St. Johannes (Dingolfing)

St. Johannes (Dingolfing)
Stadtpfarrkirche St. Johannes. Choransicht von Südosten (2006). Gut erkennbar sind die Seitenkapellen am südlichen Langhaus. Im Bild links Teil des Chores der Schusterkapelle.

Die Dingolfinger Stadtpfarrkirche St. Johannes der Täufer (Baptist) und St. Johannes der Evangelist ist eines der Wahrzeichen der Stadt. Der stattliche, unverputzte Backsteinbau mit seinem 83m hohen Turm ist eine spätgotische Bauschöpfung. Wenngleich die Werkmeister unbekannt sind, so kann die Hallenkirche doch der Landshuter Bauschule zugerechnet werden und steht somit in der architektonischen Tradition von Hans von Burghausen und Hans Stethaimer.

Inhaltsverzeichnis

Lage und Vorgängerbauten

Ansicht der Stadt Dingolfing von Südosten, um 1840. Erkennbar ist die stark dezentrale Lage der Pfarrkirche im Stadtkörper

Die Kirche liegt auf einer hochwassergeschützten terrassenartigen Erhebung dezentral in der Unteren Stadt von Dingolfing. Nachdem in Dingolfing bereits zu Zeiten des älteren bayerischen Stammesherzogtums (8. Jahrhundert) nachweislich Kirchensynoden stattfanden, kann für diese Zeit mit Sicherheit von der Existenz einer Pfarrkirche ausgegangen werden. Grabungen im Chorbereich im Jahr 1974 haben diese Vorgängerkirche archäologisch nachgewiesen.[1] Ebenso ist durch Bodenbefunde gesichert, dass um die Mitte des 13. Jahrhunderts an der Stelle der heutigen Kirche ein romanischer Bau in basilikaler Form errichtet wurde, der mit 32 Metern Länge nahezu die Ausmaße der heutigen Kirche aufwies.

Baugeschichte und Baubeschreibung

Inschrift zum Baubeginn 1467. Transkription mit Auflösung der Abkürzungen und Auslassungen: Anno d(o)m(ini) MCCCCLXVII an Eritag von Erasmi ist gelegt worden der erst stain des paws in den eren des heiligen sand joh(anne)s gocztauffe(r) vn(d) ew(an)gelistn bey he(rre)n her flörian strasse(r) die czeit pfare(r) czw dinglfing vn(d) hanns loczenhofe(r) die czeit stat kame(re)r vn(d) jörg bropst czw der czeit pawmaister
Inschrift zum Gewölbeschluss 1502 mit Wiedergabe des bayerischen Herzogswappens und des polnischen Königswappens
Nordwestansicht des Kirchturms um die Mitte des 19. Jhs. mit barocker Kuppel. Kupferstich von Josef Wolfgang Eberl

Der heutige Bau wurde – wie eine Bauinschrift vermeldet – am 2. Juni 1467 begonnen. Der Baubeginn fällt damit in die Zeit der Zugehörigkeit Dingolfings zum Herzogtum Bayern-Landshut, dessen Herrscher als die „Reichen Herzöge“ in die Geschichte eingegangen sind.

Die wirtschaftliche Prosperität jener Jahre mag den Bau befördert haben. Ein Deckenfresko datiert den Gewölbeschluss auf den 5. Juli 1502. Die Bauinschrift wird vom herzoglich-bayerischen Wappen und dem polnischen Königswappen flankiert. Sie ist damit zugleich ein Denkmal der dynastischen Verbindung zwischen den (nieder)bayerischen Wittelsbachern und den polnischen Jagiellonen, die 1475 durch die Landshuter Hochzeit Herzog Georgs des Reichen mit Hedwig Jagiellonica zustande gekommen war. Es ist durch Weihedaten einzelner Seitenkapellen aber auch aus einer vertikalen Fuge im Mauerwerk ablesbar, dass zuerst der Westteil der Kirche ausgeführt und danach der Ostteil mit dem Chor bis 1502 errichtet wurde. Damit konnten Teile des Vorgängerbaus, insbesondere dessen Chorraum, während der Bauzeit weiterhin für Gottesdienste genutzt werden

Der Westturm erreichte bis zum 17. Jahrhundert nur die Höhe des Kirchenschiffs. Bis spätestens 1636 wurde er um ein Geschoss erhöht. Im Jahr 1682 erfolgte eine weitere Erhöhung mit einem barocken Abschluss. Der Turm erreichte damit 63 m Höhe. Im Zuge der Regotisierung der Kirche wurde der Turm 1868 mit einem Spitzhelm versehen und damit zugleich auf 83 Meter erhöht. Der Turm zeigt das von Hans von Burghausen bekannte Motiv des Übergangs eines quadratischen Unterbaus in einen achteckigen Aufbau. Aufbau und Gestalt des Turms wie auch seine Positionierung ähneln im Übrigen der Pfarrkirche St. Jodok im Landshuter Stadtteil Freyung, die um 1450 vollendet war.

Der Schöpfer der Kirche ist unbekannt. Josef Wolfgang Eberl vertrat bereits 1856 die Ansicht, der in der Bauinschrift genannte „Pawmaister“ Jörg Bropst sei nicht mit dem Architekten bzw. ausführenden Werkmeister des Kirchenbaus gleichzusetzen.[2] Vielmehr handelte es sich hierbei um dem Angehörigen eines Dingolfinger Ratsgeschlechts und den damaligen Stadtbaumeister, der hier auf der Bauinschrift erwähnt wurde, wofür Eberl auch eine nicht näher bezeichnete Urkundenabschrift anführt. Die spätere Forschung hat sich Eberls Meinung angeschlossen, so dass der Werkmeister als Anonymus gelten muss.

Hierzu sei zusätzlich angemerkt, dass die spätmittelalterlichen Quellen in der Regel die Begriffe Werkmeister und Baumeister genau zu unterscheiden wissen: Ersterer war der Architekt und auch erste Handwerker eine Kirchenbaus, wogegen der Baumeister üblicherweise die Bauverwaltung einschließlich der Rechnungsführung und Bauaufsicht innehatte, also eine administrative Funktion wahrnahm. Es könnte diese Aufgabenzuschreibung auch im Falle des hier namentlich bekannten „Pawmaisters“ zutreffen.

Das Kirchenschiff erreicht eine Länge von ca. 37 Metern und misst ca. 16 Meter in der Breite. Die Mittelschiffhöhe beträgt ca. 18 Meter. Der Innenraum gliedert sich in sechs Joche mit Chorumgang. Das Gewölbe ruht auf 13 Säulen, wovon sechs jeweils paarweise im Kirchenschiff folgen. während die 13. Säule als Mittelsäule das Chorgewölbe stützt. Es wurde dies als architektonische Metapher für Christus und die 12 Apostel gedeutet, welche die Kirche tragen. Das Gewölbe ist von einem komplizierten Netzgewölbe überzogen, dessen Figuration aus verschobenen Rauten kunstgeschichtlich als Wechselberger-Schema eingeordnet wird. Der Begriff bezieht sich auf den Werkmeister Hans Wechselberger, der diese Gewölbeform erstmals in mehreren ihm zugeschriebenen Kirchen, so z. B. in der Stadtpfarrkirche St. Stephan in Braunau am Inn verwendet hat.

Der Grundriss des Kirchenschiffs erinnert an die Spitalkirche Heilig Geist in Landshut, die 1461, also wenige Jahre vor der Grundsteinlegung des Dingolfinger Kirchbaus fertiggestellt worden war und daher als ein architektonisches Vorbild gelten kann. Abweichend vom Landshuter Vorbild mit seinem Seitenturm und seinem repräsentativen Hauptportal wurde bei der Dingolfinger Kirche – unter Verzicht auf ein dominierendes Westportal – der Kirchturm westlich vor dem Hauptschiff ausgeführt. Ein Kranz von zehn Seitenkapellen, die früher von Handwerksbruderschaften bzw. Zünften genutzt wurden, ergänzt den Baukörper.

Der Gesamtbau besticht durch seine ausgewogenen Proportionen.

Ausstattung

Dingolfing, Stadtpfarrkirche St. Johannes. Ausschnitt aus einem spätmittelalaterlichen Fresko in der Seitenkapelle der Bäckerknechte. Darstellung des St. Martin
Dingolfing, Stadtpfarrkirche St. Johannes. Reste der barocken Ausmalung
Dingolfing, Stadtpfarrkirche St. Johannes. Innenansicht mit Blick zum Chor. Erkennbar sind verschiedene Bestandteile der neogotischen Ausstattung (Kanzel, Hochaltar, Glasfenster) sowie die monumentale, vollplastische spätmittelalterliche Darstellung des gekreuzigten Christus im Kirchengewölbe (1522).
Dingolfing, Stadtpfarrkirche St. Johannes. Innenansicht mit Blick nach Westen zur Orgelempore

Von der spätmittelalterlichen Ausstattung sind einige Bestandteile erhalten. Hierunter gehören vornehmlich zwei spätgotische Holzplastiken, die seitwärts des Hochaltars aufgestellt sind und die Kirchenpatrone St. Johannes Evangelist und St. Johannes den Täufer darstellen. Sie werden in der kunsthistorschen Literatur dem Meister von Dingolfing zugeschrieben, der seinerseits im künstlerischen Umfeld von Hans Leinberger verortet wird. Ebenso ist ein spätgotischer Taufstein aus Marmor erhalten, der im 19. Jahrhundert überarbeitet wurde.

Besonders bemerkenswert und von hoher künstlerischer Qualität ist das monumentale Kruzifix mit vollplastischer Darstellung des gekreuzigten Christus im Kirchengewölbe, das seit 1522 in der Kirche nachgewiesen ist. Das Corpus des sogenannten kolossalen Herrgotts von Dingolfing erreicht eine Länge von 3,80 Metern. Ein vergleichbares Chorbogenkeuz ist in der Martinskirche in Landshut vorhanden, was wiederum als Beleg für die in jeder Hinsicht vorbildhafte Wirkung der Landshuter Großkirchen auf Bau und Ausgestaltung der Dingolfinger Pfarrkirche gelten kann.

Ein Madonnenrelief von der Hand Hans Leinbergers, das zur ursprünglichen Ausstattung gehörte, befindet sich heute im Bayerischen Nationalmuseum in München.

Eine Plastik des heiligen Ägidius aus derselben Epoche entstammt eigentlich der Filialkirche St. Ägidius in Brunn und wurde aus Gründen der Diebstahlssicherung nach St. Johannes übertragen. Eine spätmittelalterliche Monsichelmadonna gehört weiterhin zur Ausstattung. Ihre Herkunft aus der Filialkirche in Frauenbiburg ist nicht gesichert.

Weiterhin ist aus von der originalen Ausstattung ein Glasfenster erhalten, das auf Höhe des Chores in ein größeres neogotisches Fenster integriert ist und die Geburt Christi in der Krippe wiedergibt.

Weiterhin konnten bei Restaurierungen im 20. Jahrhundert eine Reihe spätmittelalterlicher Fresken oder Freskoreste freigelegt werden.

Die Kirche unterlag dem Wandel des Zeitgeschmacks und erfuhr im 17. und 18. Jahrhundert eine barocke Innengestaltung. Dabei kam zumindest ein bedeutender Künstler zum Zuge: Giovanni Battista Carlone, der auch die Stuckarbeiten im Passauer Dom ausgeführt hat, lässt sich als Meister in den Seitenkapellen der Dingolfinger Pfarrkirche nachweisen. Von dieser Ausstattung, wozu ein eindrucksvoller barocker Hochaltar gehört hat, ist praktisch nichts erhalten. Eberl, der die barocke Kirche noch gesehen hat, berichtet über diese Stuckarbeiten und den Altar:

[…] nur in zwei Kapellen ist der dem Baustyle conforme Spitzbogen mit Stockaden im Geschmacke der Asam überquastet; dagegen mussten die früheren altdeutschen Altäre sämmtlich dem dominirenden Geschmacke des Rococo weichen. Es sind jedoch die Formen des jetzigen Hochaltares nicht störend, sondern vielmehr angenehm und edel […][3]

Das eher abwertende Urteil Eberls spiegelt den Anspruch des 19. Jahrhunderts wider, gotische und romanische Kirchen (unter Ignorierung ihrer Historizität) in einen reinen ursprünglichen Stil zurückzuführen.

Aus diesem Empfinden heraus erfuhr die Kirche zwischen 1867 und 1884 eine umfassende Restauration, im Rahmen derer das innere Erscheinungsbild entsprechend dem Geschmack der Neugotik umgestaltet wurde. Die historisierenden Glasmalereien, das Chorgestühl, Hochaltar und Seitenaltäre datieren aus dieser Epoche und sind im Stile einer handwerklich qualitätvollen, aber schematischen Auffassung mittelalterlicher Kunst gehalten. Der Umgestaltung fielen nahezu alle barocken Ausstattungsdetails zum Opfer. Erhalten ist aber eine Plastik, die Christus in der Rast darstellt und Christian Jorhan d. Ä. zugeschrieben wird.

Insbesondere an der nördlichen Langhauswand sind in der Kirche eine Reihe qualitätvoller Epitaphien herzoglicher bzw. kurfürstlicher Pfleger zu Dingolfing und Landadeliger aus der Umgebung erhalten. Eberl hat diese Inschriften teilweise beschrieben und notiert.

Umgebung

Die Schuster- oder Erasmi- bzw. Dreifaltigkeitskapelle südlich der Pfarrkirche mit angebauter Lourdes-Grotte (rechts)

Südlich der Pfarrkirche steht die Kirche der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, die auch als Erasmikapelle firmiert. Der kleine spätgotische Bau, der lokal als Schusterkapelle bekannt ist, entstand etwa gleichzeitig mit Pfarrkirche und wurde im 17. Jahrhundert durch einen westlich angebauten Karner und im 19. Jahrhundert durch eine Lourdes-Grotte ergänzt. Der zur Kirche gehörige Pfarrhof ist ein stattlicher barocker Bau mit hohem Walmdach, den der Dingolfinger Baumeister Georg Weigenthaler 1729 errichtet hat.

Literatur

  • Fritz Markmiller: Dingolfing. Stadtpfarrkirche St. Johannes mit Filial- und Nebenkirchen. München 1985
  • Peter Morsbach, Wilkin Spitta: Stadtkirchen in Niederbayern. Regensburg 2003
  • Hans Schmid: Dingolfing. Die Stadtpfarrkirche St. Johannes Baptist und Evangelist. Passau 2008.

Weblinks

 Commons: St. Johannes (Dingolfing) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Schmid, S. 2.
  2. Josef Wolfgang Eberl: Geschichte der Stadt Dingolfing und ihrer Umgebung. Freising 1856. Unveränderter Neudruck mit beigefügter Biographie Eberls von Johann Baptist Nirschl, Dingolfing 2004, S. 125.
  3. Josef Wolfgang Eberl: Geschichte der Stadt Dingolfing und ihrer Umgebung, Freising 1856; unveränderter Neudruck mit beigefügter Biographie Eberls von Johann Baptist Nirschl, Dingolfing 2004, S. 127.
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