NE555

NE555

Der NE555 (oft kurz 555 genannt) ist ein integrierter Schaltkreis (IC) für Timer- oder Oszillator-Schaltungen. Ein Anwendungsbeispiel für die Timerfunktion ist ein Treppenlichtautomat, der das Licht auf Tastendruck einmalig ein- und nach einer vorbestimmten Zeit wieder ausschaltet. Eine Oszillatorfunktion ist beispielsweise in einem Blinklicht oder elektronischen Metronom zu finden, bei welchem ein Signal periodisch ein- und wieder ausgeschaltet wird.

Der NE555 entwickelte sich wegen seiner Vielseitigkeit – die Einsatzgebiete reichen vom Spielzeug bis zur Raumfahrt – zum meistverkauften IC der Welt.

Signetics NE555 (Gehäuse DIP-8, hergestellt 1978 KW 28)

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die des 555

Die Entwicklung des NE555 erfolgte 1970 bis 1971 für den US-amerikanischen Halbleiterhersteller Signetics (später Philips Semiconductors). Das Entwicklungsprojekt war anfänglich sehr umstritten: Timerschaltungen wurden zuvor meist mit Operationsverstärkern oder Komparatoren gebaut, die einen Großteil der von Signetics hergestellten Analogschaltungen ausmachten. Einerseits wurde bezweifelt, dass überhaupt ein Markt für spezialisierte Timer-IC bestünde, andererseits befürchtet, ein Timer-IC könnte die Verkäufe der Operationsverstärker mindern (Kannibalisierung).

Signetics beauftragte den gebürtigen Schweizer Hans R. Camenzind mit dem Design des NE555. Dieser hatte zuvor die Schaltkreise NE565/NE567 (Phase-Locked Loop (PLL)) und NE566 (Voltage-Controlled Oscillator (VCO)) entwickelt, die jeweils einen stabilen, von Temperatur und Versorgungsspannung weitgehend unbeeinflussten Oszillator enthalten.

Der erste Entwurf des NE555 basierte deshalb auf einem ähnlichen Oszillator, bei dem ebenfalls ein externer Kondensator von einer Konstantstromquelle (bzw. von einem Spannungs-Strom-Wandler und mehreren Stromspiegeln) linear aufgeladen bzw. entladen wurde und eine Dreieckspannung produzierte.

Nach Abschluss des Entwurfs und dessen Überprüfung und Genehmigung durch Signetics verwarf Hans Camenzind sein Design nochmals: Er ersetzte die Konstantstromquelle durch einen einzelnen externen Widerstand. Das erlaubte es, anstelle des 14-poligen Gehäuses ein 8-poliges zu verwenden (mit Konstantstromquelle wären 9 Anschlüsse notwendig gewesen, Signetics stellte jedoch nur 8- oder 14-polige DIP her). Obwohl die Aufladung bzw. Entladung des Kondensators über einen Widerstand nicht linear erfolgt, hat eine Änderung der Versorgungsspannung keine Auswirkungen, da der Timer den Ladezustand des Kondensators ratiometrisch (d. h. im Verhältnis zur Versorgungsspannung) vergleicht. Als Nebeneffekt war die neue Schaltung stabiler gegenüber Temperaturschwankungen.

Ab 1972 wurde der NE555 in Massenfertigung hergestellt. Die Nachfrage übertraf die Erwartungen, im ersten Quartal verkaufte Signetics mehr als eine halbe Million Stück. Die übrigen Halbleiterhersteller bauten den NE555 sehr schnell nach: Bereits ein halbes Jahr nach dessen Erscheinen waren 555er-Kopien von acht verschiedenen Herstellern auf dem Markt. Solche Nachbauten waren in den 1970er Jahren bis zum Semiconductor Chip Protection Act von 1984 allgemein üblich. Ab 1973 war der 555 jedes Jahr das meistverkaufte IC der Welt. 2003, über 30 Jahre später, betrug die Jahresproduktion etwa eine Milliarde Stück.

Aus heutiger Sicht ist der NE555 technisch veraltet: Die Versorgungsspannung muss über 4,5 V liegen, der Ruhestrom ist mit bis zu 15 mA sehr hoch und die Ausgangsstufe erzeugt bei jeder Umschaltung deutliche Stromspitzen. Dennoch wird der NE555 von diversen Herstellern immer noch in unveränderter Schaltung produziert, lediglich die Herstellungsprozesse wurden auf kleinere Strukturgrößen umgestellt (Die Shrink). Philips selbst stellte die Produktion des NE555 2003 abrupt und ohne die übliche Vorankündigung ein, da beim Brand ihrer Fabrik in Caen die letzte Verarbeitungslinie für die verwendeten Prozesse zerstört wurde.

Die ursprüngliche bipolare Version des Timers-ICs, der NE555, ist längst veraltet; es wurden jedoch Nachfolger mit CMOS-Technologie entwickelt, wie beispielsweise LMC555 (National Semiconductor), TLC555 (Texas Instruments), ICM7555 (verschiedene Hersteller). Auch die Dual-Variante (ICM7556) gibt es.[1] Die CMOS-Versionen sind elektrisch und pinout-kompatibel zu den Bipolar-Typen. Zu beachten ist aber, dass die Ausgangstransistoren der bipolaren Version bis zu 200 mA belastbar sind, was bei den CMOS-Versionen nicht unbedingt gegeben ist. Auch sollte ein Blick auf die maximal zulässige Versorgungsspannung geworfen werden. Die CMOS-Versionen aber haben eine höhere Grenzfrequenz, geringeren Stromverbrauch und noch einige andere Vorteile. Diese Typen sind nach wie vor zum Beispiel als Timer, Impulsgenerator, zur Frequenzmodulation (VCO) usw. sehr aktuell und beliebt.

Aufbau

Pinbelegung
Blockschaltbild des NE555

Der NE555 enthält das Äquivalent von 23 Transistoren, zwei Dioden und 16 Widerständen (Small Scale Integration SSI), die zusammen sechs Funktionsblöcke bilden:

  • Zwischen der Versorgungsspannung Vcc(+) und der Masse GND(−) befindet sich ein Spannungsteiler aus drei identischen Widerständen, der, wenn nicht von außen beschaltet, die beiden Referenzspannungen ¹/3 Vcc und ²/3 Vcc liefert. Letztere ist am Anschluss-Pin Control Voltage verfügbar.
  • Zwei Komparatoren sind jeweils mit einer der Referenzspannungen verbunden, während die beiden anderen Eingänge direkt auf die Anschlüsse Trigger bzw. Threshold geführt sind.
  • Ein Flipflop speichert den Zustand des Timers und wird über die beiden Komparatoren angesteuert. Über den Reset-Anschluss, der die beiden anderen Eingänge übersteuert, kann das Flipflop (und damit der gesamte Timer-Baustein) jederzeit zurückgesetzt werden.
  • Am Ausgang des Flipflops folgt eine Ausgangsstufe mit Totem-Pole-Ausgang, die am Anschluss Output mit bis zu 200 mA belastet werden kann.
  • Parallel zur Ausgangsstufe ist ein Transistor angeschlossen, dessen Kollektor am Anschluss Discharge liegt. Dieser Transistor ist immer dann durchgeschaltet, wenn der Ausgang Low-Pegel hat.

Betriebsdaten

Diese Angaben gelten für den NE555. Andere 555 Timer können abweichende Spezifikationen haben – je nach Anwendungsbereich und -bauart (Militär, Medizin, etc.).

Versorgungsspannung (Vcc) 4,5 – 15 V
Versorgungsstromstärke (Vcc = +5 V) 3 – 6 mA
Versorgungsstromstärke (Vcc = +15 V) 10 – 15 mA
Ausgangsstromstärke (maximal) 200 mA
Maximale Verlustleistung 600 mW
Leistungsverbrauch (minimal) 30 mW (bei 5 V), 225 mW (bei 15 V)
Betriebstemperatur 0 – 70 °C

Varianten und Derivate

Die 555er werden in einer großen Vielfalt produziert:

  • Temperaturbereich: Signetics/Philips bezeichnete Varianten mit erweitertem Temperaturbereich als SA555 bzw. SE555.
  • Hersteller: Sehr viele Halbleiterhersteller haben den 555 nachgebaut und ebenfalls NE555 benannt. Teilweise werden andere Typenbezeichnungen verwendet, beispielsweise MC1455 von ON Semiconductor (früher Motorola), LM555 von National Semiconductor, KA555 von Fairchild Semiconductor (früher Samsung) oder SN72555 von Texas Instruments.
  • Gehäuse: Der NE555 wurde von Anfang an nicht nur in Plastikgehäusen (DIP), sondern für Militär- und Weltraumanwendungen auch in hermetisch dichten Metall- (TO-78 "metal can") oder Keramikgehäusen (CERDIP, LCC) hergestellt. Später folgten Varianten als Surface Mounted Device (SOIC, SSOP, TSSOP, usw.).
  • Anzahl Schaltkreise: Verschiedene Hersteller produzieren neben dem 555 auch einen 556 mit zwei 555-Timern auf einem Chip (in einem 14-poligen Gehäuse). Der 558 beinhaltet vier Schaltkreise, die sich jedoch etwas vom 555 unterscheiden (Discharge und Threshold sind verbunden, Trigger reagiert auf fallende Flanke, der Ausgang ist Open-Collector).
  • Design: Verschiedene Hersteller produzieren 555-kompatible Schaltungen in CMOS-Technologie, beispielsweise ICM7555 von Intersil (früher Harris Semiconductor), LMC555 von National Semiconductor oder TLC551 und TLC555 von Texas Instruments. Diese CMOS-Bausteine haben einen geringeren Stromverbrauch, erlauben aufgrund des geringeren Eingangsstromes größere Widerstandswerte, haben Rail-to-Rail-Ausgänge und zur Entladung statt des Bipolartransistors einen open-drain-MOSFET. Sie haben jedoch einen kleineren maximalen Ausgangsstrom. Zetex hat mit dem ZSCT1555 eine neue bipolare Version herausgebracht, die in einem Spannungsbereich bis hinunter auf 0,9 V arbeitet und somit für den Betrieb aus einer einzelnen Batterie-Zelle geeignet ist. Dieses Design stammt ebenfalls von Hans Camenzind.[2]
  • Verhaltensmodifikationen: Die von den Herstellern der 555-Familie angewandten und voneinander abweichenden Schaltkreislayouts und Technologien wirken sich auf die Priorität bestimmter Eingangsinformationen aus. So konnten unterschiedliche input-output-Tabellen ermittelt werden, deren Kenntnis zur Schaltungsinterpretation erforderlich ist.
Oszillatorschaltung (z.B. Blinklicht)
Monostabile Kippstufe (z.B. Treppenlichtautomat)
Hersteller Modell Anmerkung
Avago Technologies Av-555M
Custom Silicon Solutions CSS555/CSS555C CMOS (ab 1,2 V), IDD < 5 µA
CEMI ULY7855
ECG Philips ECG955M
Exar XR-555
Fairchild Semiconductor NE555/KA555
Harris HA555
IK Semicon ILC555 CMOS (ab 2 V)
Intersil SE555/NE555
Intersil ICM7555 CMOS
Lithic Systems LC555
Maxim ICM7555 CMOS (ab 2 V)
Motorola MC1455/MC1555
National Semiconductor LM1455/LM555/LM555C
National Semiconductor LMC555 CMOS (ab 1,5 V)
NTE Sylvania NTE955M
Raytheon RM555/RC555
RCA CA555/CA555C
STMicroelectronics NE555N/ K3T647
Texas Instruments SN52555/SN72555
Texas Instruments TLC555 CMOS (ab 2 V)
UdSSR K1006ВИ1
Zetex ZSCT1555 bis zu 0,9 V
NXP Semiconductors ICM7555 CMOS
HFO (DDR) B555

Dual-Timer 556

Vom 555 gibt es auch eine Dual-Variante – den 556. Er enthält zwei identische 555.

Quad-Timer 558

Die Quad-Version ist der 558 und besitzt 16 Pins. Um vier 555 in einen 16 Pin-Gehäuse unterzubringen, werden Steuerung, Spannung und Reset-Leitungen von allen vier Modulen geteilt. Auch für jedes Modul sind discharge und threshold intern miteinander verschaltet und werden als Timing bezeichnet.

Literatur

  • Philips Semiconductors, NE/SA/SE555/SE555C Product Specification. Philips Semiconductors, 1994, (Nr. 853-0036 13721).
  • Philips Semiconductors, NE555 and NE556 applications. Philips Semiconductors, 1988, Application Note AN170.
  • Hans Camenzind: Designing Analog Chips. Virtualbookworm.com Publishing, College Station, TX 2005, ISBN 1-58939-718-5 (Ch 11: Timers and Oscillators).
  • Karl-Heinz Bläsing, Klaus Schlenzig: Timerschaltkreise B 555 D und B 556 D Informationen und Applikationen, MV – Berlin, 1984.
  • Tony van Roon (1995): "555 Timer Tutorial" Tony van Roon (VA3AVR) Website.
  • Patrick Schnabel, Thomas Schaerer: Timer 555 Grundlagen, anwendungsorientierte Schaltungen und Auszüge aus Datenblättern zu einem Elektronik-Workshop. Das Elektronik-Kompendium.

Weblinks

 Commons: NE555 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Jung, Walter G. (1983) "IC Timer Cookbook, Second Edition," S. 40–41. Sams Technical Publishing; 2nd ed. ISBN 978-0-672-21932-0. Abgerufen am 5. April 2010.
  2. Hans R. Camenzind: Redesigning the old 555. In: IEEE Spectrum. Volume 34/Issue 9/September 1997. IEEE Press, S. 80–85, ISSN 0018-9235.

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