Roll-Nick-Gier-Winkel

Roll-Nick-Gier-Winkel
Orientierung der Achsen bei einem Flugzeug

Roll-Nick-Gier-Winkel, englisch Roll-Pitch-Yaw-Winkel, sind eine Möglichkeit zur Beschreibung der Orientierung eines Fahrzeugs im dreidimensionalen Raum, die zunächst nur bei Luftfahrzeugen gebräuchlich war, inzwischen aber auch zur Lagebeschreibung von Land-, Wasser- und Raumfahrzeugen Verwendung findet.

Inhaltsverzeichnis

Details

Im einzelnen beschreiben die drei aus der Flugsteuerung übernommenen Winkel dabei Drehungen um die drei senkrecht zueinander verlaufenden Achsen eines objektbezogenen rechtshändigen Koordinatensystems (engl. body frame), dessen Ursprung man sich im Mittelpunkt des Fahrzeugs denkt, wobei die Winkelbezeichnungen sich unmittelbar aus den Namen der drei möglichen Drehbewegungen des Fahrzeugs um seine Körperachsen ableitet (siehe Abb. rechts):

  • Rollen (engl. roll)): Drehung um die in Bewegungsrichtung des Fahrzeugs verlaufende x-Achse (Roll-, Wank- oder Längsachse). Für den Rollwinkel wird dabei mitunter auch der Begriff Querneigungswinkel (engl. bank angle) gebraucht.
  • Nicken (engl. pitch, selten auch nick): Drehung um die senkrecht zur x-Achse des Fahrzeugs verlaufende y-Achse (Nick- oder Querachse).
  • Gieren (engl. yaw): Drehung um die senkrecht auf der x-y-Ebene des Fahrzeugs stehende z-Achse (Gier-, Hoch- oder Vertikalachse). Für den Richtungswinkel werden dabei mitunter auch die Begriffe heading oder Azimut gebraucht.
RPY-Winkel von Autos und anderen Landfahrzeugen

Übereinstimmend zeigt dabei allerdings nur die positive x-Achse (engl. roll axis) stets, d.h. sowohl bei Raum-, Luft-, Wasser- und Landfahrzeugen, in deren Flug- bzw. Bewegungsrichtung (engl. heading). Für die positive y- und z-Richtung des Objektsystem (body frame) dagegen gibt es je nachdem, welches externe Koordinatensystem (engl. world frame) als Bezugsystem genutzt wird, zwei unterschiedliche Konventionen:

  • Bei Landfahrzeugen, die das ENU-System (East-North-Up) als Bezugssystem verwenden, zeigt die positive y-Achse (engl. pitch axis) stets nach links bzw. Backbord und die senkrecht auf der x-y-Ebene des Fahrzeugs stehende positive z-Achse (engl. yaw axis) stets nach oben[1].
  • Bei Raum-, Luft- und Wasserfahrzeugen einschließlich U-Booten dagegen, die aus Gründen der Kompatibilität zur traditionellen Kompassrichtung weiter das NED-System (North-East-Down) als Bezugssystem nutzen, zeigt die positive y-Achse (engl. pitch axis) stets in Richtung der rechten Tragfläche bzw. nach Steuerbord und die senkrecht auf der x-y-Ebene des Fahrzeugs stehende positive z-Achse (engl. yaw axis) stets nach unten.
RPY-Winkel von Schiffen und anderen Wasserfahrzeugen
RPY-Winkel von Flugzeugen und anderen Luftfahrzeugen

Was „unten“ ist, wird dabei allerdings bei Raumfahrzeugen wie Raumfähren oder Satelliten etwas anders definiert als bei Flugzeugen und Schiffen[2][3][4]: Je nach Zielstellung des Fluges verwenden Raumfahrzeuge statt eines der beiden obengenannten externen Koordinatensysteme entweder ein an der aktuellen Flugbahn orientiertes sogen. lokales Bezugssystem (engl. local frame) oder ein sich am Sternbild Widder und dessen Frühlingswendepunkt (engl. vernal equinox) sowie an der Nord-Süd-Achse der Erde orientierendes sogen. Inertialsystem (engl. inertial frame):

RPY-Winkel von Raumfähren und anderen Raumfahrzeugen bei Benutzung eines lokalen Bezugssystems
RPY-Winkel von Raumfähren und anderen Raumfahrzeugen bei Benutzung eines inertialen Bezugssystems

Geht es darum, das Raumfahrzeug, z.B. eine Raumfähre, bei seinen Erdumkreisungen in einer möglichst gleichbleibenden Lage hinsichtlich des Himmelszelts zu halten, etwa, um bestimmte astronomische Untersuchungen durchzuführen, wird als Bezugssystem vorzugsweise das Inertialsystem benutzt, bei dem die RPY-Winkel (0|0|0) eine Lage der Raumfähre beschreiben, in der diese mit ihren Flügeln parallel zum Erdäquator, dem Bug in Richtung Frühlingswendepunkt sowie dem Bauch in Richtung Polarstern zeigend die Erde umkreist[5].

Geht es dagegen darum, die Raumfähre bei ihren Erdumkreisungen in möglichst gleichbleibender Lage hinsichtlich der Erdoberfläche zu halten, etwa um bestimmte erdbezogene Untersuchungen durchzuführen, wird stattdessen als Bezugssystem vorzugsweise das lokale Bezugssystem benutzt, bei dem die RPY-Winkel (0|0|0) eine Lage der Raumfähre beschreiben, in der diese wie ein Flugzeug mit den Flügeln parallel zur Erdoberfläche, dem Bug nach vorn und dem Bauch zum Erdmittelpunkt zeigend die Erde umkreist[6].

Orientierung der Achsen bei einem Satelliten

Auch bei dreiachsenstabilisierten Satelliten, wie sie die Erde z.B. als Kommunikationssatelliten mit fester Ausrichtung auf die Erde umkreisen, hat sich inzwischen für Drehwinkel und -achsen der eben beschriebene Sprachgebrauch eingebürgert. So weist in diesem Fall die positive x-Achse des Satelliten - wie bei der Verwendung eines lokalen Bezugssystems durch eine Raumfähre (s. o.) - in Richtung seiner Flugbahn um die Erde, während die auf den Erdmittelpunkt ausgerichteten Antennen des Satelliten damit in Richtung seiner positiven z-Achse zeigen und schließlich seine Sonnenkollektoren sich um die auf beiden Achsen senkrecht stehende y-Achse drehen (siehe Abb.).

Da Drehungen des Satelliten um seine z-Achse dabei nur geringen Einfluss auf die Orientierung seiner Antennen in Bezug auf die Erde haben, kann die Lageregelung der z-Achse mit einer größeren Toleranz arbeiten als die der beiden anderen Achsen: Typische Werte für den Gierwinkel (engl. yaw) sind ±0.15°, für den Roll- und Nickwinkel (engl. roll und pitch) dagegen nur ±0.05°.

In der Robotik werden Roll-Pitch-Yaw-Winkel zur Beschreibung von Orientierungen (des Werkzeugs oder anderer Objekte), bezogen auf eine raumfeste Basis, verwendet.

In der Aerodynamik schließlich wird Begriff Pitch - abweichend von der obigen Systematik - auch für den Anstellwinkel eines Propellers oder Rotors verwendet, siehe Pitch (Aerodynamik).

„ZYX-Konvention“

Hauptartikel Eulersche Winkel
Lagewinkel-Drehung vom erdfesten ins flugzeugfeste Koordinatensystem. Roll-Nick-Gier ZYX

Die Rotationen beziehen sich immer auf die raumfeste Orthogonalbasis. Dabei beschreibt X die Rotation um die x-Achse um den Winkel γ, Y die Rotation um die y-Achse um den Winkel β und Z die Rotation um die z-Achse um den Winkel α.

Die Rotationsmatrix für diese Definition sieht folgendermaßen aus:


\begin{pmatrix} 
    \cos \alpha \cos \beta
&   \cos \alpha \sin \beta \sin \gamma - \sin \alpha \cos \gamma
&   \cos \alpha \sin \beta \cos \gamma + \sin \alpha \sin \gamma \\
    \sin \alpha \cos \beta
&   \sin \alpha \sin \beta \sin \gamma + \cos \alpha \cos \gamma
&   \sin \alpha \sin \beta \cos \gamma - \cos \alpha \sin \gamma \\
    - \sin \beta
&   \cos \beta \sin \gamma
&   \cos \beta \cos \gamma
\end{pmatrix}

Ist \ \beta exakt gleich \pm\pi/2, treten Singularitäten, sogenannte Gimbal Locks auf, die sich darin äußern, dass es in diesen Fällen für α und γ plötzlich unendlich viele Lösungen gibt. So ergibt sich z.B. für \ \beta=+\pi/2 mithilfe der Additionstheoreme die Rotationsmatrix


\begin{pmatrix} 
    0
&   \sin(\gamma - \alpha)
&   \cos(\gamma - \alpha) \\
    0
&   \cos(\gamma - \alpha)
&   -\sin(\gamma - \alpha) \\
    -1
&   0
&   0
\end{pmatrix}

und für \ \beta=-\pi/2 die Rotationsmatrix


\begin{pmatrix} 
    0
&   -\sin(\gamma + \alpha)
&   -\cos(\gamma + \alpha) \\
    0
&   \cos(\gamma + \alpha)
&   -\sin(\gamma + \alpha) \\
    1
&   0
&   0
\end{pmatrix}

Berechnung aus Rotationsmatrix

Ist eine Rotationsmatrix gegeben:


R = \begin{pmatrix} 
    r_{11} & r_{12} & r_{13} \\
    r_{21} & r_{22} & r_{23} \\
    r_{31} & r_{32} & r_{33} \\
\end{pmatrix}

Dann können die Winkel folgendermaßen berechnet werden (Craig, S. 47f):

 \beta = \mathrm{Atan2}\left(-r_{31}, \sqrt{ r_{11}^2 + r_{21}^2 } \right)
 \alpha = \mathrm{Atan2}\left(\frac{r_{21}}{\cos(\beta)}, \frac{r_{11}}{\cos(\beta)}\right)
 \gamma = \mathrm{Atan2}\left(\frac{r_{32}}{\cos(\beta)}, \frac{r_{33}}{\cos(\beta)}\right)

Im Falle der oben erwähnten Singularitäten dagegen sind folgende Formeln zweckmäßig:

Ist \ \beta = +\pi/2, setzt man zweckmäßigerweise

\ \alpha = 0
\ \gamma = \mathrm{Atan2}(r_{12}, r_{22})

Ist stattdessen \ \beta = -\pi/2, setzt man analog zweckmäßigerweise

\ \alpha  = 0
\ \gamma  = -\mathrm{Atan2}(r_{12}, r_{22})

Dabei ist \ \mathrm{Atan2}(p,q) die gleichnamige Funktion \ \mathrm{Atan2}(y,x), die in vielen mathematischen Programmbibliotheken existiert und gegenüber der arctan-Funktion oft bevorzugt wird, da sie die sonst nötigen Fallunterscheidungen für die vier Quadranten überflüssig macht.

Andere Möglichkeiten, die Orientierung zu beschreiben, sind Rotationsmatrix, Quaternionen oder die Eulerschen Winkel.

Quellen

  1. NavCommand. Software zur Konfiguration und Bedienung von iMAR - Inertialmeßsystemen. Handhabung und Benutzerhinweise. St.Ingbert 2005, S.11-12. http://www.imar-navigation.de/index.php/de/downloads/file/58-navcommand-manual.html
  2. Exploration: Having a Good Attitude Is Important (February 21, 1995) http://liftoff.msfc.nasa.gov/academy/rocket_sci/shuttle/attitude/attitude.html (seit 2007 unbekannt verschoben)
  3. Exploration: It's Such a Drag (February 21, 1995) http://liftoff.msfc.nasa.gov/academy/rocket_sci/shuttle/attitude/drag.html (seit 2007 unbekannt verschoben)
  4. Exploration: Pitch, Yaw, and Roll Systems (October 3, 1995) http://liftoff.msfc.nasa.gov/academy/rocket_sci/shuttle/attitude/pyr.html (seit 2007 unbekannt verschoben)
  5. Exploration: Inertial Reference Orbiter Attitude (October 3, 1995) http://liftoff.msfc.nasa.gov/academy/rocket_sci/shuttle/attitude/inertial.html (seit 2007 unbekannt verschoben)
  6. Exploration: Local Reference Orbiter Attitude (September 18, 1995) http://liftoff.msfc.nasa.gov/academy/rocket_sci/shuttle/attitude/lvlh.html (seit 2007 unbekannt verschoben)

Siehe auch

Literatur

  • John J. Craig: Introduction to Robotics. 2. Auflage. Addison-Wesley Publishing Company, Reading, Mass. [u.a.] 1989, ISBN 0-201-09528-9.

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