Franzosenzeit

Franzosenzeit

Mit Franzosenzeit wird, insbesondere in der Umgangssprache, die zeitliche Epoche von 1792 bis 1815 bezeichnet, in der allmählich große Teile Europas, darunter der gesamte deutschsprachige Raum, direkt oder indirekt unter französische Herrschaft gerieten oder wenigstens zum französischen Einflussgebiet wurden.
Die Franzosenzeit, gelegentlich auch als "Französische Zeit" bezeichnet ,[1] wird oft zu Unrecht mit der Herrschaft Napoléons gleichgesetzt: In Wirklichkeit beginnt sie bereits einige Jahre vor Napoléons Machtergreifung, sie erreicht allerdings unter Napoléon ihren Höhepunkt und endet konsequenterweise auch nach dessen militärischer Niederlage in der Schlacht bei Waterloo.
Im linksrheinischen Teil Deutschlands beginnt die Franzosenzeit bereits mit der Besetzung durch französische Revolutionstruppen im Jahre 1794,[2] ansonsten umfasst die Epoche in etwa den Zeitraum zwischen den Jahren 1804 und 1815. Im engeren Sinne bezeichnet der Begriff den Abschnitt von der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806 bis zur Völkerschlacht bei Leipzig 1813.
Man kennt den Begriff außerdem als "franse tijd" in Belgien[3] und den Niederlanden[4] oder als "Fransousenzäit" in Luxemburg[5], auch in den romanischen Gebieten außerhalb Frankreichs existieren zum Teil ähnliche Begriffsbildungen[6][7].

Inhaltsverzeichnis

Verlauf

In der Franzosenzeit wurde in den von Frankreich besetzten Ländern der Code Napoléon eingeführt. Die Menschen in Deutschland kamen in Kontakt mit den Idealen der Französischen Revolution. Im von Frankreich nicht besetzten Preußen entstand eine eigene Dynamik, dort wurde neben anderen Reformen besonders die Verfassung reformiert. Napoleon kontrollierte die deutschen Fürsten im Rheinbund und errichtete für seinen Schwager Joachim Murat das Großherzogtum Berg sowie für seinen Bruder Jérôme Bonaparte das Königreich Westphalen, das im Kern aus Kurhessen bestand.

Schon vor dem eigentlichen Beginn der Befreiungskriege kam es bereits zu Aufständen im französisch besetzten Deutschland. Wilhelm von Dörnberg war Initiator und Anführer der Hessischen Insurrektion und damit bereits 1809 Führer der ersten großen Erhebung. Nach dem vernichtenden Niedergang der Grande Armée Napoleons im Russlandfeldzug 1812 schloss der kommandierende General des preußischen Hilfskorps der Grande Armée, Yorck, am 30. Dezember 1812 in der Konvention von Tauroggen einen Waffenstillstand mit den russischen Truppen. Dies war der entscheidende Impuls zum Ausbruch der Freiheitskriege der folgenden Jahre.

Wirkung

Die Franzosenzeit trug maßgeblich zum Entstehen des Einheitsgedankens und des Nationalbewusstseins in Deutschland bei. Die vielen Regionen mit ihren verschiedenen Dialekten fanden sich im Kampf gegen die Besetzung in einer gemeinsamen antifranzösischen Definition von „deutsch“ oder „Freiheit“ wieder. Auf dem Wartburgfest im Jahre 1817 formierte sich erstmals eine echte Bewegung unter den StudentenBurschenschaften und Studentenverbindungen entstanden. Die Farben Schwarz-Rot-Gold wurden zum Symbol dieser Sache. Nachdem im sogenannten „Vormärz“ der Wunsch nach Freiheiten von der Obrigkeit unterdrückt wurde, kam es zur Märzrevolution 1848 und der Bildung eines ersten deutschen Parlaments, wenn auch nicht alle deutschsprachigen Gebiete beteiligt waren. In den preußischen Freiheitskriegen wurde die Wehrpflicht nach dem Vorbild der levée en masse von General Gerhard von Scharnhorst im Rahmen der explizit gegen die französische Besetzung formulierten preußischen Heeresreform eingeführt. Diese Preußischen Reformen (1807–1812) der Franzosenzeit gehören neben der formellen Abschaffung des Heiligen Römischen Reichs 1806 zu den größten politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen zwischen Frühneuzeit und Moderne in Deutschland. Mit dem Rückzug Franz II. in seine österreichischen Erblande entstand außerdem eine politische Trennung zwischen Preußen und Österreich, die bereits den Grundstein für die österreichische Unabhängigkeit in der deutschen Frage legte.

Regionen

Begriffsgeschichte

Der Begriff entstand erst allmählich und mit zeitlicher Verzögerung. Er wurde für den niederdeutschen Sprachraum entscheidend geprägt durch Fritz Reuters populäres Werk „Ut de Franzosentid“ (1860). Der Begriff ist nicht immer neutral gewesen, und kann es daher auch heute nicht sein. Die antifranzösische deutsche Identitätsbildung entstand in der Franzosenzeit; der Gegensatz zum sogenannten „Erbfeind“ wurde auch in der Geschichtsforschung der Kaiserzeit und der Zeit des Nationalsozialismus betont. Daher wurde „Franzosenzeit“ als Begriff zur Zeit der Bonner Republik gemieden. In diesem Sinne steht „Franzosenzeit“ nach wie vor für eine historische Betrachtung der französischen Besetzung im Kontext dieser antifranzösischen Identitätsbildung Deutschlands.

Literatur

  • Fritz Reuter: Utde Franzosentid (Gesammelte Werke und Briefe; Bd. 4). Hinstorff Verlag, Rostock 1996, ISBN 3-356-00699-1 (Volltext bei Wikisource).
  • Annemarie Hopp, Bernd Jürgen Warneken: Feinde, Freunde, Fremde. Erinnerungen an die Tübinger „Franzosenzeit“. Kulturamt, Tübingen 1995 (Tübinger Kataloge; 44).
  • Silke Klaes: Die Post im Rheinland. Recht und Verwaltung in der Franzosenzeit (1792–1815). Verlag Böhlau, Köln 2001, ISBN 3-412-15500-4 (Rechtsgeschichtliche Schriften; 14).
  • Helmut Stubbe-da Luz: „Franzosenzeit“ in Norddeutschland (1803–1814). Napoleons Hanseatische Departements. Edition Temmen, Bremen 2003, ISBN 3-86108-384-1.
  • Kerstin Theis, Jürgen Wilhelm (Hrsg.): Frankreich am Rhein. Die Spuren der „Franzosenzeit“ im Westen Deutschlands. Greven Verlag, Köln 2008, ISBN 978-3-7743-0409-3.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Eduard Rothert: Rheinland-Westfalen im Wechsel der Zeiten , Düsseldorf 1900
    (Online-Präsentation der Universitätsbibliothek der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, abgerufen am 21. März 2011)
  2. Das Rheinland unter den Franzosen 1794-1815 (Internet-Präsentation des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR), abgerufen am 18. März 2011)
  3. Wikipedia: Franse tijd in België (niederländisch, abgerufen am 18. März 2011)
  4. Wikipedia: Franse tijd in Nederland (niederländisch, abgerufen am 18. März 2011)
  5. Nouvellen aus eiser Gemeng Nº6, Juli 2002 (luxemburgisch, Online-Broschüre der Gemeinde Waldbredimus (Lux), abgerufen am 21. März 2011)
  6. Wikipedia: Istorgia da la Svizra, Abschnitt 6: Il «temp franzos»: Helvetica e mediaziun dal 1798 fin il 1814 (rätoromanisch, abgerufen am 22. März 2011)
  7. Wikipedia: Redjime francès (wallonisch, abgerufen am 22. März 2011)

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