Toter Punkt (Genealogie)

Toter Punkt (Genealogie)

Als Toter Punkt wird in der Genealogie der Endpunkt einer Ahnenlinie bezeichnet, ab dem weitere Ahnen mit naheliegenden Methoden nicht ohne weiteres zu finden sind, aber auf Grund der (allgemeinen) Quellenlage begründete Hoffnung besteht, weitere Zusammenhänge aufzuklären. Im Gegensatz hierzu wird von Schlussahnen gesprochen, wenn wegen generellen Mangels an Quellen die Abstammung nicht weiterzuverfolgen ist. Nicht staatliche Dokumente, sondern Kirchenbücher erlauben in der Regel im christlichen Kulturraum die frühesten Angaben. Im deutschsprachigen Raum etwa wurden Kirchenbücher allertdings erst ab dem 16. Jahrhundert annähernd einheitlich und flächendeckend geführt. Daher haben dort genealogische Nachforschungen vor dieser Zeit wegen fehlender Quellen geringe Aussicht auf Erfolg.

Gründe für das Erreichen eines Toten Punktes sind häufig unvollständige oder uneindeutige Angaben in den benutzten Quellen, etwa bei unehelicher Geburt; bei Heirat Traueinträge ohne Angabe der Eltern (bei Heiraten von unehelichen Kindern oder Wiederverheiratung); im Fall von Zuzug das Fehlen von Angaben über den Heimatort (oder ungenaue Angaben, etwa bei Zuzug aus dem Ausland) oder nur zeitweiliger Aufenthalt (siehe räumliche Mobilität). Uneindeutige Angaben können in gleichen Vornamen und Familiennamen bei ansässigen Familien, oder unrichtigen, irrtümlichen oder in der Schreibweise veränderten Angaben in den Quellen zu Vornamen, Heimatort, Alter, Beruf etc. bestehen, oder darin, dass Familien- oder Ortsnamen sich verändern, Personen mehrere Namen nebeneinander gebrauchen oder ihren Namen ändern. Auch bei Ortsnamen, die in der Umgebung mehrfach vorkommen (wie „Neudorf“), kann es zu einem Toten Punkt kommen. Weitere Ursachen sind fehlende Einträge in Kirchenbüchern (lückenhafte Kirchenbuchführung), unleserliche Eintragungen oder solche an unüblicher oder versteckter Stelle (außerhalb der üblichen Ordnung). Nicht auszuschließen sind auch Lesefehler durch den Genealogen selbst oder Überlesen von Eintragungen.

Methoden zur Überwindung des Toten Punktes sind ein wesentlicher Bestandteil genealogischen Erfahrungswissens, mit dem sich insbesondere genealogische Vereine in ihren Arbeitsabenden beschäftigen.

Ab dem 18. Jahrhundert enthalten die Kirchenbücher zunehmend genauere Informationen, anhand derer es häufig gelingt, die Mitglieder einer Kernfamilie zu identifizieren und die Generationen miteinander zu verknüpfen. Die Angaben der Väter von Braut und Bräutigam, wenigstens des Vornamens auch der Mutter bei einer Geburt und eine Altersangabe bei Sterbeeintragungen gehören dabei zu den wichtigsten Hinweisen. Ist die Kirchenbuchführung generell so lakonisch wie vielerorts im 17. Jahrhundert, dass derartige Angaben und auch die zu Beruf und Stand fehlen, ist mit dem Kirchenbüchern allein oft keine gesicherte Abstammung mehr nachzuweisen und man muss weitere Quellen in staatlichen, kirchlichen und privaten Archiven hinzuziehen.

Die Überwindung eines Toten Punktes verlangt immer, neue Quellen durchzusehen und umfangreichere als bisher. Als gebräuchliche Methoden der genealogischen Detektivarbeit seien genannt: Zuerst nochmalige Durchsicht der Kirchenbücher (auch um eigene Fehler auszuschließen); Erfassen aller Daten zur Person selbst (Rückrechnen des Geburtsjahrs aus dem Sterbejahr); Notieren aller Varianten in der Schreibweise von Personennamen und Orten; von wann bis wann wurden in der Familie Kinder getauft. Dann kann die Erfassung der gesamten Verwandtschaft in auf- und absteigender Linie und der Seitenverwandten Hinweise auf Namen der Ehefrau und den Herkunftsort erbringen. Die Durchsicht aller Paten des gesamten Ortes und der Trauzeugen ist der nächste Arbeitsschritt. Nunmehr empfiehlt es sich auch, die Gerichtshandelsbücher einzusehen, da in ihnen bei Ortsfremden oft deren Heimatort, bei Kindern der spätere Aufenthaltsort genannt wird. Der nächste Schritt ist dann die systematische Durchsicht der Kirchenbücher und danach der Gerichtshandelsbücher der Nachbardörfer (bei Stadtbewohnern auch der Nachbarstädte, siehe Heiratskreis), wobei die Durchsicht von Steuerlisten auf vorkommende Familiennamen den Suchraum einengen kann. Ebenso ist die Einsicht in die Ahnenstammkartei des deutschen Volkes zu empfehlen. Als letzte Alternative verbleibt oft nur die großräumige Verkartung des gesamten Berufs im Suchraum oder aller Namensträger oder bei Namensgleichheit die Erarbeitung eines Ortsfamilienbuchs, in das dann die Daten aus den Gerichtshandelsbüchern mit eingearbeitet werden.

Für viele Berufsgruppen, insbesondere bei Akademikern, gibt es über Kirchenbücher und Gerichtshandelsbücher hinaus spezielle Quellen (z.B. die Matrikel der Universitäten), über die man sich in der Fachliteratur informieren muss.

Ein Toter Punkt kann dann als überwunden betrachtet werden, wenn der verwandtschaftliche Zusammenhang aus einer Quelle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit belegt wird. Begründete Vermutungen müssen als solche erkennbar sein und sind allein nicht ausreichend.

Literatur

  • Methodisch-praktische Forschungsbeispiele, veröffentlicht 1959-1961 in „Praktische Forschungshilfe“, als Beilage des „Archivs für Sippenforschung“.
  • Billeb, E.-F.: Woher stammt der Johann Georg Heuke in Ebeleben? Genealogie als historische Soziologie 2 (1988) 52-59 (= Arbeitsheft 13 der Gesellschaft für Heimatgeschichte, Bezirksvorstand Leipzig, Kulturbund der DDR).

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