Opitz

Opitz

Opitz, Martin, einflußreicher deutscher Dichter und Kunsttheoretiker, geb. 23. Dez. 1597 in Bunzlau, gest. 20. Aug. 1639 in Danzig, besuchte die Schule seiner Vaterstadt, dann das Magdalenäum in Breslau und 1617 das akademische Gymnasium in Beuthen a. O. und bekleidete darauf in der Familie des Tobias Scultetus eine Hauslehrerstelle. Nachdem er den Winter 1617–18 in Görlitz zugebracht hatte, angeregt durch den Rektor Elias Cüchler, und für dessen Tochter, die er unter dem Namen Asterie besang, begeistert, weilte er einige Zeit in Frankfurt a. O. und begab sich 1619 nach Heidelberg, wo er 17. Juni als Student immatrikuliert wurde und zugleich als Lehrer der Söhne des kurpfälzischen Geheimrats v. Lingelsheim tätig war. Er schloß hier mit einem Kreis junger Talente, unter denen Zinkgref später am bekanntesten geworden ist, Freundschaft. Wegen der Kriegswirren ging er 1620 von Heidelberg nach Holland, wo er sich die Gunst Daniel Heinsius' erwarb, dessen »Lobgesang Jesu Christi« (gedr. 1621) er bereits in Heidelberg übersetzt hatte. Den Winter 1620–21 verbrachte er auf Jütland, wo sein erst 13 Jahre später veröffentlichtes Werk: »Trostgedichte in Widerwärtigkeit des Kriegs« entstand, und folgte ein Jahr später dem Ruf des Fürsten von Siebenbürgen, Bethlen Gabor, zur Übernahme einer Lehrerstelle der Philosophie und schönen Wissenschaften an der hohen Schule zu Weißenburg. Er verfaßte hier sein Gedicht »Zlatna (Name eines anmutig gelegenen Fleckens in Siebenbürgen) oder von Ruhe des Gemüts« und begann ein nie vollendetes großes Werk über die Altertümer DaciensDacia antiqua«). Von Heimweh getrieben, kehrte er schon 1623 nach Schlesien zurück und wurde im folgenden Jahre Rat beim Herzog von Liegnitz und Brieg. Bei einem Besuch in Wien 1625 wurde er für ein Trauergedicht auf den Tod des Erzherzogs Karl vom Kaiser Ferdinand II. eigenhändig gekrönt; später (Weihnachten 1627) wurde er als O. von Bob er feld vom Kaiser in den Adelstand erhoben. Die Fruchtbringende Gesellschaft, die anfangs die Bestrebungen des rührigen und erfolgreichen Dichters nicht mit günstigen Augen ansah, ernannte ihn doch 1629 unter dem Namen »der Gekrönte« zu ihrem Mitglied. Bereits 1626 war er, obwohl selber Protestant, als Sekretär in den Dienst des durch seine grausame Protestantenverfolgung berüchtigten Grafen Karl Hannibal von Dohna getreten. In Dohnas Auftrag übersetzte er auch eine polemische Schrift des Jesuiten Becanus gegen die Protestanten (1631). Durch die neue Stellung wurde es ihm ermöglicht, 1630 nach Paris zu reisen, wo er mit Hugo Grotius bekannt wurde, dessen Schrift »Über die Wahrheit der christlichen Religion« er in Versen ins Deutsche übertrug. Nach dem Tode Dohnas (1633) folgte O. 1634 einem ältern Gönner, dem Herzog Johann Christian von Brieg, auf dessen Flucht nach Preußen und erwählte Danzig zum Wohnort, wo er nach kurzer Zeit vom König Wladislaw IV. von Polen, den er mit einem Lobgedicht angesungen hatte, zum Sekretär und polnischen Hofhistoriographen ernannt wurde. In dieser Eigenschaft begann O. das Studium der sarmatischen Altertümer, beschäftigte sich daneben viel mit altdeutscher Poesie und gab das »Annolied« mit lateinischen Anmerkungen (Danzig 1639) heraus, dessen Handschrift seitdem verloren ist. Er starb infolge einer in Danzig wütenden Pestseuche. O.' große literarhistorische Bedeutung beruht nicht sowohl auf seinen Dichtungen als solchen, als vielmehr auf den in diesen praktisch betätigten und in theoretischen Werken von ihm verkündigten ästhetischen und technischen Grundsätzen Sein Einfluß auf den Entwickelungsgang der deutschen Literatur des 17. Jahrh. ist unberechenbar groß gewesen, und fast volle 100 Jahre hindurch haben seine Poesien im Ansehen unübertrefflicher Mustergültigkeit gestanden. Schon während seines Aufenthalts in Beuthen (1617) erschien sein lateinisch geschriebener »Aristarchus, oder von der Verachtung der deutschen Sprache« (neu herausgegeben, zugleich mit dem »Buch von der deutschen Poeterey«, von Witkowski, Leipz. 1888), in dem er die Ansicht vertritt, die deutsche Sprache sei ebenso fähig, eine neue Literatur nach den großen Mustern des Altertums hervorzubringen, wie z. B. die französische oder italienische. In Heidelberg stellte er eine Anzahl seiner Gedichte zusammen, die einige Jahre nach seiner Abreise von Zinkgref (Straßb. 1624; Neudruck von Witkowski, Halle 1902) zum Druck befördert wurden. O. war diese Ausgabe unwillkommen, weil er inzwischen in der Erkenntnis des Wesens der Poesie Fortschritte gemacht zu haben glaubte, die ihm nunmehr Anlaß zur Herausgabe seiner wichtigsten theoretischen Schrift gaben (»Buch von der deutschen Poeterey«, Bresl. 1624; Neudruck, Halle 1876). Hier entwickelt er die Regeln der deutschen gelehrten Kunstdichtung; sie sind meist Theoretikern des Auslandes (Vida, Scaliger, Heinsius, Ronsard, du Bellay, Wover) entlehnt, und, wieviel O. dem von ihm besonders genannten Ernst Schwabe von der Heide verdankt, bleibt ungewiß, da dessen Schrift verloren gegangen ist (vgl. dazu Rubensohn im »Euphorion«, Bd. 1, Bamb. 1894, und Schlösser, Bd. 6, das. 1899). Wenn O. auch zugibt, daß der »göttliche Furor« eine notwendige Eigenschaft des Poeten sei, so meint er doch, daß außerdem auch griechische und lateinische Gelehrsamkeit hinzukommen müsse. Indem er Anleitung gibt, alle die Gattungen der Poesie, die bei den Griechen und Römern ausgebildet waren, auch in deutscher Sprache hervorzubringen, definiert er das Wesen des Epos, der Tragödie, der Komödie, der Satire etc. freilich in sehr äußerlicher Weise. So sieht er das Wesen der Tragödie darin, daß sie nur vom königlichen Willen, von Totschlägen, Verzweiflungen, Kinder- und Vatermorden, Brand, Blutschande, Krieg und Aufruhr, Klagen, Seufzen u. dgl. handle. Großen Wert legte O. auf die »Zubereitung und Zier der Worte«, die rhetorischen und poetischen Figuren, wobei sich deutlich zeigt, daß er die Poesie rein verstandesmäßig als einen zu dem bereits fertigen Gedanken äußerlich hinzutretenden Schmuck auffaßt. Vor allem aber wurden seine metrischen Vorschriften von Bedeutung für die folgende Zeit. Während er in seinen von Zinkgref herausgegebenen Jugendgedichten noch dem alten Prinzip der Silbenzählung ohne Rücksicht auf regelmäßigen Wechsel betonter und unbetonter Silben huldigte, erklärt er jetzt diesen Wechsel als ein unverbrüchliches Gesetz. Im 7. Kapitel der »Poeterey« wurde zum erstenmal bestimmt ausgesprochen, daß wir Deutschen nicht nach Art der Alten »eine gewisse Größe der Silben in acht zu nehmen, sondern aus den Akzenten und dem Tone zu erkennen« hätten, welche Silben »hoch und welche niedrig gesetzt werden sollen«. Zugleich verlangte er Reinheit der Reime, die er nach Ronsards Vorgang in männliche und weibliche einteilt. Den Alexandriner mit regelmäßig wechselnder betonter und unbetonter Silbe hält er für das schönste Versmaß der höhern Poesie, das geeignet sei, den Hexameter zu ersetzen. Nach diesen Grundsätzen hat er seine Jugendarbeiten umgestaltet und sie so der ersten von ihm selbst veranstalteten Sammlung seiner Gedichte (Bresl. 1625) einverleibt. O.' eigne Dichtungen wurden zwar seinerzeit und bis ins vorige Jahrhundert hinein überschwenglich gepriesen und der Dichter als der unsterbliche »Boberschwan« unzähligemal gefeiert; gleichwohl mag selten eine gemütsärmere Natur als gerade O. zu Dichterruhm gelangt sein. Am meisten sagte seiner nüchternen Verständigkeit die beschreibendreflektierende Dichtung zu, die er denn auch mit Vorliebe pflegte, außer in den schon genannten Werken noch in den Dichtungen: »Vesuvius«, »Vielgut« und »Das Lob des Kriegsgottes« (vgl. Langer, Der »Vesuvius« von Martin O., Programm, Brünn 1896). Diesen Produkten schließen sich Übertragungen der Psalmen, der Sophokleischen »Antigone« und der »Trojanerinnen« des Seneca an. Das nach dem Italienischen bearbeitete Singspiel »Daphne« (1627, von Schütz in Musik gesetzt, in Torgau ausgeführt) ist die erste deutsche Oper; mit seiner »Schäfferey von der Nimfen Hercinie« (1630), einem Ehrenmal für das Geschlecht der Grafen Schaffgotsch, wandte sich O. zur Schäferpoesie, die er dann auch durch Neubearbeitung einer Übersetzung von Sidneys Roman »Arcadia« (1638) beförderte. Auch in bezug auf persönliche Eigenschaften: Liebedienerei und Schmeichelsucht, Schmiegsamkeit gegen Große und Gier nach äußern Ehren, wurde O. das unrühmliche Vorbild der deutschen Dichter des 17. Jahrh. Seine Werke erschienen gesammelt noch bei seinen Lebzeiten in Breslau 1625, 1629 und 1637; eine vierte, von ihm noch selbst geordnete Sammlung in Danzig 1641. Die 1690 zu Breslau erschienene Ausgabe ist nicht vollständig und sehr fehlerhaft. Eine kritische Ausgabe, von Bodmer und Breitinger unternommen, kam nur bis zum zweiten Teil (der erste erschien Zürich 1745), da sie die Konkurrenz der schlechtern, von Triller besorgten (Frankf. 1746, 4 Bde.) nicht bestand. Ausgewählte Dichtungen von O. gaben neuerdings Tittmann (Leipz. 1869) und Oesterley (in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur«, Bd. 27) heraus. Ein Denkmal des Dichters (Marmorbüste von Michaelis) wurde 1877 in Bunzlau enthüllt. Vgl. Gottsched, Lobrede auf O. (Leipz. 1739); Palm, Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts (Bresl. 1877); Borinski, Die Kunstlehre der Renaissance in Opitzens Buch von der deutschen Poeterei (Münch. 1883), weitere Schriften darüber von Fritsch (Halle 1884) und Berghöffer (Frankf. a. M. 1888), Beckherrn (Königsb. 1888); den Einfluß der Niederländer, besonders des D. Heinsius, behandelte Muth (Leipz. 1877).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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