Johann Baptist von Hirscher

Johann Baptist von Hirscher
Johann Baptist von Hirscher

Johann Baptist von Hirscher (* 20. Januar 1788 in Alt-Ergarten, Bodnegg; † 4. September 1865 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher römisch-katholischer Moraltheologe und Pastoraltheologe. Der reformorientierte und zugleich konservative Hirscher ist ein Hauptvertreter der katholischen Tübinger Schule und gilt als Begründer der Katechetik als wissenschaftlicher Disziplin. Im Mittelpunkt seiner Katechetik steht die Reich-Gottes-Idee.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Der Bodnegger Bauernsohn besuchte zunächst die Klosterschule im nahen Kloster Weißenau (zu dem seine Heimatpfarrei Bodnegg gehörte). Nach der Aufhebung des Klosters mit dem Reichsdeputationshauptschluss 1803 wechselte er an das Gymnasium in der Bischofsstadt Konstanz, bevor er 1807 an der Universität Freiburg Theologie studierte. Von 1809 bis 1810 beendete er seine Ausbildung am Priesterseminar in Meersburg. Hirscher wurde 1810 zum Priester geweiht und war zwei Jahre lang Kurat in Röhlingen (heute zu Ellwangen). 1812 wurde er Repetent am Priesterseminar in Ellwangen.

1817 wurde er auf einen Lehrstuhl für Moral- und Pastoraltheologie der Universität Tübingen berufen, den er 20 Jahre lang innehatte. 1820 wurde ihm dort der Ehrendoktortitel verliehen. 1835 erhielt er das Ritterkreuz des Ordens der Württembergischen Krone,[1] womit der persönliche Adelstitel verbunden war.

1837 wurde er Professor für Moraltheologie und Katechese an der Universität Freiburg. Von dort übte er 25 Jahre lang großen Einfluss auf die Theologie seiner Zeit aus. 1839 wurde er dort Domkapitular, 1850 Dekan des Domkapitels. Als Vertreter der Universität wurde er ab 1845 mehrmals in die Erste Kammer des Großherzogtums Baden entsandt. 1863 zog er sich aus Altersgründen von der Lehre zurück, zwei Jahre später starb er in Freiburg und wurde auf dem Alten Friedhof begraben. Sein Grabmal schuf der Freiburger Bildhauer Josef Alois Knittel.[2]

Werk

Hirschers Theologie ist von seinem Gönner Ignaz Heinrich von Wessenberg und von Johann Michael Sailer beeinflusst. Neben Johann Sebastian von Drey, Johannes Evangelist von Kuhn, Franz Anton Staudenmaier und Johann Adam Möhler war er ein Hauptvertreter der Tübinger Schule. Hirscher und Kuhn begründeten 1819 die Theologische Quartalschrift. Hirschers katechetische Schriften für Laien waren weit verbreitet und übten auf die katholische Frömmigkeit seiner Zeit großen Einfluss aus.

Hirscher sprach sich strikt gegen liberale Einflüsse im katholischen Schulwesen und für die konfessionell getrennten Schulen aus. Allerdings ist er auf dem Gebiet des Religionsunterrichtes für Reformansätze (u. a. Herausgabe eines Katechismus) verantwortlich. Hirscher war – damals revolutionär - gegen das Auswendiglernen, er zielte auf ein verstehendes Lernen und wollte das Lebensumfeld der Schüler in den Unterricht einbeziehen. Seine Gegner aus dem „Zweiten Mainzer Kreis“ plädierten für ein präzises Auswendiglernen des Katechismus (etwa des in Mainz benutzten Katechismus von Joseph Deharbe), durch das die Schüler das Glaubensgut wortgetreu verinnerlichen sollten. Durch seinen Ansatz kann Hirscher als der Vater des modernen korrelativen Religionsunterrichts bezeichnet werden.[3]

Zu seinen weitgehenden Reformvorschlägen für eine Modernisierung der Kirche gehörten andererseits die Einbeziehung von Laien bei Synoden und Abhaltung von Messen in der Volkssprache (zwei Forderungen, die das Zweite Vatikanische Konzil von 1962-1965 schließlich einlöste) sowie die Laisierung des Klerus und die Abschaffung des Zölibats. Seine Reformforderungen brachten ihn in Gegensatz zur katholischen Lehrmeinung seiner Zeit, und zwei seiner Bücher wurden in den Index verbotener Bücher aufgenommen.

Die Kinderarbeit und andere Auswüchse der industriellen Revolution verurteilte Hirscher scharf in seiner Schrift Die socialen Zustände der Gegenwart und die Kirche von 1849. Die Probleme von Waisen und verwahrlosten Kindern beschrieb er in seiner Streitschrift Die Sorge für sittlich verwahrloste Kinder. Er forderte eine straffe Organisation der „Rettungsarbeit“ für diese Kinder unter Leitung der Bischöfe. Vom Freiburger Erzbischof Hermann von Vicari erhielt er daraufhin den Auftrag, „Erziehungshäuser“ zu gründen (etwa das Kinder- und Jugendheim St. Kilian in Walldürn). Hirscher warb für diesen Zweck viele Spenden ein und stiftete auch selbst großzügig; dafür veräußerte er auch Teile seiner über die Jahre zusammengetragenen bemerkenswerten Kunstsammlung.

In seinem Katechismus der christkatholischen Religion (1842) findet sich als „Anhang“ zum „Vierten Hauptstück“ ein Abschnitt „Von dem Verhalten der Gotteskinder gegen die Thiere“ (S. 161f.), eine frühe katholische Reaktion auf die Gründung des ersten Tierschutzvereins Deutschlands durch den evangelischen Liederdichter und Pfarrer Albert Knapp, angestoßen von der Schrift Bitte der armen Thiere (1822) des evangelischen Pfarrers Christian Adam Dann.

Werke

Die christliche Moral, 1835

(Auswahl)

  • Die katholische Lehre vom Ablasse, pragmatisch dargestellt. Tübingen 1826, 5. Aufl. 1844 (DjVu-Format)
  • Betrachtungen über sämmtliche Evangelien der Fasten mit Einschluß der Leidensgeschichte. Für Homileten und Bibel-Leser; Zugleich als Beitrag zur praktischen Schrift-Erklärung. Tübingen 1829
  • Katechetik, oder: der Beruf des Seelsorgers die ihm anvertraute Jugend im Christenthum zu unterrichten und zu erziehen nach seinem ganzen Umfang dargestellt. Tübingen 1831
  • Die christliche Moral als Lehre von der Verwirklichung des göttlichen Reiches in der Menschheit. 3 Bände, 1835–1836 (GoogleBooks-Digitalisate; 1. Aufl.: Bd. 1, Bd. 2, Bd. 3; 5. Aufl. 1851: Bd. 1, Bd. 2, Bd. 3)
  • Betrachtungen über die sonntäglichen Evangelien des Kirchenjahrs, 2 Teile. Tübingen 1837–1843
  • Die Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Gottes und Weltheilandes. Tübingen 1839
  • Katechismus der christkatholischen Religion. Hechingen, Carlsruhe und Freiburg 1842
  • Der kleinere Katechismus der christkatholischen Religion. Freiburg 1845
  • Erörterungen über die großen religiösen Fragen der Gegenwart. 3 Bände, 1846/1847/1855 (GoogleBooks Bd. 1/2)
  • Die Nothwendigkeit einer lebendigen Pflege des positiven Christenthums in allen Klassen der Gesellschaft. Den deutschen Regierungen, zunächst dem deutschen Parlamente zur Würdigung vorgelegt. Tübingen 1848
  • Die socialen Zustände der Gegenwart und die Kirche. Tübingen 1849 (GoogleBooks)
  • Die kirchlichen Zustände der Gegenwart. Tübingen 1849 (GoogleBooks)
  • Beiträge zur Homiletik und Katechetik. Tübingen 1852
  • Das Leben der seligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria. Freiburg 1853
  • Zur Orientirung über den derzeitigen Kirchenstreit, Freiburg 1854
  • Hauptstücke des christkatholischen Glaubens. Für Schule und Haus. Tübingen 1857
  • Betrachtungen über sämmtliche sonntägliche Episteln des Kirchenjahres, 2 Bände. Freiburg 1860
  • Selbsttäuschungen. Aufgezeichnet und zur Beförderung der Selbsterkenntniss an’s Licht gestellt. Freiburg 1865

Sonstiges

Nach Hirscher ist das Bildungszentrum seines Heimatortes Bodnegg und das Johann-Baptist-Hirscher-Haus der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Rottenburg am Neckar benannt.

Literatur

  • Friedrich Wilhelm Bautz: Hirscher, Johann Baptist von. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 2, Hamm 1990, ISBN 3-88309-032-8, Sp. 897–899.
  • Franz Bläcker: Johann Baptist von Hirscher und seine Katechismen in zeit- und geistesgeschichtlichem Zusammenhange. Ein Beitrag zur Katechismusfrage der Gegenwart. (= Untersuchungen zur Theologie der Seelsorge; Band 6). Herder, Freiburg 1953
  • Adolf Exeler: Hirscher, Johann Baptist von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 9, Duncker & Humblot, Berlin 1972, S. 222 (Onlinefassung).
  • Joachim Faller: „Mir scheint, es wäre an der Zeit zu handeln …“. Johann Baptist von Hirscher. Werk und Wirken in einer Epoche des Umbruchs (1845–1865). (= Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte; Band 52). Alber, Freiburg / München 2006, ISBN 3-495-49952-0
  • Norbert Greinacher: Johann Baptist Hirscher. Reform der Kirche damals und heute. In: Theologische Quartalschrift. 168. Jg. 1988, H. 2, S. 98
  • Werner Groß: Johann Baptist Hirscher und die Erneuerung der Meßfeier. In: Theologische Quartalschrift. 168. Jg. 1988, H. 2, S. 115
  • Erwin Keller: Johann Baptist Hirscher. (= Wegbereiter heutiger Theologie; Band 1). Styria, Graz u. a. 1969 (hauptsächlich Texte Hirschers)
  • Erwin Keller: Johann Baptist Hirscher (1788–1865). In: Katholische Theologen im 19. Jahrhundert. Bd. 2. Kösel, München 1975, ISBN 3-466-20174-8, S. 40–79
  • Franz Kohlschein: Die „Formulare“ der Messe in deutscher Sprache bei Johann Baptist Hirscher (1788–1865). In: Archiv für Liturgiewissenschaft. 32. Jg. 1990, H. 2, S. 161–206
  • Anton Lutterbeck: Hirscher, Johann Baptist. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 12, Duncker & Humblot, Leipzig 1880, S. 470–472.
  • Konstantin Maier: Johann Baptist von Hirscher (1788–1865). Ein schwäbischer Theologe zwischen den Zeiten. In: Im Oberland, 2009, Heft 1, S. 43–51
  • Rudolf Reinhardt: Johann Baptist Hirscher - ein Verräter an der deutschen Kirche?. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte. 101. Jg. 1990, H. 2/3, S. 374
  • Otto Rundel: Johann Baptist von Hirscher (1788–1865) und seine Kunstsammlung. In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte, 49. Jg. 1990, S. 296–319
  • Hubert Schiel: Johann Baptist von Hirscher. Eine Lichtgestalt aus dem deutschen Katholizismus des 19. Jahrhunderts. Caritas, Freiburg im Breisgau 1926
  • Klaus Schlupp: Schule, Kirche und Staat im 19. Jahrhundert – Die katholische Volksschule im Bistum Mainz und Großherzogtum Hessen-Darmstadt von 1830–1877. Nordhausen 2005.
  • Karl-Heinz Tillmann: Die Lehre vom Bösen in gesamt-systematischen Entwürfen deutscher katholischer Theologen im 19. Jahrhundert: Johann Baptist Hirscher, Franz Anton Staudenmaier, Anton Berlage. (= Regensburger Studien zur Theologie; Band 26). Lang, Frankfurt am Main u. a. 1982, ISBN 3-8204-5939-1
  • Hubert Wolf: Der Freiburger Moraltheologe Johann Baptist Hirscher als Rottenburger Bischofskandidat 1842/47 im Spiegel der Korrespondenz Albert von Rechbergs. In: Freiburger Diözesan-Archiv. 114. Jg. 1994, S. 173

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Königlich Württembergisches Hof- und Staatshandbuch 1839, Seite 35
  2. Alfred Biehler: Der Großvater: Bildhauer Josef Alois Knittel. In: Heinz Spath: Bildhauer Hugo Knittel, ca. 1956
  3. vgl. hierzu: Schlupp, S. 501–562

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