Projekt A119

Projekt A119
Deckblatt von A Study of Lunar Research Flights - Vol. I

Projekt A119, auch bekannt als A Study of Lunar Research Flights (englisch für Eine Studie über lunare Forschungsflüge) war ein Ende der 1950er Jahre von der United States Air Force entwickelter, streng geheimer Plan, eine Atombombe auf dem Mond zu zünden. Ziel war es, durch eine solche Detonation die technische Überlegenheit der Vereinigten Staaten gegenüber der Sowjetunion und dem Rest der Welt während des Kalten Krieges zu demonstrieren. Die heute bekannten Details des Programms stammen vom ehemaligen NASA-Angestellten Leonard Reiffel, welcher 1958 als Leiter des Projekt A119 fungierte. Ebenfalls beteiligt war der bekannte Astrophysiker Carl Sagan, welcher in einem Team die theoretischen Effekte einer Nuklearexplosion bei geringer Schwerkraft erforschte.

Projekt A119 wurde niemals durchgeführt, hauptsächlich da einer bemannten Mondlandung eine sehr viel positivere Wirkung auf die US-amerikanische Öffentlichkeit zugesprochen wurde. Die entsprechenden Dokumente blieben für beinahe 45 Jahre geheim, und auch nach der Veröffentlichung des Projekts durch Reiffel Anfang der 2000er Jahre hat die US-Regierung bis heute eine Beteiligung an einer solchen Studie offiziell nicht bestätigt.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Während des Kalten Krieges gelang es der Sowjetunion, mit Sputnik 1 am 4. Oktober 1957 den ersten Satelliten ins Weltall zu schießen. Dies führte gemeinsam mit mehreren gescheiterten Testläufen des Vanguard-Projekts auf US-amerikanischer Seite zum sogenannten Sputnikschock und befeuerte den Wettlauf ins All. Um den sowjetischen Vorsprung wettzumachen, setzten die US-Amerikaner eine Reihe neuer Projekte an, die unter anderem im Start von Explorer 1 und der Gründung der DARPA und der NASA mündeten.[1]

Projekt

Projekt A119 war eine von mehreren Möglichkeiten, welche die US-Amerikaner erwogen, um ihre technische Überlegenheit im All unter Beweis zu stellen. Im Mai 1958 begann die Armour Research Foundation am Illinois Institute of Technology, die von der United States Army finanziert wurde, bezüglich der Auswirkungen einer Nuklearexplosion auf dem Mond zu forschen. Hauptgegenstand der Forschung, die von der Air Force überwacht wurde, war der Umfang, den eine konventionelle oder nukleare Bombe auf dem Mond haben müsste, um die Explosion von der Erde aus sichtbar zu machen. Man hoffte, solch eine für alle sichtbare Machtdemonstration würde die Moral der US-amerikanischen Bevölkerung, welche unter dem Sputnikschock litt, wieder heben.[2]

Das Projekt wurde von einer ähnlichen Studie der RAND Corporation von 1956 beeinflusst, deren Erkenntnisse jedoch bis heute der Geheimhaltung unterliegen. Außerdem hatte im Februar 1957 Edward Teller, der Vater der Wasserstoffbombe, die Detonation mehrerer Bomben auf und über der Oberfläche des Mondes vorgeschlagen, um aus den gewonnenen Daten neue Erkenntnisse zu erlangen.[3]

Forschung

Unter der Leitung von Leonard Reiffel wurde am Illinois Institute of Technology in Chicago ein zehnköpfiges Team zusammengestellt, welches die Sichtbarkeit einer Explosion, Erkenntnisse für die Wissenschaft und Auswirkungen auf die Mondoberfläche untersuchte. Unter den Mitgliedern waren der Astronom Gerard Kuiper und dessen damaliger Doktorand Carl Sagan, der mathematisch die Ausdehnung einer Staubwolke als Folge der Explosion an der Mondoberfläche und deren Sichtbarkeit von der Erde aus untersuchte.[2][3][4]

Die Explosion sollte an der Tag-Nacht-Grenze des Mondes stattfinden, um eine maximale Sichtbarkeit auf der Erde zu gewährleisten.

Die Wissenschaftler empfahlen die Nutzung einer Wasserstoffbombe, da so eine Sichtbarkeit der Explosion wahrscheinlicher war. Die Air Force legte wegen des höheren Gewichts damaliger Wasserstoffbomben jedoch ihr Veto ein. Daher wurde beschlossen einen kleinen Atomsprengkopf vom Typ W25 zu verwenden, welcher eine Sprengkraft von 1,7 Kilotonnen hatte.[3] Im Vergleich hierzu besaß die 1945 auf Hiroshima abgeworfene Bombe Little Boy eine Sprengkraft von etwa 13–18 Kilotonnen.[5] Der W25-Sprengkopf sollte mit einer Rakete auf die dunkle Seite des Mondes gebracht werden und nahe der Tag-Nacht-Grenze beim Aufprall auf die Oberfläche explodieren. Die durch die Explosion entstehende Staubwolke würde so durch die Sonne angestrahlt und damit von der Erde aus sichtbar sein.[3][4] Laut Reiffel hätte der Fortschritt der Air Force bei der Entwicklung von Interkontinentalraketen eine solche Mission ab dem Jahr 1959 möglich gemacht.[6]

Abbruch

Das Projekt wurde wahrscheinlich im Januar 1959 durch die Air Force eingestellt, da Zweifel am positiven Öffentlichkeitseffekt einer Atomexplosion auf dem Mond bestanden und die Air Force im Falle eines Misserfolgs des Projekts einen Popularitätsverlust befürchtete. Ein weiterer Faktor war laut Reiffel der Radioaktive Fallout, welcher zukünftige bemannte Mondmissionen und eine mögliche Kolonisierung behindern würde.[6][7]

Sowjetisches Programm

Ein weiterer Faktor für die Konzeption des Projekt A119 könnten Pressegerüchte gewesen sein, dass die Sowjetunion die Zündung einer Wasserstoffbombe auf der Mondoberfläche plane. Ende 1957 gab es Presseberichte, nach denen eine anonyme Quelle dem United States Secret Service enthüllt habe, dass die Sowjetunion zur Feier der Oktoberrevolution die Detonation einer nuklearen Bombe auf dem Mond plane, die am 7. November sichtbar werden sollte. Die Presse berichtete weiterhin, dass die Detonation an der Tag-Nacht-Grenze stattfinden sollte und dass die Rakete, falls sie den Mond verfehlen sollte, auf die Erde zurückstürzen könnte, was der Grund für den Abbruch der sowjetischen Planungen gewesen sei.[8]

Spätere Berichte behaupteten, dass das sowjetische Programm immer noch weiterentwickelt werde, jedoch unter anderen Vorzeichen als früher berichtet. So sollte es erst im Januar 1958 gestartet worden sein und Teil einer Serie von Vorschlägen unter dem Codenamen E sein. Projekt E-1 enthielt Pläne, den Mond zu erreichen, während die Projekte E-2 und E-3 eine Umrundung des Mondes durch eine Sonde und die Aufnahme von Fotos der Oberfläche beschrieben. Das finale Projekt, E-4, sah einen Nuklearschlag auf der Mondoberfläche vor, um Stärke zu demonstrieren. Wie das US-amerikanische Projekt tatsächlich soll auch das sowjetische Programm schon in der Planungsphase eingestellt worden sein, da man die Sicherheit und positive Öffentlichkeitswirksamkeit eines solchen Projektes nicht garantieren konnte.[9]

Konsequenzen

Projekt A119 wurde durch Nachforschungen für eine Biografie über Carl Sagan bekannt.

Die Unterzeichnung des Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser im Jahr 1963 und des Weltraumvertrags 1967 verhinderten die Wiederaufnahme von Planungen zur Herbeiführung einer Atomexplosion auf dem Mond. Sowohl die USA als auch die Sowjetunion hatten bis dahin jedoch bereits versuchsweise mehrere Kernwaffen in der Erdatmosphäre gezündet.[3]

Im Jahr 1969 hatten die Vereinigten Staaten durch den Erfolg von Apollo 11 einen entscheidenden Sieg im Wettlauf ins All errungen. Im Dezember 1969 forderte der am Apolloprogramm beteiligte Wissenschaftler Gary Latham die Zündung einer Miniatur-Atombombe auf dem Mond, um Informationen über dessen geologische Zusammensetzung zu gewinnen.[10] Der Plan wurde jedoch verworfen, da man in Zukunft plante, die natürliche Hintergrundstrahlung des Mondes zu messen.[11]

Die Existenz von Projekt A119 blieb bis in die Mitte der 1990er Jahre geheim, als der Autor Keay Davidson es bei Nachforschungen für seine Biografie über Carl Sagan entdeckte. Sagans Beteiligung am Projekt wurde in seiner Bewerbung um eine Dozentenstelle an der University of California, Berkeley im Jahr 1959 offenkundig. In seiner Bewerbung gab Sagan Details des Projektes preis, was Davidson als Gefährdung der nationalen Sicherheit durch Sagan wertete.[12] Die Indiskretion Sagans bestand darin, dass er die Titel zweier mit dem Projekt A119 verbundener Thesenpapiere nannte. Einmal das Papier von 1958 mit dem Titel Possible Contribution of Lunar Nuclear Weapons Detonations to the Solution of Some Problems in Planetary Astronomy und das Thesenpapier von 1959 mit Namen Radiological Contamination of the Moon by Nuclear Weapons Detonations.

Davidsons Forschungen resultierten 1999 in der Biografie Carl Sagan - A Life. Kurz nach der Veröffentlichung hob das Magazin Nature in einer Rezension die Entdeckung Davidsons hervor.[13] Diese Buchbesprechung führte dazu, dass Leonard Reiffel seine Anonymität aufgab und einen Brief an Nature schrieb, in welchem er Sagans Beteiligung am Projekt bestätigte. Reiffel nutzte die Gelegenheit, Details der Forschungen bekanntzugeben, welche später von weiten Pressekreisen aufgegriffen wurden.[4][14]

Als Resultat der Veröffentlichung Reiffels wurde eine Anfrage gemäß dem Freedom of Information Act gestellt, um die Akten zu Projekt A119 freigeben zu lassen. Etwa zur selben Zeit wurde A Study of Lunar Research Flights - Volume I nach etwa vierzig Jahren freigegeben.[15] Die Suche nach den weiteren Ausgaben ergab, dass diese in den 1980er Jahren am Illinois Institute of Technology vernichtet worden waren.[3] Der britische Nuklearhistoriker David Lowry meinte dazu:

“It is obscene. To think that the first contact human beings would have had with another world would have been to explode a nuclear bomb. Had they gone ahead, we would never have had the romantic image of Neil Armstrong taking 'one giant step for mankind'.”

„Es ist obszön. Zu denken, dass der erste Kontakt der Menschheit mit einer anderen Welt die Explosion einer Nuklearwaffe gewesen wäre. Wären sie so vorgegangen, hätten wir nie das romantische Bild von Neil Armstrong gehabt, welcher "einen großen Schritt für die Menschheit" tat.“

David Lowry[2]

Literatur

  • Keay Davidson: Carl Sagan - A Life. Willey, 1999, ISBN 0-471-25286-7.
  • Lillian Hoddeson, Paul W. Henriksen, Roger A. Meade und Catherine L. Westfall: Critical Assembly: A Technical History of Los Alamos During the Oppenheimer Years, 1943–1945. Cambridge University Press, 1993, ISBN 0-521-54117-4.
  • Paolo Ulivi, David Michael Harland und Chaochen Zhou: Lunar Exploration: Human Pioneers and Robotic Surveyors. Springer, 2004, ISBN 978-1-85233-746-9.

Einzelnachweise

  1. 50th Anniversary of the Space Age. Website der NASA. Abgerufen am 23. Oktober 2011.
  2. a b c US planned one big nuclear blast for mankind. In: The Guardian, 14. Mai 2000. Abgerufen am 23. Oktober 2011.
  3. a b c d e f Paolo Ulivi et.al.: Lunar Exploration: Human Pioneers and Robotic Surveyors. 2004, S. 19–21.
  4. a b c U.S. Planned Nuclear Blast On the Moon, Physicist Says. In: The New York Times, 16. Mai 2000. Abgerufen am 23. Oktober 2011.
  5. Lillian Hoddeson et.al.: Critical Assembly: A Technical History of Los Alamos During the Oppenheimer Years, 1943–1945. 1993, S. 392–393.
  6. a b U.S. consideres lunar a-bomb blast. In Pittsburgh Post-Gazette, 18. Mai 2000. Abgerufen am 23. Oktober 2011.
  7. U.S. Wighed A-Blast on Moon in 1950s. In: Los Angeles Times, 18. Mai 2000. Abgerufen am 23. Oktober 2011.
  8. Lates Red Rumor: They'll Bomb Moon. In: Pittsburgh Press, 1. November 1957. Abgerufen am 23. Oktober 2011.
  9. Russia wanted nuclear bomb on moon. In: Independent Online, 9. Juli 1999. Abgerufen am 23. Oktober 2011.
  10. Moon madness. In: The Sydney Morning Herald, 21. Dezember 1969. Abgerufen am 23. Oktober 2011.
  11. Scientist Withdraws Plans for Nuclear Blast on Moon. In: St. Petersburg Times, 7. Januar 1970. Abgerufen am 23. Oktober 2011.
  12. Keay Davidson: Carl Sagan - A Life. 1999, S. 95.
  13. An exobiologist's life search. In: Nature 401, 28. Oktober 1999, Abgerufen am 23. Oktober 2011.
  14. Sagan breached security by revealing US work on a lunar bomb project. In: Nature 405, 4. Mai 2000. Abgerufen am 23. Oktober 2011.
  15. A Study of Lunar Research Flights, Volume I. Defense Technical Information Center Abgerufen am 23. September 2011.

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