Michael Wolffsohn

Michael Wolffsohn

Michael Wolffsohn (* 17. Mai 1947 in Tel Aviv-Jaffa) ist ein deutscher[1] Historiker und Publizist und lehrt an der Universität der Bundeswehr München Neuere Geschichte.

Inhaltsverzeichnis

Lebenslauf

Wolffsohn ist der Sohn einer 1939 nach Palästina geflüchteten jüdischen Kaufmannsfamilie und Enkel des Verlegers und Kinopioniers Karl Wolffsohn. Nach der Einschulung in Israel 1953 übersiedelte er 1954 mit seinen Eltern nach West-Berlin und begann 1966 sein Studium an der Freien Universität Berlin. Von 1967 bis 1970 diente er als Wehrpflichtiger in der israelischen Armee. Währenddessen absolvierte er 1968 zusätzlich das israelische Abitur. Danach kehrte er nach Berlin zurück.

Im Jahre 1975 promovierte er in Geschichte an der FU Berlin und arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter von 1975 bis 1980 an der Universität des Saarlandes. 1979 erfolgte seine Habilitation in Politikwissenschaft und 1980 seine erweiterte Habilitation in Zeitgeschichte - Erweiterung der Venia Legendi. Seit September 1981 lehrt Wolffsohn an der Universität der Bundeswehr in München als Professor für Neuere Geschichte. Im Jahre 1991 hat er dort die Forschungsstelle Deutsch-Jüdische Zeitgeschichte gegründet. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen, der israelischen und deutsch-jüdischen Geschichte sowie der historischen Demoskopie (= Umfragen in vordemoskopischer Zeit). Er ist Autor zahlreicher Bücher und schreibt für mehrere Zeitungen im In- und Ausland, insbesondere für Die Welt und den Tagesspiegel. Wolffsohn ist Mitglied im Stiftungsrat der Eugen-Biser-Stiftung.

Von seinem Großvater Karl Wolffsohn hat er die Gartenstadt Atlantic im Berliner Stadtteil Gesundbrunnen geerbt und sie - auf das gesamte Familienvermögen verzichtend - von 2001 bis 2005 komplett saniert.[2] Seit 2002 ist Wolffsohn Mitglied des Research Board of Advisors im "The American Biographical Institute".

Ab Juli 2008 war Wolffsohn Vorstandsmitglied und Kulturreferent der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Im September 2009 trat er wegen „unüberbrückbarer inhaltlicher und organisatorischer Differenzen“ von diesem Posten zurück.[3] 2010 schloss er sich der Liberalen Jüdischen Gemeinde Beth Shalom in München an.

Politische Positionen

Wolffsohn vertritt die Position eines „deutsch-jüdischen Patrioten in der Tradition der Emanzipation“. Wiederholt unterstrich er, dass die Geschehnisse des Nationalsozialismus keine Gründe gäben, die auf Dauer die Integration des Judentums in die deutsche Nachkriegsgesellschaft belasten müssten; der Nationalsozialismus sei kein Einwand dagegen, dass Juden, zumindest seiner Generation, stolz auf Deutschland sein könnten. Diese Haltung ist besonders in seinem Buch „Keine Angst vor Deutschland!“ beschrieben. Er wirbt für Verständnis für die israelische Position und stand der Friedenspolitik von Jitzhak Rabin nahe. Im Bereich der Sicherheitspolitik und in Bezug auf die Abwehr von Terrorgefahren hält Wolffsohn unter anderem Integrationsdefizite der westeuropäischen Gesellschaften für ein Hauptproblem.

Wolffsohn wird oft als Konservativer bezeichnet. Er stieß wiederholt bei der politischen Linken auf Unverständnis, so etwa mit seiner Haltung zur Terrorbekämpfung der USA oder zu den israelisch-palästinensischen Beziehungen. Ausdrückliche Unterstützung erhalten Wolffsohns Ansichten bei Konservativen und auch bei einigen Publizisten wie Henryk M. Broder und Josef Joffe, dem Mitherausgeber der Zeitschrift Die Zeit.

Im Frühjahr 2004 zog Wolffsohn Kritik auf sich, als er in der n-tv-Talkshow „Maischberger“ am 5. Mai 2004 sagte:

„Wenn wir mit Gentleman-Methoden den Terrorismus bekämpfen wollen, werden wir scheitern. […] Als eines der Mittel gegen Terroristen halte ich Folter oder die Androhung von Folter für legitim.“

Am 3. Mai 2005 schrieb er in der Rheinischen Post einen Artikel zum 8. Mai 1945, dem sich zum 60. Mal jährenden Tag des Kriegsendes in Europa. Wolffsohn schaltete sich in die sogenannte Heuschreckendebatte ein, die der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering durch seine Kritik an den Buy-Out-Praktiken der Private-Equity-Fonds ausgelöst hatte. Müntefering hatte zuvor in einem Interview der Bild-Zeitung ihr Verhalten mit Heuschreckenschwärmen verglichen. Wolffsohn kritisierte die angebliche Gleichsetzung von Menschen mit Tieren und unterstellte der SPD in dem Nazivergleich Antisemitismus:

„In der größten Regierungspartei des heutigen Deutschlands kursiere eine schwarze Liste von vermeintlich hyperkapitalistischen Unternehmen. Mindestens zwei sind „jüdisch” bzw. tragen jüdische Namen. Das wird, anders als ‚damals‘, natürlich nicht offen erwähnt, doch wer’s weiß, der weiß. […] 60 Jahre ‚danach‘ werden heute wieder Menschen mit Tieren gleichgesetzt, die – das schwingt unausgesprochen mit – als ‚Plage‘ vernichtet, ‚ausgerottet‘ werden müssen. Heute nennt man diese ‚Plage‘ ‚Heuschrecken‘, damals ‚Ratten‘ oder ‚Judenschweine‘. Worte aus dem Wörterbuch des Unmenschen, weil Menschen das Menschsein abgesprochen wird.“

Mehrere führende Politiker der rot-grünen Regierungskoalition und der FDP forderten daraufhin zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres ein dienstrechtliches Vorgehen gegenüber Wolffsohn, was jedoch Verteidigungsminister Peter Struck als Dienstherr der Münchener Bundeswehr-Universität ablehnte. Paul Spiegel, der damalige Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, stellte fest, dass Vergleiche von Menschen mit Tieren „grundsätzlich unglücklich“ seien, bezeichnete einen Nazivergleich in Zusammenhang mit Müntefering und der SPD aber als absurd. Für Wolffsohn sind „Kerner & Co die Inquisitoren von heute und Äußerungen von Eva Herman nicht schuld am neuheidnischen Antisemitismus des neuen Jahrtausends“.[4]

Wolffsohn ist Unterstützer des Zentrums gegen Vertreibungen des Bundes der Vertriebenen.[5]

Am 7. März 2008 sprach sich Wolffsohn im Deutschlandradio Kultur für das Eiserne Kreuz als Orden für Bundeswehrsoldaten aus.[6]

Die Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte im Usus antiquor durch Benedikt XVI., in der wieder für die Bekehrung der Juden zum „wahren“, also dem christlichen Glauben gebetet werden kann, kommentierte Wolffsohn im März 2008: dies sei „der größte theologische Rückschritt in Bezug auf das Judentum der katholischen Kirche seit 1945.“[7]

Im August 2009 beklagte Wolffsohn in einem Interview mit der Zeitung Die Welt[8] die „Ossifizierung“ der Bundeswehr, die durch den überproportionalen Anteil Ostdeutscher zu einer „Unterschichtenarmee“ zu werden drohe. Wolffsohn verteidigte in Die Welt damit auch die Bundeswehrführung vor Kritik wegen vorkommender Missbrauchsfälle in der Bundeswehr.[9] Nach Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland wiederholte Wolffsohn im April 2011 seine Thesen in Die Welt[10], was zu einer öffentlichen Diskussion führte und worauf Verteidigungsminister Thomas de Maizière mit einer Replik ebenfalls in Die Welt antwortete[11].

Wolffsohn schlägt zur Lösung des Nahostkonflikts eine "Bundesrepublik Jordanien-Palästina" vor.[12]

Auszeichnungen

Werke (Auswahl)

  • Michael Wolffsohn; Thomas Brechenmacher: Deutschland, jüdisch Heimatland. Die Geschichte der deutschen Juden vom Kaiserreich bis heute. Piper Verlag, München 2008. ISBN 978-3492042444
  • Michael Wolffsohn: Israel. Geschichte, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft. VS Verlag, 7. Auflage, Wiesbaden 2007. ISBN 978-3-531-15654-5
  • Michael Wolffsohn: Michael biographisch. Wurzel und Karriere eines Namens. Aufsatz in der Zeitschrift der Akademie zur Debatte, Katholische Akademie in Bayern, 6/2007
  • Michael Wolffsohn; Thomas Brechenmacher: Denkmalsturz? Brandts Kniefall, 178 Seiten, Olzog Verlag, München 2005. ISBN 3-7892-8162-X
  • Michael Wolffsohn (Herausgeber): Ausgerechnet Israel? Prominente Deutsche über einen wichtigen Partner. Ars uns-Verlag, Neuried 2003. ISBN 3-8939-1313-0
  • Michael Wolffsohn: Tod. Tabu der Gesellschaft. München, Babel-Verlag, 2003. ISBN 392855199X
  • Michael Wolffsohn; Thomas Brechenmacher (Herausgeber): Geschichte als Falle. Deutschland und die jüdische Welt. Ars una-Verlag, Neuried 2001. ISBN 3-8939-1311-4
  • Michael Wolffsohn; Thomas Brechenmacher: Die Deutschen und ihre Vornamen. 200 Jahre Politik und öffentliche Meinung. Diana Verlag, München/Zürich 1999. ISBN 3-8284-5018-0
  • Michael Wolffsohn; Meine Juden - eure Juden, Verlag Piper München. ISBN 3-492-22726-0

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Lebenslauf Michael Wolffsohns auf dessen eigener Website. Abgerufen am 20. August 2010.
  2. Bericht in Berlin.de über die GartenstadtDezember 2006
  3. Pressemitteilung von Professor Wolffsohn (vom 11. September 2009)
  4. Kerner & Co sind die Inquisitoren von heute. In: Netzeitung, 20. Oktober 2007.
  5. Wolffsohn als Unterstützer des „Zentrums gegen Vertreibungen“ „Bundes der Vertriebenen“.
  6. „Wahrlich nicht das Schlechteste“. Historiker plädiert für Wiedereinführung des Eisernen Kreuzes. Interview in Deutschlandradio Kultur, 7. März 2008.
  7. Größter theologischer Rückschritt seit 1945. Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), 11. März 2008. Auf: wolffsohn.de, 13. März 2008.
  8. Analyse. Die Bundeswehr ist eine Unterschichtenarmee. In: Welt Online, 21. August 2009.
  9. Die Bundeswehr ist keine Armee für Lyriker. In: Welt Online, 24. Februar 2010.
  10. Stirbt in Zukunft nur der Osten fürs Vaterland? Die Welt, 4. April 2011, abgerufen am 25. Juni 2011.
  11. Die Bundeswehr ist keine Unterschichtenarmee! Die Welt, 12. April 2011, abgerufen am 25. Juni 2011.
  12. Neu-Staaten-Lösung. In: Jüdische Allgemeine. 30. Juni 2011, abgerufen am 3. Juli 2011.

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