Lucius Aelius Seianus

Lucius Aelius Seianus

Lucius Aelius Seianus (* um 20 v. Chr. in Volsinii, Etrurien; † 18. Oktober 31 in Rom), deutsch Sejan, war ein Prätorianerpräfekt im römischen Kaiserreich und eine Zeit lang der einflussreichste Bürger Roms.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Herkunft

Seianus war der Sohn des Eques und Prätorianerpräfekten Lucius Seius Strabo. Er wurde von Sextus Aelius Catus, einem Verwandten seiner Großmutter aus dem Geschlecht der Aelier, adoptiert, der im Jahr 4 Konsul war (wodurch aus seinem Geburtsnamen Seius der Beiname Seianus wurde). Damit war er Adoptivbruder der Aelia Paetina, die später ins Kaiserhaus einheiratete. Verheiratet war er mit Apicata, eventuell eine Tochter des Marcus Gavius Apicius.

Politischer Aufstieg

Seianus soll laut Tacitus in seiner Jugend ein Freund von Augustus’ Enkel Gaius Caesar gewesen sein und sich nach dessen Tod bei Tiberius eingeschmeichelt haben.[1] Bei der Thronbesteigung des Kaisers Tiberius im Jahr 14 wurde er zum Prätorianerpräfekten neben seinem Vater ernannt. Da im selben Jahr sein Vater praefectus Aegypti (Statthalter von Ägypten) wurde, war Seianus alleiniger Kommandant der Prätorianergarde, die er nun als Basis für die Steigerung seiner Macht benutzte, unter anderem dadurch, dass er sie in einem einzigen Lager auf dem Viminal außerhalb Roms zusammenzog, in den Castra praetoria. Im Laufe der folgenden Jahre wurde er zu einem wichtigen Ratgeber des Kaisers, der ihn mit Ehrungen überhäufte und unter anderem Claudius’ Sohn Claudius Drusus 20 n. Chr. mit Seianus’ 4-jähriger Tochter verlobte. Claudius Drusus starb jedoch wenig später.[2] Auch einige Verwandte des Seianus wie sein Onkel Blaesus und sein Bruder Lucius Seius Tubero profitierten von Seianus’ Stellung beim Kaiser.[3]

Die spätere Überlieferung unterstellte Seianus Pläne, sich selbst an die Spitze des Staates zu stellen. Auch habe er Livilla, die Frau von Tiberius’ Sohn Drusus, aus reiner Machtgier verführt und dafür seine Frau verstoßen.[4] Er soll der Vater von Livillas 19 n. Chr. geborenen Söhnen Tiberius Gemellus und Germanicus Gemellus († 23 n. Chr.) gewesen sein. Durch Beseitigung ihm missliebiger Personen, darunter auch des Thronfolgers Drusus im Jahr 23, der von Seianus nach einem Streit vergiftet worden sein soll, wobei Livilla selbst ihm geholfen habe,[5] festigte er, so heißt es, seine Macht über den Senat. Im Jahr 25 versuchte er, Drusus’ Witwe Livilla zu heiraten, wodurch er selbst Mitglied der kaiserlichen Familie geworden wäre, aber Tiberius warnte ihn, seinen Rang nicht zu überschreiten.[6]

Laut Tacitus soll er - im Auftrag von Tiberius - für den Untergang der im Volk sehr beliebten Familie des Germanicus gesorgt haben. Es sollte verhindert werden, dass Agrippina mit Hilfe des Senats ihre Söhne, die leiblichen Nachkommen des Augustus, an die Macht bringen konnte. Nachdem Seianus nicht an die tugendhafte Agrippina herankam, ließ er 26 n. Chr. ihre Freundin und Cousine Claudia Pulchra wegen Hochverrats und Unzucht anklagen und verurteilen.[7] Gleichzeitig förderte er Agrippinas Misstrauen gegen den Kaiser. Tiberius verbot ihr, sich neu zu verheiraten und das Haus zu verlassen.

Seianus war angeblich maßgeblich für Tiberius’ Rückzug aus Rom im Jahr 26 und seine endgültige Niederlassung auf die Insel Capri im folgenden Jahr verantwortlich, weil er im Kaiser Angst vor einer Verschwörung der Agrippina schürte und dessen schon seit Jahren geäußerten Wunsch nach Rückzug bestärkte. Es stärkte Tiberius' Vertrauen ihm gegenüber noch mehr, als er sich beim Einsturz einer Höhle schützend über ihn warf. Die Abwesenheit des Kaisers machte Seianus als dessen Stellvertreter faktisch zum mächtigsten Mann in Rom. Er allein bestimmte, was der Kaiser aus Rom erfuhr. Er ließ seinen eigenen Geburtstag zum römischen Feiertag erklären und sich öffentlich durch Aufstellen von Statuen mit seinem Konterfei ehren. Dadurch stellte er den Kult um seine Person dem des Kaisers gleich. 28 gelang es ihm, seine Bande zur kaiserlichen Familie mit der Verheiratung seiner Adoptivschwester Aelia Paetina mit Tiberius’ Neffen Claudius zu festigen. Der Tod der Kaisermutter Livia Drusilla 29 n. Chr. gab ihm endgültig freie Hand. Er verbreitete Gerüchte über Agrippina und ließ die Söhne Nero Caesar und Drusus Caesar bespitzeln,[8] bis er endlich einen Anklagepunkt fand, der zur Verbannung von Agrippina und ihren beiden älteren Söhnen 29 und 30 führte. Dabei bediente er sich wieder Livillas, deren Tochter Iulia Livia mit Nero verheiratet war. Laut Cassius Dio habe er sich anschließend mit der jungen Witwe verlobt.[9]

Sturz

Im Jahr 31 war Seianus Konsul geworden und erhielt anschließend prokonsularisches imperium, womit seine Position unangreifbar schien. Doch gleichzeitig mit ihm und seinem ältesten Sohn Strabo erhielt auch Gaius (Caligula) ein Priesteramt.[10] Seianus verlobte sich mit Livilla und beabsichtigte, den letzten überlebenden Sohn des Germanicus, beseitigen zu lassen, um Livillas (und seinem) 12-jährigem Sohn Tiberius Gemellus die Nachfolge zu sichern und an dessen Stelle zu regieren.[11] Tiberius wurde das Vorhaben jedoch von Livillas Mutter Antonia, der Witwe seines Bruders Drusus, aufgedeckt.[12] Tiberius ließ Seianus durch Naevius Sutorius Macro, den Präfekten der Vigiles, verhaften. Als Seianus vom Senat zum Tod verurteilt, mitsamt seiner Kinder im Tullianum hingerichtet und auf der Gemonischen Treppe ausgestellt worden war, folgte ihm Naevius Sutorius Macro als Kommandeur der Prätorianergarde.

Seianus fiel der Damnatio memoriae anheim. Seine Statuen wurden zerschlagen. Seine Adoptivschwester wurde von Claudius geschieden. Die verstoßene Ehefrau Apicata gestand im Zuge des Prozesses aus Rache an Livilla ihre Mitwissenschaft an Seianus’ und Livillas Mord an Drusus.[13] Anschließend beging sie Selbstmord. Livilla und weitere angeblichen Mitwisser wurden hingerichtet. In folgenden Jahren wurden zahlreiche Senatoren und Ritter unter dem Verdacht, die Pläne des Seianus unterstützt zu haben, hingerichtet oder zum Selbstmord gezwungen.[14]

Historische Beurteilung

Über Seianus' Leben und Sturz berichten mit äußerst negativer Tendenz Sueton in seiner Biographie des Tiberius und Tacitus in seinen Annalen. Beide schreiben im Abstand mehrerer Jahrzehnte. Ein positives Seianus-Bild gibt der Zeitgenosse Velleius Paterculus, dessen Werk allerdings entstand, als Seianus auf dem Höhepunkt seiner Macht war.[15]

Die Ereignisse rund um Seianus sind schwer zu beurteilen, da alle Quellen extrem parteiisch sind. Dass er ernsthaft nach dem Kaisertum für sich selbst strebte, kann als unwahrscheinlich gelten - trotz seiner Ämter und Würden war er bis kurz vor seinem Tod nur ein römischer Ritter; erst 200 Jahre später sollte es Nicht-Senatoren gelingen Kaiser zu werden. Unter Tiberius war dies noch undenkbar: der Purpur war selbstverständlich nur Mitgliedern der stadtrömischen Nobilität vorbehalten. Vor allem aber zeigte sich gerade an seinem Sturz, dass Seianus' Macht in Wahrheit sehr begrenzt war; da er nicht über ausreichende eigene auctoritas verfügte, war er wehrlos, als ihm Tiberius die geborgte Macht wieder entzog. Vieles spricht dafür, dass Seianus Tiberius als Werkzeug diente, um sich der unliebsamen Konkurrenz, die der Nachfolge seiner eigenen Nachkommen mit der Familie des Germanicus entstand, zu entledigen.[16] Einige Forscher sehen jedoch auch die Beteiligung des Seianus an den nicht genau bekannten Vorwürfen gegen die Familie des Germanicus als allenfalls gering an.[17] Seianus habe höchstens gegen Ende, als sich bereits abzeichnete, dass der Kaiser ihn fallenlassen würde, tatsächlich einen Staatsstreich erwogen - wenn überhaupt.[18] Doch Klarheit wird sich nie gewinnen lassen.

Einzelnachweise

  1. Tacitus, Annalen 4,1
  2. Tacitus, Annalen 3,10; Sueton, Claudius 27
  3. Robin Seager: Tiberius (Blackwell Ancient Lives) 2005, S. 152.
  4. Tacitus, Annalen 4,3;
  5. Tacitus, Annalen 4,10
  6. Tacitus, Annalen 4,40
  7. Tacitus, Annalen 4, 52, 1ff.; 4, 66, 2; Cassius Dio 59, 19, 1.
  8. Tacitus, Annalen 4,67
  9. Cassius Dio 58,3,9.
  10. Robin Seager: Tiberius, S. 183.
  11. Robin Seager: Tiberius, S. 153.
  12. Laut Cassius Dio (66, 14, 2) hatte Antonia das belastende Dokument ihrer Sklavin Caenis, der späteren Geliebten des Vespasian, diktiert.
  13. Tacitus, Annalen 4,12.
  14. Tacitus: Annalen 6,5.6,3.
  15. Velleius Paterculus, Historia romana 2,127-128 (engl.)
  16. Sueton, Tiberius 55
  17. Dieter Hennig: L. Aelius Seianus. Untersuchungen zur Regierung des Tiberius. München 1975, S. 45–52; vgl. David C. A. Shotter: Agrippina the Elder – a Woman in a Man’s World. In: Historia 49, 2000, S. 341–357.
  18. So Dieter Hennig: L. Aelius Seianus, S. 145–155; Barbara Levick: Tiberius the Politician. London 1999, S. 173–175.

Quellen

  • Sueton: Tiberius. Ausführlichste antike Biographie aus der Sammlung der Kaiserbiographien von Caesar bis Domitian. Zahlreiche Ausgaben, beispielsweise mit deutscher Übersetzung in: Gaius Suetonius Tranquillus: Sämtliche erhaltene Werke. Magnus, Essen 2004, ISBN 3-88400-071-3, (lateinischer Text, englische Übersetzung).
  • Tacitus: Annalen. Lateinisch/deutsch herausgegeben von Erich Heller, 5. Aufl., Artemis & Winkler, München/Zürich 2005, ISBN 3-7608-1645-2, (lateinischer Text; die Bücher 1–6 behandeln die Zeit des Tiberius, wobei der Großteil des 5. Buches, das vermutlich den Sturz des Seianus beinhaltete, verloren ist).

Literatur


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