Prillwitzer Idole

Prillwitzer Idole
historische Abbildung der bronzenen Prillwitzer Idole
Gideon Sponholz (1745-1807)

Bei den Prillwitzer Idolen handelt es sich um mehrere Dutzend Bronzeskulpturen und bronzene Reliefplatten aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Sie sind zugleich bemerkenswerte künstlerische Innovationen ihrer Hersteller wie auch geschickte Fälschungen, sollten sie doch den Anschein erwecken, mit dem historischen Ort Rethra in Verbindung zu stehen.

Die Lokalisierung von Rethra, dem bei Thietmar von Merseburg erwähnten mittelslawischen Heiligtum des 11. Jahrhunderts, war über Jahrhunderte ein bevorzugtes Ziel nordostdeutscher Geschichtsforschung. Im Jahr 1768 tauchten im Besitz der alteingesessenen Goldschmiedefamilie Sponholz in Neubrandenburg zunächst eine, dann noch weitere kleine, mit Runen beschriftete Bronzefiguren auf, die man für slawische Götzenbilder hielt. Den Angaben der Besitzer zufolge stammten diese Bronzen aus einem Bodenfund, den ein Vorfahr der Sponholzfamilie (angeblich) beim Pflanzen eines Baumes im Pfarrgarten in Prillwitz gemacht hatte. Diese Figuren versetzten die norddeutsche Gelehrtenwelt in helle Aufregung, denn unter den (angeblich) wendischen Runen war vielfach das Wort „Rethra“ zu lesen und Prillwitz galt zu dieser Zeit allgemein als Stätte des sagenumwobenen Heiligtums. Zunächst erwarb der Neubrandenburger Arzt und Antiquitätensammler Joachim Jaspar Johann Hempel (1707-1788) 35 dieser Figuren. Später gelangten 22 weitere, neue Götzenfiguren in den Besitz der Herzöge von Mecklenburg-Strelitz. Gideon Sponholz, jüngster Spross der Neubrandenburger Goldschmiedefamilie, galt seither als Geschichtsexperte. Er richtete in Neubrandenburg ein erstes, privates Museum ein und durfte mit herzoglicher Genehmigung Schatzgrabungen durchführen.

Obwohl es von Anfang an Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Geschichte und an der Echtheit der nach ihrem angeblichen Fundort „Prillwitzer Idole“ genannten Bronzen gab, sorgten die Stücke bis weit ins 19. Jahrhundert hinein mehrfach für heftigsten Gelehrtenstreit.

Aufgrund gerichtlicher Untersuchungen und fortschreitender Forschungsmethoden steht seit 1850 fest, dass die „Prillwitzer Idole“ oder wenigstens der überwiegende Teil davon in der Werkstatt der Neubrandenburger Sponholz-Brüder modelliert und gegossen worden sind. Die zuletzt vollständig in landesherrlichen Besitz gelangte Kollektion wurde bis 1945 als Teil der fürstlichen Sammlungen in Neustrelitz gezeigt, galt dann jahrzehntelang als Kriegsverlust und wurde erst gegen Ende der 1980er Jahre wiederentdeckt. Die heute im Bestand des Mecklenburgischen Volkskundemuseums Schwerin-Mueß verwahrten Stücke wirken mit ihrer willkürlichen Zusammenstellung unterschiedlicher Stilelemente eher skurril. Ihre Entdeckungsgeschichte ging als Jahrhundertfälschung in die Geschichte Mecklenburgs ein.

Vor einigen Jahren ließ sich Daniel Spoerri durch die Prillwitzer Idole zu eigenen Skulpturen inspirieren.

Literatur

  • Franz Boll: Kritische Geschichte der sogenannten Prillwitzer Idole. In: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, Bd. 19 (1854), S. 168-286 (Digitalisat); ders.: Nachtrag zu der kritischen Geschichte der sogenannten "Prillwitzer Idole". In: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, Bd. 20 (1855), S. 208-227 (Digitalisat)
  • Daniel Spoerri: Daniel Spoerri - Prillwitzer Idole : Kunst nach Kunst nach Kunst. [Anläßlich der gleichnamigen Ausstellung Staatliches Museum Schwerin, 2. September - 26. November 2006]. - Schwerin, 2006. ISBN 3-86106-094-9
  • Rainer Szczesiak: Auf der Suche nach Rethra. Die „Prillwitzer Idole“. Mit einem Reisebericht von Daniel Spoerri. 2., überarbeitete Aufl. Neubrandenburg, 2006. (Schriftenreihe des Regionalmuseums Neubrandenburg; Nr. 39)
  • Daniel Woge: Die gottesdienstlichen Altertümer der Obotriten aus dem Tempel zu Rhetra am Tollenzer See. Berlin 1771.
  • Rolf Voß: Die Schein-Heiligen von Prillwitz: Regionalmuseum Neubrandenburg zeigt spektakuläre Fälschungen aus dem 18. Jahrhundert. Das Museumsmagazin, 2005, 34-35. (Digitalisat)

Weblinks


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