E-Justice (Deutschland)

E-Justice (Deutschland)

Unter E-Justiz bzw. E-Justice (englisch electronic justice; auch elektronischer Rechtsverkehr) versteht man den Einsatz von IT-Verfahren innerhalb der Justiz und zwischen Organen der Justiz, der öffentlichen Verwaltung und Privatpersonen. E-Justice ist Teil des E-Governments.

Inhaltsverzeichnis

Elektronische Kommunikation

Dabei ist zu unterscheiden zwischen Kommunikation, die bestimmten formellen gesetzlichen Grundlagen zu genügen hat und sonstiger, informeller Kommunikation.

Formgebundene Kommunikation

In Deutschland wurden bereits durch das „Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und andere Vorschriften an den modernen Rechtsverkehr“ vom 13. Juli 2001 die einzelnen Prozessordnungen geändert und damit der Grundstein für die formgebundene E-Justice gelegt. Bei der formgebundenen Kommunikation hat eine weitere Unterteilung zwischen der Kommunikation vom Rechtsanwender zum Gericht und der Kommunikation des Gerichts zum Rechtsanwender stattzufinden.

Formgebundene Kommunikation an das Gericht

Bürger und Rechtsanwälte können ihre Schriftsätze und andere Erklärungen auch in elektronischer Form beim zuständigen Gericht einreichen. Eine zusätzliche Nachreichung auf Papier ist dann nicht notwendig. Allerdings muss die elektronische Kommunikation mit dem einzelnen Gericht noch durch eine besondere Rechtsverordnung erlaubt werden, was bisher nur für einige wenige Gerichte geschehen ist. Diese Regelungssystematik erlaubt zunächst für die notwendige technische Ausstattung der Gerichte zu sorgen. Zudem werden in der Rechtsverordnung Vorgaben zum Übertragungsverfahren, zu Dateiformaten, Signier-, Verschlüsselungsverfahren, der Beifügung von X-Justiz-Daten und ähnlichem gemacht.

Die laufenden Pilotprojekte von Bund und Ländern setzen auf sehr unterschiedliche Übertragungsverfahren:

Die Empfangseinrichtung des Gerichts wird dabei in jedem Fall als elektronisches Gerichtspostfach bezeichnet. Eine automatisch generierte Antwort bestätigt den Zugang des Dokuments bei Gericht.

Die hohe Variationsbreite der Übertragungsverfahren wird noch ergänzt durch Unterschiede in den sonstigen genannten Vorgaben in den Rechtsverordnungen. Dies erschwert den elektronischen Rechtsverkehr mit Gerichten erheblich und führt mittelfristig zu einer Partikularisierung des Rechtswesens. Um dem entgegenzuwirken werden im Rahmen der Bund-Länder-Kommission (BLK) einheitliche Vorschläge für die Verordnungsgeber entwickelt. Obwohl die daraus entstandenen Organisatorisch-technische Leitlinien für den elektronischen Rechtsverkehr (OT-Leit-ERV) bereits seit dem Jahre 2003 existieren, sind einheitliche Rechtsverordnungen noch in weiter Ferne. Zunächst wird Wert auf die Sammlung von Erfahrungen in den Pilotprojekten gelegt. Die BLK arbeitet aber weiter, so dass in ferner Zukunft eine Vereinheitlichung der Anforderungen zu erwarten ist.

Probleme bereitet auch die Akzeptanz durch die Rechtsanwender und dabei insbesondere Rechtsanwälte. Sie werden durch die Vielzahl von Anforderungen und praktische Probleme bei der Nutzung von E-Justice verunsichert. Die Hersteller von Anwaltssoftware sind zudem äußerst zurückhaltend in der Umsetzung des elektronischen Rechtsverkehrs in ihre Produkte. Teilweise verlangen die Gerichte zudem eine vorherige Anmeldung zu ihrem Service. Einigermaßen erfolgreich ist daher bislang nur der elektronische Rechtsverkehr am Bundesgerichtshof (BGH). Dies ist zum einen durch den frühen Start des Projektes im November 2001 und zum anderen durch die ohnehin geringe Anzahl von zugelassenen Rechtsanwälten beim Bundesgerichtshof (insg. nur 31 Anwälte, wovon eine einstellige Zahl von Rechtsanwälten ständig elektronisch Schriftsätze beim BGH einreicht) bedingt.

Praktische Probleme bei der Einreichung von elektronischen Dokumenten bei Gerichten führten bislang (soweit ersichtlich) nicht zu entsprechenden prozessualen Beschlüssen oder Entscheidungen. Die wissenschaftliche Durchdringung des Themas lässt zudem noch zu wünschen übrig. Hauptsächlich umstritten ist auf Grund des unklaren Wortlauts des Gesetzes bislang, ob durch eine Elektronische Signatur Authentizität und Integrität des Schriftsatzes sicherzustellen sind.

Vom Gericht ausgehende formgebundene Kommunikation

Das Gericht ist nach dem Gesetz verpflichtet bestimmte Arten von Dokumenten förmlich zuzustellen oder kann dies nach pflichtgemäßen Ermessen für sonstige Schriftstücke anordnen. Die Zustellung kann nach § 174 Abs. 3 ZPO auch auf elektronischem Wege erfolgen.

Für die „elektronische“ Zustellung kommt vor allem E-Mail in Betracht. Daneben gibt es – analog zu den schon bisher von Rechtsanwälten an ihrem Stammgericht geführten Gerichtsfächern – auch Konzepte von elektronischen Gerichtsfächern über Webseiten oder OSCI-Server.

Insbesondere bei E-Mail-Kommunikation stellt sich der Problem, dass das Gericht verpflichtet ist elektronische Signaturverfahren und Verschlüsselung einzusetzen. Dazu benötigt es einen öffentlichen Schlüssel des Empfängers, den es zum Beispiel bei der Anmeldung des Rechtsanwaltes zur elektronischen Kommunikation mit diesem Gericht erhalten hat. In der Praxis können Gerichte daher nur einer verschwindend kleinen Zahl von Rechtsanwendern Dokumente auf elektronischem Weg zustellen.

Formfreie Kommunikation

Dokumente oder Nachrichten durch die keine Rechte oder Pflichten begründet werden, können in der Regel formfrei kommuniziert werden. In diese Kategorie fallen Terminabsprachen und ähnliches.

In diesem Bereich wird insbesondere E-Mail bereits weit häufiger benutzt, als dies im formgebundenen Bereich der Fall ist.

Mahnbescheide

In einem kleinen, praktisch aber sehr wichtigen Teilbereich des E-Justice gibt es bereits seit ca. 1980 funktionstüchtige elektronische Verfahren.

Es handelt sich um das Mahnverfahren nach § 688ff. ZPO. Dieses Verfahren zur Geltendmachung von Ansprüchen auf Geldzahlungen ist bereits in Papierform durch Formulare standardisiert und wird bei Gerichten größtenteils maschinell bearbeitet.

Daneben ist es jedermann möglich, Mahnbescheide online zu beantragen („Barcode-Verfahren“).

Seit einer Änderung von § 690 Abs. 3 ZPO zum 1. Dezember 2008 dürfen Rechtsanwälte Mahnbescheide nicht mehr mit Hilfe der papiergebundenen Formulare beantragen, sondern können sie diese Anträge ausschließlich auf elektronischem Wege einreichen. Außer mit dem Barcode-Verfahren ist dies durch Schnittstellen der verwendeten Anwaltssoftware zum Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) möglich.

Das EGVP ist eine Art E-Mail-Programm für die technisch und rechtlich zuverlässige Kommunikation mit Gerichten und Behörden. Die Unterschrift wird hierbei durch zertifizierte Signaturkarte nebst Persönliche Identifikationsnummer ersetzt (Elektronische Signatur). Bei der Übertragung per EGVP gewährleistet das OSCI-Protokoll eine verschlüsselte und zuverlässige Übertragung.

Handelsregister

Das Handelsregister wird gemäß einer EG-Richtlinie seit 2007 elektronisch geführt. Die §§ 8 bis 12 HGB und die HRV beschreiben die rechtlichen Voraussetzungen und technischen Details des elektronischen Workflows für die hierzu erforderlichen elektronischen Informations- und Kommunikationssysteme:

  • Übernahme der von den Notaren digitalisierten, signierten und elektronisch übermittelten Anmeldungen und sonstigen elektronischen Dokumente;
  • Erfassung der für die Eintragung relevanten Stammdaten;
  • Eintragung und Bekanntmachung der Tatsachen;
  • Online-Beauskunftung über den Inhalt der Eintragungen und der zum Handelsregister eingereichten Dokumente.

Uploads zum Zweck der Eintragung in das Handelsregister erfolgen nach § 12 HGB elektronisch mittels EGVP.

Justizinterne Vorgänge

Der bisher beschriebene Bereich der Kommunikation ist nur ein Aspekt von E-Justice. Justizintern erfasst E-Justice insbesondere auch die elektronische Aktenführung mit den Folgeproblemen der Langzeitarchivierung von elektronischen Akten. Bislang ist jedoch eine ausschließliche elektronische Aktenführung der Justiz nicht möglich. Die Prozessordnungen sehen nur eine Aktenführung auf Papier vor. Die elektronisch eingehenden Dokumente müssen daher bislang ausgedruckt werden. An einigen Gerichten führt dies zu paralleler Aktenführung mit dem Ausdruck von eingehenden elektronischen Dokumenten und dem Einscannen von eingehenden Papierdokumenten. Rechtlich verbindlich ist dabei nur die Papierakte.

Ausblick in die Zukunft

Seit dem 28. Juli 2004 liegt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, der E-Justice auf die justizinternen Vorgängen erweitert (insbesondere elektronische Aktenführung). Gleichzeitig sollen insbesondere die Regelungen zur elektronischen Kommunikation mit Verwaltungsgerichten, Finanzgerichten und Sozialgerichten geändert werden, somit der bislang einheitliche Wortlaut der Prozessordnungen aufgegeben wird. Der Gesetzentwurf (BT-Drs. 15/4067) wurde im November 2004 zunächst an den Rechtsausschuss des Bundestages verwiesen. Im Dezember 2004 erfolgte zudem eine zusätzliche Verweisung an den Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung. Das Gesetz wurde am 18. März 2005 verabschiedet und am 29. März 2005 im Bundesgesetzblatt [1] verkündet. Es trat am 1. April 2005 in Kraft.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz - JKomG) PDF, 205 KB

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