Mechanisches Stellwerk

Mechanisches Stellwerk
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Ein mechanisches Stellwerk ist eine Bahnanlage zum Stellen von Weichen, Signalen (siehe auch Stellwerk) und anderen beweglichen Einrichtungen im Schienenfahrweg durch mechanisch übertragene Muskelkraft des Bedieners.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung und Funktionsweise

Hebelbank mit Weichen- und Signalhebeln im Bahnhof Lette
von oben: Blockkasten, Fahrstraßenhebel und Blockuntersatz im Bahnhof Lette
Fahrdienstleiterstellwerk Regensburg Ost (Strecke Regensburg - München /Passau)
In Betrieb seit 1938.

Im mechanischen Stellwerk wird die Muskelkraft des Bedieners von einem auf einer Hebelbank montierten Stellhebel über die am Hebel befestigte Seilscheibe und eine Drahtzugleitung mit mehreren Führungs- und Umlenkrollen zur jeweiligen Außenanlage, z. B. einer Weiche, übertragen. Die Drahtzugleitung kann bis zu ca. einem Kilometer lang sein. Mitunter verwendet man bei sehr langen Signalleitungen statt der Stellhebel Signalwinden, fallweise mit doppeltem Stellweg. Die Stellhebel tragen ein Bezeichnungsschild und sind farbig markiert; Weichen-, Riegel- und Gleissperrenhebel sind blau, Gleissperrsignalhebel blau mit rotem Ring, Haupt- und Vorsignalhebel rot gekennzeichnet. Nach oben gerichtete Hebel stehen in der Regel in Grundstellung, auch Plusstellung genannt, nach unten gerichtete Hebel entsprechen der umgelegten Stellung oder Minusstellung. Bei Altbauarten kann es jedoch auch umgekehrt sein.

Um eine kraftschlüssige Verbindung zu gewährleisten und temperaturbedingte Längenänderungen auszugleichen, werden die Drahtzugleitungen von Spannwerken mit großen Spanngewichten straff gespannt. Die Spannwerke sind entweder im Spannwerksraum im Untergeschoss des Stellwerkes oder einzeln im Freien aufgestellt. Die Drahtzugleitungen bestehen in der Geraden aus 4 (Signale, Schranken) bzw. 5mm (Weichen, Riegel, Gleissperren) starkem Tiegelgussstahldraht, über Ablenk- und Druckrollen sowie Hebel und Antriebe aber aus 5,5mm starkem Drahtseil.

Die Hebelbank bildet mit dem daran angrenzenden Blockuntersatz, in dem sich die Blocksperren befinden, und den darüber montierten Fahrstraßenhebeln, auf denen der Blockkasten mit den Blockfeldern steht sowie dem dahinter angeordneten Verschlusskasten eine bauliche Einheit. Alle Teile wirken als kompliziertes mechanisches System zusammen. Sie ermöglichen die Sicherung des Fahrweges (vgl. auch Fahrstraße) für Zugfahrten unter den Vorgaben der in der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung definierten Signalabhängigkeit.

Im Wesentlichen wird eine Fahrstraße im mechanischen Stellwerk wie folgt eingestellt und gesichert:

  1. Der Fahrdienstleiter bringt alle Einrichtungen im Fahrweg und, soweit solche als Flankenschutz dienen, auch in den Nachbargleisen in die richtige Stellung.
  2. Danach verriegelt der Fahrdienstleiter die Weichenhebel mechanisch durch das Umlegen des Fahrstraßenhebels.
  3. Anschließend blockt der Fahrdienstleiter das zum Bahnhofsblock gehörende Fahrstraßenfestlegefeld. Dieses wirkt auf die Fahrstraßenfestlegesperre im Blockuntersatz. Diese Blocksperre legt den umgelegten Fahrstraßenhebel damit blockelektrisch fest und gibt den Stellhebel des Hauptsignals frei.
  4. Als letzten Schritt legt der Fahrdienstleiter den Signalhebel um und bringt so das Hauptsignal in die Fahrtstellung.

Der umgelegte Signalhebel verriegelt den blockelektrisch festgelegten Fahrstraßenhebel nochmals mechanisch, sodass die Signalabhängigkeit auch in Stellwerken ohne Bahnhofsblock realisiert ist; Schritt 3. entfällt in diesem Fall.

Nachdem die Zugfahrt stattgefunden hat und der Zug eine genau definierte Stelle, die so genannte Zugschlussstelle, mit Zugschlusssignal geräumt hat, wird die blockelektrische Festlegung der Fahrstraße bei Einfahrten in der Regel manuell, bei Ausfahrten durch Zugeinwirkung aufgelöst. Danach bringt der Fahrdienstleiter die Anlage in umgekehrter Bedienungsreihenfolge wieder in die Grundstellung.

Die vier Schritte zum Einstellen und Sichern der Fahrstraße für einen Zug sind alle auch in modernen Stellwerken realisiert. Dort laufen die Einzelschritte jedoch, mindestens teilweise, selbsttätig ab.

Entwicklung

Mechanisches Stellwerk im Bahnhof Niederbiegen (an der Württembergischen Südbahn)

Anfangs musste der Weichenwärter jede Weiche mithilfe ihrer Stellvorrichtung vor Ort in die richtige Stellung bringen. Technische Zwänge oder Abhängigkeiten, die halfen, den Fahrweg richtig einzustellen und zu sichern, gab es noch nicht. Der Weichenwärter war allein verantwortlich. Der rasche Ausbau der Schienennetze und die damit verbundene Zunahme des Zug- und Rangierbetriebes erforderten eine Verbesserung. Vor allem benötigte man Einrichtungen zur Sicherung der Weichen vor und während der Zugfahrt.

Im ersten Schritt verwendete man dazu Weichenschlösser, die der Weichenwärter an den Weichen anbrachte; später montierte man sie fest daran. Vor einer Zugfahrt stellte der Weichenwärter die Weichen in die richtige Stellung, schloss sie mit dem Weichenschloss ab und hängte die Schlüssel an ein Schlüsselbrett, an dem jeder Schlüssel seinen Platz hatte. Erst wenn der Weichenwärter alle für die Zugfahrt vorgesehenen Schlüssel am Schlüsselbrett angebracht hatte, durfte er dem Zug die Erlaubnis zur Fahrt erteilen. Das geschah anfangs per Handzeichen unter Zuhilfenahme einer Signalfahne, später durch das auf Fahrt stellen eines ortsfesten Signals.

Das Schlüsselbrett ist als Rückfallebene für Störungsfälle bis heute erhalten geblieben, auch in modernen Stellwerken.

Schlüsselwerk in Wernigerode

Als das bisherige Verfahren dem gestiegenen Sicherheitsbedürfnis nicht mehr genügte, entwickelte man mechanisch wirkende Schlüsselwerke. Vereinfacht dargestellt gab es im Schlüsselwerk zu jedem Weichenschloss, das draußen installiert war, noch ein Gegenstück, in das derselbe Schlüssel passte. Sollte eine Zugfahrt stattfinden, steckte der Weichenwärter die Schlüssel der abgeschlossenen Weichen in die entsprechenden Schlösser des Schlüsselwerkes. Befanden sich alle zu einer Fahrstraße gehörenden Schlüssel im Schlüsselwerk, wurde der in einem anderen Schloss steckende Hauptsignalschlüssel frei. Die Entnahme dieses Schlüssels verriegelte die anderen Schlüssel in ihren Schlössern. Mit dem Hauptsignalschlüssel schloss der Weichenwärter dann an Ort und Stelle das in Haltstellung verschlossene Hauptsignal auf und stellte es auf Fahrt.

Das Schlüsselwerk gilt als Vorläufer der mechanischen Stellwerke, denn es realisierte erstmals auf relativ einfache Art und Weise die Signalabhängigkeit. Dennoch war das Verfahren nach wie vor zu aufwändig, weil man immer noch sehr viel Personal brauchte, um die Weichen und Signale an Ort und Stelle bedienen zu können.

In Deutschland wurde das erste mechanische Stellwerk, von dem aus Weichen und Signale ferngestellt und zentral gesichert werden konnten, im Jahre 1867 von der englischen Firma Saxby & Farmer in Stettin in Betrieb genommen. In den folgenden Jahrzehnten entwickelten und bauten auch viele deutsche Firmen mechanische Stellwerke in einer ganzen Reihe unterschiedlicher Bauformen. Darunter befanden sich auch Stellwerke, die für die Kraftübertragung statt der Drahtzüge Gestänge oder Druckluftleitungen verwendeten. Letztere konnten sich aber nicht durchsetzen. Die zahlreichen, völlig unterschiedlichen Stellwerksbauformen führten schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts zu Problemen bei der Instandhaltung. Insbesondere durch die Preußische Staatseisenbahnen wurde deshalb auf der Basis der Bauart »Jüdel« eine neue Stellwerksbauform entwickelt. 1911 errichtete man im Westen von Berlin fünf Baumusteranlagen, nach deren Erprobung die neue »Bauform Einheit« 1915 reichsweit als für Neuanlagen verbindlich erklärt wurde. Bis in die zwanziger Jahre wurden noch Stellwerke der Altbauformen fertiggestellt, um lagerndes Material aufzubrauchen. Seitdem wurde diese »Einheitsbauform« der mechanischen Stellwerke nur noch in Details verändert.

Maßgeblich für den Standort und die Anzahl der mechanischen Stellwerke war nicht nur die Stellentfernung, die von der größtmöglichen Länge der Drahtzugleitungen abhing, sondern in erster Linie die Übersicht über den Stellbereich. Da die Züge wegen ihres langen Bremsweges nicht auf Sicht fahren, musste der Wärter das Freisein des Fahrweges jeweils unmittelbar vor Zulassung der Zugfahrt durch Hinsehen prüfen (s. auch Fahrwegprüfung). Daraus folgert, dass man oft selbst in kleineren Bahnhöfen zwei Stellwerke benötigte, an jedem Bahnhofsende eines. Eines davon, das Befehlsstellwerk, bediente der Fahrdienstleiter, das andere, das Wärterstellwerk, der Weichenwärter. Große Bahnhöfe erforderten stets mehrere Fahrdienstleiter- und Wärterstellwerke, um den gesamten Bahnhofsbereich überblicken zu können.

Die technischen Abhängigkeiten zwischen mechanischen Stellwerken, z. B. zwischen Fahrdienstleiter- und Wärterstellwerk, stellt der Bahnhofsblock auf blockelektrischem Wege über Befehls- und Zustimmungsabhängigkeiten her. Insoweit benötigt das mechanische Stellwerk zum Herstellen der Signalabhängigkeit auch elektrisch wirkende Sicherungseinrichtungen.

Bauformen

Es gibt diverse Bauformen mechanischer Stellwerke. Teilweise haben die Hersteller nur die Stellwerke anderer Produzenten in Lizenz gebaut.

  • AEG
  • Bruchsal
  • Einheit
  • Esslingen
  • Fiebrandt
  • Gast
  • Harwig
  • Hein & Lehmann
  • Jüdel
  • Krauss
  • Müller & May
  • Nöll
  • Scheidt & Bachmann
  • Siemens & Halske
  • Späth
  • Stahmer
  • Thomass
  • Vögele
  • Weinitschke
  • Willmann
  • Zimmermann & Buchloh

Das älteste Stellwerk im Bereich der Deutschen Bahn wurde im Jahr 1887 errichtet (Stand: 2006).[1]

Gebäudeformen

Die von Außenstehenden oft benutzte Einteilung von Stellwerken nach der Gebäudeform hat mit Funktion und Technik des Stellwerkes nur wenig zu tun, zumal diese Unterscheidung nur bei Altanlagen mit mechanischer oder elektromechanischer Stelltechnik benutzt wird, die einen Überblick über die vom Stellwerk beaufsichtigten Bahnanlagen zwecks Freimeldeprüfung „Durch Augenschein“ erfordern. Hier werden insbesondere

  • Stellwerkstürme, die an der Seite einer Bahnanlage errichtet wurden und einen erhöhten Bedienraum über den Spannwerken besitzen,
  • Brückenstellwerke, die ihren Bedienraum in einer Brücke quer über den betreuten Bahnanlagen und
  • Reiterstellwerke, deren Bedienraum erhöht in Längsrichtung über den Bahnanlagen liegt, besonders benannt.

Gemeinsam ist ihnen, dass sie in Bahnhöfen stehen, in denen zwischen den Gleisen ein geeigneter Platz mit Übersicht über die Anlagen zwecks Freimeldung anders nicht eingerichtet werden konnte, typischerweise lassen sich bei diesen Gebäuden Spannwerke nicht im Gebäude unterbringen und stehen deshalb am Rande der Gleisanlage.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Deutsche Bahn AG, DB Systemtechnik: Tätigkeitsbericht 2006 (PDF, 1,6 MB), S. 32

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