Muhammad Kalisch

Muhammad Kalisch

Muhammad Sven Kalisch (* 21. März 1966 in Hamburg, als Sven Kalisch) ist ein deutscher Islamwissenschaftler. Er war Inhaber des ersten Lehrstuhls für die Ausbildung islamischer Religionslehrer in der Bundesrepublik Deutschland und unterrichtet an der Universität Münster.

Inhaltsverzeichnis

Kurzbiografie

Kalisch war 15 Jahre alt, als er vom Protestantismus zum Islam konvertierte. Er rechnete sich der Glaubensrichtung der Zaiditen (Fünfer-Schiiten) zu und versteht sich als Neoplatoniker.[1] 1997 promovierte er am Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Technischen Hochschule Darmstadt, der Titel seiner Doktorarbeit lautete „Vernunft und Flexibilität in der islamischen Rechtsmethodik“. Danach arbeitete er bis 2001 als selbstständiger Rechtsanwalt in Hamburg. Im Jahre 2002 habilitierte er sich im Fach Islamwissenschaft an der Universität Hamburg mit der Schrift Fiqh und Usul-al-fiqh in der Zaidiya. Die historische Entwicklung der Zaidiya als Rechtsschule. Im Anschluss erteilte ihm die Universität Hamburg die Lehrbefugnis als Privatdozent für das Fach Islamwissenschaft.

Seit 2004 ist Kalisch ordentlicher Universitätsprofessor für „Religion des Islam“ am Centrum für Religiöse Studien (CRS) der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Mit seiner Berufung werden zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland angehende Lehrer für islamischen Religionsunterricht bzw. dessen Ersatzfach Islamkunde an einer deutschen Universität ausgebildet. Der Zusatzstudiengang qualifiziert Lehramtsstudentinnen und Lehramtsstudenten für alle Schulformen. Der Lehramtsstudiengang in Münster umfasst übergeordnet Koran, Geschichte des Islam, Mohammed, Fiqh und Ilm al-Kalam. 2008 hat das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium Kalisch aufgrund seiner umstrittenen Thesen zur Existenz des Religionsstifters Muhammad von der Lehrerausbildung entbunden. Nach Aussage des NRW-Wissenschaftsministers Andreas Pinkwart soll eine neue Professur besetzt werden, die den Münsteraner Studiengang künftig anstelle von Kalischs Lehrstuhl verantworten wird.[2]

Kalisch ist Mitglied des Kuratoriums der Muslimischen Akademie in Deutschland und hat auch für das Islamische Zentrum Hamburg gearbeitet.

Aktuelles

Der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) beendete im September 2008 seine Mitarbeit im Beirat des Centrums für Religiöse Studien an der Universität Münster. Der damalige Sprecher der KRM Ali Kizilkaya sagte, man könne niemandem empfehlen, bei Professor Kalisch zu studieren, weil er grundsätzliche Lehren des Islam, wie die Existenz Mohammeds und die Grundlagen der Entstehung des Koran, in Zweifel ziehe. Neben der Existenz Mohammeds zweifele Kalisch auch die historische Existenz Jesu, Moses, Abrahams und anderer Propheten der islamischen, christlichen und jüdischen Tradtitionen an. Bezüglich seiner Thesen hat Kalisch für das kommende Jahr die Veröffentlichung eines Buches angekündigt.[3] Zur Kritik der Islamverbände erklärt Kalisch, er halte deren Vorstellung von Theologie für nicht zeitgemäß und möchte die Weichen für die islamische Theologie in Richtung einer historisch-kritischen Forschung gestellt wissen.[4]

Mit seiner theologischen Meinung gilt Kalisch als Vertreter der so genannten Radikalkritik. Dem Magazin Focus sagte er: „Ich vertrete zwar nicht pauschal die Theorien der Saarbrücker Schule der Islam-Wissenschaft, dass der Koran im Grunde ein christlicher Text sei. Ich begrüße aber die methodischen Ansätze, archäologische Zeugnisse, Münzen und Überlieferungen außerhalb des Islam zur Forschung heranzuziehen.“[5]; mit dem Begriff "Saarbrücker Schule" bezieht sich Kalisch auf umstrittene Theorien, die unter anderem von Karl-Heinz Ohlig, Gerd R. Puin und Christoph Luxenberg vertreten werden; alle drei lehrten, lehren an der Universität des Saarlands oder sind mit der Institution assoziiert.

In Zusammenhang mit der theologischen Auseinandersetzung urteilt Kalischs frühere Assistentin Lamya Kaddor, die bereits im März 2008 ihre Stelle gekündigt und den Lehrstuhl verlassen hatte: „Ich glaube, dass Prof. Kalisch anfänglich eine angemessene Besetzung für diesen Lehrstuhl war“. Sie sei aber nach ausführlichen theologischen Auseinandersetzungen zu der Überzeugung gelangt, „dass er den Aufgaben des Lehrstuhls mittlerweile nicht mehr gerecht wird.“[6] Die islamkritische Autorin Seyran Ates, die Turkologin Ursula Spuler-Stegemann, die Islamwissenschaftler Tilman Nagel, Nasr Hamid Abu Zayd, der Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Deutschland, Ali Ertan Toprak und andere haben in einem öffentlichen Aufruf ihre Solidarität für Kalisch geäußert.[7]

Kalisch selbst fühlt sich nach eigener Aussage bedroht. Dass manche konservativen Muslime nun seinen ersten Vornamen Muhammad wegließen und ihn nur noch Sven Kalisch nannten, empfinde er als kaum verhüllte Drohung, erklärte Kalisch dem Spiegel. Die Botschaft sei klar. „Einige betrachten mich nicht mehr als Muslim.“ (siehe hierzu Apostasie im Islam)[8]

Zum ersten Mal haben sich die Studierenden von Kalisch zu Wort gemeldet. 22 von 31 dieser Studierenden fordern in einem Schreiben an das Rektorat der Universität Münster die Absetzung von Kalisch von der Lehrerausbildung, damit sie später überhaupt noch eine Chance haben als islamische Religionslehrer eingestellt und von den muslimischen Eltern und Gemeinden anerkannt zu werden. Weiterhin kritisieren diese 22 Studierende, dass zu Kalischs Veranstaltungen keine Alternative angeboten werde und er somit als einziger die Prüfungsberechtigung habe. Diese 22 Studierende von insgesamt 31 haben bekannt gegeben, dass sie alle Veranstaltungen für die Ausbildung von Islamlehrern boykottieren werden. In einem zweiten Schritt, so die Ankündigung wollen sie sich exmatrikulieren.[9][10]

Aufgrund von Drohungen muslimischer Fundamentalisten befindet sich Professor Kalisch unter Polizeischutz und sein Büro wurde an einen nicht-öffentlichen Ort verlegt. Seine Vorlesungen finden unter konspirativen Umständen statt. Die Suche nach einem Nachfolger auf seinem Lehrstuhl gestaltet sich schwierig, soll aber bald abgeschlossen sein.[11]

Publikationen und Aufsätze (Auswahl)

  • Frieden aus der Sicht des Islam. in: Islam im Dialog, Jahrgang 1, Nr. 4, Winter 2002, S. 13-28.
  • Islamische Wirtschaftsethik in einer islamischen und in einer nichtislamischen Umwelt. in: Hans G. Nutzinger (Hrsg.): Christliche, jüdische und islamische Wirtschaftsethik – Über religiöse Grundlagen wirtschaftlichen Verhaltens in der säkularen Gesellschaft, Marburg 2003, S. 105–129.
  • Usul az-Zaidiya wa-nascharāt al-firaq al-islāmiyya. (in arabischer Sprache, „Die Grundlagen der Zaidiya und die Veröffentlichungen der islamischen Richtungen“), in: Al-Masār, Vol. 5, Issue 2, 2004, S. 27–70.
  • Glaube und Gesetz aus Sicht der islamischen Rechtsschulen in: Murest, Multireligiöse Studiengruppe (Hrsg.): Handbuch interreligiöser Dialog. Aus katholischer, evangelischer, sunnitscher und alevitischer Perspektive. Köln 2006. ISBN 3-00-017959-3

Weblinks

Einzelnachweise

  1. „Ich bin ein Häretiker“, Rheinischer Merkur am 16. Oktober 2008
  2. Die Welt, 16. September 2008, [1]
  3. Focus, 22.September 2008, S. 70ff.
  4. Radio Vatikan: Moslems kündigen Theologie-Professor, 6. September 2008
  5. Focus, 22. September 2008. Nr. 39. S. 70 und 72; Welt online, 21. September 2008 [2]
  6. Zentralrat der Muslime in Deutschland: Muslime distanzieren sich vom Münsteraner „Islam“-Lehrstuhl, 5. September 2008
  7. Der Spiegel, 22. September 2008; Welt online, 21. September 2008 [3]; siehe auch Solidaritätserklärung mit dem Lehr- und Forschungsauftrag von Professor Dr. Muhammad Sven Kalisch
  8. Der Spiegel, 22. September 2008, S. 38.
  9. [http://www.muensterschezeitung.de/lokales/muenster/top/Muenster;art993,500585 Pressemeldung der Münsterschen Zeitung vom 05.03.2009
  10. Pressemeldung der Iddenbürener Zeitung vomn 1..03.2009
  11. Pressemeldung der Rheinischen Post vom 24.04.2009, abrufbar als html, zuletzt abgerufen am24.04.2009

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