Technicolor (Physik)

Technicolor (Physik)
Simulation des hypothetischen Zerfalls eines Higgs-Teilchens in Teilchen-Jets am CMS/CERN

Unter dem Begriff Technicolor-Theorien (TC)[1] werden in der Elementarteilchenphysik Erweiterungen des Standardmodells zusammengefasst, in denen das skalare Higgs-Boson kein fundamentales Teilchen ist, sondern ein Bindungszustand von neu eingeführten Fermionen, sogenannter Techniquarks. Die Bindung erfolgt über eine ebenfalls neu eingeführte starke Wechselwirkung, die ähnlich der Quantenchromodynamik aufgebaut ist (als nichtabelsche Eichtheorie, Yang-Mills-Theorie), mit neuen Farbfreiheitsgraden (colors), deshalb die Bezeichnung Technicolor, ursprünglich in scherzhafter Anlehnung an das Technicolor-Verfahren des Farbfilms.

Ein Motiv für dieses Vorgehen ist, dass fundamentale skalare Teilchen in der Quantenfeldtheorie von vielen Theoretikern als unnatürlich empfunden werden. Ein anderes Motiv ist eine fundamentale Theorie zu finden, die die Parameter des Standardmodells (Kopplungskonstanten, Mischungswinkel, Massen) erklärt. Sie stellen außerdem eine Alternative zu supersymmetrischen Theorien dar in der Lösung des sogenannten Hierarchieproblems, dass sich aus der in GUTs unvermeidlichen Mischung (durch sogenannte Strahlungskorrekturen in 1-Schleifen-Diagrammen) der sehr unterschiedlichen Skalen der Symmetriebrechung (elektroschwacher Symmetriebruch und GUT-Skala) ergibt.

Da sich bei Technicolor-Theorien der Bruch der elektroschwachen Symmetrie als Folge der Wechselwirkungsdynamik ergibt wird die Theorie auch als Dynamischer Symmetriebruch der elektroschwachen Wechselwirkung bezeichnet. Der Begriff Dynamischer Symmetriebruch selbst ist nicht auf die Elementarteilchenphysik beschränkt. In der Festkörperphysik gibt es zum Beispiel bei der Supraleitung mit der Bildung von Cooper-Paaren in der BCS-Theorie einen dynamischen Symmetriebruch. Das wurde in die Elementarteilchenphysik Anfang der 1960er Jahre im Nambu-Jona-Lasinio-Modell (von Nambu,Jona-Lasinio) übertragen, dass das Vorbild für viele Theorien mit dynamischem Symmetriebruch ist.

Technicolor-Theorien wurden zuerst Ende der 1970er Jahre eingeführt von Leonard Susskind[2] und Steven Weinberg[3].

Kurz darauf wurden, um die TC-Eichgruppen und die Eichgruppen des Standardmodells in eine gemeinsame Eichgruppe einzubinden und so eine Theorie der Wechselwirkung der üblichen Fermionen des Standardmodells (Leoptonen, Quarks) mit den Techniquarks zu haben (mit der Möglichkeit der Ableitung der Massen und anderer Parameter des Standardmodells), Extended Technicolor (ETC) eingeführt durch Savas Dimopoulos und Susskind[4] sowie Estia Eichten und Kenneth Lane[5] (letztere benutzten damals die Bezeichnung Hypercolor statt Technicolor).

TC-Theorien sagen neue Teilchen voraus, die an Teilchenbeschleunigern wie dem LHC nachgewiesen werden könnten, und liefern auch Kandidaten für Dunkle Materie. Sie stoßen aber auch auf verschiedene Schwierigkeiten, die sich etwa aus den schon vorliegenden Präzisionsmessungen der elektroschwachen Theorie ergeben. Insbesondere sagen ETC-Theorien Flavor-ändernde neutrale Ströme (Flavor Changing Neutral Current, FCNC) voraus, die im Standardmodell unterdrückt sind und für die enge experimentelle Schranken vorliegen. Als Ausweg wurden schon in den 1980er Jahren Walking TC Theorien vorgeschlagen (durch Thomas Appelquist, und andere[6]). Sie wurden in den 2000er Jahren auch numerisch in Gittereichtheorie-Simulationen untersucht.

Außer TC-Theorien gibt es noch andere Theorien, die ebenfalls aus Fermionen zusammengesetzte Higgs-Bosonen enthalten. Insbesondere Präon-Modelle, bei denen allgemein Quarks und Leptonen aus noch fundamentaleren Fermionen zusammengesetzt sind, und Theorien des Higgsbosons als Top-Quark-Kondensat (gebundener Zustand von Top-Quark und Anti-Top-Quark).

Literatur

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Entsprechend dem angloamerikanischen Sprachgebrauch auch Technicolour
  2. Susskind Dynamics of spontaneous symmetry breaking in the Weinberg-Salam theory, Physical Review D, Band 20, 1979, S. 2619–2625
  3. Steven Weinberg Implications of dynamical symmetry breaking,m Physical Review D, Band 13, 1976, S. 974–996, Weinberg Implications of dynamical symmetry breaking: An addendum", Physical Review D, Band 19, 1979, S. 1277–1280
  4. S. Dimopoulos, L. Susskind: Mass Without Scalars. In: Nuclear Physics B. 155, 1979, S. 237–252
  5. Eichten, Lane: Dynamical breaking of weak interaction symmetries. In: Physics Letters B. Band 90, 1980, S. 125–130
  6. Appelquist, Dimitra Karabali, L. C. R. Wijewardhana Chiral Hierarchies and Flavor-Changing Neutral Currents in Hypercolor, Physical Review Letters, Band 57, 1986, S. 957-960, Abstract

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