Martin Deutinger

Martin Deutinger

Martin Deutinger (* 24. März 1815 in Langenpreising; † 9. September 1864 in Pfäfers) war ein deutscher katholischer Theologe und Philosoph.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Deutinger studierte zunächst 1832 in Dillingen Theologie und Philosophie, bevor er dann in München 1833 Schelling hörte und sich für die Kunstphilosophie begeisterte. 1837 wurde er zum Priester geweiht. Nach einem ersten Karrieresprung zum Philosophiedozenten am Lyzeum in Freising (1841-1846) und seiner Privatdozentur für Philosophie an der Münchner Universität 1846/47 begann aufgrund seiner Stellungnahmen gegen die Affäre des bayrischen Königs mit Lola Montez eine schwierige Zeit: Er wurde 1847 in das verschlafene Dillingen an der Donau strafversetzt, in dem er sich zwar kulturell sehr engagierte, von dem es ihn jedoch 1852 wieder in die bayrische Hauptstadt zurückzog. Überhaupt waren dies aufgrund der Unzufriedenheit mit seiner Situation Jahre intensivster Reisetätigkeit: Er besichtigte die Kunstschätze von Florenz (1845), Paris (1850), Mailand (1850), Berlin (1853), Düsseldorf (1847), Dresden (1853) und Prag (1853) und machte auch als einer der ersten Fotografien der Kunstwerke dieser Städte. Nach Jahren kirchlicher und gesellschaftlicher Ausgrenzung, die auch seinem kritischen Charakter zuzuschreiben ist, glänzte er dann ab 1858 als Universitätsprediger in St. Ludwig in München, und erst 1863, also ein Jahr vor seinem Tod, wurde ihm mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Freiburg, der wohlwollenden erzbischöflichen Aufnahme seiner Schrift gegen Ernest Renan 1864 und der Beteiligung an der Versammlung katholischer Gelehrter in München, die sein Freund Ignaz von Döllinger initiiert hatte, die von ihm ersehnte kirchliche und gesellschaftliche Anerkennung zuteil. Er starb am 9. September 1864 in Bad Pfäfers in der Schweiz. Nach einer 50-jährigen Zeit des Vergessens erhielt er posthume Anerkennung als philosophische Referenz für das Hochland.

Denken

Martin Deutinger versucht eine eigenständige Erneuerung des christlichen Denkens angesichts der Herausforderungen des Idealismus und der Romantik. Er befindet sich im übrigen im Wechselspiel mit der katholischen Spätromantik (Joseph von Eichendorff). Deutingers Kenntnis der antiken Philosophie, sein Anschluss an die spätere Scholastik in einer spezifischen Form (Wille statt Intellekt als Ausgangspunkt, dem ‚lullistisch’ geprägten Katalanen Raimundus von Sabunde († 1438 in Toulouse) folgend), seine Präsenz in der zeitgenössischen Herausforderung der idealistischen Philosophie, von welcher er das Subjektdenken übernimmt, das alles lässt eine neue theologische Kombinatorik entstehen, welche den Glauben aus seiner durch kritische Zeitgenossenschaft provozierten intrinsischen Kraft heraus zu erneuern sucht. Aus diesem Grund stellt der Ansatz Deutingers einen interessanten Versuch dar, auf dieser Basis zustimmend oder ablehnend eine eigene philosophische Position zu finden, die sich nicht zugleich durch regressive Katholizität auszeichnet. Ausgehend von dem Wunsch, christliche Religion und modernes Denken zusammenzudenken, unterscheidet sich Deutinger von allzu restriktiven Tendenzen innerhalb von Kirche und Theologie der damaligen Zeit in seiner offenen Katholizität durch die Fähigkeit, nicht in sich zueinander hierarchisch verhaltenden Substanzen, sondern prozessual zu denken: Innerlichkeit, die aus der Äußerlichkeit, die aus der Innerlichkeit hervorgeht.

Das Streben, bzw. das aus seiner Reinigung und Vertiefung stammende geistige Wollen ist bei Deutinger als Grundkategorie des philosophischen Gerüsts zu betrachten. Eine Phänomenologie des Fühlens wie bei Schleiermacher wird dagegen weniger eingesetzt. Eher wird das ‚Fühlen’ als sublimierendes Element von der Anthropologie des Strebens und von der Vergeistigung des Wollens her entfaltet. Die Vorliebe für Sabunde ist dabei dadurch zu erklären, dass dieser nicht nur dem Streben und Wollen Profil gibt, sondern dass er auch den ‚liber vivus’, das Buch der Schöpfung, in Korrespondenz zum ‚liber revelationis’ (Offenbarung) sieht. Dabei wird dieser aber auf die Korrespondenz mit einer Subjektphilosophie ausgerichtet, denn es ist die (objektive) Transformation des subjektiven Bewusstseins, die im Spiel zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit der Schöpfungserfahrung bis zu dem Punkt führt, an dem die göttliche Intentionalität sich im Menschen spiegelt und diesen im Kunstschaffen zum Mitschöpfer werden lässt. Wissen, Sollen und Hoffen, die kantsche Trias, wird von Deutinger durch Denken, Können und Tun (Erkenntnis, Kunst und Moral) im Horizont von Glaubenswissenschaft gesehen.

Schöpfung und Offenbarung konstituieren die Kunst durch eine sich steigernde Transformation der Schöpfungsästhetik mittels der Inszenierungen des Offenbarungsethos. Anders ausgedrückt: Das menschliche Schöpfungsstreben vollendet sich im Mysterium der Aktivität gottmenschlichen Liebenwollens. Scholastische Teleologie und scholastischer Gradualismus verbünden sich hier mit einem in die Innerlichkeit des Subjekts verlegten Prozess. Die natürliche Offenbarung des Geschaffenen, vermittelt durch das innere Streben des Subjekts, erweckt das Scheinen des Schönen. Dieses wird zum Entdeckungshorizont des hintergründigen Seins in dem Scheinen, welcher mit Offenbarung im Heilssinne korrespondiert. Das Können-Sein des Lebens und das Können-Sein der Kunst werden hier korreliert. Parallelen zu Cusanus sind von Deutinger im Anschluss an Hegel und Schelling beabsichtigt, die sich alle um eine Neuinterpretation von dessen Bedeutung bemühten. Der nähere Zusammenhang zwischen Kunst und Moral beruht ja auch auf einer Aufwertung der ‚vita activa’, wobei der Sinn nicht auf eine Handlungsform, die Kontemplation als ‚operatio intellectus’ eng geführt wird, sondern Sinnfindung und aktive Lebensgestaltung aneinander gebunden sind.

Schriften

  • Besondere Antworten auf eine allgemeine Frage, oder: Über die wahrscheinliche Zukunft der Philosophie und ihr Verhältnis zum Christentum und zur Theologie, in: HPBl 19 (1841) 333–353
  • Über das Verhältnis des hermesischen Systems zur christlichen Wissenschaft, in: HPBl 19 (1841) 658–680
  • Das Verhältnis der Kunst zum Christentum, Regensburg 1843
  • Grundlinien einer positiven Philosophie als vorläufiger Versuch einer Zurückführung aller Theile der Philosophie auf christliche Principien, 6 Bände, Regensburg 1843–1853:
  • Bilder des Geistes in Kunst und Natur, 3 Bände, Augsburg 1850f.
  • Siloah. Zeitschrift für religiösen Fortschritt inner der Kirche, Bände 1/2, Augsburg 1850f
  • Christentum und Humanismus I: Schein und Wesen der menschlichen Bildung, in: HPBl 31 (1853) 133–152
  • Das Princip der neueren Philosophie und die christliche Wissenschaft, Regensburg 1857
  • Franz von Baaders Verhältnis zur Wissenschaft und zur Kirche, in: HPBl 35 (1857) 85–105.165–178
  • Beitrag zur Lösung der Streitfrage über das Verhältnis der Philosophie und Theologie, in: Sonderdruck der Augsburger Postzeitung 1861
  • Das Verhältnis der Freiheit der Wissenschaft zur kirchlichen Auctorität, in: Pius Gams (Hrsg.), Verhandlungen der Versammlung katholischer Gelehrter in München vom 28. Sept. bis 1. Okt. 1863, Regensburg 1863
  • Renan und das Wunder. Ein Beitrag zur christlichen Apologetik, München 1864
  • Der gegenwärtige Zustand der deutschen Philosophie, München 1866
  • Bilder des Geistes in den Werken der Kunst, Lorenz Kastner (Hrsg.), München 1866
  • Die christliche Ethik nach dem Apostel Johannes, Regensburg 1867
  • Über das Verhältnis der Poesie zur Religion, Karl Muth (Hrsg.), Kempten/München 1915

Literatur

  • Marc-Aeilko Aris: Martin Deutinger und Nikolaus von Kues. Eine Beobachtung zur Cusanus-Rezeption im 19. Jahrhundert, in: MFCG 22 (1995) 147–160
  • Friedrich Wilhelm Bautz: DEUTINGER, Martin. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 1, Hamm 1975, Sp. 1274–1275.
  • Stefan Berger: Zur Grundlegung einer Theologie der Subjektivität. Martin Deutingers philosophisch-theologische Subjekttheorie, Frankfurt a. M. 1985
  • Dominik Bertrand-Pfaff: Eine Poetik der Gabe. Kerygmatische Lebensform im Anschluss an Martin Deutingers Kunst- und Moraltheorie, Fribourg i. Ue. u.a. 2004
  • Bernhard Braun: Martin Deutinger (1815-1864), in: Emerich Coreth SJ u. a. (Hrsg.), Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts, Graz 1988, 285–305
  • Anton Fischer: Metaphysik der Person. Die philosophische Anthropologie Martin Deutingers, Mainz 1951
  • Hans Graßl: Deutinger, Martin. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 3, Duncker & Humblot, Berlin 1957, S. 623.
  • Lothar Kraft: Martin Deutinger. Das Wesen der musikalischen Kunst, Bonn 1963
  • Wolfhart Henckmann: Das Wesen der Kunst in der Ästhetik Martin Deutingers. Ein Beitrag zur romantischen Kunstphilosophie, München 1966
  • Gisbert Kaufmann: Religion und Kunst im Denken Martin Deutingers. Ein Beitrag zur Geschichte der romantischen Kunsttheorie und ihrer Kritik, Münster 1953
  • Walter Mixa: Das Werden der Person durch Glaube, Hoffnung und Liebe nach Martin Deutinger, Essen 1981
  • Jutta Osinski: Katholizismus und deutsche Literatur im 19. Jahrhundert, Paderborn 1993, 207–252
  • Dominik Pfaff: Zwischen Dissonanz und Vermittlung: Martin Deutinger, in: Rolf Kießling (Hrsg.): Die Universität Dillingen und ihre Nachfolger. Stationen und Aspekte einer Hochschule in Schwaben, Dillingen 1999, 765–778
  • Carl von Prantl: Deutinger, Martin. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 5, Duncker & Humblot, Leipzig 1877, S. 90–92.
  • Ludwig Stockinger: Romantik und Katholizismus. Untersuchungen zur Ästhetik der «katholischen Literatur» und zu ihren Anfängen bei Joseph von Eichendorff, Kiel 1988, 152–194
  • Franz Wiedmann: Die Ästhetik Martin Deutingers, in: PhJ 71 (1963) 82–101

Weblinks



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