Nettchen Neswanowa

Nettchen Neswanowa

Nettchen Neswanowa (russisch Неточка Незванова) ist eine Erzählung aus dem Frühwerk von Fjodor Michailowitsch Dostojewski, die er in den Jahren von 1848 bis 1849 schrieb. Das Werk blieb unvollendet, weil Dostojewski 1849 wegen Beteiligung an revolutionären Umtrieben gegen den Zaren verhaftet, kurz vor der Hinrichtung begnadigt und in ein Lager nach Sibirien verbannt wurde. Nach seiner Rückkehr nach Petersburg im Jahr 1859 schrieb Dostojewski diese Erzählung nicht zu Ende. Sie erschien aber bereits in unvollendeter Form 1849 in der Petersburger Zeitschrift Современник (dt: „Der Zeitgenosse“).

Handlung

Die Erzählung Nettchen Neswanowa beschreibt die Lebensjahre acht bis sechzehn der Titelheldin in Ich-Form. Ihr Stiefvater Jefimow ist ein trunksüchtiger, armer Geiger, der sich für hochtalentiert hält. Eines Abends gastiert der berühmte Geiger S..za in Petersburg. Jefimow will endlich einen Geiger sehen, der seinem eigenen Talent nahekommt. Er bittet Nettchen, das Geld für die Eintrittskarte von ihrer Mutter zu stehlen. Unter schweren Gewissensbissen kommt sie der Bitte ihres Stiefvaters nach.

Am gleichen Abend stirbt die Mutter, als Jefimow vom Konzert zurückkommt. Als sie tot im Bett liegt, spielt er das erste Mal seit Jahren wieder auf seiner Geige. Er ist konfrontiert mit der Realität, dass er in Wahrheit kein Talent besitzt und flüchtet aus der Wohnung. Zwei Tage später stirbt er nach einem Anfall in einem Krankenhaus.

Nettchen zieht bei einem Grafen ein, der gegenüber wohnt und sie aus Mitleid bei sich aufnimmt. Nettchen freundet sich nach anfänglicher Scheu und Abneigung mit der Tochter des Grafen, Katja, an. Beide küssen sich unentwegt, erzählen sich ihre mädchenhaften Geheimnisse und Geschichten. Katja wird dabei ähnlich nervlich anfällig und sentimental wie Nettchen. Die Gräfin sorgt sich um ihre Tochter und trennt die beiden. Schließlich siedelt die Grafenfamilie nach Moskau um, und Nettchen muss in Petersburg zurückbleiben.

Die Tochter der Gräfin aus erster Ehe Alexandra Michailowna nimmt daraufhin Nettchen bei sich auf. Sie und ihr Ehemann sind kinderlos und träumen seit Jahren von Nachwuchs. Zur ebenfalls nervlich anfälligen und häufig kranken Alexandra Michailowna entwickelt Nettchen echte Zuneigung, während sie schließlich Verachtung für deren Ehemann entwickelt.

Eines Tages entdeckt Nettchen in einem Buch von Alexandra Michailowna einen alten, verlorenen Brief von einem Liebhaber. Den Brief behält Nettchen für sich, weil sie sich angesichts von Alexandra Michailownas schwacher Gesundheit nicht traut, die Empfängerin damit zu konfrontieren. Der Ehemann hat seiner Frau die Affäre hochmütig vergeben und quält sie jetzt mit ihrer Schwäche und seiner eigenen Hochherzigkeit.

Am Ende der unvollendeten Erzählung entreißt der Ehemann Nettchen den Brief und hält diesen für einen an Nettchen selbst adressierten Liebesbrief. Der Ehemann duldet nicht, dass sich unter seinem Dach eine Liebschaft abspielt und drängt darauf, dass Nettchen das Haus verlässt. Alexandra Michailowna widerspricht energisch und erleidet einen schweren Anfall. Das unvollendete Buch hört auf, als Nettchen dem Ehemann den Brief aushändigt und der erkennt, dass Nettchen keine Liebschaft eingegangen war.

Zusammenhang zu anderen Werken Dostojewskis

Das leidende junge Mädchen ist ein stetig wiederkehrendes Thema im Schaffen von Dostojewski. Die Figur der Nettchen Neswanowa ist verglichen worden mit anderen sich emanzipierenden Frauen aus Dostojewskis Werk, etwa der Dunja Raskolnikowa aus „Schuld und Sühne“ und der Aglaja Epantschina aus „Der Idiot“.

Literatur

  • Dostojewski, Fjodor Michailowitsch (2004): Arme Leute, Weiße Nächte, Nettchen Neswanowa, Moskau. (im russischen Original).
  • Dostojewski, Fjodor Michailowitsch (1986) : Weiße Nächte. Frühe Prosa II, Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag

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