Medizinprodukt

Medizinprodukt

Medizinprodukt bezeichnet einen Gegenstand oder einen Stoff, der zu medizinisch therapeutischen oder diagnostischen Zwecken für Menschen verwendet wird, wobei die bestimmungsgemäße Hauptwirkung im Unterschied zu Arzneimitteln primär nicht pharmakologisch, metabolisch oder immunologisch, sondern physikalisch oder physikochemisch erfolgt.

Inhaltsverzeichnis

Gesetzliche Definition

In Deutschland regelt das Gesetz über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz - MPG) vom 2. August 1994 den Verkehr mit Medizinprodukten. Es dient der nationalen Umsetzung von drei europäischen (Stamm-) Richtlinien (90/385/EWG [aktive implantierbare medizinische Geräte], 93/42/EWG [sonstige Medizinprodukte] und 98/79/EG [In-vitro-Diagnostika]), die durch spätere Änderungsrichtlinien ergänzt bzw. geändert wurden, zuletzt mit Richtlinie 2007/47/EG vom 5. September 2007 zum 21. März 2010. Das MPG und seine acht ausführenden Rechtsverordnungen enthalten darüber hinaus weitere nationale Regelungen, die hauptsächlich der Überwachung im Markt befindlicher Medizinprodukte (Marktüberwachung) dienen. Das MPG wurde zuletzt am 30. Juli 2010 geändert.[1]

§ 3 MPG enthält in Nr. 1 bis 4 die Legaldefinition/en des Begriffs Medizinprodukt.

EU-Definition

Medizinprodukte im Sinne der Richtlinie 93/42/EWG sind alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Stoffe oder anderen Gegenstände, einschließlich der vom Hersteller speziell zur Anwendung für diagnostische und/oder therapeutische Zwecke bestimmten und für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinprodukts eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen für folgende Zwecke bestimmt sind:

  • Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten;
  • Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen;
  • Untersuchung, Ersatz oder Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs;
  • Empfängnisregelung

und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.

Zubehör zu einem Medizinprodukt ist ein Gegenstand, der selbst kein Medizinprodukt ist, sondern nach seiner vom Hersteller speziell festgelegten Zweckbestimmung „zusammen mit einem Medizinprodukt“ zu verwenden ist, damit dieses entsprechend der vom Hersteller des Medizinprodukts festgelegten Zweckbestimmung des Medizinprodukts angewendet werden kann.

Auch In-vitro-Diagnostika sind Medizinprodukte (§ 3 Nr. 4 MPG).

Ein „Aktives Medizinprodukt“ ist ein Medizinprodukt, dessen Betrieb von einer Stromquelle oder einer anderen Energiequelle (mit Ausnahme der direkt vom menschlichen Körper oder durch die Schwerkraft erzeugten Energie) abhängig ist. Ein Produkt zur, im Wesentlichen unveränderten, Übertragung von Energie, Stoffen oder Parametern zwischen einem aktiven Medizinprodukt und dem Patienten wird nicht als aktives Medizinprodukt angesehen.

Eine „Sonderanfertigung“ ist jedes Produkt, das nach schriftlicher Verordnung eines Arztes nach spezifischen Auslegungsmerkmalen eigens angefertigt wird und zur ausschließlichen Anwendung bei einem namentlich genannten Patienten bestimmt ist. Serienmäßig hergestellte Produkte, die angepasst werden müssen, um den spezifischen Anforderungen des Arztes oder eines anderen berufsmäßigen Anwenders zu entsprechen, gelten nicht als Sonderanfertigungen.

"Medizinprodukte aus Eigenherstellung“ sind Medizinprodukte einschließlich Zubehör, die in einer Gesundheitseinrichtung hergestellt werden, um in der Betriebsstätte oder in Räumen in unmittelbarer Nähe der Betriebsstätte angewendet zu werden, ohne dass sie in Verkehr gebracht werden (Übertragung auf einen anderen Rechtskörper gilt als Inverkehrbringen) oder die Voraussetzungen einer Sonderanfertigung erfüllen. Medizinprodukte aus Eigenherstellung müssen den Grundlegenden Anforderungen nach Anhang I der Richtlinie 93/42/EWG entsprechen und der Hersteller muss vor Inbetriebnahme bzw. Anwendung an Patienten ein Konformitätsbewertungsverfahren nach der Richtlinie 93/42/EWG bzw. dem MPG durchführen (lediglich die CE-Kennzeichnung ist nicht erforderlich). Die Eigenherstellung ist im deutschen Medizinproduktegesetz spezifiziert.

Medizinprodukte unterscheiden sich von Arzneimitteln (Richtlinie 2001/83/EG) dadurch, dass ihre bestimmungsgemäße Hauptwirkung überwiegend auf physikalischem Weg erreicht wird (siehe auch Produktabgrenzung).

Aktive implantierbare medizinische Geräte' (zum Beispiel Herzschrittmacher) werden durch die EU-Richtlinie 90/385/EWG, In-vitro-Diagnostika durch die IVD-Richtlinie 98/79/EG geregelt. Sie sind ebenfalls Medizinprodukte, aber nicht im Sinne der Richtlinie (93/42/EWG); sie werden in Deutschland und Österreich ebenfalls durch das jeweilige nationale Medizinproduktegesetz geregelt.

Keine Medizinprodukte sind

  • Feste nicht wiederverwendbare Einheiten mit einem Arzneimittel (Arzneimittel-Kit)
  • Kosmetische Mittel (Richtlinie 76/768/EWG)
  • Persönliche Schutzausrüstung (Richtlinie 89/686/EWG)
  • Menschliches Blut, Blutprodukte, Plasma oder Blutzellen menschlichen Ursprungs (ausgenommen Blutderivate)
  • Transplantate, Gewebe, Zellen menschlichen Ursprungs oder Produkte dieses Inhalts oder dieses Ursprungs
  • Transplantate, Gewebe, Zellen tierischen Ursprungs, (ausgenommen Produkte aus abgetötetem tierischen Gewebe)
  • Nationale Ausnahmen
  • Alles, was eigentlich ein Medizinprodukt wäre (zum Beispiel chirurgische Geräte), aber zur Anwendung bei Tieren bestimmt ist (gelten nicht als Medizinprodukt, sondern als Tierarzneimittel)

Nationale Ausnahmen

Jede nationale Gesetzgebung hat das Recht, zum Beispiel aus Sicherheitsgründen, bestimmte Medizinprodukte zu Arzneimitteln zu erklären (siehe auch Produktabgrenzung). Nicht möglich ist es dagegen, nur ein bestimmtes Medizinprodukt national anders als nach den EU-Richtlinien zu behandeln.

In den meisten Ländern gelten Mundpflegemittel (Zahnpaste, Zahnbürste & Co) als Kosmetika, obgleich sie der Definition der Medizinprodukte entsprechen.

Deutsche Ausnahmen

Kontrastmittel gelten nach deutschem Arzneimittelgesetz (AMG) als Arzneimittel.

Österreichische Ausnahmen

Natürliche mineralische Vorkommen gelten in Österreich nicht als Medizinprodukte.

Ausnahmen in Irland

Kontrazeptiva gelten in Irland aus moralischen Gründen nicht als Medizinprodukte.

Ausnahmen in Schweden

Mundpflegemittel gelten in Schweden als Arzneimittel.

Einteilung

Man unterscheidet bei Medizinprodukten grundsätzlich zwischen aktiven und nicht aktiven Medizinprodukten, wobei man unter aktiven Medizinprodukten energetisch betriebene Geräte, wie Defibrillatoren, Beatmungsgeräte oder EKG-Schreiber versteht, und nicht aktive Medizinprodukte zum Beispiel Instrumente, Optiken, Nahtmaterialien oder Verbandsstoffe sind.

Zudem gibt es eine Einteilung in vier Klassen: I, IIa, IIb und III (je nach Risiko bei der Anwendung). Darüber hinaus gibt es noch die Unterklassen Is (sterile Klasse I Produkte) und Im (Klasse I Produkte mit Messfunktion).

Eine Hilfe zum Umgang mit dem komplexen Regelwerk bieten die (nicht verbindlichen) Guidelines der EU, welche in Form der MEDDEV-Guidelines in Englisch vorliegen. (zum Beispiel 2.4 Klassifizierung von Medizinprodukten Part1 und Part2)

Risikoklassifizierung

Die Medizinprodukteklasse laut Medizinproduktegesetz orientiert sich am durch die Anwendung des Produktes entstehenden Risiko und wird während des Zulassungsprozesses festgelegt. Diese Klassifizierung hat im weiteren Verlauf wesentlichen Einfluss auf den Zertifizierungsprozess (in der Sprache des Gesetzgebers: "Art der Konformitätserklärung").

Kriterien und Unterscheidungsmerkmale für die Einteilung in 4 Risikoklassen sind:

  • Dauer der Anwendung (bis 60 Minuten, bis 30 Tage, länger als 30 Tage)
  • Grad der Invasivität (invasiv, chirurgisch invasiv, implantierbar)
  • Wiederverwendbares chirurgisches Instrument
  • Aktives Medizinprodukt (Aktives therapeutisches Medizinprodukt / Aktives diagnostisches Medizinprodukt)
  • Anwendung am zentralen Kreislaufsystem
  • Anwendung am zentralen Nervensystem
  • Verwendung von biologischem Material aus Tieren oder Menschen

Die Klassen sind EU-weit durch den Anhang IX der Richtlinie 93/42/EWG festgelegt:

  • Klasse I
Keine methodische Risiken
geringer Invasivitätsgrad
kein oder unkritischer Hautkontakt
vorübergehende Anwendung ≤ 60 Minuten
  • Klasse IIa
Anwendungsrisiko
mäßiger Invasivitätsgrad
kurzzeitige Anwendungen im Körper (im Auge, intestinal, in chirurgisch geschaffenen Körperöffnungen)
kurzzeitig ≤ 30 Tage, ununterbrochen oder wiederholter Einsatz des gleichen Produktes
  • Klasse IIb
Erhöhtes methodisches Risiko
systemische Wirkungen
Langzeitanwendungen
nicht invasive Empfängnisverhütung
langzeitig ≥ 30 Tage, sonst wie bei kurzzeitig
  • Klasse III entspricht hohem Gefahrenpotential
Besonders hohes methodisches Risiko
zur langfristigen Medikamentenabgabe
Inhaltsstoff tierischen Ursprungs und im Körper
unmittelbare Anwendung an Herz, zentralem Kreislaufsystem oder zentralem Nervensystem
invasive Empfängnisverhütung und natürlich invasive Empfängnisverhütung

Für die Bewertung von Risiken gilt bei Einhalten der harmonisierten Norm ISO 14971:2007 die Konformitätsvermutung. Wird diese Norm nicht eingehalten, ist die Gleichwertigkeit der gewählten Lösung mit der harmonisierten Norm nachzuweisen.

Die Regeln zur Klassifizierung sind detailliert im Anhang IX der EU-Richtlinie 93/42/EWG festgelegt. Die Anwendung der Klassifizierungsregeln richtet sich nach der Zweckbestimmung der Produkte (und liegt daher in der Verantwortung des Herstellers).

Beispiele

Einige konkrete Beispiele für Medizinprodukte sind:

Klasse I Klasse IIa Klasse IIb Klasse III

Es ist jedoch zu beachten, dass weder durch die EU-Richtlinien noch durch die nationale Gesetzgebung eine derartige Klassifizierung von Medizinprodukten vorgenommen wird, da jeweils im Einzelfall, bezugnehmend auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch (“intended use”), die Klassifizierung durchzuführen ist.

Gesetzliche Regelungen

Umsetzung in nationale Gesetze

In jedem Land der Europäischen Union und assoziierten Ländern wurde die EU-Richtlinie per nationaler Gesetze umgesetzt:

Qualitative Regelungen zu Medizinprodukten trifft das Medizinprodukterecht. In Deutschland und Österreich ist die EU-Richtlinie durch das nationale Medizinproduktegesetz (MPG) umgesetzt, in der Schweiz sind Medizinprodukte durch das Heilmittelgesetz (welches sich stark an die EU-Richtlinien anlehnt) geregelt.

Konformitätsbewertungsverfahren

Für den Erhalt einer Zulassung eines neuen Medizinproduktes für das erstmalige Inverkehrbringen (Import, Vertrieb etc.) sind umfangreiche Prüfungen durchzuführen:

Gemäß § 6 Abs. 1 MPG dürfen Medizinprodukte, mit Ausnahme von Sonderanfertigungen, Medizinprodukte aus In-Haus-Herstellung, Medizinprodukte gemäß § 11 Abs. 1 (Sondervorschriften im Interesse des Gesundheitsschutzes) sowie Medizinprodukte, die zur klinischen Prüfung oder In-vitro-Diagnostika, die für Leistungsbewertungszwecke bestimmt sind, in Deutschland nur in den Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, wenn diese mit einer CE-Kennzeichnung versehen sind. (Die Paragraphen beziehen sich auf das deutsche MPG.)

Mit einer CE-Kennzeichnung dürfen Medizinprodukte nur versehen werden, wenn die Grundlegenden Anforderungen nach § 7 MPG, die unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung anwendbar sind, erfüllt sind und ein für das jeweilige Medizinprodukt vorgeschriebenes Konformitätsbewertungsverfahren (nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 37 Abs. 1 MPG) durchgeführt worden ist (§ 6 Abs. 2 MPG).

Die grundlegenden Anforderungen sind für aktive implantierbare Medizinprodukte die Anforderungen des Anhangs I der Richtlinie 90/385/EWG, für In-vitro-Diagnostika die Anforderungen des Anhangs I der Richtlinie 98/79/EG und für sonstige Medizinprodukte die Anforderungen des Anhangs I der Richtlinie 93/42/EWG.

Bei Produkten der Klasse I muss der Hersteller in eigener Verantwortung das Konformitätsbewertungsverfahren durchführen und für jedes Produkt eine technische Dokumentation mitsamt Risikomanagement Akte erstellen und für die Überprüfung durch Behörden bereithalten. Nach dem Bericht der EU Kommission vom 2. Juli 2003 werden durch die nationalen Behörden verstärkt Hersteller inspiziert, die nicht durch eine Benannte Stelle überwacht werden.

Die Zertifizierung durch eine staatlich benannte Stelle muss bei Produkten der Klassen IIa, IIb und III sowie Is und Im (Produkte der Klasse I, die im sterilen Zustand in den Verkehr gebracht werden oder eine Messfunktion haben) zusätzlich zur Bewertung durch den Hersteller durchgeführt werden. Die CE-Kennzeichnung wird dann durch eine vierstellige Nummer ergänzt. Die Verantwortung für das Produkt verbleibt beim Hersteller.

Hersteller im Sinne des Medizinproduktegesetzes ist derjenige, der das Produkt innerhalb des EWR in Verkehr bringt, unabhängig davon, wer das Produkt produziert.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. BGBl. I S. 983.

Weblinks

Europäische Union:

Deutschland:

Österreich:

Schweiz:

Literatur

  • Rainer Hill, Joachim M. Schmitt: WiKo - Medizinprodukterecht, Loseblatt-Kommentar. Verlag Dr. Otto Schmidt, 9. Lfg. Stand: August 2010, ISBN 3-504-04002-5.
  • Armin Gärtner: Band 1 Medizinproduktegesetzgebung und Regelwerk. Reihe Medizinproduktesicherheit. TÜV Media, 2008, ISBN 978-3-8249-1146-2.
  • Armin Gärtner: Band 2 Elektrische Sicherheit in der Medizintechnik. Reihe Medizinproduktesicherheit. TÜV Media, 2008, ISBN 978-3-8249-1164-6.
Rechtshinweis Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten!

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