Lucius Livius Andronicus

Lucius Livius Andronicus

Der Dichter Lucius Livius Andronicus († zwischen 207 und 200 v. Chr.) (griechisch: Libios Andronikos) galt im Altertum als Begründer der lateinischen bzw. römischen Literatur. Er stammte aus der griechischen Stadt Tarent, war somit kein lateinischer Muttersprachler. Bedeutendstes Werk des Livius Andronicus ist die Odusia, eine Übersetzung der griechischen Odyssee.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Livius Andronicus wuchs in der griechischen Stadt Tarent auf, wo er vermutlich als Schauspieler tätig war. In Rom war er zunächst als Sklave, dann als Freigelassener Hauslehrer bei der Familie der Livier. Für den Schulgebrauch schrieb er die Odusia, eine in Saturniern verfasste Übersetzung der Odyssee Homers, die in Rom Grundlage des Griechisch-Unterrichts bildete.

Im Jahr 240 v. Chr. führte Livius Andronicus anlässlich der 'Römischen Spiele' (lat. ludi Romani) das erste lateinische Drama auf, das er selbst verfasst hatte. Diese Aufführung galt in der Antike als Geburtsstunde der lateinischen bzw. römischen Literatur.

In den darauf folgenden Jahren dichtete Livius Andronicus zahlreiche Tragödien und Komödien, die bei religiösen Festen aufgeführt wurden. 207 v. Chr. erhielt er den Auftrag, für einen Jungfrauenchor ein Prozessionslied zu Ehren der Göttin Iuno Regina zu verfassen. Dieses Werk hatte offenbar so großen Erfolg, dass den Schreibern und Schauspielern in Rom die Benutzung des Minerva-Tempels auf dem Aventin erlaubt wurde, was eine erhebliche Aufwertung ihres sozialen Status darstellte.

Da für die Jahre nach 207 v. Chr. keine gesicherten Nachrichten über Livius Andronicus vorliegen, lässt sich annehmen, dass er bald nach Aufführung des Prozessionsliedes verstorben ist. Das genaue Todesdatum ist jedoch nicht bekannt.

Werke

Keines der Werke des Livius Andronicus ist vollständig erhalten. Lediglich von der Odusia liegen ausreichend Fragmente vor, um den sprachlich-literarischen Charakter des Werkes beurteilen zu können. Daneben sind einige Dramenverse sowie die Titel weniger Tragödien und Komödien überliefert.

Lyrisches Werk

Der einzige bekannte lyrische Text des Livius Andronicus ist das Prozessionslied zu Ehren der Iuno Regina aus dem Jahr 207 v. Chr., von dem jedoch keine Fragmente erhalten sind. Ob der Dichter darüber hinaus weitere lyrische Werke schrieb, ist nicht bekannt.

Dramen

Die Dramen des Livius Andronicus waren vermutlich Adaptionen griechischer Vorbilder, die dem Geschmack römischen Publikums angepasst wurden. Abgesehen von wenigen Versen sind nur die Titel einiger Tragödien und Komödien überliefert.

Als Tragödien sind namentlich belegt:

  • aus dem trojanischen Sagenkreis: Achilles, Aegisthus, Aiax mastigophorus („der geißelschwingende Aiax“), Equos Troianus („das trojanische Pferd“), Hermiona sowie eine Tragödie mit unsicher belegtem Titel (möglicherweise Teucer);
  • aus der Perseus-Sage Andromeda und Danae;
  • aus der Tereus-Sage Tereus.

Der einzige sicher belegte Komödientitel ist Gladiolus (möglicherweise ähnlicher Inhalt wie der Miles gloriosus des Plautus), eine weitere Komödie könnte Ludius geheißen haben. Vermutlich verfasste Livius Andronicus noch eine Reihe weiterer Dramen, deren Namen nicht überliefert sind.

Odusia

Die Odusia ist eine lateinische Übersetzung der griechischen Odyssee Homers. Sie wurde wahrscheinlich für den Schulgebrauch verfasst, um das Erlernen der griechischen Sprache, das gewöhnlich durch die Homer-Lektüre erfolgte, zu erleichtern.

Die Sprache des in Saturniern verfassten Werkes, von dem eine Anzahl Verse erhalten sind, ist deutlich feierlicher als in den Dramenfragmenten. Livius Andronicus schöpfte hier besonders aus dem Formelschatz religiöser Zeremonien, um das Pathos des Textes zu verstärken und den erhabenen Stil des Originals im Lateinischen nachzubilden. Dabei beschränkte er sich nicht auf eine bloße Nachahmung der Odyssee in lateinischer Sprache, sondern erlaubte sich auch gelegentliche künstlerische Freiheiten. Zudem übertrug er Elemente griechischer Mythologie in römische Vorstellungswelt, beispielsweise, indem er im ersten Vers des Werkes anstatt einer Muse mit einer Camena eine italische Gottheit anrief.

Literaturgeschichtliche Bedeutung und Nachwirkung

Livius Andronicus galt bereits in der Antike als Schöpfer und Begründer der römischen Literatur, da er nicht nur die ersten lateinischen Werke verfasst, sondern auch die stilistischen Grundlagen der lateinischen Dichtersprache geschaffen hatte. Durch seine Adaption griechischer Dramen und seine Übersetzung der Odyssee setzte er gleichzeitig Maßstäbe für die Kunst der literarischen Übersetzung in der lateinischen Antike, die nicht eine wortgetreue Übertragung zum Ziel hatte, sondern auch nach einer Anpassung des Inhaltes an die Vorstellungen der römischen Kultur strebte.

Seine Werke selbst entsprachen jedoch bald nicht mehr dem Zeitgeschmack, da man sie ihrer urtümlichen und ungeschliffenen Sprache wegen bald als primitiv und unschön empfand. Daher wurden die Komödien im Laufe der Zeit von den Werken des Naevius, Plautus und schließlich des Terenz verdrängt, die Tragödien von denen des Ennius, Accius und Pacuvius. Die Wahl des Saturniers als episches Metrum wurde zwar noch von Naevius übernommen, bereits Ennius aber wählte stattdessen den aus der griechischen Dichtung übernommenen Hexameter. Dennoch wurde die Odusia noch bis ins 1. Jahrhundert v. Chr. als Hilfsmittel im Griechischunterricht verwendet, geriet dann aber bald in Vergessenheit.

Literatur

  • Michael von Albrecht: Geschichte der römischen Literatur. Von Andronicus bis Boethius. Bd. 1 (von 2), 2. verbesserte und erweiterte Auflage, München 1994, S. 92–98.

Weblinks



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