Oscar Wittenstein

Oscar Wittenstein

Oscar (auch: Oskar) Jürgen Wittenstein (* 28. September 1880 in Barmen; † 3. September 1918 in Berlin-Rudow) war ein deutscher Unternehmer, Kunstsammler und Flugpionier. Er war Mitinitiator und Gründungsmitglied der Neuen Künstlervereinigung München (N.K.V.M.) und wird auch in der Literatur zum Blauen Reiter erwähnt.

Inhaltsverzeichnis

Familie und Werdegang

Die Villa Wittenstein in Wuppertal-Unterbarmen

Oscar Wittenstein stammte aus einer alteingesessenen, wohlhabenden Kaufmannsfamilie aus Barmen. Sein Vater Eduard Gustav Wittenstein (1848–1909) war Inhaber der Garnfärberei G. Wittenstein-Troost. Seine Mutter Klara (geborene Boelling, 1856–1886) war die Tochter von Friedrich Engels' Schwester Hedwig. Er wuchs in der Villa Wittenstein in der heutigen Friedrich-Engels-Allee auf, einem repräsentativen, zweieinhalbgeschossigen Gebäude, das 1861 von seinem Großvater Gustav Wittenstein (1805–1883) errichtet und von seinem Vater um 1899 erweitert wurde.

Nach der Schulzeit besuchte Wittenstein die Handelsschule in Lausanne. Anschließend studierte er Chemie, Philosophie und Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg, an der er 1903 promoviert wurde. [1]. 1904 wechselte er nach München, wo er zusammen mit seinem Freund und weitläufigem Verwandten [2], Adolf Erbslöh, eine gemeinsame Wohnung bezog. Er studierte Musik bei Max Reger. Als Anhänger von Goethe besuchte er auch Vorlesungen der Philosophie und deutschen Literatur an der Münchner Universität.

Wittenstein heiratete im Mai 1918 die Textilerbin Elisabeth Vollmöller (1887–1957).[3] Ihr einziger Sohn Jürgen Wittenstein kam erst nach dem Tod des Vaters zur Welt. Später schloss er sich der Widerstandsgruppe Weiße Rose an. Elisabeth Wittenstein-Vollmöllers Schwester war die mit Hans Purrmann verheiratete Malerin Mathilde Vollmoeller-Purrmann.

Wirken

1909 wurde Wittenstein eines von einundzwanzig Gründungsmitgliedern der Neuen Künstlervereinigung München (N.K.V.M.). Als im Februar 1911 sein Freund Erbslöh zum 1. Vorsitzenden der N.K.V.M. gewählte wurde, bestellte man „Dr. Oscar Wittenstein, Tonkünstler“ zu seinem Stellvertreter.[4][5] Zu seiner Kunstsammlung gehörte unter anderem das um 1907 entstandene Gemälde Wasserburg am Inn von Alexej von Jawlensky.[6]

Parallel zu seinen musischen Aktivitäten ließ sich Wittenstein 1909 von den französischen Flugpionieren Henri und Maurice zum Piloten ausbilden.[7] Außerdem absolvierte er am 18. März 1911 eine Pilotenprüfung auf einem Farman-Doppeldecker auf dem Flugplatz Puchheim im Landkreis Fürstenfeldbruck. Sein „Deutscher Pilotenschein” wurde am 29. April 1911 im München ausgestellt und trägt die Nummer 81.[8] Als erster Mensch flog er über die Stadt München und engagierte sich finanziell im ersten Verein für Luftschifffahrt.[9] Um 1911 gründete Wittenstein zusammen mit Adolf Erbslöh das Flugzeugwerk Deutschland in München und die Luftschiffbau-Gesellschaft Veeh m.b.H., so benannt nach dem Erfinder Paul Veeh aus Apolda. 1910/11 wurde ein Dreidecker mit gestaffelte Tragflächen gebaut, jedoch sind keine Flüge bekannt. Ebenfalls um 1911 wurde ein Eindecker mit einem 50-PS-Argus-Motor, zwei Höhenrudern und unbespanntem Stahlrohrrumpf herstellt, der 1911 geflogen sein soll. Aus finanziellen Gründen mussten sie die Firma bald wieder aufgeben.[10] Wittenstein nahm an zahlreichen Flugwettbewerben teil, unter anderen auch mit dem Bruder seiner Frau Hans Robert Vollmöller. So startete er 1911 bei der ersten Austragung des Deutschlandfluges.[11]

1916 war Wittenstein in München an der Konstruktion des Riesenflugzeugs R 21/16 der AEG beteiligt und galt als Angestellter der Firma. Das mit 4 x 260-PS-Daimler-Motoren zentral im Rumpf in zwei Reihen nebeneinander und einer Spannweite von 36 Meter bei 19 Länge ausgestattete Flugzeug stürzte am 3. September 1918 durch Triebwerkschaden ab, wobei sieben Personen, darunter der junge Fliegerleutnant Brückmann als Pilot, der Ingenieur Otto Reichardt (1885–1918) und Oskar Wittenstein den Tod fanden.[12] Sein letzter militärischer Dienstgrad war Leutnant der Reserve.

Aus einem Schriftverkehr Wittensteins mit dem damaligen AEG-Direktor Walther Rathenau aus dem Jahr 1914 ist bekannt, dass er diesem das Typoskript seiner Schrift Von der Macht des Verstandes oder von der menschlichen Freiheit, das sich mit der Spinozarezeption beschäftigte, zusandte.[13][14]

Schriften

  • Gewinnung und Benutzung leerer Räume ohne Luftpumpe. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde einer hohen naturwissenschaftlich-math. Fakultät zu Heidelberg, Druck von J. Flörning, Heidelberg 1903
  • Von der Macht des Verstandes oder von der menschlichen Freiheit, Strecker & Schröder, Stuttgart 1921, bearbeitet von Constantin Brunner (als unvollendetes Manuskript aus dem Nachlass, in 200 nummerierten Exemplaren gedruckt)

Literatur

  • Bruno Lange: Das Buch der deutschen Luftfahrttechnik, Band 1, D. Hoffmann, 1970
  • George William Haddow, Peter Michael Grosz: The German Giants. The Story of the R-planes. 1914–1919, Putnam, 1969, S. 78
  • Wassily Kandinsky: Unsere Freundschaft. Erinnerungen an Franz Marc. In: Klaus Lankheit: Franz Marc im Urteil seiner Zeit. Texte und Perspektiven. Köln 1960
  • Wolfgang Macke (Hrsg.): August Macke/Franz Marc. Briefwechsel. Köln 1964
  • Annegret Hoberg, Titia Hoffmeister, Karl-Heinz Meißner: Anthologie. In: Der Blaue Reiter und das Neue Bild. Von der „Neuen Künstlervereinigung München“ zum „Blauen Reiter“. (Ausstellungskatalog) Städtische Galerie im Lenbachhaus, München 1999, S. 27 ff.
  • Annegret Hoberg: „Neue Künstlervereinigung München“ und „Blauer Reiter“. In: Der Blaue Reiter und das Neue Bild. Von der „Neuen Künstlervereinigung München“ zum „Blauen Reiter“. (Ausstellungskatalog) Städtische Galerie im Lenbachhaus, München 1999, S. 13 ff.
  • Antje Birthälmer: Adolf Erbslöh (1881–1947). Vom Expressionismus zum neuen Naturgefühl. (Ausstellungskatalog) Von der Heydt-Museum Wuppertal, Wuppertal 2000

Einzelnachweise

  1. Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Dissertationsverzeichnis 1903, Oskar Wittenstein
  2. Oscars Tante Laura Erbslöh, geb. Wittenstein, war die Ehefrau von Adolf Erbslöhs Onkel Julius Erbslöh.
  3. Vereinigte Trikotfabrik L. Vollmoeller AG
  4. Annegret Hoberg: Neue Künstlervereinigung München und Blauer Reiter. 1999, S. 39
  5. Annegret Hoberg, Titia Hoffmeister, Karl-Heinz Meißner: Anthologie. 1999, S. 30 f.
  6. Angebot bei Sotheby's
  7. Antje Birthälmer: Adolf Erbslöh (1881–1947). Vom Expressionismus zum neuen Naturgefühl, Wuppertal 2000, S. 158
  8. Peter Supf: Das Buch der deutschen Fluggeschichte, Band 2, Drei Brunnen, 1958
  9. Gisela Kleine: Gabriele Münter und Wassily Kandinsky, Biographie eines Paares, Frankfurt/M. 1990, S. 729, Anm. 57
  10. Antje Birthälmer: Adolf Erbslöh (1881–1947). Vom Expressionismus zum neuen Naturgefühl, Wuppertal 2000, S. 159
  11. Flugsport, 28. Juni 1911S. 438ff.
  12. Peter Supf: Das Buch der deutschen Fluggeschichte, Band 2, Drei Brunnen, 1958, S. 490, S. 526
  13. Alexander Jaser, Clemens Picht, Ernst Schulin (Hrsg.): Walther Rathenau, Briefe: 1914–1922. Droste, 2006 ISBN 978-3-77001620-4, S. 1325 ff.
  14. Jürgen Stenzel: Philosophie als Antimetaphysik: zum Spinozabild Constantin Brunners, Band 10 der Schriftenreihe der Spinoza-Gesellschaft, Königshausen & Neumann, Würzburg, 2002 ISBN 978-3-82602071-1, S. 407

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