Ernst Illing

Ernst Illing

Ernst Robert Gerhard Illing (* 6. April 1904 in Leipzig; † 30. November 1946 in Wien) war deutscher Psychiater und Neurologe zur Zeit des Nationalsozialismus und an Euthanasieverbrechen im Rahmen der Kinder-Euthanasie beteiligt.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Illing studierte Medizin und promovierte 1929 an der Universität Leipzig mit der Dissertation „Über kongenitale Wortblindheit“ (angeborene Schreib- und Leseschwäche) zum Doktor der Medizin. Im Mai 1933 trat er der NSDAP bei. In der Partei übernahm er unter anderem das Amt eines Blockleiters.[1] Nach seiner Facharztausbildung zum Nervenarzt war Illing ab 1933 an dem Leipziger St.-Georgen-Spital und danach an der Psychiatrischen Klinik der Universität Leipzig tätig. Illing wechselte 1935 an die Landesanstalt Görden in Brandenburg an der Havel. Dort wurde er Ende 1938 Oberarzt und stellvertretender Direktor unter Hans Heinze. Ab 1938 war er zudem Gauhauptstellenleiter für Propaganda im Rassenpolitischen Amt der NSDAP. Illing referierte über die Verhütung erbkranken Nachwuchses, forderte die Bevorzugung gesunder kinderreicher Familien und die Einweisung sogenannter Asozialer in Arbeitslager.[2]

Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges war er bis Oktober 1941 als Oberarzt bei der Luftwaffe eingesetzt.[1] Vom 1. Juli 1942 bis April 1945 war Illing an der Wiener städtischen Jugendfürsorgeanstalt „Am Spiegelgrund“ als ärztlicher Direktor tätig. Er folgte in dieser Funktion offiziell Erwin Jekelius nach, der bereits Anfang 1942 zur Wehrmacht eingezogen wurde.

Illing, bereits seit 1939 an der Kinderfachabteilung der Anstalt Brandenburg –Göhrden an der Kinder-Euthanasie beteiligt, unterstand auch die Kinderabteilung „Am Spiegelgrund“. Während des Zweiten Weltkrieges wurden in der Kinderfachabteilung der Anstalt im Rahmen der Kinder-Euthanasie mindestens 789 behinderte und/oder verhaltensauffällige Kinder durch Verabreichung von Schlafmitteln, durch Mangelernährung oder Unterkühlung umgebracht.[3] In der Kinderfachabteilung fanden auch Tbc-Versuchsreihen mit Impfstoffen in Zusammenarbeit mit der Wiener Universitätsklinik statt. Zur Diagnose tuberkulöser Sklerose wurden mittels Enzephalographien an Kindern medizinisch nicht notwendige Eingriffe vorgenommen.[4]

Nach Kriegsende wurde Illing verhaftet und war vom 15. Juli 1946 bis zum 18. Juli 1946 mit den Ärztinnen Marianne Türk und Margarethe Hübsch im 1. Steinhof-Prozess vor dem Volksgericht Wien angeklagt. Während Türk eine zehnjährige Haftstrafe erhielt und Hübsch aus Beweismangel freigesprochen wurde, erhielt Illing die Todesstrafe.[5] Illing war aufgrund der Gabe todbringender Medikamente und Lumbalpunktionen sowie der Veranlassung beziehungsweise Verabreichung todbringender Medikamente in etwa 200 Fällen verurteilt worden. [6] Das Urteil wurde durch Erhängen im November 1946 vollstreckt. Ein weiterer beteiligter Arzt, Heinrich Gross, wurde erst 1950 zu zwei Jahren Kerker verurteilt.[7]

Einzelnachweise

  1. a b Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main 2007, S. 278.
  2. Rolf Castell: Geschichte der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Deutschland in den Jahren 1937 bis 1961, Göttingen 2003, S. 520
  3. Ulrich Weinzierl: Ein furchtbarer Psychiater, in: Die Welt vom 14. November 2005
  4. Wolfgang Neugebauer: Wiener Psychiatrie und NS-Verbrechen, Referat, Wien 1997, (pdf)
  5. "Ahndung von Euthanasieverbrechen" im Dokumentenarchiv des Österreichischen Widerstandes
  6. Claudia Kuretsidis-Haider: Volksgerichtsbarkeit und Entnazifizierung in Österreich, in: Walter Schuster / Wolfgang Weber (Hrsg.): Entnazifizierung im regionalen Vergleich, Linz 2004 Archiv der Stadt Linz
  7. Prozesse nach 1945 - Kindereuthanasie in Wien 1940 bis 1945

Literatur

  • Rolf Castell: Geschichte der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Deutschland in den Jahren 1937 bis 1961. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, ISBN 3-52-546174-7.
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich: Wer war was vor und nach 1945. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 3-596-16048-0.
  • Ernst Klee: „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“; Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 1983; ISBN 3-10-039303-1.
  • Ernst Klee: Was sie taten – Was sie wurden. Ärzte, Juristen und andere Beteiligte am Kranken- oder Judenmord . 12 Auflage. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-596-24364-5.
  • Michael Hubensdorf: Kontinuität und Bruch in der Medizingeschichte. Medizin in Österreich 1938 bis 1955, in: Friedrich Stadler (Hg.): Kontinuität und Bruch. 1938–1945–1955 Beiträge zur österreichischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte, LIT Verlag Berlin-Hamburg-Münster 2004, ISBN 3-8258-7489-3.

Weblinks


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