Im linken Teil des Landschaftshintergrundes ist bereits Leonardos Sfumato-Technik zu erkennen, seine charakteristische Weichzeichnung von Motiven. Das Bild wird um das Jahr 1475 datiert, in dem auch das Bild Verkündigung an Maria und Leonardos Studien für Faltenwürfe von Gewändern und das Profil eines Kriegers entstanden.

Seit 1472 findet sich Leonardos Name in den Listen der St.-Lukas-Gilde, der Malergilde von Florenz. Hier lebte und arbeitete er weitere zehn Jahre und arbeitete gemeinsam unter anderen mit den Malern Sandro Botticelli und Pietro Perugino. Im Gegensatz zum später geborenen Michelangelo (*1475) wurde Leonardo als offen und freundlich geschildert. Er hatte jedoch auch einen Hang zur Einsamkeit und wurde beschrieben mit den Worten: „Wenn du allein bist, wirst du dir ganz gehören.“ (Codex Ashburnham I 27 v.)

Ihm wurde zudem nachgesagt, er soll homosexuell gewesen sein. Der großgewachsene, attraktive, musikalisch und darstellerisch talentierte und immer extravagant gekleidete Leonardo - der zeitlebens Männerfreundschaften pflegte - musste sich 1476 einer Anklage wegen Sodomie stellen. Ihm wurde vorgeworfen, sich an dem 17-jährigen Jacopo Saltarelli vergangen zu haben, was jedoch nicht eindeutig geklärt werden konnte. Leonardo wurde freigesprochen.

Als sensibler Künstler begann er bereits früh, seine Gedanken und Gefühle in Notizbüchern (Codici) zu notieren. Aus seinen Ausführungen ist abzuleiten, dass er nicht – wie andere Renaissancekünstler – die Pracht der antiken Kunst durch Imitation von Modellen wiederbeleben wollte, sondern sich als Schüler der Natur berufen fühlte, die Schönheiten der Natur selbst und diese im Zusammenspiel mit Menschen darzustellen. Nicht das Gewöhnliche und Offenkundige, sondern vor allem die fantastischen und ungewöhnlichen Erscheinungen der Welt zogen ihn besonders an. Merkwürdige Formen von Hügeln und Felsen, seltene Pflanzen und Tiere, Bewegungen des Wassers, ungewöhnliche Gesichter und Figuren von Menschen waren die Dinge, die er in seiner Malerei und in seinen Naturstudien aufgriff. Die früheste datierte Zeichnung ist die Arnolandschaft vom 5. August 1473 (heute in den Uffizien Florenz). Fast alle seine Porträts hat er mit einem Natur-Hintergrund gemalt und in seinen Notizbüchern unendlich viele Pflanzen- und Tierstudien festgehalten.

1477 scheint er die besondere Gunst Lorenzo de Medicis gefunden und als freier Künstler unter dessen Patronage gearbeitet zu haben. Es entstanden erste Porträts und Marienbilder, 1475-1478 die Madonna Benois (St. Petersburg, Eremitage), und 1478 – 1480 ein Porträt Ginevra de' Bencis, einer Tochter von Amerigo de' Benci, der Leonardos Leidenschaft für kosmografische Studien teilte (Washington, National Gallery). 1481 erhielt er einen ersten größeren Auftrag vom Augustinerorden im Kloster San Donato in Scopeto nahe Florenz für ein Altarbild [2] und zeichnete die Skizzen für die Anbetung der Heiligen Drei Könige (heute: Uffizien). Trotz seines Talents und seiner Leistungen blieb er arm. Autorität schätzte er gering. Daher schloss er sich nicht vollständig dem mächtigen Medici-Zirkel an, der in der Kunst die klassische Vergangenheit, verbunden mit dem Christentum, als Hauptströmung durchsetzte. Als sich fast alle seine Künstlerfreunde 1481 in Rom niederließen – um für den Vatikan zu arbeiten – ergab sich ihm in Mailand die Chance einer festen Anstellung am Hof der Sforzas.

Leonardos erste Werke

Madonna mit Nelke (1475)

Madonna Benois (1477)

Genevra de' Benci (1478)

Krieger mit Helm (1472)

Frühe Mailänder Jahre (1482 - 1499)

Die Sforzas regierten Mailand und die Lombardei von 1450 bis 1535. Francesco Sforza (* 1401, † 1466) war der erste Herzog und Begründer der Dynastie, die eng mit den Medici zusammenarbeitete. Nach seinem Tode wurde sein ältester Sohn Galeazzo Herzog. Nach dessen Ermordung kam 1476 Ludovico Sforza (genannt il Moro / der Dunkle) als Protektor seines Neffen Gian Galeazzo Sforza – tatsächlich aber als Usurpator des Staates – an die Macht. Als er sich etabliert hatte, griff er ein Projekt zur Errichtung eines Reitermonumentes (Sforza-Cavallo) zu Ehren des Gründers des Herrscherhauses wieder auf und fragte Lorenzo di Medici um Rat bei der Wahl eines Künstlers. Dieser empfahl den jungen Leonardo, der sich daraufhin am Hofe in Mailand vorstellte.

Ludovico Sforza von Francesco Napoletano, um 1494, Ausschnitt aus dem Sforza-Altar. Mailand, Pinacoteca di Brera

Wegen der bevorstehenden Kämpfe zwischen Mailand und Venedig hat Leonardo in seinem Empfehlungsschreiben an den Herzog ausführlich und detailliert seine Fähigkeiten und Erfindungen in der Militärtechnik erwähnt. Erst am Schluss des Briefes betonte er sein Können als Bauingenieur und Architekt und fügte schließlich einen kurzen Hinweis auf seine Kenntnisse als Maler und Bildhauer hinzu, die die Grundlage zu einer angemessenen Ausführung des Monuments für Francesco Sforza bilden könnten. Nach seiner Anstellung arbeitete Leonardo über zwanzig Jahre (mit Unterbrechungen) für die Sforzas und erwarb sich schon bald große Anerkennung.

In Mailand war Leonardo inzwischen zum führenden Geist in allen Hofzeremonien und Festivitäten geworden. Anlässlich der Hochzeit des jungen Herzogs Gian Galeazzo mit Isabella von Aragon 1487 war der Künstler für die Bühnenbilder und Kostüme der Masque Il paradiso verantwortlich. Weiterhin hat ihn wohl die 1484-1485 in Mailand wütende Pest veranlasst, dem Fürsten Pläne vorzulegen, nach welchen die Stadt unterteilt und nach verbesserten sanitären Prinzipien wiederaufgebaut werden sollte. In seinem Notizbuch notierte er:

Der mittlere, unterirdische Hauptkanal nimmt kein trübes Wasser auf, sondern Wasser, welches durch die Gräben außerhalb der Stadt fließt, mit vier Mühlen am Eingang und vier am Ausgang. Dies macht man, indem das Wasser oberhalb von Romoloutino staut.[3]

Leonardo, der im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen eine äußerst gepflegte Erscheinung war und sehr auf Sauberkeit achtete (und den Zusammenhang zwischen Pest und Schmutz erkannte), organisierte mit Hilfe von Booten die erste Müllabfuhr in Mailand und trug somit zu einer wesentlichen Verbesserung der Lebensqualität in der Stadt bei.

1485-1486 scheint er außerdem ausgefeilte – wenn auch nicht verwirklichte – Pläne zur Verschönerung und Verstärkung des Castello in Angriff genommen zu haben. Bald darauf begann er auch mit der Planung einer weiteren bedeutsamen Unternehmung: die Vollendung des Mailänder Dom, für die ein Wettbewerb zwischen deutschen und italienischen Architekten ausgeschrieben worden war. Er konnte sich allerdings nicht durchsetzten und entwarf daraufhin für die junge Herzogin einen Badepavillon von ungewöhnlicher Raffinesse und Schönheit. Parallel dazu machte er Aufzeichnungen über die Ergebnisse seiner Studien in Geometrie, Statik und Dynamik, menschlicher Anatomie sowie der Phänomene von Licht und Schatten und setzte sich eingehend mit dem Entwurf des Sforza-Reitermonuments auseinander. Intensiv betrieb er Studien über die Bewegung und die Anatomie von Pferden und über die Kunst bzw. Wissenschaft der Bronzebearbeitung und Gießtechnik. Das Reiterstandbild sollte die größte Bronzestatue der damaligen Zeit werden.


Der vitruvianische Mensch, Proportionsstudie nach Vitruv 1492

Nach sieben Jahren bereitete er 1490 auf Drängen seines Auftraggebers sein Reiterstandbild-Modell - vorerst aus Ton - anlässlich der Heirat Ludovicos mit Beatrice d’Este zur Vorführung vor. Im letzten Moment war er jedoch mit seiner Arbeit nicht zufrieden und begann noch einmal von vorn. Im selben Jahr verbrachte Leonardo ungestört einige Monate mit mathematischen und physikalischen Forschungen in den Bibliotheken und unter den Gelehrten von Pavia. Hierhin war er als Berater hinsichtlich einiger architektonischer Schwierigkeiten beim Bau der Kathedrale berufen worden. In Pavia erhielt er durch das Studium eines antiken Reitermonuments (des sogenannten Regisole, der 1796 zerstört wurde) neue Anregungen für seinen Francesco Sforza. Aus dem Jahr 1492 stammt die Studie über Körperproportionen nach Vitruv, sowie Proportions-Studien von menschlichen Körpern und Gesichtern und anatomische Studien, denn er wollte „das Innere des Menschen“ genau kennenlernen und begann an seinem Buch Von der menschlichen Figur zu arbeiten.

In den folgenden Jahren verschafften ihm die zunehmenden Festivitäten und der Prunk des Mailänder Hofes fortwährend Aufträge, darunter die Komposition und Rezitation von Sagen, Fabeln und Prophezeiungen (d.h. moralischen und sozialen, im Futurum formulierten Satiren und Allegorien). In seinen Manuskripten finden sich die Entwürfe für viele davon. Einige sind sowohl scharfsinnig als auch beißend.

Bilder der Mailänder Epoche

Zwischen 1483 und 1486 entstand die erste Fassung der Madonna in der Felsengrotte (Felsgrottenmadonna), die er für die Bruderschaft der unbefleckten Empfängnis in der Kirche San Francesco in Mailand ausgeführt hatte. Diese Fassung wurde nie übergeben, da die Szene entgegen den Wünschen der Bruderschaft in einer kalten, leblosen Höhle dargestellt ist und Jesus und Johannes der Täufer ohne Gold und Heiligenscheine gezeigt werden, was nicht dem Katholischen Dogma entsprach. 1499 gelangte dieses Gemälde nach Frankreich, heute ist es im Louvre ausgestellt. Die zweite modifizierte Fassung – von der Bruderschaft akzeptiert – wurde zwischen 1493 und 1508 gemalt, von Leonardo begonnen und fortgeführt von seinem Schüler Ambrogio de Predis. Sie befindet sich heute in der National Gallery in London.

In den 80er Jahren beschäftigte sich Leonardo auch ausführlich mit technischen Herausforderungen. Seine Notizbücher sind voll mit Skizzen von Kriegsmaschinen, Flugmaschinen, Schiffen und Waffen. Um 1490 malte Leonardo als ein weiteres Madonnenbild die Madonna Litta (zumindest den Entwurf dazu) sowie das bekannte Porträt der Cellilia Gallerani (Dame mit dem Hermelin / Museum Krakau), einer Mätresse Ludovicio Sforzas. Zur gleichen Epoche zählt das Bildnis eines jungen Mannes (Porträt des Musikers Franchino Gaffurio) und das Bildnis einer unbekannten Dame. Beide Bilder können allerdings nicht eindeutig Leonardo zugeordnet werden.

Dame mit Hermelin

Madonna Litta (1490)

Cenacolo (Abendmahl)

Als Leonardo etwa 40 Jahre alt und zehn Jahre für den Mailänder Hof tätig gewesen war, bekam er von Ludovico Sforza den Auftrag, ein Bild für die Stirnwand des Refektoriums der Konventskirche von Santa Maria delle Grazie in Mailand zu malen.

   Das letzte Abendmahl (Secco)
entstanden zwischen 1495 und 1498

Das bereits zur Entstehungszeit berühmte Bild Das letzte Abendmahl (Cenacolo), ein Wandgemälde mit den Maßen von 8,8 m x 4,6 m, entstand in den Jahren 1494 bis 1498. Es stellt genau den Zeitpunkt dar, in dem Jesus seinen Jüngern auf den Kopf zusagt, dass einer von ihnen ihn in wenigen Stunden verraten würde. Das Bild ist bis heute Gegenstand vieler Legenden.

Leonardo malte das Bild in Tempera auf eine getrocknete Gipswand (Seccomalerei) – kein Fresko und auch nicht in Öl, wie eine Legende später behauptete. Die Tempera-Trägersubstanz hielt nicht lange auf dem Gipsuntergrund und dieser auch nicht auf der Wand. Durch Feuchtigkeit und Schimmelbildung kam es zu Abblätterungen und Schuppenbildung. Dieser Prozess dauerte jahrzehntelang. Die Restaurierungsversuche im 18. Jahrhundert gründeten auf der falschen Annahme, das Werk sei in Öl ausgeführt worden. So hat man es einmal mit Öl überstrichen, in der Hoffnung, dadurch die Farben wiederherstellen zu können. Andere versuchten es mit unterschiedlichen „Geheimmitteln“, meistens schädlichen Lacken und Klebstoffen. Erst Mitte der 1970er Jahre konnte der weitere Verfall durch moderne Restaurierungstechniken aufgehalten werden, eine weitere Restaurierung folgte um die Jahrtausendwende. Der Zustand des Werks wurde mittlerweile mit einer Auflösung von 16 Gigapixel dokumentiert[4].

Trotz der großen Beschädigungen hinterließ das schon halb aufgelöste Bild immer wieder einen tiefen Eindruck auf die unterschiedlichsten Betrachter. Im Mai 1788 sah auch Goethe auf seiner Rückreise aus Rom das Bild. Später schrieb er einen Aufsatz über Leonardos Abendmahl, in dem es unter anderem heißt:

… wodurch Leonardo dieses Bild hauptsächlich belebte: Es ist die Bewegung der Hände; dies konnte aber auch nur ein Italiener finden. Bei seiner Nation ist der ganze Körper geistreich, alle Glieder nehmen teil an jedem Ausdruck des Gefühls, der Leidenschaft, ja des Gedankens ...

Um die Personen als Charaktere darstellen zu können, suchte Leonardo seine „Typen“ sorgfältig aus und fertigte viele Gesichtsstudien an, siehe: Das letzte Abendmahl. Die Gesichter von Jesus und Judas blieben unvollendet, der Perfektionist Leonardo fand keine befriedigende Lösung für eine malerische Darstellung.

Freundschaft mit Luca Pacioli

Nach dem Erfolg seines Werkes Das letzte Abendmahl fuhr Leonardo mit der Arbeit am Sforza-Monument - dem Cavallo - fort, dessen sieben Meter hohes Ton-Modell bereits drei Jahre lang im Corte Vecchio des Castello stand und allgemein bewundert wurde. Nun sollte das Monument in Bronze gegossen werden.

Leonardos Entwurf für das Sforza-Monument, 1489

Hilfe für die schwierigen Berechnungen für den Bronzeguss bekam Leonardo von dem Mathematiker Luca Pacioli aus Borgo San Sepolcro, dessen Summa de aritmetica, geometrica etc. Leonardo bei ihrer Ersterscheinung in Pavia erworben hatte. Der Mathematiker bewunderte Leonardos Malereien und Skulpturen und mehr noch seine mathematischen, physikalischen und anatomischen Forschungen, die er in den Manuskriptsammlungen Leonardos kennen lernte. Beide arbeiteten an Paciolis nächstem Buch De divina proportione, (Über das göttliche Verhältnis), das dem Goldenen Schnitt entsprach. Auch die seit der Antike bestehende mathematische Aufgabenstellung zur Quadratur des Kreises versuchten beide zu lösen.

Bald beteiligte sich Pacioli auch an der Fertigstellung der Innendekoration bestimmter Kammern des Castello, des Saletta Negra und des Sala delle Asse, die bereits von anderen Künstlern begonnen worden war. Bei Reparaturarbeiten Ende des 19. Jahrhunderts legte Paul Müller-Walde unter den neu verputzten und getünchten Raumdecken Spuren von Leonardos Handwerk frei; so wurden im großen Sala delle Asse viele Spuren Leonardos gefunden. Ein Großteil der Dekoration war gut erhalten und deshalb restaurierbar. Für diese und andere künstlerische Arbeiten wurde Leonardo 1498 mit einem Garten außerhalb der Porta Vercelli belohnt, zu einer Zeit, als Geld nur spärlich floss und sein Gehalt lange im Rückstand war. Aber wiederum konnte er die Aufgabe nicht beenden, genauso wie das Bronze-Monument, das der Herzog aus Mangel an Bronze (die er für Waffen benötigte) schließlich einstellen ließ. Dies half ihm aber nicht, seine Vertreibung im Jahre 1499 durch den französischen König Ludwig XII. zu verhindern. Ludovico musste fliehen, Leonardo und andere Künstler verließen Mailand.

Wanderjahre (1499 - 1512)

Wieder in Florenz

Als Leonardo und sein Freund Luca Pacioli Mailand im Dezember 1499 verließen, war ihr Ziel Venedig. Leonardo bot dort seine Dienste als Ingenieur an und stellte seine Kriegsmaschinen vor, darunter auch ein Taucheranzug für den Unterwasserkampf. Er bekam jedoch keine Anstellung und zog weiter nach Mantua, wo er von der Herzogin Isabella Gonzaga empfangen wurde, die als kultivierteste Dame ihrer Zeit galt. Er versprach, zu einem späteren Zeitpunkt ein Porträt von ihr zu malen; zunächst fertigte er eine Kreidezeichnung an, die sich heute im Louvre befindet.

Anna selbdritt, Paris, Louvre

Die Freunde zogen im April 1500 nach Florenz, das gerade die Schreckensherrschaft Savonarolas überstanden hatte und wieder Republik geworden war. Hier fand Leonardo vorübergehend Unterschlupf im Kloster Annunziata, wo er sich verpflichtete, ein Altarbild für die Basilica della Santissima Annunziata zu malen. Ein Jahr verging, ohne dass der Auftrag ausgeführt wurde. Wissenschaftliche Fragen der physikalischen Geografie und des Ingenieurwesens fesselten Leonardo mehr als die Malerei. Er schrieb an Briefpartner, um Erkundigungen über die Gezeiten im Euxinischen und Kaspischen Meer einzuholen. Zur Information der Mercanti berichtete er über die gegen einen drohenden Erdrutsch auf dem Hügel von San Salvatore dell'Osservanza zu ergreifenden Maßnahmen. Er legte Zeichnungen und Modelle für die Kanalisierung und die Kontrolle des Arno vor und entwickelte einen Plan zum Transport des Florentiner Baptisteriums (Dantes bel San Giovanni) in einen anderen Stadtteil, wo es auf einen großen Marmorsockel gestellt werden sollte.

Den ungeduldigen Serviten-Brüdern von Annunziata legte er schließlich im April 1501 einen Entwurf des Altarbilds auf Karton vor, der in Florenz unter großer Beteiligung von Publikum ausgestellt wurde. Das Thema war die Jungfrau, die sich auf dem Schoß der Heiligen Anna sitzend vorbeugt, um ihr Kind festzuhalten, das halb aus ihrer Umarmung entflohen ist, um mit einem Lamm auf dem Boden zu spielen. Trotz des allgemeinen Lobs für seinen Entwurf vollendete Leonardo das Altarbild nicht. Die Mönche von Annunziata mussten den Auftrag an Filippino Lippi geben, nach dessen Tod die Aufgabe von Perugino beendet wurde. Leonardo vollendete erst später das Bild (1506-1516), das als Anna Metterca oder Anna selbdritt (zu Dritt) heute im Louvre zu sehen ist.

In Florenz bemühte sich Leonardo um Aufträge. Der Gonfaloniere Piero Soderini bot ihm einen riesigen Marmorblock zur freien Verfügung an, doch Leonardo lehnte dankend ab. Drei Jahre später schlug Michelangelo seinen David aus diesem Block. Vom französischen Hof erhielt er den Auftrag für ein weiteres Madonnenbild; 1501 malte er die Madonna mit der Spindel. Aber eigentlich interessierte er sich viel mehr für technische und wissenschaftliche Herausforderungen und suchte diesbezüglich nach einem fürstlichen Auftraggeber.

Im Dienst Cesare Borgias

Im Frühjahr 1502 trat er - wohl aus finanziellen Gründen - in den Dienst Cesare Borgias, des Herzogs von Valentino. Dieser war zu diesem Zeitpunkt mit der Konsolidierung seiner jüngsten Eroberungen in der Romagna beschäftigt. Zwischen Mai 1502 und März 1503 bereiste Leonardo als oberster Ingenieur einen großen Teil Mittelitaliens. Nach einem Besuch in Piombino an der Küste gegenüber Elba fuhr er über Siena nach Urbino, wo er kartographische Zeichnungen anfertigte. Anschließend wurde er über Pesaro und Rimini nach Cesena gerufen; zwischen Cesena und Cesenatico verbrachte er zwei Monate, in denen er Kanal- und Hafenarbeiten plante und leitete und mit der Planung zur Restaurierung des Palasts Friedrichs II. beauftragt wurde.

Danach begleitete er seinen Arbeitgeber, der in Imola von Feinden belagert wurde. Hier lernte Leonardo auch Niccolo Machiavelli kennen, der als Abgesandter von Florenz mit Cesare Verhandlungen führte. Er folgte ihm nach Sinigallia und Perugia, durch einen Wirbel von Stürmen und Überraschungen, Vergeltung und Verrat, und schließlich über Chiusi und Acquapendente nach Orvieto und wahrscheinlich Rom, wo Cesare im Februar 1503 ankam. Als Cesares Gefolgsmann Vito Luzza, mit dem sich Leonardo angefreundet hatte, umgebracht wurde, verließ Leonardo den ehrgeizigen, skrupellosen Herzog und kehrte zurück nach Florenz.

Gemälde der Anghiarischlacht

In Florenz bekam Leonardo auf Initiative von Machiavelli und Piero Soderini den Auftrag, ein großes Schlachtengemälde für eine der Wände des neuen Ratssaals im Palazzo della Signoria zu schaffen. Er wählte als Thema eine Episode des Sieges der Florentiner über die Mailänder, nahe einer Brücke bei Anghiari im oberen Tibertal. Der jüngere Michelangelo, der gerade seinen David vollendet hatte, wurde mit einem weiteren Schlachtengemälde auf einer anderen Wand des gleichen Saals betraut und entschied sich für die Schlacht bei Cascina.

Detail der Anghiarischlacht, 1603
gezeichnete Kopie von Peter Paul Rubens

Eigentlich wollte Leonardo keine Gewalt-Verherrlichungen malen, denn er hasste den Krieg, andererseits fühlte er sich gegenüber seinem Rivalen Michelangelo herausgefordert. Zur Vorbereitung seines Kartons wurde Leonardo der Sala del Papa in Santa Maria Novella zugewiesen. Er arbeitete - ähnlich wie an seinem Cenacolo - stetig und unermüdlich an seiner neuen Aufgabe. Aus seinen Berichten an die Signoria wird sein kontinuierlicher Fortschritt deutlich. In weniger als zwei Jahren (1504–1505) war der Entwurf fertig. Als dieser zusammen mit dem des Michelangelo ausgestellt wurde, wurden beide Entwürfe als großartige Kunstwerke bewundert und dienten den damaligen Studenten als Modell und Beispiel, so wie die Fresken von Masaccio in Santa Maria del Carmine den Schülern zwei Generationen zuvor geholfen hatten. Auch der junge Raffael lernte in dieser Zeit von Leonardo, ebenso Fra Bartolommeo.

Leonardo übertrug seinen Entwurf auf die Maueroberfläche. Dazu hatte er eine neue technische Methode erfunden, die er nach einem vorläufigen Versuch im Sala del Papa für erfolgversprechend hielt. Die Farben – ob Tempera oder andere, ist unklar – mussten auf einen speziell präparierten Untergrund aufgetragen werden, worauf jene – Farben und Untergrund – mittels Wärme verbunden wurden. Nach Beendigung der zentralen Gruppe wurde Hitze angewendet, die aber ungleichmäßig wirkte: Die Farben im oberen Teil verliefen oder schuppten von der Wand ab, das Bild verfiel und wurde später (wahrscheinlich) übermalt. Der Kunsthistoriker und Messtechniker Maurizio Seracini vermutet, dass das Gemälde hinter einer geheimen Wand, von Vasari angelegt, noch vorhanden ist.

Mona Lisa

In den Jahren 1503–1506 arbeitete Leonardo auch intensiv am Porträt der Mona Lisa, der neapolitanischen Hausfrau Monna Lisa del Giocondo (geb. Gherardini), Gattin des Francesco di Bartolommeo di Zanobi del Giocondo, wie einige Quellen besagen. In Lisa Gherardini hatte er ein Modell gefunden, deren Antlitz und Lächeln einen einzigartigen, rätselhaften Charme besaß. Er arbeitete an ihrem Porträt während eines Teils von vier aufeinander folgenden Jahren und ließ während der Sitzungen Musik aufspielen. Zeit seines Lebens konnte sich Leonardo nicht von dem kleinen Bild (Maße 77 x 53 cm) trennen. Erst nach seinem Tod wurde das Werk durch Franz I. von Frankreich für viertausend Goldflorin erworben. Seit 1804 ist es im Louvre ausgestellt, vorübergehend gelangte es in den Besitz von Napoléon, der es in seinem Schlafzimmer platzierte und von ihrem rätselhaften Lächeln fasziniert war.

Mona Lisa, 1503–06. Paris, Louvre

Heute ist das Gemälde ein ausgesprochener Publikumsmagnet, es ist jedoch nach einem Anschlag im Jahr 1956 nur noch durch Panzerglas zu betrachten. Der Reichtum der Farben hat sich im Lauf der Jahrhunderte verflüchtigt, teils durch Beschädigungen, teils weil der Maler bei seinen Bemühungen um Effekte daran gewöhnt war, seine Figuren auf dunklem Hintergrund zu modellieren. Doch selbst in seinem abgedunkelten Zustand bleibt die Raffinesse des Ausdrucks und die Präzision und Feinheit der Zeichnung erkennbar.

Im Dienste des französischen Hofes

Am 9. Juli 1504 starb Leonardos Vater in Florenz, im Jahre 1506 sein Onkel Francesco, der seinen berühmten Lieblingsneffen zum Alleinerben einsetzte. Es kam zu lang anhaltenden Rechtsstreitigkeiten mit seinen vielen Halbgeschwistern. Auch mit der Signoria in Florenz gab es Streit, nämlich wegen des missglückten, unfertigen Wandgemäldes der Anghiarischlacht und wegen der Bezahlung. So nahm Leonardo erfreut ein Angebot des französischen Hofes an und wurde Hofmaler und leitender Ingenieur in Mailand. Dort hatte Ludwig XII. Charles d'Amboise, Marschall von Chaumont, Leutnant des französischen Königs in der Lombardei als Vizekönig eingesetzt. Beide bewunderten Leonardo sehr („unseren lieben und viel geliebten Leonardo“), schätzten besonders sein Organisationstalent, wenn es um die Ausrichtung von königlichen Festivitäten ging, und ließen ihm andererseits freie Hand, vor allem für seine wissenschaftlichen Forschungen und anatomische Studien, die er zusammen mit dem damals berühmten Professor von Pavia, Marcantonio della Torre, betrieb.

Auch als Ingenieur war er gefordert, einerseits mit Planungen für einen neuen Palast in der Nähe der Porta Venecia, andererseits mit großen hydraulischen Projekten bzw. Bewässerungsarbeiten (Talsperren, Kanäle) in der Lombardei. Er konstruierte den ersten Wasserzähler und beschäftigt sich in einer Studie intensiv „mit dem Wissen des Wassers“.

Leda mit dem Schwan nach einer Vorlage Leonardos, wahrscheinlich von Cesare da Sesto gemalt

Mit Unterstützung Charles d'Amboise konnte Leonardo auch den alten Streit um sein Altarbild Felsgrottenmadonna (das inzwischen in Besitz des Königs von Frankreich war) regeln. Er fertigte (mit Hilfe von Ambrogio da Predi) eine Kopie an. Etwa zur gleichen Zeit arbeitete er weiter an seinen Bildern Anna Metterca und Mona Lisa, und malte Leda mit dem Schwan (das Originalgemälde gilt als verschollen) sowie die ersten Entwürfe für Johannes der Täufer. Sein neuer Freund und Schüler wurde Francesco Melzi. In der Villa der Melzi-Familie in Vaprio, wo Leonardo regelmäßig verkehrte, wurde eine Madonna auf einer der Wände traditionell ihm zugeschrieben, zumindest wurde es unter seiner Anleitung gemalt.

Einen interessanten Auftrag bekam Leonardo von Gian Giacomo Trivulzio, der als französischer Kommandant Mailand erobert hatte, und sich nach seinem Tod eine würdige Grabstätte wünschte. In Anlehnung an die alten Arbeiten des Sforza-Reiterstandbildes entwarf Leonardo das Trivulzio-Monument (aufbäumendes Pferd mit Reiter). Aber auch dieses Projekt konnte schließlich nicht realisiert werden, genauso wie seine Pläne, das Wissen der Zeit (mit Hilfe seiner inzwischen vielen Notizbücher) als Enzyklopädie zusammenzutragen.

Als sein Mäzen Charles d'Amboise 1511 plötzlich verstarb und sich zudem die politischen Verhältnisse in Norditalien abermals veränderten (die Medici und die Sforzas kamen 1512 wieder an die Macht), verließ der inzwischen Sechzigjährige Mailand und zog vorübergehen zu seinem jungen Freund in den Pallazo Trezzo der Melzi nach Vaprio. Dort malte er (wahrscheinlich) die Rötelzeichnung mit dem Kopf eines bärtigen Mannes, sein vermeintliches(Quelle?) Selbstporträt, das in der Biblioteca Reale in Turin hängt.

Die letzten Jahre (1512 - 1519)

Rom, im Dienste des Vatikans

Inzwischen hatte Papst Julius II. Rom zum Zentrum der italienischen Kunst gemacht. Als ihm 1513 Giovanni de Medici als Leo X. nachfolgte, machten sich die Künstler Hoffnungen auf noch üppigere und wohlwollendere Patronage. Leonardos spezieller Freund am päpstlichen Hof war der jüngste Bruder des Papstes, Giuliano II. de’ Medici, der verschwenderische Gewohnheiten mit einem echten Interesse an Kunst und Wissenschaften verband und Leonardo nach Rom berief. Durch seinen Einfluss wurden Leonardo und seine Mitarbeiter im Belvedere des Vatikans untergebracht. Viele seiner alten Freunde wie den Baumeister Donato Bramante oder den Maler Sodoma sah er wieder. Er bekam ein eigenes Atelier mit einem deutschen Mitarbeiter, der jedoch den Auftrag hatte, den Papst, der keine Sympathien für Leonardo hegte, stets über dessen Aktivitäten zu unterrichten.

Leonardo als Platon, Ausschnitt aus Raffaels Fresco: Die Schule von Athen
Franz I. von Frankreich (Jean Clouet zugeschrieben, um 1525, Paris, Louvre)
Offizielles Grab von Leonardo in Amboise

Die Bedingungen in Rom stellten sich als ungünstig für Leonardo heraus. Vom Papst wurde er nur halbherzig geduldet, ganz anders die jüngeren Künstler Raffael und Michelangelo, die sich durch ihre Arbeiten in den Stanzen und der Sixtinischen Kapelle große Anerkennung erwarben und vom Papst gefördert wurden. Ihre rivalisierenden Anhänger hassten sich gegenseitig und wandten sich erbittert gegen den altgedienten, inzwischen ergrauten Günstling der Medici, vor allem Michelangelo. Der junge Raffael allerdings bewunderte sein altes Vorbild und hatte ihn Jahre zuvor in seinem großen Fresco Die Schule von Athen, als den im Zentrum stehenden weisen Platon, verewigt.

Leonardo fühlte sich während seiner römischen Jahre nicht nur durch Krankheiten unwohl, sondern auch durch die Hektik und die Intrigen im Vatikan. Zum ersten Mal im Leben fühlte er sich zurückgesetzt und gekränkt, vor allem als man ihn wegen seiner anatomischen Studien bespitzelte und ihm Leichenfledderei und Pietätlosigkeit vorwarf. Insgesamt blieb Leonardo knapp zwei Jahre in Rom und arbeitete kaum als Maler (bis auf den lächelnden Johannes der Täufer), sondern mehr als Ingenieur. Unter anderem arbeitete er an einem Projekt zur Energiegewinnung aus Sonnenlicht. Mit Hilfe eines deutschen Spiegelmachers und eines Metallschmiedes baute er verschiedene Hohlspiegel (Sonnenreflektoren), um mit diesen die Sonnenenergie in Wärme zu verwandeln und kochendes Wasser für eine Färberei zu gewinnen.

Die einzigen aus Leonardos Zeit in Rom bekannten Ingenieurtätigkeiten waren die Arbeiten am Hafen und an den Verteidigungsanlagen von Civitavecchia sowie Aktivitäten zur Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe. Durch weitere umfangreiche anatomische Studien entdeckte Leonardo damals auch die Arteriosklerose bei alten Menschen. Doch seine Aufzeichnungen hierüber wurden nie publiziert und blieben jahrhundertelang verschollen, ebenso seine apokalyptischen Visionen, die später im Codex Atlanticus gefunden wurden.

Inzwischen war sein französischer Gönner Ludwig XII. in den letzten Tagen des Jahres 1514 gestorben. Sein junger und brillanter Nachfolger Franz I. von Frankreich überraschte Europa: Er stieß an der Spitze einer Armee über die Alpen vor, um seine Rechte in Italien zur Geltung zu bringen und in der Schlacht von Marignano das Herzogtum Mailand zurück zu erobern. Nach einigem Zögern befahl Leo X. im Sommer 1515 Giuliano de Medici die päpstlichen Truppen in die Emilia zu führen und die Bewegungen der Invasoren zu beobachten. Leonardo begleitete seinen Mäzen bis nach Florenz, wo Giuliano erkrankte und am 17. März 1516 verstarb. In seiner alten Heimatstadt wurde Leonardo dem neuen französischen König vorgestellt. Der junge Souverän und der alte Künstler und Wissenschaftler verstanden sich gut, und so nahm der Altmeister – nach anfänglichem Zögern – die Einladung des Königs an, seine letzten Jahre in Frankreich zu verbringen, wo ihm ein neues Heim, Ehre und Achtung zugesichert wurden. Abermals packte er alles Hab und Gut (vor allem drei seiner Bilder: Mona Lisa, Johannes, und Selbdritt ) und machte sich mit seinen Schülern Salai und Francesco Melzi auf den langen Weg.

Alterssitz in Frankreich

Die letzten zwei Jahre seines Lebens verbrachte Leonardo da Vinci im Schloss Clos Lucé in Amboise, das ihm zusammen mit einer großzügigen Pension überlassen wurde. Der Hof kam oft nach Amboise, und der König erfreute sich regelmäßig der Gesellschaft seines Schützlings. Er erklärte, dessen Wissen in der Philosophie und den schönen Künsten stehe jenseits dem aller Sterblichen.

Im Frühjahr 1518 hatte Leonardo Gelegenheit, seine alten Talente als Organisator von Festen einzusetzen, als gleichzeitig der Dauphin getauft und eine Medici-Bourbonische Hochzeit gefeiert wurde. Bereits in Rom hatte er einen mechanischen Löwen konstruiert, der zum Erstaunen aller Gäste sich einige Schritte alleine fortbewegen konnte. Unter den Gästen war auch der Kardinal Louis d'Aragon, dessen Sekretär einen Bericht hinterlassen hat, aus dem hervorgeht, dass Leonardo anscheinend an einer Behinderung litt, die die Bewegung seiner Hand beeinträchtigte. Er zeigte dem Kardinal drei seiner Bilder: Mona Lisa, Anna selbdritt und einen jugendlichen Johannes den Täufer. Dieses, wahrscheinlich sein letztes Bild, hat er möglicherweise erst in Frankreich vollendet. Es zeigt das abgedunkelte Bild des Johannes mit einem von Innen kommenden Lächeln, der mit einem Finger prophetisch aufwärts zeigt. Besonders deutlich wird hier Leonardos Chiaroscuro-Technik.

Bis wenige Wochen vor seinem Tod war Leonardo aktiv, sei es als Planer für einen neuen Palast in Amboise, als Projektingenieur für einen großen Kanal (Canal du Centre) zwischen Loire und Saône oder als Zeichner anatomischer Studien oder Architekturstudien in seinen Büchern. Gegen Ende seines Lebens sah der weise Uomo universale das Ende der - von ihm wenig geachteten - Menschheit voraus und malte verschiedene Wasser-Studien der Sintflut, die man in seinen Heften fand. Dabei war auch zu lesen:

Die Luft wird dünner und ohne Feuchtigkeit sein, die Flüsse werden ohne Wasserzufuhr bleiben, das Erdreich nichts mehr wachsen lassen. Die Tiere werden verhungern. Auch den Menschen wird nichts übrig bleiben, als zu sterben. Die einst fruchtbare Erde wird wüst und leer.

Tod und Nachlass

Am Osterabend 1519, dem Tode nahe, machte Leonardo sein Testament. Er bestimmte, dass in drei verschiedenen Kirchen in Amboise Messen gelesen und Kerzen angezündet werden sollten. Er wollte auf dem Friedhof in St. Florentin mit einer Zeremonie, an der sechzig arme Männer als Fackelträger teilnehmen sollten, bestattet werden.

Leonardo stirbt in den Armen des Königs,
Jean Auguste Dominique Ingres, 1818

Vasari berichtet von einer Bekehrung und Reue Leonardos auf dem Totenbett. Obwohl viele seiner Meisterwerke christliche Motive zeigen (es waren meistens Auftragswerke), kann über seine Haltung zur Kirche und zur Religion keine Aussage gemacht werden. Von der Kirche wurde er oft verdächtigt, er betreibe magische Künste. Leonardo war jedoch Wissenschaftler und lehnte - im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen - magische Praktiken ab. Grundlage seiner Arbeiten war die Erfahrung. Die Erforschung der Naturgesetze interessierte ihn mehr als religiöse Dogmen; aber wenn er diese erwähnte, tat er es mit Respekt. Nachdem er die Sakramente der Kirche empfangen hatte, starb er am 2. Mai 1519.

König Franz in Saint-Germain-en-Laye soll über den Verlust Leonardos geweint haben, andere Quellen berichten, dass Leonardo in den Armen seines Königs verstarb. Nach einer vorläufigen Bestattung an einem anderen Ort wurden die Gebeine entsprechend seinem Willen am 12. August zum Kloster von St. Florentin gebracht. Im 19. Jahrhundert gingen bei Restaurierungsarbeiten die sterblichen Überreste jedoch verloren, sodass der Verbleib von Leonardos Körper bis heute unbekannt ist.

Er hinterließ alle seine Manuskripte und die gesamte Ausstattung seines Ateliers zusammen mit anderen Geschenken seinem Testamentsvollstrecker Francesco Melzi, seinem Diener Battista Villani und Salai jeweils die Hälfte seines Weinbergs außerhalb von Mailand, Geld und Kleider seinem Dienstmädchen Maturina, weiteres Geld den Armen des Hospitals in Amboise und vierhundert Dukaten, die in Florenz hinterlegt waren, seinen Halbbrüdern.

Werk und Würdigung

Sigmund Freud schreibt in seinem Büchlein Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci (1910):

Er glich einem Menschen, der in der Finsternis zu früh erwacht war, während die anderen noch alle schliefen.

Leonardo sah sich vornehmlich als Moral- und Naturphilosoph und benutzte zum Ausdruck seiner Intentionen sowohl die Schrift (Prosa und Dichtung) wie auch das Bild (Gemälde und Skizzen) und notierte:

Dichtung hat mit Moralphilosophie zu tun, Malerei mit Naturphilosophie.

Bedeutung für Kunst und Wissenschaft

Leonardo schuf nicht nur zahlreiche Kunstwerke, sondern mehr noch eine große Anzahl von Entwürfen für Gebäude, Maschinen, Kunstgegenstände, Gemälde und Skulpturen, zu deren Realisierung er nie kam. Von sich selber sagte er, dass er die Idee mehr liebe als deren Ausführung, und dass er am Anfang einer Tätigkeit bereits ans Ende dächte. Wie andere Genies (Albert Einstein, Wolfgang Amadeus Mozart, Thomas Edison, Richard Wagner) gehörte er zu den „Hyperaktiven“, denen man eine genetische Veranlagung (ADHS) ihrer Genialität nachsagt. Tun und Erkennen waren für ihn gleichermaßen wichtig. Teilweise wurde seine Tatkraft von seinem großen Forschungsdrang gelähmt. Zunächst wollte er lernen, Meisterwerke der Kunst zu schaffen. Mehr und mehr interessierte er sich dann aber für das Wissen über die Natur und war fasziniert von deren Vielfalt und Schönheit und schrieb:

Für die Ehrgeizigen, die sich weder mit dem Geschenk des Lebens noch mit der Schönheit der Welt zufrieden geben, liegt eine Strafe darin, dass sie sich selbst dieses Leben verbittern und die Vorteile und die Schönheit der Welt nicht besitzen.

Leonardo verband die Vergilsche Sehnsucht rerum cognoscere causas (die Ursachen der Dinge zu erkennen) mit dem Willen zum sichtbaren Schaffen. Seine Notizbücher, Zeichnungen und Skizzen bestehen aus ca. 6000 Blättern. Zu seinen Lebzeiten wurde, insbesondere von seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten, nichts veröffentlicht. Erst im 19. und 20. Jahrhundert fanden sich die Manuskripte in Bibliotheken und privaten Sammlungen und wurden somit erst spät gewürdigt.

Er schuf im Laufe seines Lebens eine große Zahl von künstlerisch wertvollen Illustrationen zu verschiedenen Themen wie Biologie, Anatomie, Technik, Waffentechnik, Wasserwirtschaft und Architektur und hinterließ Bauwerke, technische Anlagen und Beobachtungen des Kosmos. Besonders bedeutsam sind seine sehr genauen anatomischen u.a. naturwissenschaftlichen Zeichnungen.

Anatomische Studien

In Florenz, Mailand und Rom betrieb Leonardo umfangreiche anatomische Studien. Er soll mehr als 30 Leichen seziert haben [5] Dabei kooperierte er meist mit angesehenen Ärzten der Zeit. Auf Fragen nach seinem Tun antwortete er, derlei Studien hälfen ihm in der Malerei, den menschlichen Körper mit seinen Proportionen, seinen sichtbaren Muskeln und seinen anderen anatomischen Details korrekt wiederzugeben. Als Naturwissenschaftler interessierte er sich aber besonders für das Innere des Menschen und entdeckte dabei u. a. die Verkalkung von Gefäßen bei alten Menschen. Besonders faszinierte ihn die Embryologie, er fertigte - wahrscheinlich als erster Mensch überhaupt - Zeichnungen eines Kindes im Mutterleib an.

Anatomie einer Frau
Fötus in der Gebärmutter
Männerkopf-Studie
Männergenitalien

Auch Leonardos bekannteste Körperstudie - welche heute die italienische 1-Euro-Münze und Krankenkassenscheckkarten ziert - „Der vitruvianische Mensch“, ist eine Art Anatomiestudie. Die Idee dieses Proportionsschemas der menschlichen Gestalt stammt von Vitruv, einem römischen Architekten, Ingenieur und Schriftsteller des 1. Jh. v. Chr. (daher der Name „Der Vitruvische Mensch“.). Allerdings hat Leonardo den Schnittpunkt nicht in den Nabel gelegt, sondern - aus welchen Gründen auch immer - in den Genitalbereich.

Wissenschaftliche Arbeiten

Im fortgeschrittenen Alter beschäftigte sich Leonardo, neben der Anatomie, besonders eingehend mit der Botanik, Geometrie Mathematik und Geologie. Vor allem faszinierte ihn das Wasser.

Wasserstudie

Er versuchte zu ergründen, warum es Wolken gibt, warum es regnet, warum Wasser fließt, warum es Wellen, Ebbe und Flut gibt ... und warum man Muscheln auf den Bergen fand. Er konstruierte pfiffige Boote und das erste U-Boot, baute hydraulische Anlagen zur Bewässerung und Kanalisation. Er experimentierte mit Pflanzen und Wasser, um die Bedingungen für das Pflanzenwachstum von Pflanzen zu ergründen. In vielen Zeichnungen versuchte er die Bewegung des Wassers festzuhalten. Interessanterweise sind fast alle Hintergründe seiner Bilder Landschaften mit Wasser. Als erster erkannte er die Kugelgestalt eines Wassertropfens und somit die Oberflächenspannung des Wassers und hielt seine Erkenntnisse im „Codex Leicester“ fest, in dem unter anderem zu lesen ist:

Das Wasser ist zum Lebenssaft dieser trockenen Erde bestimmt. Auch findet man das Wasser bald sauer, bald scharf, bald herb und bald bitter, bald süß, bald dick oder dünn, bald schädlich oder verderblich, bald heilsam oder giftig.[6]

Von Beginn an zeichnete Leonardo Landschaften und hat unter anderen einen Satz von sechs groß angelegten genauen Karten hinterlassen, die fast das ganze Territorium der Maremma, der Toskana und Umbriens zwischen dem Apennin und der Tyrrhenischen See abdecken. Darüber hinaus hat er Pläne zur Umleitung des Flusses Arno ausgearbeitet, die jedoch nicht ausgeführt wurden. Besonders bekannt ist sein Stadtplan von Imola. Die meisten von Leonardos kartografischen Werken befinden sich in der Sammlung der britischen Königin auf Schloss Windsor sowie im Codex Atlanticus in der Ambrosiana in Mailand.

Ingenieurarbeiten

Als Ingenieur war Leonardo ein Pionier und seiner Zeit weit voraus. Seine Intention war, Maschinen (und Waffen) zur Entlastung des Menschen bei ihrer Arbeit und Kriegsführung zu schaffen, sozusagen: „die Produktivität zu erhöhen“. Im Laufe der Zeit nahmen seine wissenschaftlichen Forschungen und sein durch Studium angeeignetes Wissen über Naturkräfte, die er zum Nutzen der Menschheit einsetzen wollte, immer mehr an Bedeutung zu. Jahrzehntelang skizzierte er beispielsweise Fluggeräte, die den heutigen Hubschraubern gleichen. Auch soll er Flugübungen mit einem Segelfluggerät durchgeführt haben. Er konstruierte auch Zahnräder und Getriebe. Viele seiner Geräte wurden inzwischen nachgebaut. Beispielsweise wurde seine Skizze "Wunder der Kunst des mechanischen Getriebes" als Kunstwerk und als Unendlichkeitsmaschine für didaktische Zwecke im Dynamikum realisiert.

Flugspirale
Automobil
Panzerfahrzeug
Zahnradgetriebe

In jüngerer Zeit werden Entwürfe Leonardos für moderne Bauwerke umgesetzt. So gibt es eine Leonardo-da-Vinci-Brücke bei Oslo,[7] die nach seinen Skizzen gebaut wurde und bei der Funktionalität mit großer Schönheit vereinigt ist. In Freiburg existiert die Leonardo-Brücke, die ohne mechanische Befestigung auskommt. Auch andere Leonardo-Konstruktionen werden realisiert. So versuchen Wissenschaftler, einen Roboter aufgrund von in verschiedenen Manuskriptseiten gefundenen Hinweisen zu bauen. Ihm selbst fehlten vor allem die mathematischen Kenntnisse und die finanziellen Mittel zur Verwirklichung einiger seiner Erfindungen. Andere waren der Zeit so weit voraus, dass sie erst im 20. Jahrhundert (ohne Rückgriff auf Leonardo) „erfunden“ wurden.

Wegbereiter der Malerei

Für die malerische Teildisziplin Farbenlehre gilt Leonardo als frühester Wegbereiter. Er beschrieb in seinen Notizen über Kunst und Malerei farbharmonische Phänomene wie den Simultankontrast und die Komplementärfarben. Im Regenbogen sah er eine Offenbarung der Harmoniegesetze durch die Natur. Auch die später von Goethe entwickelte Farbpsychologie nahm Leonardo insofern schon vorweg, als er Farbdisharmonien als unholde Gesellschaft beschrieb. Er vereinte sein Wissen über Licht und Schatten mit den alten Florentiner Stärken der linearen Zeichnung und des psychologischen Ausdrucks und schuf auf dieser Grundlage seine Meisterwerke. Er entwickelt die Sfumato-Technik zu seinem Markenzeichen, wobei er Ölfarben kreierte und mit äußerster Geduld seine Farben abgestuft und schichtweise auftrug. Allein der Versuch, das Verständnis von Licht und Schatten in die Malerei einzubringen, wurde zum wichtigen Thema der Malerei bis in die heutige Zeit hinein. Eindrucksvolle Beispiele hierfür sind seine Gewänderfalten-Studien und sein letztes Bild Johannes der Täufer, der in einem magischen Licht erscheint. Einzigartig sind Leonardos Skizzen-Studien von Gesichtern, die meist im Vorfeld für seine Gemälde entstanden sind:

Anghiarischlacht
Rötelzeichnung
Profilstudie
Leda-Studie

Eine vollständige Aufzählung der Werke Leonardos ist kaum möglich, weil einerseits die Authentizität nicht immer genau feststeht (Leonardo hatte viele Schüler), andererseits das malerische und zeichnerische Werk, einschließlich der vielen Notizen, den Rahmen hier sprengen würde. (Siehe auch: [8]) Eine chronologische Übersicht seiner Hauptwerke:

Johannes der Täufer, 1513-1516, Paris, Louvre
  • um 1472   Die Verkündigung (Florenz, Uffizien)
  • um 1472   Profil eines Kriegers mit Helm (London, Brit. Museum)
  • um 1472   Madonna mit der Blumenvase / Nelke (München, Alte Pinakothek)
  • um 1473   Zeichnung der Arno-Landschaft (Florenz, Uffizien)
  • um 1478   Benois-Madonna (St. Petersburg, Eremitage)
  • um 1478   Das Bildnis der Ginevra Benci (Washington, National Gallery)
  • um 1480   Der heilige Hieronymus (Vatikan)
  • um 1480   Madonna Litta (St. Petersburg, Eremitage)
  • um 1481   Anbetung der Könige aus dem Morgenland (Florenz, Uffizien)
  • um 1483   Die Madonna in der Felsengrotte (1) (Paris, Louvre)
  • um 1487   Groteske Köpfe (Windsor, Royal Library)
  • um 1488   Die Dame mit dem Hermelin (Krakau)
  • um 1490   Vitruvianischer Mensch (Venedig, Akademie)
  • um 1500   Die Madonna in der Felsengrotte (2) (London, National Gallery)
  • um 1497   Das letzte Abendmahl (Mailand, St. Maria della Grazie)
  • um 1500   Porträt der Isabelle d' Este (Paris, Louvre)
  • um 1503   Studien zur Anghiari-Schlacht (Windsor, Royal Library)
  • um 1503   Bildnis der Mona Lisa (Paris, Louvre)
  • um 1510   Hl. Anna selbdritt (Paris, Louvre)
  • um 1512   Bacchus (Paris, Louvre)
  • um 1512   Embryo in der Gebärmutter (Windsor, Royal Library)
  • um 1512   Selbstbildnis, Rötelzeichnung (Turin, Biblioteca Reale)
  • um 1514   Sintflut-Zeichnungen (Windsor, Royal Library)
  • um 1514   Ein Berg stürzt auf eine Stadt, Zeichnung (Windsor, Royal Library)
  • um 1515   Johannes der Täufer (Paris, Louvre)

Leonardo als Schriftsteller

Leonardo hatte vor, eine Enzyklopädie zu verfassen und notierte ständig sein Wissen in seinen Notizbüchern (Codices), meist völlig ungeordnet, scheinbar sprunghaft, gerade da, wo er Platz fand. Er schrieb in Spiegelschrift. Die Erklärung dafür ist umstritten. Eine Vermutung ist, dass dies ein Ausdruck seiner ausgeprägten Linkshändigkeit war. Eine andere Annahme besagt, er habe die Spiegelschrift benutzt, um seine Ideen nicht sofort allgemein zugänglich zu machen. Zu seiner Zeit gab es noch keinen rechtlichen Schutz der Urheberschaft an Erfindungen (wie das heutige Patentrecht). Gilden und Geheimbünde übertrugen das Wissen vom Meister auf den Lehrling.

Studie: Groteske Köpfe

Viele seiner Notizen sind Reflexionen über die Welt und den darin lebenden Menschen, oft mit einem Hang zum Sarkasmus und zum Makaberen, was sich auch in den zeichnerischen „Menschenstudien“ niederschlug, ganz im Gegensatz zur Ästhetik der Gesichter in seinen Bildern. Auf seine Zeitgenossen war er überhaupt nicht gut zu sprechen:

Zahlreich sind jene, die sich als einfache Kanäle für die Nahrung, Erzeuger von Dung, Füller von Latrinen bezeichnen könnten, denn sie kennen keine andere Beschäftigung in dieser Welt. Sie befleißigen sich keiner Tugend. Von ihnen bleiben nur volle Latrinen übrig.

Leonardo drückte einfache Zusammenhänge oft in Form von Aphorismen aus, beispielsweise:

  • Jede unserer Erkenntnis beginnt mit den Sinnen.
  • Das Flusswasser, das du berührst, ist das letzte von dem, was weggeflossen ist, und das erste von dem, das heranfließt. So ist die Gegenwart.
  • Jeder Teil strebt danach, in seinem Ganzen zu sein, in dem er sich besser fühlt. Jeder Teil neigt dazu, sich wieder mit seinem Ganzen zu vereinigen, um seiner Unvollkommenheit zu entgehen.
  • Jeder Teil eines Dings enthält etwas von der Natur des Ganzen.
  • So wie ein gut angewendeter Tag frohen Schlaf bringt, so bringt ein gut verbrachtes Leben heiteren Tod.
  • Aus dem Tod anderer machen wir unser Leben. In allem Toten bleibt fühlloses Leben, das, sowie es die Mägen der Lebenden erreicht, wieder zu empfindlichem und geistigem Leben wird.
  • Wenn auch der menschliche Geist durch vielfache Erfindungen mit verschiedenen Instrumenten auf dasselbe Ziel zugeht, nie wird er eine Erfindung machen, die schöner, leichter und kürzer wäre als die Natur.
  • Das ist ein armseliger Schüler, der seinen Lehrer nicht übertrifft.
  • Wer wenig denkt, irrt viel.

Vor allem in seiner Zeit am Hofe in Mailand schrieb Leonardo auch viele Rätsel, mit denen er die Hoffeste untermalte, beispielsweise: Die Menschen werden ihre eigenen Vorräte wegwerfen. (des Rätsels Lösung: beim Säen).

Eindrücklich sind die Prophezeiungen, die er im Alter schrieb:

Auf der Erde wird man Geschöpfe sich unaufhörlich bekämpfen sehen, mit sehr schweren Verlusten und zahlreichen Toten auf beiden Seiten. Ihre Arglist kennt keine Grenzen. In den riesigen Wäldern auf der Welt fällen ihre grausamen Mitglieder eine riesige Zahl an Bäumen. Sind sie erst mit Nahrung vollgestopft, wie wollen sie ihr Bedürfnis befriedigen, jedem lebenden Wesen Tod, Trübsal, Verzweiflung, Terror und Exil zuzufügen … O Erde! Worauf wartest du, um dich zu öffnen und sie in die tiefen Spalten deiner großen Abgründe und deiner Höhen zu reißen und dem Angesicht des Himmels ein so grausames und furchtbares Monster nicht mehr zu zeigen![9]

Leonardos Notizbücher, mit allen schriftlichen und zeichnerischen Aufzeichnungen, gingen durch die Achtlosigkeit der Familie Melzi als Gesamtwerk verloren. Bücher und einzelne Blätter wurden verkauft oder verschenkt und sind heute weltweit „verstreut“. Die wichtigsten Sammlungen (Codex) sind:

  • Codex Arundel, British Library, London
  • Codex Urbinas, Traktat über die Malerei, Biblioteca Vaticana, Rom
  • Codex Atlanticus, Biblioteca Ambrosiana, Mailand [10]
  • Codex Forster, Maschinenstudien, Victoria and Albert Museum, London
  • Codex Madrid, technische Entwürfe, Landkarten u.a., Nationalbibliothek Madrid [11]
  • Codex Turin, über den Flug der Vögel, Biblioteca Reale Turin
  • Codex Leicester, Naturstudien, Privatbesitz, [12]

Siehe auch: [13]

Literatur

Primärliteratur

  • Leonardo da Vinci: Das da Vinci Universum - Die Notizbücher des Leonardo, (Hrsg.: Emma Dickens), Ullstein Taschenbuch 36874, 206 S., Ullstein Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-548-36874-3, ab 2007: ISBN 978-3-548-36874-0
  • Leonardo da Vinci: Skizzenbücher. (Hrsg. H. Anna Suh, ISBN 1-4054-6499-2
  • Leonardo da Vinci: Tagebücher und Aufzeichnungen, (Hrsg.: Theodor Lücke), Paul List Verlag, Leipzig 1953 (3. Aufl.), 954 S., o. ISBN

Sekundärliteratur

  • Daniel Arasse: Leonardo da Vinci. Dumont Literatur und Kunst Verlag, 2002, ISBN 3-8321-7150-9
  • Serge Bramly: Leonardo da Vinci. Rowohlt, 1995, ISBN 3-499-13706-2
  • Andre Chastel: Leonardo Da Vinci. Sämtliche Gemälde und die Schriften zur Malerei. Schirmer Mosel 1990, ISBN 3-88814-286-5
  • Peter Chotjewitz: Alles über Leonardo aus Vinci, Leipzig 2004, ISBN 3-203-75975-6
  • Kenneth Clark: Leonardo da Vinci in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt, ISBN 3-499-50153-8
  • Ludwig Heinrich Heydenreich: Leonardo da Vinci. Rembrandt-Verlag, Berlin 1943, ohne ISBN
  • Karl Jasper: Lionardo als Philosoph, Bern 1953
  • Karl Jaspers: Three Essays. Leonardo, Descartes, Max Weber. New York 1964
  • Daniel Kupper: Leonardo da Vinci. Rowohlt, Reinbek 2007, ISBN 978-3-499-50689-5
  • D. M. Field: Leonardo da Vinci. Verlag Edition XXL, 2005, 420 S., ISBN 3-89736-331-3 (Bildband)
  • Ludwig Goldschneider: Leonardo da Vinci, Leben und Werk Köln 1960
  • Hermann Grothe: Leonardo da Vinci. Reprint-Verlag, Leipzig 2003, ISBN 3-8262-0720-3
  • Martin Kemp: Leonardo. Beck, München 2005, ISBN 3-406-53462-7
  • Stefan Klein: Da Vincis Vermächtnis oder Wie Leonardo die Welt neu erfand. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2008, ISBN 978-3100396129
  • Heinz Kühne: Leonardo da Vinci. Prestel, 1999, ISBN 3-7913-2199-4
  • Pietro C. Marani: Leonardo - Das Werk des Malers. München 2001, ISBN 3-8296-0015-1
  • Dmitri Mereschkowski Leonardo da Vinci Historischer Roman, Knaur, 1973, ISBN 3-426-00322-8
  • Richard Muther: Leonardo da Vinci (Hörbuch), ABOD, 2006, ISBN 3-8341-0176-1
  • Ladislao Reti: Leonardo, Künstler, Forscher, Magier Frankfurt 1974, ISBN 3-10-042401-8
  • Marianne Schneider: Leonardo da Vinci, das Wasserbuch München 1996
  • Paul Valery: Einführung in die Methoden des Leonardo da Vinci. In: Nouvelle Revue, Paris 1895
  • Giorgio Vasari, Roland Kanz: Das Leben von Leonardo da Vinci, Raffael von Urbino und Michelangelo Buonarroti. Reclam, Ditzingen 1996, ISBN 3-15-009467-4
  • Giorgio Vasari: Das Leben des Leonardo da Vinci, hg. und kommentiert von Sabine Feser, Berlin 2006, Verlag Klaus Wagenbach
  • Leo Weismantel: Leonardo da Vinci. VEB Union Verlag, Berlin 1963
  • Frank Zöllner: Leonardo da Vinci 1452-1519. Taschen Verlag, Köln 1999, 96 S., ISBN 3-8228-6363-7
  • Frank Zöllner: Leonardo da Vinci. Köln, Taschen Verlag 2006, 696 Seiten, 44 × 29 cm, ISBN 3-8228-5726-2 (Sämtliche Gemälde, sämtliche eigenhändige Zeichnungen)

Über Einzelwerke

  • Mohan, Jean-Pierre; Menu, Michel; Mottin, Bruno et al. (Hrsg.): Im Herzen der Mona Lisa - Dekodierung eines Meisterwerks, Verlag Schirmer Mosel, München 2006, ISBN 3-8296-0233-2. Eine wissenschaftliche Expedition in die Werkstatt des Leonardo da Vinci in Zusammenarbeit mit dem Centre de Recherche et de Restauration des Musées de France.
  • Syre, Cornelia; Schmidt, Jan; Stege, Heike (Hrsg.): Leonardo da Vinci  −  Die Madonna mit der Nelke, Verlag Schirmer Mosel, München 2006, ISBN 978-3-8296-0272-3. 296 S., 139 Tafeln in Farbe und Duotone. Offizielle Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung in der Alten Pinakothek München vom 15. September − 3. Dezember 2006

Über Technik und Erfindungen

  • Marco Cianchi: Die Maschinen Leonardo da Vincis, Becocci Editore, Florenz 1984, 95 S., 184 Ill. und graph. Darst., ISBN 88-8200-005-2
  • Charles Gibbs-Smith: Die Erfindungen von Leonardo da Vinci, Belser Verlag, Stuttgart/Zürich, 5., unveränderte Auflage 1988, ISBN 3-7630-1698-8
  • Domenico Laurenza, Mario Taddei, Edoardo Zanon: Leonardo dreidimensional - Mit Computergrafik auf der Spur des genialen Erfinders, Belser Verlag, Stuttgart 2006, ISBN 3-7630-2269-4
  • Mario Taddei: Leonardo dreidimensional 2 - Neue Roboter und Maschinen, Belser Verlag, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-7630-2524-4.

Filmographie

  • Der Leonardo Code - Vom Leben und Wirken des geheimnisvollen Mannes aus Vinci. Dokumentarfilm, Deutschland, 2007, 90 Min., Regie: Rudij Bergmann, Erstausstrahlung, 4. Januar 2008, Inhaltsangabe von arte
  • The Da Vinci Code – Sakrileg. Mysterythriller-Film 2006, Regie: Ron Howard
    behandelt Da Vincis Prophezeiungen in Rätselform als auch dessen Literaturvorlage »Sakrileg« von Dan Brown.
  • Der verlorene Da Vinci. Dokumentarfilm, 85 Min., Großbritannien 2006, Regie: Nigel Levy, Produktion: arte, Erstsendung: 18. November 2006, Inhaltsangabe mit Trailer
  • Leonardo - Das Universalgenie. Großbritannien, zweiteiliger Dokumentarfilm und Doku-Drama, 2003, jeweils 45 Min., (OT: 1. Leonardo – The Man Who Wanted To Know Everything, 2. Dangerous Liaisons), Buch und Regie: Sarah Aspinall und Tim Dunn, Produktion: BBC, Discovery Channel, Inhaltsangabe von 3sat und Film-Broschüre von BBC
  • »Das Abendmahl« in Mailand. Dokumentation, 15 Min., Produktion: SWR, Reihe: Schätze der Welt, RealPlayer-Video
  • Das Leben Leonardo da Vincis (OT: La vita di Leonardo da Vinci). Fünfteilige Fernsehreihe à 75 Min., Italien 1972/73, 1. Teil: Lehrjahre, 2. Teil: Das Reiterdenkmal des Francesco Sforza, 3. Teil: Das Abendmahl, 4. Teil: Die Schlacht von Anghiari, 5. Teil: Mona Lisa, Regie: Renato Castellani, mit Philippe Leroy als erwachsener Leonardo, Filmdaten von IMDb und bamby.de, die Reihe erhielt 1973 den Golden Globe.

Weblinks

Leonardos künstlerisches Schaffen

Dokumentation von Leonardos Erfindungen

Gesamtdarstellungen über Leonardo

Einzelnachweise

  1. Von 2002 bis 2006 verglich der Anthropologe Luigi Capasso mit seinen Kollegen an der Universität von Chieti einen Fingerabdruck auf dem Gemälde «Dame mit dem Hermelin» mit denen in Leonardos Manuskripten. Dabei kam er zum Schluss, dass dessen Form typisch sei für den Nahen Osten. (In: „Da Vinci Fingerprint Reveals Arab Heritage?“ Discovery Channel, 28. Oktober 2006.) Die Leonardo-Forscher Agnese Sabato und Alessandro Vezzosi, Gründer des Leonardo-Museums Museo Ideale in Vinci, publizierten im April 2008 das Ergebnis ihrer Nachforschungen von Leonardos Familiengeschichte und untermauerten Capassos These mit der hohen Wahrscheinlichkeit einer Abkunft Leonardos von einer getauften Sklavin namens Caterina. (In: „Was Da Vinci's Mother a Slave?“ Discovery Channel, 9. April 2008)
  2. Leonardo da Vinci ~ Biography, Uffizien (englisch)
  3. Anna Suh: Leonardo da Vinci. Skizzenbücher. Köln 2005
  4. 16 Milliarden Pixel: Das letzte Abendmahl in HD
  5. Ein direktes Verbot von Sektionen durch die katholische Kirche kann weder in Konzilsaufzeichnungen noch in päpstlichen Dekreten nachgewiesen werden, jedoch bestand eine weit verbreitete Ablehnung der Leichenöffnung (unter anderen hatte sich auch der Kirchenvater Augustinus scharf gegen die Anatomen gewandt). In die Zeit des Leonardo da Vinci fällt allerdings eine ausdrückliche Erlaubnis der Sezierung durch Papst Sixtus IV.- Siehe zu dieser Thematik http://scidok.sulb.uni-saarland.de/volltexte/2003/107/pdf/Zur_Geschichte_der_anatomischen_Sektion.pdf
  6. Marianne Schneider: Leonardo da Vinci. Das Wasserbuch. München 1996
  7. Autobahnbrücke bei Oslo nach Leonardos Skizzen, tec21.ch
  8. Leonardos Werke, leo.skyar.com
    und Werk-Chronologie, leo.skyar.com
  9. Leonardo da Vinci. Die Aphorismen. Ausgewählt und übersetzt von Marianne Schneider. ISBN 3-8296-0097-6
  10. Codex Atlanticus, leo.skyar.com
  11. Codex Madrid, leo.skyar.com
  12. Codex Leicester, odranoel.de
  13. Die Codici und Manuskripte Leonardos, leo.skyar.com


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