Maurras

Maurras
Charles Maurras

Charles Maurras (* 20. April 1868 in Martigues; † 16. November 1952 in Tours) war ein französischer Schriftsteller und politischer Publizist.

Der Name und das Wirken Maurras' waren nach 1944 in Frankreich jahrzehntelang quasi tabu, obwohl er zu den einflussreichsten französischen Intellektuellen der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg gehörte.

Leben und Schaffen

Seit frühem Kindesalter stark schwerhörig, wuchs Maurras in einer katholisch- konservativen bürgerlichen Familie auf. Er absolvierte ein katholisches Gymnasium in Aix-en-Provence, erhielt eine solide klassische Bildung, verlor aber früh den Glauben. Nach dem baccalauréat ging er 1885 nach Paris. Hier betätigte er sich als Literaturkritiker, Lyriker, Erzähler und Essayist, der vor allem für konservative und katholische Zeitschriften schrieb. Er schloss Freundschaft mit dem gut 20 Jahre älteren Autor Anatole France (der zu dieser Zeit politisch noch rechts stand, allerdings zugleich Agnostiker war) und geriet in den Bann der progressistischen, d.h. tendenziell eher „linken“ Philosophie des Positivismus.

1891 schloss er sich der kurz zuvor von einigen Literaten, insbes. Jean Moréas, gegründeten „école romane“ an. Diese sah die Wurzeln der französischen Kultur in deren griechisch-römischem Erbe und ihren reinsten Ausdruck in der französischen Klassik des 17. Jahrhunderts, wogegen sie die angeblich jüdisch-germanisch (!) geprägte Romantik als einen Beginn und den späteren Symbolismus als eine "weitere Ursache allen Übels für Frankreich" betrachtete. Literarischer Ausdruck dieser Sicht waren z. B. Maurras' Erzählband Le Chemin du paradis (=der Weg zum Paradies, 1895) oder die Essaysammlung Les amants de Venise (=die venezianischen Liebenden, i.e. die romantischen Autoren George Sand und Alfred de Musset, 1902).

Spätestens 1895 befand er sich politisch auf der Seite der nationalistischen Rechten in Frankreich und stand u.a. mit dem boulangistischen Abgeordneten und Romancier Maurice Barrès in Kontakt.

1896 fuhr er, da er sich schon früh für die Ideen des französischen Sportpädagogen Pierre de Coubertin interessiert hatte, als Reporter für eine französische Zeitschrift zu den ersten Olympischen Spielen in Athen.

In seinen politisch intendierten Büchern, Broschüren und Artikeln propagierte Maurras die Wiedereinführung der Monarchie als Staatsform und (obwohl er selbst Agnostiker war) die Retablierung des Katholizismus als Staatsreligion, wobei er sich von beiden Re-Formen ein weniger zentralistisches, aber ideologisch geeintes, starkes Frankreich erhoffte, das dem aufstrebenden Deutschen Reich wirtschaftlich, militärisch und geistig-moralisch Paroli bieten sollte.

Als 1898 Frankreich tief gespalten wurde durch die Dreyfus-Affäre, den Streit um das zweifelhafte Gerichtsurteil gegen den vermeintlichen prodeutschen Spion Dreyfus, war er einer der aktivsten Anti-Dreyfusards, also kompromissloser Gegner einer Revision des Prozesses oder gar eines Freispruchs. Er schloss sich dem von anderen Anti-Dreyfusards gegründeten nationalistischen Comité d'Action française an und trug maßgeblich bei zu dessen Umformung zu einem straffer organisierten Verband, der Ligue d'Action française, die sich unter seiner Ägide einer monarchistischen, chauvinistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Ideologie verschrieb, dem integralen Nationalismus. Als Organ der „Liga“ diente ab 1899 die von Maurras und seinem Gesinnungsgenossen Léon Daudet geleitete Zeitschrift La Revue de l'Action française. Zunächst eher zwecks Vertrieb der Zeitschrift in den Straßen bildete sich eine Jugendorganisation, Les camelots du roi (dt. die Marktschreier/Hausierer des Königs), die bald auch durch die Schlägereien von sich reden machte, die sie sich mit politisch linken Gruppen lieferte.

1908 ermöglichte der Erfolg der Zeitschrift ihre Umwandlung in eine Tageszeitung unter dem Titel L'Action française. Maurras war einer der wichtigsten Vordenker des konservativen, nationalistischen Frankreichs geworden.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 betätigte er sich als publizistische Stütze der Union sacrée zwischen den rechten Parteien und den Sozialisten, die dem gleichzeitigen "Burgfrieden" der Parteien in Deutschland entsprach.

In der Zwischenkriegszeit wurde die Ligue de l'Action française zahlenmäßig zwar von anderen rechten Organisationen überholt, doch behielt Maurras einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf die rechten Intellektuellen und die rechten Politiker. Entsprechend gerieten viele französische Katholiken und auch Priester in tiefe Loyalitätskonflikte, als 1926 unter dem Einfluss von Gasparri und Confalonieri seine ideologischen Positionen von Pius XI. für unvereinbar mit dem Katholizismus erklärt wurden und seine Schriften sowie die Action française auf den Index kamen, weil darin die Kirche nur als Mittel zu nationalistischen Zwecken instrumentalisiert werde.

1936 wurde Maurras von der zu dieser Zeit überwiegend konservativen Académie française zum Mitglied gewählt.

Nachdem er schon die Machtergreifung des italienischen Faschisten Benito Mussolini begrüßt hatte, sympathisierte er während des Spanischen Bürgerkriegs und danach mit dem faschistoiden Franquismus von General Franco. Trotz seiner notorischen Deutschfeindlichkeit schien ihm auch der Nationalsozialismus Hitlers in vielerlei Hinsicht interessant und besonders in seinem Antisemitismus nachahmenswert.

Die nach den Wahlen von 1936 gebildete „Volksfront-Regierung“ bekämpfte Maurras mit allen Mitteln, wobei er vor antisemitischer persönlicher Hetze gegen den sozialistischen Regierungschef Léon Blum nicht zurückschreckte. Nach der Niederlage Frankreichs 1940 unterstützte er den neuen französischen Staatschef Marschall Philippe Pétain und dessen „Révolution nationale“, die weitgehend von seinen Ideen inspiriert war. Entsprechend billigte er auch Pétains Politik der Kooperation mit dem Deutschen Reich.

1944/45, im Rahmen des allgemeinen Linksschwenks im Frankreich nach der "Libération", wurde Maurras als geistiger Ziehvater Pétains geschmäht und zum prodeutschen Kollaborateur erklärt. Er wurde im September 1944 verhaftet, am 17. Januar 1945 zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt und von seinem Sitz in der Académie française suspendiert (ohne förmlich ausgeschlossen zu werden).

1951 wurde er krankheitshalber begnadigt und in eine Klinik verlegt, wo er im Jahr darauf starb. Kurz vor seinem Tod war er zu der Frömmigkeit seiner Kindheit zurückgekehrt.

In Aix-en-Provence widmet sich ein Zentrum für Maurras-Studien dem Autor und seinem Schaffen.

Literatur

Eine Liste der etwa 75 selbständigen Schriften Maurras' (von denen offenbar so gut wie nichts in deutscher Übersetzung vorliegt) findet man im Anhang der ausführlichen französischen und englischen Wikipedia-Artikel.

  • Ernst Nolte: Der Faschismus in seiner Epoche, 1963 u.ö. (Enthält einen gut dokumentierten Abschnitt über die Action française.)
  • Jacques Prévotat: Les catholiques et l'Action française, histoire d'une condamnation, Fayard, 2001
  • Bruno Goyet: Charles Maurras, Presses de Sciences Po, 2000
  • Philippe Mège: Maurras et le germanisme, Éditions de l'Æncre, 2004, 170 p.
  • Jean Madiran: Maurras toujours là, Consep, Versailles, 2004 (ISBN 2-85162-120-3)

Weblinks


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