Friedrich von Bodelschwingh der Jüngere

Friedrich von Bodelschwingh der Jüngere

Friedrich von Bodelschwingh (* 14. August 1877 in Bethel bei Bielefeld; † 4. Januar 1946 in Bethel) war ein deutscher evangelischer Theologe.

Inhaltsverzeichnis

Vom Anstaltsleiter zum Reichsbischof

Friedrich von Bodelschwingh aus dem Adelsgeschlecht Bodelschwingh trat nach dem Studium der Theologie, wie seine beiden älteren Brüder, in die 1867 gegründete und 1872 vom Vater Friedrich von Bodelschwingh übernommenen Von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel - heute v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel - ein, deren Leitung er 1910 übernahm. Die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg verlieh ihm mit Urkunde vom 23. März 1932 die Ehrendoktorwürde. Am 27. Mai 1933 wurde er durch das Dreierkollegium aus dem Präsidenten des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes und des Evangelischen Oberkirchenrats der Altpreußischen Union Dr. Dr. Hermann Kapler, Landesbischof Marahrens (Hannover) und Dr. Hesse (Elberfeld) zum ersten Reichsbischof designiert, trat aber auf Druck der Nationalsozialisten bereits im Juni zurück und wurde durch den deutsch-christlichen Wehrkreispfarrer Ludwig Müller ersetzt, der das Amt bis 1945 ausübte. Bodelschwingh stellte sich im Kirchenkampf auf die Seite der Bekennenden Kirche.

Wirken zur NS-Zeit

Bodelschwinghs Haltung zu eugenischen Sterilisationen war ambivalent. Dem Gedankengut der Erbhygieniker verschloss er sich anfangs nicht. In einer Rede am 29. Januar 1929 zum Thema „Lebensunwertes Leben?“ setzte er sich im Stil der zeitgenössischen Diskussion mit der „katastrophale(n) Entwicklung“ durch „die wachsende Anzahl der Schwachen an Körper und Geist, der Minderwertigen“ und der damaligen Diskussion um „Ausmerzung der Minderwertigen“, „lebensunwert“ oder „minderwertig“ auseinander. Er zeigte auch die Möglichkeiten auf, diese „Bedrohung“ abzuwenden, einerseits die Sterilisation, andererseits die Euthanasie. In einem Vortrag auf der evangelischen Fachkonferenz für Eugenik, in der es um eugenische Sterilisationen ging, sagte er am 19. Mai 1931: „Ich würde den Mut haben, vorausgesetzt, dass alle Bedingungen gegeben und Schranken gezogen sind, hier im Gehorsam gegen Gott die Eliminierung an anderen Leibern zu vollziehen, wenn ich für diesen Leib verantwortlich bin“.[1] Bodelschwingh stand treu zum NS-Staat und verfasste am 29. März 1936 sogar aus eigenem Antrieb einen Aufruf zu den Reichstagswahlen. Zusätzlich leistete er am 21. Juli 1938 den Treueid auf Hitler – für einen Pfarrer, der nicht den Deutschen Christen angehörte, ein nicht unbedingt üblicher Schritt. Als die Eingriffe des Staates in die Kirchenpolitik zunahmen und die rassenpolitischen Ziele der Nationalsozialisten deutlicher wurden, wuchs bei Bodelschwingh in den folgenden Jahren die Distanz zum Nationalsozialismus immer mehr. [2]

Nachdem in Bethel Zwangssterilisierungen durchgeführt worden waren und 1939 die systematischen Krankenmorde der Aktion T4 begannen, versuchte Bodelschwingh nach Ernst Klee durch „hinhaltende Kooperation mit den NS-Stellen“ den Fortbestand der Bodelschwinghschen Anstalten zu sichern.[3] Eine Tötung von kranken und behinderten Menschen lehnte er aus christlicher Überzeugung rundweg ab. Seit Mai 1940 gelangen ihm zusammen mit Pastor Paul Braune einige Erfolge gegen die Aktion T4, die sogenannte „Euthanasie“-Aktion der Nationalsozialisten. Damit rettete er sicherlich Menschen mit Behinderung das Leben. In seiner eigenen Anstalt wurden am 21. September 1940 sieben jüdische Patienten und Patientinnen auf Anordnung des Reichsinnenministeriums zunächst in die Landesheil- und Pflegeanstalt Wunstorf verlegt. Von dort wurden sie in die Tötungsanstalt Brandenburg/Havel gebracht und mit Gas umgebracht. Noch im August 1940 hatte Friedrich v. Bodelschwingh d.J. einen weiteren Vorstoß gemacht, indem er an Ministerialrat Fritz Ruppert vom Reichsinnenministerium schrieb: „Sicher wäre es das beste, wenn die ganze Maßnahme sofort und endgültig eingestellt würde. Kann man sich dazu nicht entschließen, so muß ein geordnetes Verfahren festgelegt werden“.[4] Die Meldebögen vom Berliner Reichsministerium des Innern, die im Juni 1940 in Bethel eintrafen, wurden nie ausgefüllt. Dazu hatte Bodelschwingh auch anderen Anstalten der Diakonie geraten. In der Hoffnung, die "Euthanasie" zu stoppen, setzte Bodelschwingh auf das, was seinem Charakter und seiner politischen Auffassung am nächsten lag: Unermüdlich nahm er Kontakt zu Behörden, Parteifunktionären und führenden Medizinern auf und führte mit ihnen Gespräche. Aus Bethel wurden keine weiteren Patienten und Patientinnen abtransportiert.[5]

Deutsche Post 1996

Nachkriegszeit

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nahm Bodelschwingh in einer Predigt am 27. Mai 1945 erstmals Stellung zur Schuldfrage:

„Darum können und wollen wir uns der Verantwortung für Schuld und Schicksal unseres Volkes nicht entziehen. Wir wollen uns auch nicht mit dem Hinweis darauf decken, dass wir vieles nicht gewusst haben, was hinter den Stacheldrähten der Lager und in Polen und Russland geschehen ist. Diese Verbrechen sind Taten deutscher Männer und wir haben ihre Folgen mitzutragen.“[6]

Noch kurz vor seinem Tod hat sich Friedrich v. Bodelschwingh für die Neuordnung der evangelischen Kirche stark gemacht. Schon zuvor immer auf den Ausgleich zwischen der Bekennenden Kirche und den Deutschen Christen bedacht, wurde er bei den Beratungen um einen neuen Anfang gerne hinzugezogen. Als Mitschöpfer der EKD prägte Bodelschwingh den deutschen Protestantismus weit über die Jahre seines Lebens hinaus.[7]

Sonstiges

Friedrich von Bodelschwingh der Jüngere ist der Dichter des Kirchenliedes Nun gehören unsre Herzen ganz dem Mann von Golgatha (1938). Er gehört zu den wenigen Personen, die gleich dreimal auf einer deutschen Briefmarke erschienen sind: Die Deutsche (Bundes-)Post gab 1967 zum 100-jährigen Bestehen der Krankenanstalten Bethel, 1977 zu seinem 100. Geburtstag und 1996 zu seinem 50. Todestag jeweils eine Briefmarke mit seinem Konterfei heraus.

Literatur

  • Ernst Klee: „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-10-039303-1.
  • Friedrich Wilhelm Bautz: Bodelschwingh, Friedrich von. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 1, Hamm 1975, Sp. 649–651.
  • Anneliese Hochmuth: Spurensuche. Eugenik, Sterilisation, Patientenmorde und die v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel 1929-1945, Bielefeld 1997.
  • Matthias Benad (Hg.): Friedrich v. Bodelschwingh d.J. und die Betheler Anstalten. Frömmigkeit und Weltgestaltung, Stuttgart/ Berlin/ Köln 1997.
  • Matthias Benad: Bethels Verhältnis zum Nationalsozialismus, in: ders./ Regina Mentner (Hg.), Zwangsverpflichtet. Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiter in Bethel und Lobetal 1939-1945, Bielefeld 2002, S. 27-66.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. vgl. Stefan Kühl: Eugenik und "Vernichtung lebensunwerten Lebens": Der Fall Bethel aus einer internationalen Perspektive, in: Matthias Benad: Friedrich v. Bodelschwingh d.J. und die Betheler Anstalten. Frömmigkeit und Weltgestaltung, Stuttgart/ Berlin/ Köln 1997, S.54-67, hier: S.55. Auch Zitat bei Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, S. 57.
  2. Matthias Benad: "Bethels Verhältnis zum Nationalsozialismus, in: ders./ Regina Mentner (Hg.), Zwangsverpflichtet. Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiter in Bethel und Lobetal 1939-1945, Bielefeld 2002, S. 27-66.
  3. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, S. 57.
  4. Friedrich Wilhelm Bautz: Bodelschwingh, Friedrich von im BBKL, Spalten 649–651.
  5. Anneliese Hochmuth: "Spurensuche. Eugenik, Sterilisation, Patientenmorde und die v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel 1929-1945, Bielefeld 1997.
  6. Anneliese Hochmuth: Spurensuche. Eugenik, Sterilisation, Patientenmorde und die v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel 1929-1945, Bielefeld 1997, S.347. Gerhard Besler, Gerhard Sauter: Wie Christen ihre Schuld bekennen. Die Stuttgarter Erklärung 1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1985, ISBN 3525521812, S.16.
  7. Carsten Nicolaisen: "Fritz von Bodelschwingh als Kirchenpolitiker", in: Friedrich v. Bodelschwingh d.J. Frömmigkeit und Weltgestaltung, Bielefeld 1997, S.82-110 und Jochen-Christoph Kaiser: "Fritz von Bodelschwingh als Diakoniepolitiker, in: Frömmigkeit und Weltgestaltung, Bielefeld 1997, S. 38-53.

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