Gericht der Europäischen Union

Gericht der Europäischen Union

Das Gericht der Europäischen Union (EuG, vor dem Vertrag von Lissabon Gericht erster Instanz oder kurz GEI genannt) ist ein eigenständiges europäisches Gericht, das dem Europäischen Gerichtshof nachgeordnet ist. Die amtliche Bezeichnung in den europäischen Verträgen ist nur kurz Gericht.[1]

Das Gericht wurde ursprünglich durch den Beschluss 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Entlastung des Europäischen Gerichtshofes geschaffen, hat seinen Sitz in Luxemburg und besteht derzeit aus siebenundzwanzig Richtern. Jeder Mitgliedstaat ist durch mindestens einen Richter vertreten.

Inhaltsverzeichnis

Zusammensetzung

Die Richter werden durch einen einstimmigen Beschluss der Regierungen der Mitgliedstaaten nach Anhörung des gemäß Art. 255 AEUV gebildeten Expertenausschusses für eine sechsjährige Amtszeit ernannt, was de facto einem einstimmigen Beschluss des Rates der Europäischen Union entspricht. Dem Gericht sitzt ein Präsident vor, der aus der Mitte der Richter gewählt wird.

Anders als beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) gibt es beim Gericht keine ständigen Generalanwälte. Diese Tätigkeit kann jedoch von einem zu diesem Zweck bestimmten Richter ausgeübt werden.

Mit der Schaffung des Gerichts wurde auf europäischer Ebene ein zweistufiges Gerichtssystem geschaffen. Gegen alle Entscheidungen des Gerichts kann beim Europäischen Gerichtshof ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel eingelegt werden, vergleichbar der Revision im deutschen Recht.

Das Gericht entscheidet im Gegensatz zum Europäischen Gerichtshof in der Regel nicht im Plenum aller Richter, sondern durch Spruchkörper (Kammern), die jeweils für bestimmte Rechtsbereiche zuständig und mit drei oder mit fünf Richtern besetzt sind. In bestimmten Fällen kann auch ein Einzelrichter entscheiden. In besonders bedeutsamen Rechtssachen kann auch die Große Kammer oder das Plenum tagen. Seit dem Vertrag von Nizza besteht ferner die Möglichkeit, zur Entlastung des Gerichts Fachgerichte (im Vertrag von Nizza Gerichtliche Kammern genannt) einzurichten, die ihrerseits dem Gericht nachgeordnet sind.

Siehe auch: Liste der Richter am Gericht der Europäischen Union

Zuständigkeit

Das Gericht entscheidet über alle direkten Klagen von Bürgern, die im Gerichtssystem der Europäischen Union vorgesehen sind. Für Klagen von Mitgliedstaaten und Organe der Europäischen Union ist nach Art. 256 AEU-Vertrag in Verbindung mit Art. 51 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union in erster Instanz unmittelbar der Europäische Gerichtshof zuständig.

Urteile

Vor dem Europäischen Gericht erster Instanz wurden von 1989 bis 2005 rund 5.824 Rechtssachen anhängig gemacht und davon 4.791 erledigt.

Literatur

  • Halvard Haukeland Fredriksen: Individualklagemöglichkeiten vor den Gerichten der EU nach dem Vertrag über eine Verfassung für Europa, in: Zeitschrift für Europarechtliche Studien 8 (2005) S. 99–133.
  • Heinrich Kirschner, Karin Klüpfel: Das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften. Aufbau, Zuständigkeiten, Verfahren. 2. Auflage. Carl Heymanns, Köln, Berlin, Bonn, München 1998.
  • Matthias Pechstein: EU-/EG-Prozessrecht. Unter Mitarbeit von Matthias Köngeter und Philipp Kubicki. 3. Auflage. Mohr Siebeck, Tübingen 2007.
  • Alexander Thiele: Individualrechtsschutz vor dem Europäischen Gerichtshof durch die Nichtigkeitsklage, Baden-Baden 2006.
  • Alexander Thiele: Europäisches Prozessrecht, München 2007.
  • Bertrand Wägenbaur: EuGH VerfO. Satzung und Verfahrensordnungen EuGH/EuG. Kommentar. C.H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-55200-7.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. vgl. etwa Art. 19 EUV, Art. 256 AEUV

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