Turnusarzt

Turnusarzt

Als Turnusarzt bezeichnet man in Österreich im weitesten Sinn den Arzt in Ausbildung zum praktischen Arzt (Arzt für Allgemeinmedizin) oder den Arzt in Ausbildung zum Facharzt. Der Begriff wird jedoch fast ausschließlich auf die Ärzte in Ausbildung zum Allgemeinmediziner angewandt.

Der Turnusarzt ist vergleichbar dem in der Bundesrepublik Deutschland bis 30. September 2004 existierenden Arzt im Praktikum, dessen Praktikum jedoch nur 18 Monate dauerte. Seither erhalten Mediziner in Deutschland sofort mit abgeschlossenem Studium ihre Approbation und somit (nach erfolgreicher Bewerbung) den Status eines Assistenzarztes in einer Klinik.

Inhaltsverzeichnis

Rechtsgrundlage

Ärztegesetz

§3(1)Die selbständige Ausübung des ärztlichen Berufes ist ausschließlich den Ärzten für Allgemeinmedizin und approbierten Ärzten sowie den Fachärzten vorbehalten. (2) Die selbständige Ausübung des ärztlichen Berufes besteht in der eigenverantwortlichen Ausführung der im § 2 Abs. 2 und 3 umschriebenen Tätigkeiten, gleichgültig, ob solche Tätigkeiten freiberuflich oder im Rahmen eines Dienstverhältnisses ausgeübt werden. (3) Die in Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin oder zum Facharzt befindlichen Ärzte (Turnusärzte) sind lediglich zur unselbständigen Ausübung der im § 2 Abs. 2 und 3 umschriebenen Tätigkeiten in den gemäß §§ 9 bis 11 als Ausbildungsstätten anerkannten Einrichtungen, im Rahmen von Lehrpraxen oder in Lehrambulatorien unter Anleitung und Aufsicht der ausbildenden Ärzte berechtigt. Sofern krankenanstaltenrechtliche Organisationsvorschriften keine dauernde Anwesenheit eines Facharztes erfordern, können Turnusärzte, die bereits über die entsprechenden Kenntnisse und Fertigkeiten verfügen, vorübergehend auch ohne Aufsicht eines für die Ausbildung verantwortlichen Facharztes tätig werden.
§4 (4) Ausbildungserfordernisse für den Arzt für Allgemeinmedizin im Sinne des Abs. 3 Z 3 sind die mindestens dreijährige praktische, mit Erfolg zurückgelegte Ausbildung in der in diesem Bundesgesetz umschriebenen Art sowie die mit Erfolg abgelegte Prüfung zum Arzt für Allgemeinmedizin.
§ 7 (1) Personen, die... beabsichtigen, sich einer selbständigen ärztlichen Betätigung als Arzt für Allgemeinmedizin zuzuwenden, haben sich einer praktischen Ausbildung in der im § 4 Abs. 4 vorgesehenen Dauer (Turnus) zum Arzt für Allgemeinmedizin) im Rahmen von Arbeitsverhältnissen sowie der Prüfung zum Arzt für Allgemeinmedizin zu unterziehen und den Erfolg dieser Ausbildung nachzuweisen. (2) Der Turnus hat jedenfalls eine Ausbildung auf den Gebieten Allgemeinmedizin, Chirurgie, Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Haut- und Geschlechtskrankheiten, Innere Medizin, Kinder- und Jugendheilkunde sowie Neurologie oder Psychiatrie zu umfassen.[1]

Der Turnus

Der Turnus ist die Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin und dauert in Österreich mindestens 36 Monate. Er besteht aus einer Rotation durch die Fächer Allgemeinmedizin (6 Monate, Ambulanzmonate), Chirurgie (4 Monate), Frauenheilkunde und Geburtshilfe (4 Monate), HNO (2 Monate), Dermatologie (2 Monate), Innere Medizin (12 Monate), Kinderheilkunde (4 Monate), und Neurologie/Psychiatrie (2 Monate). Er endet nach bestandener Prüfung zum Arzt für Allgemeinmedizin mit der Verleihung des Ius Practicandi, welches die Berechtigung zur selbständigen Berufsausübung darstellt.[2]

Kritik am Turnussystem

Die Turnusausbildung gilt in vielen Fällen als mangelhaft. Die tagtäglichen Hauptaufgaben des Turnusarztes bestehen darin, Blut abzunehmen, Infusionen anzuhängen, Heparin zu spritzen und intravenöse Zugänge zu setzen - häufig wird er als Systemerhalter bezeichnet. Turnusärzte werden meistens für nicht-ärztliche Tätigkeiten herangezogen, das eigentliche Ziel des Turnus - die Ausbildung - kommt oft zu kurz. Die jungen Ärzte müssen Patienten oftmals über Eingriffe aufklären, bei denen sie selbst noch nicht einmal anwesend sein konnten. Des Weiteren werden sie im Nachtdienst dazu angehalten, Entscheidungen zu treffen, über die tagsüber Oberärzte entscheiden, ausgebildet werden sie in der Regel dafür aber nicht. Arbeiten (Administratives, Organisatorisches), die weder Assistenz- noch Oberärzte erledigen wollen, bleiben dem Turnusarzt über. Im Wesentlichen ist er nur mehr eine Schreibhilfe, für die eine (teure) akademische Ausbildung im Allgemeinen unnötig wäre. Im Operationssaal beschränkt sich seine Funktion häufig auf das Haken halten, oftmals ohne jegliche Sicht ins Operationsgebiet. Auszubildende müssen mit Hilfe von handgeschriebenen, schwer leserlichen Krankengeschichten Arztbriefe über Patienten, die sie oft nicht einmal kennen, verfassen. [3]

Reformpläne

Vielfach wurden Reformpläne diskutiert, eine größere Reform wurde bis jetzt nicht umgesetzt. Eine aktuelle Diskussionsvorlage bespricht die mögliche Abschaffung des Turnus, die Einführung einer eigenen, längeren Facharztausbildung für Allgemeinmediziner (ähnlich wie in Deutschland) und die Verleihung der Approbation direkt nach dem Studium oder nach einem Jahr "common trunk". [4]

Europäischer und USA-Vergleich

Im europäischen Vergleich dauert die postgraduelle Ausbildung zum Arzt mit Berechtigung zur selbständigen Berufsberechtigung am längsten. Jedoch gibt es in anderen EU-Ländern eigenständige Ausbildungen zum Arzt für Allgemeinmedizin, die länger als 3 Jahre in Anspruch nehmen.[5]

In Großbritannien spricht man seit 2005 vom „Foundation House Officer“, FHO, Dauer 2 Jahre (in Krankenhäusern ist „Foundation Doctor“ üblich), worauf die Ausbildung zum „Specialty Registrar“ folgt, die 3 Jahre für den Allgemeinmediziner (General Practitioner, GP) bzw. 6 Jahre für den Facharzt (Consultant) dauert. Vor der Reform 2005 waren die Bezeichnungen „Pre-Registration House Officer“ (PRHO, 1 Jahr), „Senior House Officer“ (2 Jahre) und „Registrar“ (1 für den GP, bzw. 4-6 Jahre für den Specialist) üblich.[6]

Der „Turnus“ ist in etwa dem i.a. nur einjährigen „Internship“ in den USA vergleichbar, auf das die „Residency“ folgt.[7]

Sonstiges

Auch in Skandinavien existiert der Begriff des Turnusarztes (norw. „turnuslege“). Dabei betragen in Norwegen die Ausbildungszeiten nach Abschluss des Studiums ein Jahr in einem Krankenhaus und ½ Jahr in der Allgemeinarztpraxis bevor die Vollapprobation (norw. „autorisasjon“) erteilt wird.

In Schweden heißt der entsprechende Teil der ärztlichen Ausbildung Allmäntjänstgöring, die ausübenden Ärzte werden als AT-läkare bezeichnet.

13 andere EU-Länder kennen einen Turnus wiederum nicht und erteilen direkt nach dem Studium die Approbation (= jus practicandi). [8]

Einzelnachweise

  1. Ärztegesetz 1998 BGBl. I Nr. 169/1937 v.10. November 1998
  2. Grundlegendes zum Turnus www.turnusarzt.com.
  3. Viamedici-online / Thieme-Verlag, 2004
  4. Viamedici-online / Thieme-Verlag, 2009
  5. Vergleich der Ausbildungssysteme in der EU www.aerztekammer.at.
  6. Foundation House Officer
  7. Internship (medicine)
  8. Kastner S.: Approbation - Der österreichische Weg im Vergleich; Mitteilungen der Ärztekammer Tirol, 2008:1, Seite 27

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