Little Galleries of the Photo-Secession

Little Galleries of the Photo-Secession
Ansicht der Little Galleries of the Photo-Secession, 1906

Die Galerie 291 oder kurz 291 war eine avantgardistische Kunstgalerie in der Fifth Avenue in New York. Sie wurde 1905 als Little Galleries of the Photo-Secession von den US-amerikanischen Fotografen Edward Steichen und Alfred Stieglitz gegründet. Die 291 zeigte neben fotografischen Arbeiten auch afrikanische Kunst und präsentierte erstmals europäische Künstler der Moderne in den Vereinigten Staaten. Ihr Galerist Alfred Stieglitz war eine Schlüsselfigur in der Fotografie- und Kunstgeschichte und einer der ersten modernen Ausstellungsmacher. Die Galerie und ihre gleichnamige Hauszeitschrift 291 waren wichtige Künstlerforen und impulsgebend für prädadaististische Tendenzen, den New York-Dada und die darauf folgende Entstehung erster moderner US-amerikanischer Kunstrichtungen im frühen 20. Jahrhundert.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Photo-Secession, Camera Work und der Pictorialismus

Emblem der Photo-Secession, um 1902

Die Entstehungsgeschichte der Galerie ist eng mit der Photo-Secession verbunden, einer Fotografenvereinigung, die 1902 von Stieglitz gemeinsam mit dem Fotografenkollegen Edward Steichen nach dem Vorbild der Londoner Brotherhood of the Linked Ring als „elitärer Club“ gegründet wurde. Der Begriff „Secession“ spielte auf die Künstler der Wiener Secession an, die sich vom akademischen Establishment abgespalten hatten. Photo-Secessionisten waren neben Steichen und Stieglitz weitere namhafte Fotografen des Pictorialismus wie Frank Eugene, Clarence Hudson White, Gertrude Käsebier und Alvin Langdon Coburn. Begleitend gab Stieglitz das aufwändig gestaltete, im teuren Heliogravüre-Verfahren produzierte Hochglanzmagazin Camera Work heraus, um die Fotografien der Photo-Secessionisten und den von ihm proklamierten Pictorialismus zu verbreiten. Camera Work entwickelte sich bald zu der stilbildenden Fotozeitschrift der Epoche. Das Magazin erschien vierteljährlich von 1902 bis 1917 mit insgesamt 50 Ausgaben und diente Stieglitz bis zur Schließung der Galerie als „Hauszeitschrift“, die neben Essays und Theorieentwicklung zur Fotografie aktuelle Exponate vorstellte.[1]

Gründung, erste Ausstellungen 1905–1906

Am 25. November 1905 eröffnete Stieglitz im vierten Stock eines Gebäudes in der Fifth Avenue Nummer 291 die Little Galleries of the Photo-Secession, die alsbald in Galerie 291 umbenannt wurde. Wie die Zeitschrift Camera Work sollte die Galerie den Pictorialisten ein Forum bieten, als Präsentationsfläche dienen und das Medium Fotografie als eigenständige Kunstform im Kunstbetrieb etablieren. Um den künstlerischen Charakter der pictorialistischen Fotografien und ihre Wertigkeit als Unikat zu unterstreichen, hatte Stieglitz neuartige Schauräume konzipiert, die sich von den tradierten Salons der New Yorker Galeristen unterschieden. Überdies sollten die Fotografien mit dem dezenten Hinweis „Preise auf Anfrage“ zum Verkauf angeboten werden.[2]

Die Ausstellungsfläche bestand lediglich aus drei engen Räumen; der größte maß 4,50 × 5,10 m, der mittlere 4,50 × 4,50 m und der schmalste nur 4,50 × 2,50 m. In einem Leitartikel erklärte Camera Work, dass „291 ein Laboratorium, eine Versuchsstation [sei] und nicht als Kunstgalerie im herkömmlichen Sinne angesehen werden darf.“[3]

Die offizielle Eröffnungsausstellung im Januar 1906 präsentierte Gummibichromatdrucke der französischen Fotografen Robert Demachy, René Le Bègue und Constant Puyo. Der Ausstellung folgte eine Zwei-Personen-Schau mit Fotoarbeiten von Gertrude Käsebier und Clarence H. White, sowie vier weitere Ausstellungen im selben Jahr, in denen britische Fotografen gezeigt und erste Drucke von Edward Steichen vorgestellt wurden. Eine Schau war deutschen und österreichischen Fotografen gewidmet und eine weitere den Photo-Secessionisten.[4]

Richtungswandel zur Kunstgalerie der Moderne 1907–1913

Auguste Rodin: Hölle, Aquarell über Bleistiftzeichnung, 1900–1908

Die Galerie beschränkte sich allerdings nur kurzfristig auf Einzel- und Gruppenausstellungen der Fotografen. Bereits im Januar 1907 zeigte Stieglitz Zeichnungen der englischen Illustratorin Pamela Colman Smith, die mit der Gestaltung des Rider-Waite-Tarot bekannt werden sollte. Unter dem Einfluss von Edward Steichen, der zu dieser Zeit in Paris lebte und mit zahlreichen Künstlern bekannt war, zeigte die Galerie ab 1908 plötzlich Werke der europäischen Künstler-Avantgarde wie Georges Braque, Paul Cézanne, Henri Matisse, Francis Picabia, Pablo Picasso, Henri de Toulouse-Lautrec oder die Bildhauer Constantin Brâncuşi und Auguste Rodin, sowie amerikanische Künstler die zeitweise in Europa arbeiteten, wie Marsden Hartley, Arthur Dove oder Alfred Maurer.

Alfred H. Maurer: Fauve Landscape with Red and Blue, Öl auf Karton, um 1908

Von Rodin wurde 1908 erstmals das späte zeichnerische Werk des in den USA noch unbekannrten Künstlers vorgestellt, wie beispielsweise die Aquarellzeichnung Hölle (1900–1908).[3] Im Folgejahr zeigte Stieglitz eine Gemeinschaftsausstellung der Maler John Marin und Alfred Maurer. Maurer, ursprünglich ein akademischer Maler in der Tradition Whistlers, hatte sich während seines langjährigen Aufenthalts in Paris mit zahlreichen modernen Stilen auseinandergesetzt und war nun bei einer fauvistischen Bildsprache angelangt. Von ihm wurden Landschaftsbilder gezeigt. Marin hingegen war ein Aquarellmaler, der sich während seines Studiums mit Architektur und Technologie befasst hatte und nun die zunehmende Urbanisierung in seinen Bildern thematisierte. Waren Maurers Werke noch „europalastig“, deuteten Marins Aquarelle bereits auf eine autarke amerikanische Richtung hin, die in den 1920er Jahren als Präzisionismus bekannt werden sollte.

In den folgenden vier Jahren stellte Stieglitz turnusmäßig abwechselnd europäische und junge amerikanische Künstler aus. Im Verlauf dieser Ausstellungszyklen „kultivierte“ Stieglitz einen ausgewählten Kreis heimischer Künstler, der von Kunstkritikern bald als „The Stieglitz Circle“ bezeichnet wurde.

1910 arrangierten Stieglitz und Steichen mit Younger American Painters, eine umfangreiche Gemeinschaftschausstellung der amerikanischen Modernisten Arthur Dove, Laurence Fellow, Daniel Putnam Brinley, Marsden Hartley, John Marin, Alfred Maurer, Edward Steichen und Max Weber. Die Ausstellung wollte zeigen, dass diese Künstler nicht einfach nur „Gefolgsleute“ von Matisse waren, sondern stets ihre ganz eigene, individuelle Kunst schufen. Stieglitz erwies sich dabei als ebenso geschickter wie polarisierender Ausstellungsmacher: Der rein amerikanischen Ausstellung folgte eine Schau der befreundeten Maler Henri Rousseau und Max Weber – diesmal ein Franzose und ein Amerikaner polnischer Abstammung. Obwohl der Blickpunkt der Ausstellungen deutlich auf amerikanische Künstler gerichtet war, sollte indes keinesfalls eine Befürwortung amerikanischer Kunst erreicht werden. Die beiden folgenden Ausstellungen im Jahre 1911 konzentrierten sich, mit einer umfangreichen Retrospektive von Cézannes Aquarellen und Lithographien, sowie einer umfassenden Werkschau von Pablo Picasso, auf zwei europäische Wegbereiter der Moderne. Cézannes Arbeiten kündigten den Schritt vom Post-Impressionismus zum Kubismus an, den Picasso schließlich vollzog. Die Cézanne-Ausstellung im März 1911 war die erste Einzelausstellung des Franzosen in den USA. Von ihm hängte Stieglitz 20 Aquarelle. Die Picasso-Ausstellung in der 291 war die erste Ausstellung des Spaniers, die in den Vereinigten Staaten gezeigt wurde. Sie umfasste 83 Aquarelle, Kohle- und Tuschezeichnungen und -skizzen und dokumentierte vollständig Picassos Entwicklung zum Kubismus. Die Ausstellung wurde vom New Yorker Publikum mit Fassungslosigkeit und Entrüstung aufgenommen und festigte die etablierte Meinung, dass die Avantgarde absurd sein musste.[5] Der Maler und Kunstkritiker Arthur Hoeber (1854–1915) rezipierte die Picasso-Ausstellung im New York Globe seinerzeit folgendermaßen:

„Diese Zurschaustellung ist die außergewöhnlichste Kombination aus Extravaganz und Absurdität, die man New York bislang angetan hat, und Gott weiß, davon gab es in der Vergangenheit schon viele. Jede vernünftige Kritik steht gänzlich außer Frage, jede ernsthafte Analyse wäre vergebens. Die Resultate deuten auf die schlimmste Abteilung einer Irrenanstalt hin, die verrücktesten Absonderungen eines gestörten Geistes, das Kauderwelsch eines Wahnsinnigen![5]

Ungeachtet der Negativkritiken verfolgte Stieglitz sein unorthodoxes Ausstellungsprogramm weiter: 1912 zeigte der Galerist die weltweit erste Skulpturen-Ausstellung von Henri Matisse, darunter die Bronze La Serpentine (1909) [Bild 1], die zu den innovativsten skulpturalen Arbeiten dieser Zeit zählt. Im selben Jahr kam die erste Einzelausstellung von Arthur Dove zustande, in der unter dem Titel Ten Commandments (Die zehn Gebote) eine Serie Pastellarbeiten gezeigt wurden, die als erste nicht gegenständliche Werke eines amerikanischen Künstlers gelten. Die Schau festigte Doves Reputation als innovativster und produktivster amerikanischer Maler.[6]

Die meisten Arbeiten zeigten eine völlig neuartige Darstellung des menschlichen Körpers und lösten bei den Betrachtern ob der Infragestellung und Neudefinition von Ästhetik teilweise heftige Reaktionen und Debatten über das Kunstverständnis aus. Stieglitz' Intention war jedoch weniger der Schockeffekt, sondern vielmehr die Hinführung des amerikanischen Publikums an neue Sichtweisen. Überdies diente ihm dieser forcierte Richtungswandel dazu, sein bevorzugtes Medium, die Fotografie, von ihrem obsolet empfundenen Symbolismus zu befreien und Möglichkeiten einer neuen Bildsprache aufzuzeigen, die sich bald am Realismus orientieren sollte. Insofern nahm Stieglitz das Konzept der späteren Armory Show von 1913 vorweg.[3]

Während das Publikum die Ausstellungen schließlich mit wachsendem Interesse annahm, wandten sich die Fotografen verärgert von der Galerie und von Stieglitz ab. Sie waren irritiert, dass der Fürsprecher der Photo-Secession nichtfotografischen Kunstwerken eine solche Bedeutung beimaß.[3] Die Fotografin Gertrude Käsebier, die anfangs stark unter Stieglitz Einfluss stand, trennte sich schließlich 1910 von den Photo-Secessionisten und gründete mit den Pictorial Photographers of America sogar eine rivalisierende Vereinigung, der schließlich auch Alvin Langdon Coburn beitrat.[7]

Reaktion auf die Armory Show 1913

An der epochalen Armory Show war Stieglitz zwar nicht direkt beteiligt, er fungierte allerdings gemeinsam mit Isabella Stewart „Mrs Jack“ Gardner, Mabel Dodge Luhan, Claude Monet und Odilon Redon als Sponsor und war „Ehren-Vizepräsident“ der Schau. Überdies steuerte er einige Exponate aus seiner eigenen Sammlung bei.[8]

Auf die eigentliche Schau, die vom 17. Februar bis zum 15. März 1913 stattfand, reagierte Stieglitz zeitgleich mit einer Serie streng konzipierter Ausstellungen: Zuerst zeigte er in einer Einzelausstellung Aquarellarbeiten von John Marin. Anschließend stellte Stieglitz eigene fotografischen Arbeiten vor, gefolgt von den Werken des französischen Modernisten Francis Picabia. Jede dieser Ausstellungen enthielt Bildvergleiche und Studien von New York City, die dem Betrachter deutlich machen sollten, wie sich die Sichtweise der europäischen Künstler von den amerikanischen Zeitgenossen unterschied. Stieglitz sah darin eine Art „Feuerprobe“ – er wählte den Termin seiner eigenen Fotoausstellung so, dass sie zur gleichen Zeit wie die Armory Show stattfand, um zu sehen, ob seine eigene Kunst dem Vergleich mit den jüngsten Entwicklungen der Malerei standhält.[9]

Stieglitz erwarb zahlreiche Ausstellungsstücke auf der Armory Show, darunter The Garden of Love (Improvisation Number 27) von Wassily Kandinsky[Bild 2]

Experimentelle Ausstellungen 1914–1917

Ansicht der Brancusi-Ausstellung im März/April 1914

Die beachtliche Resonanz der Armory Show trieb nun auch andere New Yorker Galeristen an, ihrerseits Ausstellungen mit moderner europäischer Kunst zu organisieren. Unwillig „mit der Masse zu schwimmen“ wechselte Stieglitz erneut die Richtung und begann, mit Steichens Hilfe und der Unterstützung durch den mexikanischen Karikaturisten Marius de Zayas experimentelle Werkschauen zu konzipieren; so beispielsweise die erste Einzelausstellung von Constantin Brâncuşi 1914,[10] gefolgt von einer bis dato einzigartigen Schau afrikanischer Skulpturen, die erstmals nicht in einem ethnografischen Kontext stattfand sondern Volkskunst als Kunstform würdigte. Inspiriert vom Ausdruck und der Spiritualität konzentrierte sich Stieglitz auf Exponate aus West- und Zentralafrika. 1915 kombinierte er Werke von Picasso und Braque mit Reliquien des Volkes der Kota aus Gabun und einem Wespennest. Stieglitz suchte darin eine Debatte über die Beziehung zwischen Kunst und Natur, westlicher und afrikanischer Kunst und intellektueller und angeblich „naiver“ Kunst zu entfachen.[9]

Die Zeitschrift 291

Während des Ersten Weltkriegs wurde die Galerie 291 zum wichtigsten Forum der europäischen Avantgarde und zur sprichwörtlichen „Triebfeder“ des internationalen Dadaismus. Stieglitz, de Zayas und Picabia gründeten mit der Unterstützung des Fotografen Paul Burty Haviland und der Journalistin Agnes E. Meyer eine neue Zeitschrift, die sie, gleichnamig wie die Galerie, kurz „291“ nannten. Inspiriert durch de Zayas, veröffentlichte Picabia darin eine Reihe von Maschinenzeichnungen, die sogenannten „mechanomorphischen Bilder“. Darunter das signifikante Werk Fille née sans mère (Mädchen, ohne Mutter geboren)[Bild 3] das Picabias Abkehr vom Kubismus kennzeichnen sollte. Überdies porträtierte Picabia de Zayas, Haviland und Stieglitz als Maschinen; so wurde aus dem Konterfei von Stieglitz eine Kamera-Konstruktion, die mit dem Zusatz „Ici, c’est ici Stieglitz / foi et amour (Hier, das ist Stieglitz hier / Glaube und Liebe)“ [Bild 4] versehen war. Das ironische Stieglitz-Porträt erschien auf der Titelseite von 291.[11]

Replik von Duchamps Fountain im Musée Maillol, Paris
(Das Original von 1917 ist verschollen)

Vor dem Hintergrund des Krieges war der Tenor von 291 überaus patriotisch, wobei die Vereinigten Staaten als „modernste Nation der Welt“ bejubelt wurden, die Autoren ihre Leser aber auch hinterfragten, ob sie wüssten und würdigten, welch eine zentrale Rolle die Maschine in ihrem Leben mittlerweile spiele. 1917 führte Marcel Duchamp diesen Gedankengang künstlerisch weiter, indem er ein maschinengefertigtes Objekt, ein beliebiges Urinal das er Fountain betitelte, als Ready-made deklarierte und zum Kunstobjekt erhob.[9] Duchamp war zu diesem Zeitpunkt Mitglied der Society of Independent Artists und hatte bereits in der Armory mit seinem Gemälde Akt, eine Treppe herabsteigend Nr. 2 Aufsehen erregt. Mit dem zusätzlichen Skandal um das unter einem Pseudonym in der Jahresausstellung der Society of Independent Artists eingereichte und von der Jury zurückgewiesene Urinal hatte Duchamp eine medienwirksame Popularität, die sich Stieglitz zunutze machen wollte. Schließlich gelang es ihm Duchamp zu überzeugen, das Urinal in der 291 auszustellen. Alfred Stieglitz persönlich fotografierte das Exponat, dem nun, dank Bilddokument durch den seinerzeit renommiertesten Fotografen der Ostküste, innerhalb kürzester Zeit internationale Aufmerksamkeit als Kunstobjekt geschenkt wurde. Die Fotografie wurde im selben Jahr in dem von Duchamp, Henri-Pierre Roché und Beatrice Wood herausgegebenen Dada-Journal The Blind Man (Ausgabe Nr. 2 im Mai 1917) veröffentlicht. [Bild 5]

Wandel in der Kunst, Schließung der Galerie 1917

Spätestens seit der Armory Show fühlte sich Stieglitz zunehmend den amerikanischen Künstlern verpflichtet und konzentrierte sich nach 1915 hauptsächlich auf deren Arbeiten. So zeigte er unter anderem Oscar Bluemner, Bessie Buehrmann, Arthur Beecher Carles, Andrew Dasburg, Arthur Dove, Marsden Hartley, John Marin, Alfred Maurer oder Abraham Walkowitz, sowie mit den Bildern von Paul Strand letztmalig eine Fotoausstellung in den Räumen der 291, darunter Strands berühmte Fotografie Blind von 1916. [Bild 6] Stieglitz widmete Strand die letzten Ausgaben von Camera Work Im April 1917 präsentierte Stieglitz die erste Einzelausstellung von Georgia O’Keeffe, seiner späteren zweiten Ehefrau. Die Ausstellung, die zugleich die letzte in der Galerie 291 sein sollte, wurde nach nur wenigen Tagen aufgrund des Eintritts der USA in den Ersten Weltkrieg abgebrochen.

Zwei Monate nach dem Kriegseintritt der USA, im Juni 1917, sah sich Stieglitz, der die Galerie gemeinsam mit seiner ersten Ehefrau Emmeline Obermeyer überwiegend selbst finanziert hatte, aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage gezwungen, die 291 zu schließen.[5] Das Gebäude, in dem sich die Galerie befand, wurde noch im selben Jahr abgerissen.

Mit dem Ende der Galerie löste sich formlos auch die ohnehin obsolet gewordene Photo-Secession auf und die kostenintensive Zeitschrift Camera Work wurde eingestellt. Edward Steichen trat als Freiwilliger der U.S. Army bei und wirkte beim Aufbau der Luftaufklärung mit; Stieglitz eröffnete in den Folgejahren noch weitere Galerien in New York: Die Intimate Gallery (1925–1929) und An American Place (1929–1946), in denen vor allem Gemälde, Skulpturen und Grafiken gezeigt wurden.

Resümee

Vor allem die letzten Ausstellungen hatten Stieglitz deutlich gemacht, welche extreme Wandlung die Kunst in der letzten Dekade vollzogen hatte und das jeder Künstler die Entwicklungen der europäischen Moderne auf seine eigene Weise im Werk rezipiert und zu einem neuen Vokabular in der Bildsprache gefunden hatte: Marsden Hartley beispielsweise war von Kandinsky inspiriert, Marin gab in seinen Aquarellen eine Vorlage für den späteren Präzisionismus, Dove emanzipierte sich als erster abstrakter amerikanischer Künstler und Georgia O’Keeffe hatte mit ihren halbabstrakten Kohlezeichnungen zu einem eigenen, von den Europäern scheinbar gänzlich unbeeinflussten Stil gefunden. Viele weitere Künstler verfolgten zunächst kubofuturistische Anordnungen, um über den Präzisionismus zu einem regionalistischen oder, wie die Maler der The Eight (ab ca. 1934 als Ashcan School geläufig), zu einem sozialkritischen Realismus zu gelangen, der übergreifend als American Scene bekannt wurde; allen gemein ist die deutliche Verbundenheit zur Fotografie, die vor allem in den Vereinigten Staaten den stärksten Einfluss auf die Malerei nehmen sollte. Nur wenige Zeitgenossen übernahmen prädadaistische Elemente, wie beispielsweise der New Yorker Maler und Fotokünstler Man Ray, der sich noch ganz am Anfang seiner Künstlerkarriere Anregungen in Stieglitz' Galerie geholt hatte. Zusammen mit Duchamp und Picabia formulierte Man Ray etwa zeitgleich den kurzlebigen New York-Dada, bevor er sich von der US-amerikanischen Kunst abwandte.[12]

Nachwirkungen

Marius de Zayas, Francis Picabia, Agnes E. Meyer, der Kunstsammler Walter Conrad Arensberg und weitere junge Protagonisten aus dem Umfeld von Alfred Stieglitz, eröffneten im Oktober 1915 mit der Modern Gallery eigene Ausstellungsräume in der Fifth Avenue, die zwar unter dem legendären Geist der 291 firmierten, aber im Unterschied zu Stieglitz' Mäzenatentum vornehmlich auf den kommerziellen Aspekt setzten. Somit gehörten sie zu den Pionieren des bald rasant wachsenden New Yorker Kunsthandels und markierten den Beginn des Wandels der Stadt zur neuen Kunstmetropole.[13] Die Modern Gallery bestand bis 1917. De Zayas gründete danach eine eigene Galerie, die De Zayas Gallery, die er bis 1924 führte.

Francis Picabia veröffentlichte ab Januar 1917 in Barcelona das Dada-Periodikum 391, in dem er seine Maschinenbilder präsentierte und „Anti-Kunst“ und „Anti-Literatur“ proklamierte. Titel und Aufmachung der Zeitschrift waren eine bewusste Anspielung auf die Hauszeitschrift der Galerie 291, die er zuvor mit Stieglitz herausgegeben hatte. 391 erschien erfolgreich bis zum Oktober 1924 auch in New York, Lausanne, Zürich und Paris.[14]

Im Frühjahr 2001 zeigte die National Gallery of Art in Washington D. C. die umfangreiche Ausstellung Modern Art and America: Alfred Stieglitz and His New York Galleries, die erstmals Alfred Stieglitz' Bedeutung in seiner Rolle als Fotopionier, Galerist und Verleger für die Entwicklung der modernen US-amerikanischen Kunst hervorhob.[15] Die Schau zeigte unter anderem eine Rekonstruktion von Stieglitz' experimenteller 1914er Ausstellung mit afrikanischer Kunst und Skulpturen von Constantin Brâncuşi.

Die meisten Werke der 291 aus Stieglitz’ Besitz wurden nach dessen Tod von Georgia O’Keeffe anteilig als Alfred Stieglitz Collection der National Gallery of Art in Washington, der Fisk University in Nashville, Tennessee, sowie dem Museum of Fine Arts in Boston, gestiftet.[16]

Liste der Ausstellungen

1905 24. November–4. Januar Ausstellung der Photo-Secession
1906 10. Januar–24. Januar Fotografische Arbeiten von Robert Demachy, René Le Bègue und Constant Puyo
5. Februar–19. Februar Fotografien von Gertrude Käsebier und Clarence H. White
21. Februar–7. März Erste Ausstellung britischer Fotografen
9. März–24. März Fotografien von Edward Steichen
7. April–28. April Deutsche und Wiener Fotografen
10. November–30. Dezember Ausstellung der Mitglieder
1907 5. Januar–24. Januar Zeichnungen von Pamela Coleman Smith
25. Januar–12. Februar Fotografien von Baron Adolphe de Meyer und George Henry Seeley
19. Februar–5. März Fotografien von Alice Boughton, William B. Dyer und C. Yarnall Abbott
11. März–10. April Fotografien von Alvin Langdon Coburn
18. November–30. Dezember Ausstellung der Mitglieder
1908 2. Januar–21. Januar Zeichnungen von Auguste Rodin
7. Februar–25. Februar Fotografien von George H. Seeley
26. Februar–11. März Exlibris und Radierungen von Willi Geiger
Radierungen von D. S. McLaughlan, Zeichnungen von Pamela Coleman Smith
12. März–2. April Fotografien von Edward Steichen
6. April–25. April Aquarelle, Lithografien, Radierungen und Zeichnungen von Henri Matisse
8. Dezember–30. Dezember Ausstellung der Mitglieder
1909 4. Januar–16. Januar Karikaturen in Kohle von Marius de Zayas und Autochrome von J. Nilsen Laurvik
18. Januar–1. Februar Fotografien von Alvin Langdon Coburn
4. Februar–22. Februar Fotografien in Farbe und Monochrom von Baron Adolphe de Meyer
26. Februar–10. März Exlibris, Ätz- und Kaltnadelradierungen von Allen Lewis
17. März–27. März Zeichnungen von Pamela Coleman Smith
30. März–17. April Skizzen in Öl von Alfred Maurer und Aquarelle von John Marin
21. April–7. Mai Edward Steichen: Fotografien von Rodins Balzac
8. Mai–18. Mai Malereien von Marsden Hartley
18. Mai–2. Juni Ausstellung von japanische Drucken der F. W. Hunter Collection, New York
24. November–17. Dezember Monotypien und Zeichnungen von Eugene Higgins
20. Dezember–14. Januar Lithografien von Henri de Toulouse-Lautrec
1910 21. Januar–5. Februar Farbfotografien von Edward Steichen
7. Februar–19. Februar Aquarelle, Pastelle und Radierungen von John Marin
23. Februar–8. März Fotografien und Zeichnungen von Henri Matisse
9. März–21. März Younger American Painters (Arthur Dove, John Marin, Max Weber und Edward Steichen)
21. März–18. April Zeichnungen von Rodin
26. April–Mai Karikaturen von Marius de Zayas
18. November–8. Dezember Lithografien von Cézanne, Manet, Renoir und Toulouse-Lautrec; Zeichnungen von Rodin; Malereien und Zeichnungen von Henri Rousseau
14. Dezember–12. Januar Radierungen und Zeichnungen von Gordon Craig
1911 11. Januar–31. Januar Malereien und Zeichnungen von Max Weber
2. Februar–22. Februar Aquarelle von John Marin
1. März–25. März Aquarelle von Cézanne
28. März–25. April Frühe und neuere Aquarelle und Zeichnungen von Pablo Picasso
8. November–17. Dezember Aquarelle von Gelett Burgess
18. Dezember– 5. Januar Fotografien von Baron Adolphe de Meyer
1912 17. Januar–3. Februar Malereien von Arthur B. Carles
7. Februar–26. Februar Malereien und Zeichnungen von Marsden Hartley
27. Februar–12. März Malereien und Pastelle von Arthur G. Dove
14. März–6. April Skulpturen und Zeichnungen von Henri Matisse
11. April–10. Mai Aquarelle, Pastelle und Zeichnungen von Kindern im Alter von zwei bis elf Jahren
20. November–12. Dezember Karikaturen von Alfred J. Frueh
15. Dezember–14. Januar Malereien und Zeichnungen von Abraham Walkowitz
1913 20. Januar–15. Februar Aquarelle von John Marin
24. Februar–15. März Fotografien von Alfred Stieglitz
17. März–5. April Ausstellung von New Yorker Studien von Francis Picabia
8. April–20. Mai Karikaturen von Marius de Zayas
19. November–3. Januar Aquarelle, Pastelle und Zeichnungen von Abraham Walkowitz
1914 12. Januar–14. Februar Malereien von Marsden Hartley
18. February–11. März Zweite Ausstellung von Kindermalereien
12. März–4. April Skulpturen von Constantin Brâncuşi
6. April–6. Mai Malereien und Zeichnungen von Frank Burty
3. November–8. Dezember Sanctuary in Wood by African Savages – Afrikanische Skulpturen
9. Dezember–11. Januar Malereien und Zeichnungen von Georges Braque und Pablo Picasso;
Archaische mexikanische Keramiken und Schnitzereien; Kalogramme von Torres Palomar aus Mexiko
1915 12. Januar–26. Januar Neuere Malereien von Francis Picabia
27. Januar–22. Februar Malereien von Marion H. Beckett und Katherine N. Rhoades
23. Februar–26. März Aquarelle, Ölmalereien, Radierungen und Zeichnungen von John Marin
27. März–16. April Dritte Ausstellung von Kindermalereien
10. November–7. Dezember Malereien und Zeichnungen von Oscar Bluemner
8. Dezember–19. Januar Skulpturen und Zeichnungen von Elie Nadelman
1916 18. Januar–12. Februar Neuere Aquarelle von John Marin
14. Februar–12. März Aquarelle und Zeichnungen von Abraham Walkowitz
13. März–3. April Fotografien von Paul Strand
4. April–22. Mai Malereien von Marsden Hartley
23. Mai–5. Juli Zeichnungen von Georgia O’Keeffe, Aquarelle und Zeichnungen von Charles Duncan, Ölmalereien von René Lafferty
22. November–20. Dezember Aquarelle und Zeichnungen von Georgia S. Engelhard, einem zehnjährigen Kind aus New York; Malereien und Zeichnungen von Hartley, Marin, Walkowitz, Wright und O’Keeffe
17. Dezember–17. Januar Aquarelle von Abraham Walkowitz
1917 22. Januar–7. Februar Neuere Arbeiten von Marsden Hartley
14. Februar–3. März Aquarelle von John Marin
6. März–17. März Malereien, Pastelle und Zeichnungen von Gino Severini
20. März–31. März Malereien und Skulpturen von Stanton Macdonald-Wright
3. April–14. Mai Neuere Arbeiten von Georgia O’Keeffe

Quelle: Sarah Greenough: Modern art and America: Alfred Stieglitz and his New York galleries, S. 543–547

Literatur

  • William Innes Homer: Alfred Stieglitz and the American Avant-Garde. Secker & Warburg, 1977, ISBN 0-436-20082-1.
  • William Innes Homer: Alfred Stieglitz and the Photo-Secession. Little, Brown and Company, Boston 1983, ISBN 0-8212-1525-6.
  • Robert Doty: Photo-Secession: Stieglitz and the Fine-Art Movement in Photography. Dover Publications Inc., 1978, ISBN 0-486-23588-2.
  • Alfred Stieglitz. Könemann, Köln 2002, ISBN 3-89508-607-X.
  • R. Scott Harnsberger: Four artists of the Stieglitz Circle: A sourcebook on Arthur Dove, Marsden Hartley, John Marin, and Max Weber. Greenwood Press, 2002, ISBN 0-313-31488-8.
  • Sarah Greenough: Modern art and America: Alfred Stieglitz and his New York galleries. National Gallery of Art (Hrsg) bei Little, Brown and Company, 2001, ISBN 0-8212-2728-9.
  • Sarah Greenough: The Alfred Stieglitz Collection of Photographs at the National Gallery of Art, Washington, Volume I & II; Harry N Abrams, 2002, ISBN 0-89468-290-3.
  • Julia Krumhauer (Hrsg.): Stieglitz Camera Work. Taschen Verlag, 2008, ISBN 978-3-8228-3784-9.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Michel Frizot: Die Zeitschrift Camera Work 1903–1917; in: Neue Geschichte der Fotografie; hrsg. von Michel Frizot, Könemann, Köln 1998, ISBN 3-8290-1327-2, S. 327
  2. Peter C. Bunell: Die Galerie 291; in: Neue Geschichte der Fotografie, S. 314
  3. a b c d Beaumont Newhall: Geschichte der Photographie. Schirmer/Mosel, München 1984, ISBN 3-88814-319-5, S. 174
  4. Camera Work No. 22; vgl. auch: Waldo Frank: America And Alfred Stieglitz – A Collective Portrait. The Literary Guild, New York, 1934. eBook (englisch. Abgerufen 29. April 2009)
  5. a b c Brooke Schieb: Alfred Stieglitz and the Gallery 291. Southern Methodist University. Abgerufen am 16. Juli 2008. (englisch)
  6. Brooke Schieb: Arthur G. Dove – Biography. The Phillips Collection, Washington, D. C.. Abgerufen am 27. Juli 2008. (englisch)
  7. In: Walter Koschatzky: Die Kunst der Photographie. Residenz Verlag, Salzburg und Wien, 1984, ISBN 3-7017-0386-8, S. 284
  8. Alfred Stieglitz and His Circle. The Metropolitan Museum of Art. Abgerufen am 30. April 2009. (englisch)
  9. a b c The 291 Gallery. National Gallery of Art. Abgerufen am 30. April 2009. (englisch)
  10. Contantin Brancusi – Biography. Guggenheim Collection. Abgerufen am 30. April 2009. (englisch)
  11. Hermann Korte: Die Dadaisten. Rowohlt, Reinbek, 5. Auflage 2007, ISBN 978-3-499-50536-2, S. 111
  12. Merry Foresta: Wiederkehrende Motive in der Kunst von Man Ray, in: Man Ray – Sein Gesamtwerk. Edition Stemmle, Zürich, 1989, ISBN 3-7231-0388-X, S. 22–25
  13. Stephen E. Lewis: The Modern Gallery and American Commodity Culture. The Johns Hopkins University Press. Abgerufen am 18. Juli 2008.
  14. Documents of Dada and Surrealism – Dada and Surrealist Journals in the Mary Reynolds Collection. The Art Institute of Chicago., 2001. Abgerufen am 18. Juli 2008.
  15. Melissa Seckora: Modern Champions. National Review Online. Abgerufen am 18. Juli 2008.
  16. Alfred Stieglitz. Fisk University. Abgerufen am 30. April 2009. (englisch)

Abbildungen

  1. Henri Matisse: La Serpentine. Museum of Modern Art. Abgerufen am 28. April 2009.
  2. Wassily Kandinsky: The Garden of Love (Improvisation Number 27). The Metropolitan Museum of Art. Abgerufen am 28. April 2009. (englisch)
  3. Francis Picabia: Fille née sans mère. National Galleries of Scotland. Abgerufen am 28. April 2009.
  4. Francis Picabia: Ici, c’est ici Stieglitz. The Metropolitan Museum of Art. Abgerufen am 28. April 2009.
  5. Fountain by R. Mutt – The exhibit refused by the independents Seite aus The Blind Man mit der Fotografie von Alfred Stieglitz in der englischen Wikipedia
  6. Paul Strand: Blind. The Metropolitan Museum of Art. Abgerufen am 28. April 2009.

40.746446-73.9860537Koordinaten: 40° 44′ 47″ N, 73° 59′ 10″ W


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