Nancarrow

Nancarrow

Samuel Conlon Nancarrow (* 27. Oktober 1912 in Texarkana, Arkansas; † 10. August 1997 in Mexiko-Stadt) war ein mexikanischer Komponist US-amerikanischer Herkunft.

Nancarrow wurde bekannt mit seinen 51 Studien (studies) für Player-Piano. Der Komponist stanzte seine Kompositionen für elektro-mechanische Selbstspielklaviere direkt in die Notenrollen der Klaviere. Die starken und breiten Papierstreifen, mit denen Nancarrow die Mechanik solcher Klaviere ansteuerte, sind in etwa vergleichbar den bei älteren Computern verwendeten Lochstreifen oder -karten. So konnte Nancarrow in Hinsicht auf Tempo, Rhythmus und Metrum neuartige musikalische Strukturen realisieren, die über die manuelle Spielfähigkeit von Pianisten weit hinausgehen.

Die Hinwendung zum vorher von Komponisten weitgehend unbeachteten Player-Piano ergab sich aus frühen Erfahrungen mit der schlechten Aufführungsqualität seiner schwer spielbaren Kompositionen, aber auch aus Nancarrows Situation im mexikanischen Exil, wo er von Institutionen, die moderne Musik aufführen oder Komponisten fördern, isoliert war. Ab 1947 schrieb Nancarrow ausschließlich für dieses Instrument, für das er sich eigene Werkzeuge und Stanzmaschinen baute, auch der Klang des Klavieres wurde modifiziert.

Selbst in der Szene der Neuen Musik blieb Nancarrow lange Zeit weitgehend unbekannt. Erst in den 1980er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde sein Werk vermehrt aufgeführt und einem größeren Kreis bekannt, vor allem György Ligeti förderte die Verbreitung von Nancarrows Werk.

Der Nachlass von Nancarrow samt Instrumenten und seiner Stanzeinrichtung befindet sich in der Paul-Sacher-Stiftung in Basel.

Leben

1930 Studium am Konservatorium von Cincinnati (Trompete)
1934 studiert er in Boston Komposition bei Walter Piston, Roger Sessions und Nicolas Slonimsky; wird vorübergehend Mitglied der Kommunistischen Partei der USA
1936 kommt Nancarrow als Jazztrompeter auf einem Dampfer nach Europa; besucht London, Paris und Deutschland
1937 geht Nancarrow als Soldat der Abraham-Lincoln-Brigade nach Spanien und kämpft dort im Bürgerkrieg auf republikanischer Seite.
1938 Erste Werke werden publiziert
1939 Nach der Niederlage der republikanischen Seite im spanischen Bürgerkrieg kehrt Nancarrow schwer verletzt in die USA zurück und zieht dort nach New York; durch einen Artikel des Komponisten Henry Cowell wird er erstmalig auf die kompositorischen Möglichkeiten des Player-Piano aufmerksam.
1940 bekommt Nancarrow wie viele seiner Kameraden von der Lincoln-Brigade zunehmend politisch motivierte Schwierigkeiten in den USA (z. B. in Pass-/Visa-Angelegenheiten); Nancarrow verlässt daraufhin die Vereinigten Staaten und zieht nach Mexiko.
1947 Nancarrow kauft sich in New York ein Player-Piano von AMPICO und ein Gerät zum Stanzen der zugehörigen Notenrollen.
1948 Nancarrow lässt sich endgültig in Mexiko nieder; beginnt mit der Komposition von Stücken für Player-Piano.
1955 Nancarrow nimmt die mexikanische Staatsbürgerschaft an.
1960 John Cage wird mit der Musik Nancarrows bekannt gemacht; der Choreograf Merce Cunningham, mit dem Cage in dieser Zeit viel zusammenarbeitet, choreografiert daraufhin einige studies.
1969 Erste Schallplattenaufnahmen mit studies
1976 Das Label Arch Records beginnt mit einer Gesamtausgabe der studies (Nr. 1-41 werden bis 1984 veröffentlicht)
1982 stellt Nancarrow, nach Vermittlung durch den ungarischen Komponisten György Ligeti, das erste Mal seine Musik persönlich und "live" dem europäischen Publikum vor.
1983 Auf Anraten von György Ligeti erwirbt und restauriert Jürgen Hocker einen originalen Ampico-Bösendorfer-Selbstspielflügel, um Nancarrows "Studies for Player Piano" in Konzerten aufführbar zu machen.
1986 Erste 'Live'-Aufführung von Nancarrows Studies anlässlich des Holland Festivals in Anwesenheit Nancarrows.
1987-1990 Konzertreisen Nancarrows mit dem Ampico-Bösendorfer Selbstspielflügel nach Köln, Hamburg, Hannover, Berlin, Wien, Paris.
1994/1997 Uraufführung von Nancarrows Studies for two Player Pianos anlässlich der Donaueschinger Musiktage.
1997 Erstmalige Aufführung des Gesamtwerks Nancarrows für Player Piano anlässlich der MusikTriennale Köln (Jürgen Hocker)
1997 Nancarrow stirbt 84-jährig in Mexiko-Stadt.

Literatur

  • Die Musik von Conlon Nancarrow, in: Programmheft zur Documenta 7 (Hrsg. Otfrid Nies, Klaus Marx, Rainer Berger), Juli – Sept., 1. + 2. Aufl., Kassel 1982
    • Nachdruck in: Programmheft zum WDR-Konzert „Musik der Zeit“, Köln, 5. Nov. 1982
    • Nachdruck in: Programmheft zum Konzert „Töne und Gegentöne“ (Wiener Festwochen), Wien, 4. April 1989
  • Conlon Nancarrow. Ein altmodischer Avantgardist? in: FonoForum 7, München 1983, 69-71
  • Conlon Nancarrows Studies for Player Piano – Time is the last frontier in music, in: Melos 4, 46. Jg., Mainz 1984, 104-122 (Korrektur der Druckfehler in Melos 5, 1985, 82)
    • Nachdruck (französisch): „Time is the last frontier in music“ – Les Etudes pour Player Piano de Conlon Nancarrow, in: Contrechamps 6, Lausanne 1986, 50-61
    • Nachdruck in: Programmheft zur 1. Nancarrow-Retrospektive in Frankreich (La Muse en Circuit et Musique Mécanique), Boulogne-Billancourt b. Paris, 21. - 26.Okt. 1991
  • „Ich bin beim Komponieren nur meinen Wünschen gefolgt“. Conlon Nancarrow im Gespräch, in: MusikTexte 21, Köln 1987, 29-32
  • Conlon Nancarrow und die Emanzipation des Tempos. Ein Überblick über die Studies for Player Piano“, in: Neue Zeitschrift für Musik 7/8, Mainz 1989, 32-38
    • Nachdruck (dänisch): Tempöt bestemmer formen: Tempöt som konstituerende faktor i kompositionsprozessen: Conlon Nancarrows Studies for Player Piano, in: Dansk Musik Tidsskrift 4, December 1993/94, 110-117
    • Nachdruck (spanisch):: El tempo como factor de la composición: Studies for Player Piano de Nancarrow, in: Pauta 50-51, Mexico 1994, 101-112
    • Nachdruck (rumänisch): Tempo-ul ca factor componistic. “Studies for Player Piano” de Conlon Nancarrow, in: Muzica (Revista editada de Uniunea Compozitorilor si Muzicologilordin Romania) 5/3, Bukarest 1994, 53-62
  • Conlon Nancarrow und die Emanzipation des Tempos, in: Bericht über das Internat. Symposion „Charles Ives und die amerikanische Musiktraditon bis zur Gegenwart“ (Köln 1988) (Hrsg. Klaus Wolfgang Niemöller), (Kölner Beiträge zur Musikforschung Bd. 164), Regensburg 1990, 249-264
  • Sinnlich-vital und intellektuell-strukturell. Conlon Nancarrow – ein merkwürdiger Sonderling, in: MusikTexte 73/74, Köln 1998, 90-93
  • Thomas Phleps: "Complex, but simple". Conlon Nancarrows tempo-dissonierende Boogie Woogies und Canons für Player Piano. In: Komposition als Kommunikation. Zur Musik des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Constantin Floros, Friedrich Geiger u. Thomas Schäfer (Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft 17). Frankfurt/M. u.a.: Peter Lang 2000, S. 175-205. Pdf: http://www.uni-giessen.de/~g51092/pdf_dateien/Complexbutsimple.pdf
  • Jürgen Hocker: Begegnungen mit Conlon Nancarrow. Schott Musik International, Mainz 2002. ISBN 3-7957-0476-6
  • Hanns-Peter Mederer: Experiment und Form. Beobachtungen zu Conlon Nancarrows study no. 20. In: Musik & Ästhetik. 10. Jahrgang, Heft 38. April 2006. S. 102 - 108.

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