Loste

Loste

Die Stoffgruppe der Loste umfasst eine Reihe chlorierter organischer schwefel- oder stickstoffhaltiger Verbindungen und ist vor allem aufgrund des Einsatzes einiger dieser Substanzen als chemische Waffen bekannt. Der häufig einfach als „Lost“ oder "Senfgas" bezeichnete Schwefellost ist dabei der bekannteste Vertreter dieser Stoffgruppe.

Die Bezeichnung Lost geht auf die ersten Buchstaben der Nachnamen der beiden deutschen Chemiker zurück, die im Jahr 1916 den Vorschlag zur Verwendung von Schwefellost als chemischer Kampfstoff machten, Wilhelm Lommel und Wilhelm Steinkopf, beide Mitarbeiter von Fritz Haber am Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische und Elektrochemie in Berlin-Dahlem.[1]

Inhaltsverzeichnis

Eigenschaften

Loste sind in reiner Form Flüssigkeiten. Der auch für sie verwendete Begriff Giftgas trifft also nicht im strengen Sinne zu. Vermutlich wurde er nach dem Ersteinsatz von Chlorgas unterschiedslos für alle anderen Kampfstoffe übernommen. N-Lost, hier HN-3, wurde im allgemeinen als Hydrochlorid, also als Feststoff, eingesetzt.

Die Freisetzung des Kampfstoffs erfolgte als (Flüssig- oder Feststoff-) Aerosol, bei Verschuss in Granaten durch deren Zerlegerladung, ansonsten in Flüssigform durch eine Sprühvorrichtung (Sprühangriff). Sowohl S-Lost als auch N-Lost wurden auf Grund der Kennzeichnung der damit gefüllten Munition als Gelbkreuzkampfstoffe bezeichnet.

Lost durchdringt poröses Material und manche Gummi- und Kunststoffarten. Durch Anreicherung mit Wachsen, Harzen oder Kunststoffen entsteht Zäh-Lost, das an Materialien haften bleibt und somit schwieriger zu entgiften ist (sog. sesshafte Kampfstoffe).

Schwefelloste (S-Lost)

Bei den Schwefellosten handelt es sich um endständig chlorierte Thioether. Diese Gruppe umfasst neun Chemikalien:

Chemikalie Code Trivialname CAS-Nr. PubChem Struktur
Bis(2-chlorethyl)sulfid H/HD Lost, Senfgas 505-60-2 10461 Sulfur mustard.svg
1,2-Bis-(2-chlorethylthio)-ethan Q Sesqui-Yperit 3563-36-8 19092 Sesquimustard.svg
Bis-(2-chlorethylthioethyl)-ether T Oxol-Lost 63918-89-8 45452 O-Mustard.svg
2-Chlorethylchlormethylsulfid 2625-76-5 2-Chlorethylchlormethylsulfid.svg
Bis-(2-chlorethylthio)-methan HK 63869-13-6 Bis-(2-chlorethylthio)-methan.svg
Bis-1,3-(2-chlorethylthio)-n-propan 63905-10-2 Bis-1,3-(2-chlorethylthio)-n-propan.svg
Bis-1,4-(2-chlorethylthio)-n-butan 142868-93-7 Bis-1,4-(2-chlorethylthio)-n-butan.svg
Bis-1,5-(2-chlorethylthio)-n-pentan 142868-94-8 Bis-1,5-(2-chlorethylthio)-n-pentan.svg
Bis-(2-chlorethylthiomethyl)-ether 63918-90-1 Bis-(2-chlorethylthiomethyl)-ether.svg

Reines S-Lost ist geruch- und farblos; der typische knoblauchähnliche Geruch entsteht, da S-Lost im Allgemeinen aus praktischen Gründen nur in technischer Qualität synthetisiert wird und die hierin in Spuren vorhandenen Neben- und Zersetzungsprodukte geruchlich dem Duftstoff von Knoblauch (Allicin) ähneln. Weiterhin ist das technische Produkt meist mit kolloidal gelöstem Schwefel verunreinigt und erscheint deswegen milchig bis gelblich.[2]

Während des ersten Weltkrieges wurde festgestellt, dass im Oxol-Verfahren gewonnener Rohlost giftiger als anders gewonnener Reinlost war. Die Ursache dafür waren geringe Mengen Oxol-Lost, welches deutlich giftiger ist. Dies wurde erst nach Ende des Krieges nachgewiesen.

Neben dem normalen S-Lost wurde während des 1. Weltkrieges auch das sogenannte Winterlost hergestellt. Um den Gefrierpunkt zu senken gab man dem S-Lost z. B. Arsinöl hinzu oder vermischte es mit anderen Losten.

Als weitere Mischungen sind u. a. bekannt:

Stickstoffloste (N-Lost)

Der Gruppe der Stickstoffloste gehören drei tertiäre, zumindest zweifach terminal chlorierte Amine an:

Chemikalie Code Trivialname CAS-Nr. PubChem Struktur
Bis-(2-chlorethyl)-ethylamin HN-1 Ethyl-S 538-07-8 10848 Ethyl-S.svg
Bis-(2-chlorethyl)-methylamin HN-2 Mechlorethamin, Chlormethin 51-75-2 4033 Chlormethine.svg
Tris-(2-chlorethyl)-amin HN-3 Trichlormethin 555-77-1 5561 Trichlormethine.svg

HN-1 wurde Anfang der 1930er Jahre als Warzenentferner entwickelt; erst später stellte sich seine militärische Nutzbarkeit heraus.

HN-2 wurde zunächst als Kampfstoff entwickelt. Später stellte man daraus ein Medikament zur Chemotherapie gegen Lymphknotenkrebs her (Chlormethin, CAS 55-86-7)[3]

Toxizität

Hauptexpositionswege der Loste sind die perkutane oder die inhalatorische Aufnahme von Dämpfen (nur bei S-Lost). Lost ist ein starkes Hautgift und erwiesenermaßen krebserregend. Die Wirkung auf die Haut ist vergleichbar mit starken Verbrennungen oder Verätzungen. Es bilden sich große, stark schmerzende Blasen. Die Verletzungen heilen schlecht. Das Gewebe wird nachhaltig zerstört und die Zellteilung gehemmt. Großflächig betroffene Gliedmaßen müssen meistens amputiert werden. Werden die Dämpfe eingeatmet, so werden die Bronchien zerstört.

Eine Entgiftung der Haut kann durch eine sofortige Behandlung durch Abwaschen mit starker Seifenlauge oder durch Besprühen der betroffenen Stellen mit Chlorkalk erfolgen. Ein Abdecken der betroffenen Körperregionen, beispielsweise durch Kleidung oder Decken, ohne vorherige Entgiftung, verschlimmert die Symptome zusätzlich.

Die toxische Wirkung beider Lost-Varianten kommt durch die Bildung hochreaktiver Verbindungen aufgrund eines intramolekularen SN2-Angriffs des Stickstoffs oder Schwefels auf das an das Chlor gebundene Kohlenstoffatom zustande (Nachbargruppeneffekt), in dessen Folge sich im Fall von N-Lost ein Aziridiniumion, im Fall von S-Lost ein Thiiraniumion bildet.

Das Auge reagiert am empfindlichsten auf S-Lostdampf. Die Folge ist eine im glimpflichen Fall vorübergehende Erblindung, da das massive Lidödem eine aktive Augenöffnung verhindert. Die Augen sind bis zu einem gewissen Grad in der Lage, sich zu regenerieren. Daher bestehen oftmals gute Heilungschancen und Aussicht auf das Wiedererlangen der Sehkraft, allerdings kann das einige Monate dauern.[4][5]

Medizinische Nutzung von Lost-Derivaten

Die Erfahrungen mit der die Zellteilung hemmenden Wirkung von Schwefellost führten dazu, dass nach dem Ersten Weltkrieg die ersten Zytostatika auf der Basis von Stickstofflost entwickelt und in der Krebstherapie eingesetzt wurden. Allerdings waren die originalen Kampfstoffe für die medizinische Verwendung noch viel zu giftig. Beispiele für erfolgreiche Krebsmedikamente auf Lost-Basis sind Cyclophosphamid, Ifosfamid, Melphalan und Chlorambucil.

Quellen

  1. Florian Schmaltz: Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus: zur Kooperation von Kaiser-Wilhelm-Instituten, Militär und Industrie. Wallstein Verlag, 2005, ISBN 9783892448808, S. 21 (in Google Books, abgerufen am 11. Januar 2010).
  2. wissenschaft-online: Eintrag zum Bis(2-chlorethyl)sulfid im Lexikon der Biologie/Chemie.
  3. Mechlorethamine Hydrochloride (englisch).
  4. Medical Manual of Chemical Warfare: Effects of mustard gas (englisch)
  5. Blister Agent: Sulfur Mustard (H, HD, HS) (englisch)

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