Autonomie

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Als Autonomie (altgriechisch αύτονομία, autonomía, „sich selbst Gesetze gebend, Eigengesetzlichkeit, selbständig“, aus αύτός, autos, „selbst“ und νόμος, nomos, „Gesetz“) bezeichnet man den Zustand der Selbstständigkeit, Selbstbestimmung, Unabhängigkeit, Selbstverwaltung oder Entscheidungsfreiheit. Ihr Gegenteil ist die Heteronomie.

Autonomie ist ein Begriff, der in vielen Wissenschaften wie beispielsweise dem Völkerrecht, der Politikwissenschaft, Philosophie, Soziologie, Psychologie, oder Sozialen Arbeit verwendet wird.

Inhaltsverzeichnis

Autonomie in der Philosophie

Hauptartikel: Autonomie (Philosophie)

Der philosophische Autonomiebegriff wurde während der Aufklärung und dem aufkommenden Freiheitsgedanken maßgeblich von Immanuel Kants Moralphilosophie geprägt. Autonomie wird als die Möglichkeit des Menschen bestimmt, sich durch sich selbst in seiner Eigenschaft als Vernunftwesen zu bestimmen.

Politisch autonome Gebiete

Volle Autonomie

Volle völkerrechtliche Autonomie (Souveränität) genießt ein Staat, der keiner Gesetzgebung, Exekutive und Rechtsprechung außerhalb seiner selbst untersteht.

Politisch kann der Begriff auch verschärft werden: Heute hat nur der Staat Autonomie, der über die Herstellung und Anwendung von Atomwaffen selber beschließen kann. (Egon Bahr)

Beschränkte Autonomie

Staaten oder Gebiete werden als autonom (früher gelegentlich auch als souverän) bezeichnet, wenn sie sich außenpolitisch von anderen Staaten vertreten lassen, nach innen aber selbstständig sind. Dies sind oft Gebiete innerhalb von Staaten, in denen starke Minderheiten leben:

Autonomiebewegungen

Siehe: Autonomiebewegung

Teilautonomie

Eine Verwaltungseinheit oder ein Bundesstaat eines Staates kann in bestimmten Kompetenzbereichen vollständig unabhängig über seine eigenen Belange entscheiden. Zum Beispiel haben die Kantone der Schweiz Entscheidungsfreiheit in allen Bereichen, die nicht ausdrücklich an die Eidgenossenschaft delegiert wurden, und solange die Entscheidungen nicht der Bundesverfassung widersprechen. Hierunter fallen Teile des Bildungswesens, der inneren Sicherheit, des Sozial- und des Gesundheitswesens.

Bestimmte Verwaltungseinheiten eines zentralistisch regierten Staates haben gewisse Kompetenzbereiche, in denen sie frei über ihre Belange entscheiden dürfen. Zum Beispiel hat die französische Region Elsass eine Teilautonomie im sonst zentralisierten Bildungswesen. Davon betroffen sind Ausmaß und Gestaltung des Deutschunterrichts sowie Regelungen zur Benutzung der deutschen Sprache im Unterricht.

Sonderfall Italien

Der Staat Italien hat in den letzten Jahren durch Devolution einige seiner Kompetenzen an die Regionen übertragen. Diese genießen seither eine gewisse Autonomie. Das Gesundheitswesen und der Tourismus z. B. fallen nun mehr in den regionalen Zuständigkeitsbereich.

Die Inseln Sizilien und Sardinien und die von Minderheiten bewohnten Grenzregionen Friaul-Julisch Venetien, Aostatal und Trentino-Südtirol verfügen über eine von einem Sonderstatut (ein Gesetz in Verfassungsrang) geregelte Autonomie. In Italien werden diese Regionen als autonome Regionen bezeichnet. In der Tat geht vor allem die finanzielle Autonomie weiter als die etwa der deutschen und österreichischen Bundesländer, da 60 bis sogar 100 Prozent aller Steuern den genannten Regionen zustehen. (Siehe auch Südtirol-Paket)

Sonderfall Spanien

Nach 1978 entstanden in Spanien 17 Autonome Regionen. Die Verfassung garantiert den Regionen ausdrücklich ihre Autonomie. Sie stellt aber für die jeweiligen Autonomiestatute nur einen flexiblen Rahmen dar, der für jede Region individuell eine weitergehende oder engere Autonomie ermöglicht. Das Baskenland, Navarra und Katalonien, mit dem Autonomiestatut von Katalonien, nehmen daher eine Sonderstellung ein. Die drei Regionen haben ihren eigenen Polizeikörper, die Ertzaintza im Baskenland, die Policía Foral in Navarra und die Mossos d’Esquadra in Katalonien. Diese besondere Rolle ist vor allem auf die jeweilige Geschichte zurückzuführen, die jahrhundertelang von Bevormundung und Unterdrückung durch die Zentralregierung in Madrid geprägt war.

Autonome orthodoxe Kirchen

Als autonome Kirchen werden in der Orthodoxie Kirchen bezeichnet, die nach innen selbstständig sind, während sie nach außen einem Patriarchat unterstehen. Bei der Wahl eines neuen Kirchenoberhaupts hat das zuständige Patriarchat ein Mitspracherecht. Voll selbstständige, unabhängige Kirchen werden demgegenüber als autokephal bezeichnet.

Als Autonomie bezeichnete Protestbewegungen

Der Begriff „Autonomie“ zur Kennzeichnung einer politischen oder kulturellen Protesthaltung kam in den 1970er Jahren auf und ging aus von der italienischen Bewegung Autonomia Operaia. In den USA gab es jedoch schon in den 1940er Jahren literarische Protestbewegungen gegen die politischen und moralischen Ansichten der Mittelschicht. Das Ziel war, den herrschenden Werten und Regeln in Form einer „zweiten Gesellschaft“ entgegenzutreten und diese gegen die Mehrheitsgesellschaft durchzusetzen.

Radikale und sich beschleunigende soziale Konflikte mit dem staatlichen Gewaltmonopol, die sich aus diesem Konzept ergaben, führten mithin bis zur Selbstexklusion und Gewaltbereitschaft von Teilen von sozialen Bewegungen („Protestbewegungen“), wie sie z. B. in Deutschland seit den frühen 1980er Jahren als „Autonome“ bekannt wurden.

Autonomie ist eine zentrale Forderung des Feminismus bzw. der Frauenbewegung:

„Autonomie ist die zentrale Idee der Moderne. Der Mensch bestimmt sich selbst. Alles läuft darauf zu – ganz besonders im Leben der Frauen. Sie fordern Handlungsfreiheit. Sie wollen selbst entscheiden, ob und wann sie ein Kind bekommen, ob sie sich an einen Mann binden oder nicht. Sie streben in die Vorstandsetagen der Unternehmen. Sie wollen Posten. Sie wollen das Sagen haben in der Politik und den Universitäten. Sie wollen mehr Geld, ihre Meinung äußern, unabhängig sein, sich durchsetzen, die Welt der Männer umkrempeln und – sie besser machen. Und das alles völlig zu Recht.[1]

Autonomie in der Forschung

Autonomie in der Psychologie

Die Psychologie betrachtet das Spannungsverhältnis zwischen Fremdbestimmung (Heteronomie) und Selbstbestimmung (Autonomie), während die Entwicklungspsychologie die Entwicklung des Kindes thematisiert, das eine „frühe Bindung“ zu einer erwachsenen Person aufbaut, um zu einer Person heranzuwachsen, die autonom Entscheidungen zur Planung und Gestaltung des eigenen Lebens treffen kann.[2]

Für eine sozial eingebundene Person steht eine partielle Fremdbestimmung nicht grundsätzlich im Widerspruch zur eigenen Entwicklung. Als Anschauungsbeispiel wird unter anderem das eines Orchesters angeführt, in dem verschiedene Musiker als Teil zum Ganzen beitragen. Eine ausgeprägte Selbstbestimmung kann sogar Probleme bereiten, wenn sie aus sozialer Perspektive als soziale Isolation betrachtet wird.[3]

Aufbauend auf der Entwicklungspsychologie betrachtet die Persönlichkeitspsychologie das Spannungsverhältnis zwischen Autonomie und Bindung. Danach handelt es sich um zwei menschliche Grundimpulse, die die Persönlichkeit einem dauerhaften Konflikt zwischen Nähe und Distanz aussetzen. Die tiefenpsychologischen Ursachen und Auswirkungen dieser beiden gegensätzlichen menschlichen Strebungen (psychologische Antinomie) auf die Persönlichkeit wurde detailliert vom Psychoanalytiker Fritz Riemann in seinem Klassiker "Grundformen der Angst" (1961) untersucht. Danach können beide Grundbedürfnisse aufgrund früher Erfahrungen als angstbehaftet vom Individuum erlebt werden. Riemann nennt die Angst vor der Selbstwerdung ("Eigendrehung") als maßgeblich für ein überwertiges Bindungsbedürfnis. Demgegenüber führt die Angst vor der Selbsthingabe (Abhängigkeit) zu einer starken Ausprägung des Autonomiestrebens. Entsprechende Einseitigkeiten haben maßgeblichen Einfluss auf die Persönlichkeitsstruktur und finden sich auch in psychologischen Typologien wieder.

Autonomie in der Soziologie

Soziologisch bestimmt sie Max Weber folgendermaßen: „Autonomie bedeutet, daß nicht, wie bei Heteronomie, die Ordnung des Verbands durch Außenstehende gesetzt wird, sondern durch Verbandsgenossen kraft dieser ihrer Qualität (gleichviel wie sie im übrigen erfolgt)"[4].

Die Soziologie greift Themen der Autonomie vor dem Hintergrund der Dissoziation in der Arbeitswelt wieder auf. Die Unterscheidung zwischen autonomen Vollbeschäftigten und auf eine zugestandene verbleibende Teilautonomie beschränkten Arbeitslosen erfordert eine Erneuerung der Sichten auf den Autonomiebegriff in Gesellschaften unter Einbeziehen der individuellen Perspektiven wie der Gruppenperspektiven.[5]

Autonomie in der Pädagogik

Erziehung und Sozialisation haben, wenn sich Erziehung legitimieren muss, vor allem das Ziel, den Heranwachsenden von seinen Erziehenden zu emanzipieren (Psychologie), sodass ihm ein Leben in Unabhängigkeit und Freiheit möglich ist. Dieses Ziel muss nicht zwangsläufig erreicht werden. Der Erziehungsprozess kann vielmehr so strukturiert sein, dass er das Ziel (weitgehend) verfehlt.

  • Mangelnde Autonomie eines jungen Erwachsenen kann auf einem Beziehungsproblem mit den Erziehenden beruhen.
  • Es kann auch am situativen Kontext liegen, der Autonomie grundsätzlich be- oder verhindert. Der (psychische) Druck der Situation macht eine Autonomie unmöglich.
  • Auch mangelnde Fähigkeiten (des Erzogenen) können dazu führen, dass Autonomie nicht gewollt wird. (Die Abhängigkeit von Erziehenden mag z. B. bequemer sein als eine Selbstständigkeit, die die letzten intellektuellen und emotionalen Reserven fordert.)

Gesellschaftliche und politische Verantwortung ist nur denkbar, wenn die Mitglieder einer sozialen Gruppe oder Gesellschaft die Möglichkeit zum autonomen Handeln besitzen.

Aus diesen Gründen werfen Erziehungsprozesse fortwährend die Frage auf, durch welche Erziehungsmethoden die Bildung einer autonomen Persönlichkeit gefördert werden kann. Dies muss eine der zentralen Fragestellungen der am Erziehungsprozess beteiligten Personen sein.

  • Weitgehend besteht Einverständnis darüber, dass in der Erziehung lenkende Methoden ungeeignet sind, wobei der Teufel im Detail liegt: Wie viel Lenkung ist in Erziehungsprozessen notwendig? – Wie viel Lenkung darf im Sinne der Autonomie realisiert werden? – Wie viel Selbstständigkeit (Autonomie) ist z. B. in Gruppen möglich und akzeptabel?
  • Andererseits ist auch eindeutig, dass extreme Gängelung und Unselbstständigkeit in der Erziehung Abhängigkeiten schaffen, die die Entstehung von Autonomie verhindern.

Letztendlich kann Autonomie im Sinne der Pädagogik nur durch denjenigen erarbeitet oder erstritten werden, der sie will oder wünscht. Insofern spielt die Eigendynamik des Betroffenen (Entwicklungspsychologie) beim Erreichen der Autonomie die bedeutende Rolle. Ein Kind oder Jugendlicher ohne Vorstellung von Autonomie wird es schwer haben, sich von seinen Erziehenden zu emanzipieren.

Auch der verantwortungsvollste Erzieher hat zur Autonomie des Zöglings ein zwiespältiges Verhältnis, da die faktische Autonomie des Heranwachsenden emotional als Verlust und rational als Gefährdung des Kindes bewertet werden kann, ganz abgesehen von den Risiken, die sich aus den ersten Erfahrungen mit Autonomie für das Kind oder den Jugendlichen ergeben.

Literatur

  • Thomas Benedikter: Autonomien der Welt. Eine Einführung in die Regionalautonomien der Welt mit vergleichender Analyse, ATHESIA, Bozen 2007
  • Thomas Benedikter: The World's Modern Autonomy Systems • Concepts and Experiences of Regional Territorial Autonomy, EURAC 2010
  • Fritz Riemann: Grundformen der Angst, Reinhardt, 2009

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Sabine Rückert (8. April 2011): Strafprozess: Kachelmanns Frauen, Seite 2. ZEIT ONLINE. Abgerufen am 3. Juli 2011.
  2. L. Ahnert: Frühe Bindung, München 2004
  3. Günter Burkart (Hrsg.): Die Ausweitung der Bekenntniskultur – neue Formen der Selbstthematisierung?. ISBN 3531147595 (http://books.google.com/books?id=myhILq4manQC&pg=PA327&lpg=PA327&dq=selbstbestimmung+fremdbestimmung+einssein&source=web&ots=5WS6sFXfvn&sig=rcTugxN_6Pf2KfzcCO3z2zL-C3c#PPA327,M1, abgerufen am 28. Januar 2008).. Darin: Günter Burkart, Melanie Fröhlich, Marlene Heidel und Vanessa Watkins: Gibt es Virtuosen der Selbstthematisierung?, S. 27
  4. Max Weber in: Wirtschaft und Gesellschaft, Teil 1, Kap. 1, § 12
  5. Grenzen der Autonomie

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