Galizien [2]

Galizien [2]

Galizien (Gesch.) G. heißt eigentlich Halicz; es war in der ältesten Zeit von den germanischen Lygiern, dann wahrscheinlich von Rugiern u. Gepiden, nach der Völkerwanderung von den slawischen Chrowaten bewohnt. Seit dem Ende des 9. Jahrh. gehörte G. zu Rußland, Oleg hatte es erobert; gegen Ende des 10. Jahrh. eroberte es Mieczislaw I., König von Polen, von dem schwachen Jaropolk; aber 981 entriß es Wladimir I. von Rußland demselben wieder. Als nach dem Tode des Großfürsten Jaroslaw 1054 dessen fünf Söhne das Reich theilten, kam G. mit Podolien u. einem Theil von Volhynien an den vierten, den Fürsten Igor, der 1058 auch noch Smolensk dazu erhielt. Fürst Jagor stand, wie die andern, unter dem ältesten Bruder, dem Großfürsten Isäslaw, in einer Art Lehnsverhältniß, s. Rußland (Gesch.). Igor, in den Strudel des Bürgerkriegs gerissen, starb zuerst unter seinen Brüdern; Rostislaw riß die Herrschaft nun an sich, u. 1097 kam G. an dessen Sohn Wolodar. Dieser machte mit dem Fürsten von Wladimir oft Einfälle in das Land des Polenkönigs Boleslaw, u. da sich dieser des Feindes nicht mit Gewalt erwehren konnte, so erbot sich Peter Wlast, ein Günstling des Königs, jenen durch List zu fangen. Er kam zu Wolodar, stellte sich, als wäre er in Ungunst bei Boleslaw gefallen, u. blieb bei Wolodar, bis er denselben einst auf der Jagd fing u. nach Polen brachte (um 1120); sein Sohn Wladimirko löste ihn um großes Lösegeld, u. Wolodar selbst mußte auch Unterwürfigkeit unter Polen geloben. Sein Nachfolger Wladimirko machte sich wieder unabhängig u. vergrößerte durch die Eroberung mehrerer Nachbarstaaten, wie Przemysl, Terebowl, Swenigorod, sein Fürstenthum, welches unter seinem Sohn u. (seit 1153) Nachfolger Jaroslaw Ostromysly (d.i. dem Scharfsinnigen) durch Handel u. Erhaltung des Friedens blühend ward. 1187 folgte diesem sein ihm unähnlicher Sohn Wladimir Jaroslawitsch, welcher Raubzüge in die Nachbarstaaten machte, heilige Orte entweihte u. Gräuel aller Art verübte. Um diesem Unwesen zu steuern, fiel König Kasimir II. von Polen 1188 in G. ein, zwang Wladimir zur Flucht u. gab G. an Roman, Fürst von Wladimir. König Bela III. von Ungarn, zu welchem Wladimir geflohen war, eroberte indeß bald darauf G., u. seit dieser Zeit nannten sich die Könige von Ungarn Rex Galatiae. Bela gab das Land seinem Sohn Andreas. Wladimir, von Bela gefangen gehalten, entkam, suchte Hülfe bei den Polen u. wurde von Kasimir durch den Palatin Mikolaj 1189 wieder in die Herrschaft eingesetzt. Dieser blieb nun in dem ruhigen Besitz G-s. nachdem Ungarn u. Polen Frieden geschlossen hatten. Als Wladimir 1189 ohne Kinder starb, wurde Roman mit polnischer Hülfe wieder auf den Thron von G. gesetzt u. G. mit Wladimirverbunden. Roman ührte indeß ein so gewaltthätiges Regiment, daß viele der reichsten Familien das Land verließen. Nach Romans Tode 1205 stritten sich die Nachbarstaaten um den Besitz G-s, bis es dem Ungarnkönig Andreas gelang, seinem unmündigen Enkel Daniel, Romans Sohn, den Thron zu erhalten. Derselbe blieb indeß nur ein Jahr im Besitz der Herrschaft, welche er 1206 bis auf sein Stammland Wladimir abtreten mußte, während in G. Fürst Jaroslaw von Perejaslawl, Sohn des Großfürsten Wsewolod, folgte. Diesem aber kam der, von den Galiziern selbst eifrig unterstützte Fürst Wladimir Igorewitsch von Severien zuvor, bemächtigte sich des Throns, eroberte auch Wladimir u. Swenigorod, welche Fürstenthümer er seinen Brüdern Swätoslaw u. Roman Igorewitsch gab. Aber nicht lange darnach entstanden Uneinigkeiten unter den Brüdern, die Bojaren machten Aufstände, Ungarn u. Polen drohten mit Krieg; Roman vertrieb mit Hülfe der Ungarn seinen Bruder Wladimir vom Thron u. verband Swenigorod wieder mit G.; Swätoslaw wurde von Alexander von Belz mit Hülfe des Polenkönigs Leschko des Weißen vertrieben. Roman verscherzte kurze Zeit nachher die Gunst des Königs Andreas, welcher den Magnaten Benedict nach G. schickte, Roman gefangen nehmen u. das Land auf das Härteste bedrücken ließ. Doch entfloh Roman, u. mit Wladimir ausgesöhnt, vertrieb er die Ungarn, u. auch Swätoslaw wurde von den Polen entlassen. Da aber die Brüder sich den Galiziern durch Grausamkeiten verhaßt machten, riefen diese Andreas zu Hülfe u. schlugen die Fürsten, welche gefangen genommen u. ermordet wurden. Daniel erhielt den Thron zurück, doch blieb ihm nur der Schein der königlichen Gewalt, welche in der That in den Händen der Bojaren ruhte Als sich eine[861] Vartei derselben unter Wladislaw förmlich gegen den Herrscher auflehnte, stillte Andreas den Aufstand. Bald darauf vertrieben die Polen den schwachen Daniel aus G., u. Andreas setzte nun den Bojaren Wladislaw als Fürsten von G. ein. Gegen diesen fand Daniel Hülfe bei den Polen; diese schlugen 1214 Wladislaw, konnten aber G. nicht ganz erobern, u. König Leschko verglich sich mit Andreas dahin, daß Daniel Wladimir erhalten, Gaber an Andreas Sohn, Coloman, kommen u. dieser Leschkos Tochter, Salome, heirathen sollte. Coloman wurde als König von G. vom Erzbischof von Gran gekrönt. Die Ruhe des Landes wurde indeß bald wieder gestört, als der König den Römisch-katholischen Glauben in G. einführen wollte; die Bojaren, damit unzufrieden, verbanden sich mit dem Fürsten Mstislaw von Nowgorod, den der inzwischen mit Andreas entzweite Leschko gegen G. aufgehetzt hatte. 1218 vertrieb Mstislaw die ungarischen Magnaten, nahm Halicz ein, fing Coloman u. ließ sich von russischen Bischöfen mit Colomans goldner Krone als Czar von G. krönen. Darauf schloß er mit Andreas einen Friedenstractat, dem zufolge dessen Sohn Andreas seine Tochter heirathete u. die Krone erhielt. Aber Andreas war nicht beliebt, u. nach Mstislaws Tode 1228 vertrieb dessen andrer Schwiegersohn, Fürst Daniel von Wladimir, seinen Schwager Andreas. Zu Daniel kamen 1244 Abgesandte des Tatarenkhans Batu, die entweder Abtretung des Fürstenthums G. od. Anerkennung der Obergewalt Batus forderten; Daniel verstand sich zur Tributzahlung, bat aber, um sich von den Tataren zu befreien, den Papst Innocenz IV. um Hülfe, indem er versprach, zur Römischen Kirche überzutreten; dies geschah, u. 1249 ließ er sich zu Drogitschin von einem päpstlichen Legaten zum König von G. krönen. Die päpstliche Hülfe blieb indeß aus, u. da nach Innocenz' IV Tode 1254 dessen Nachfolger Alexander IV. gar nichts für Daniel that, so brach dieser 1257 alle Verbindung mit Rom ab u. trat zur Griechischen Kirche zurück. Mit dem König Bela IV. von Ungarn verbunden, fiel er darauf in Schlesien ein u. drang bis Troppau vor. Der Tatarenkhan Burondai schöpfte indeß Mißtrauen gegen Daniel, u. dieser mußte die Befestigungen der Städte schleifen; Danilow, Stoschek. Kremenez, Luzk, Lemberg sanken in Folge dessen zu Dörfern herab. Daniel st. 1266. In G. folge ihm sein jüngster Sohn Swarno, welcher von seinem Schwager, dem Fürsten Woischolg von Lithauen, als derselbe in das Kloster ging, dieses Fürstenthum erhielt u. Lithauen mit G., vereinigte. Da er bald darauf starb, folgte ihm in G. sein älterer Bruder Leo, der sein früheres Besitzthum Kiew vernachlässigend. auf G. alle Sorgfalt verwendete; er befestigte auch Lemberg von Neuem. 1280 machte er einen vergeblichen Versuch, den Polen Krakau u. Sendomir zu entreißen, doch zogen aus Krakau viele Leute wegen einer dort herrschenden Hungersnoth nach G., was für die Cultur des Landes von den günstigsten Folgen war. Mit Lithauen lag Leo stets in Streit. Er unterstützte Bela IV. von Ungarn gegen den deutschen Kaiser u. führte zuerst russische Hülfstruppen bis Wien. Auch gegen die Tataren trat er mit Energie auf, verhinderte das Vordringen derselben u. machte G. zu einer Schutzwehr gegen die fernern Einfälle der Tataren in Westeuropa. Nach seinem Tode (1311) kam G. mit Wladimir an Moskau, u. nach des Fürsten Georg Tode 1336 erkannten die Bojaren von G. dessen Neffen Boleslaw, Sohn der Schwester Georgs u. des Fürsten Troiden von Massovien, als ihren Herrn an, nachdem er ihnen geschworen, ihre Gesetze nicht ändern, das Staats- u. Kircheneigenthum nicht antasten u. in wichtigen Angelegenheiten die Bojaren u. das Volk um ihre Zustimmung fragen zu wollen. Er hielt seine Zusage schlecht und starb schon 1340, worauf sein Schwager, König Kasimir von Polen, das Fürstenthum G. u. Lemberg für sich in Besitz nahm. Von nun an schwand der Glanz des alten Königshauses von G., denn die Schätze u. Reichthümer wanderten nach Krakau u. das Fürstenthum selbst wurde zerstückelt. 1352 trat König Ludwig der Große von Ungarn dem polnischen Könige seine Ansprüche an G. ab, welcher 1366 Wladimir an Lithauen abtrat. 1377 starb Kasimir, worauf Ludwig der Große von Ungarn G. u. Wladimir zurück erhielt u. in beiden Fürstenthümern die Römisch-katholische Religion einführte. 1382 kamen diese Fürstenthümer durch Hedwig, Tochter Ludwigs u. Gemahlin des Königs Wladislaw von Polen, wieder an Polen u. blieben mit diesem Staate bis 1773 vereinigt, wo in der ersten Theilung Polens die halbe Woiwodschaft Krakau, die Herzogthümer Auschwitz u. Zator, Theile von der Woiwodschaft Sendomir u. Lublin, ein Theil von Chelm, ganz Rothrußland u. Theile von Belz, Volhynien u. Podolien, endlich Halicz u. Pokutien (zusammen 1400 QM.) als Königreich G. u. Lodomerien an Österreich kamen, nachdem Maria Theresia schon seit 1769 das galizische Wappen geführt hatte. Diese Provinzen hießen Ost-G., nachdem 1795 in der dritten Theilung Polens noch der Rest von Krakau, Chelm, Sendomir, Lublin, Masovien u. Podlachien u. Theile von Brzesc-Litewski (860 QM. u. 1,307,000 Einw.) als West-G. zu Österreich geschlagen worden waren. Seitdem verschwand auch der Name Lodomerien aus der Kanzleisprache u. kommt nur noch im Titel u. Wappen vor. 1809 trat Österreich im Wiener Frieden ganz West-G., Theile von Ost-G. u. den Zamoscer Kreis an das Großherzogthum Warschau u. an Rußland den Kreis Tarnopol gb. 1815 blieb das Abgetretene bei Polen, der Tarnopoler Kreis wurde von Rußland zurückgegeben u. Theile von G. wurden zur neuen Republik Krakau verwendet, welche aber mit dieser 1846 an Österreich zurückfielen.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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