Justin II.

Justin II.
Solidus Justins II.

Justin II. (lat. Flavius Iustinus, mittelgriechisch Ἰουστίνος; * 520; † 5. Oktober 578) war vom 14. November 565 bis zum 5. Oktober 578 oströmischer Kaiser.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Justins Eltern waren Dulcidius und Vigilantia, die Schwester Kaiser Justinians I. Dank seiner Stellung bei Hofe (curopalatus seit 552) und der Hilfe seiner Frau Sophia, die eine Nichte der 548 verstorbenen Kaisergattin und Augusta Theodora war, kam er auf offenbar recht reibungslose Weise zum Kaisertitel, obwohl er von Justinian nicht durch eine Erhebung zum Mitkaiser als Nachfolger designiert worden war: Der praepositus sacri cubiculi - der "Vorsteher des heiligen Schlafgemachs" und Privatsekretär des verstorbenen Kaisers - hatte Justin als ersten vom Tod Justinians unterrichtet, so dass jener heimlich in den Palast gelangen und so etwaigen Rivalen zuvorkommen konnte. Er ließ sich drei Tage nach Justinians Tod von Senatoren und Soldaten zum neuen Augustus ausrufen. Ein anderer möglicher Kandidat, der ebenfalls den Namen Justin trug und gleichfalls ein Neffe Justinians war, wurde kurz darauf beseitigt.

Die ersten Tage der Herrschaft Justins II. waren durchaus viel versprechend: Er zahlte Schulden Justinians ab, kümmerte sich demonstrativ persönlich um die Rechtsprechung und rief zu religiöser Toleranz auf. Er vernachlässigte auch den Westen nicht, sondern war bemüht, die dortigen römischen Gebiete zu halten; und er erweckte den Anschein, wieder eine offensivere Außenpolitik verfolgen zu wollen als Justinian in seinen letzten Jahren. Gegenüber fremden Gesandten trat der neue Kaiser demonstrativ herablassend auf (was möglicherweise ein Indiz dafür sein kann, dass Justin die eher fragwürdige Legitimität seiner Herrschaft durch außenpolitisches Auftrumpfen ausgleichen wollte). Anlässlich der Vernichtung des Gepidenreichs Kunimunds durch die mit den Awaren verbündeten Langobarden unter Alboin, ließ Justin 567 Sirmium besetzen, womit das oströmische Reich unter seiner Herrschaft zumindest gut ein halbes Jahr lang seine größte Ausdehnung hatte. Jedoch blieben wegen aufsässiger Provinzstatthalter und aufgrund der angespannten finanziellen und militärischen Lage seine - wohl ohnehin eher oberflächlichen - Reformbemühungen weitgehend wirkungslos. Es hatte seinen Grund gehabt, wieso Justinian zuletzt primär auf diplomatische und weniger auf militärische Lösungen gesetzt hatte, denn die Kräfte des Imperiums waren bereits aufs Äußerste angespannt; das aggressive Auftreten der Römer unter Justin II. führte zu einer Verschärfung der Situation. Im Inneren bereitete auch bald seine kompromisslos antimonophysitische Religionspolitik Schwierigkeiten, die für wachsende Spannungen zwischen der Zentrale und den reichen syrischen und ägyptischen Provinzen sorgte; zudem machte er sich durch eine rigide (aber offenbar zunächst nicht ganz erfolglose) Finanzpolitik unbeliebt.

Ein einschneidendes Ereignis in seiner Regierungszeit war die Invasion Italiens durch die Langobarden im Jahr 568 unter ihrem König Alboin. Ursache war die Vernichtung des Reiches der Gepiden durch die Langobarden, die sich das gepidische Territorium mit den Awaren aufteilten. Angeblich flohen die Langobarden vor den aggressiv expandierenden Awaren, die einen erheblichen Machtfaktor in diesem Raum darstellten, nach Italien; nach Ansicht anderer Forscher war die Invasion hingegen schon länger geplant gewesen und diese Annahme ist wohl auch die plausiblere. Die germanischen Langobarden eroberten in wenigen Jahren große Teile Italiens und machten damit das Restaurationswerk Justinians I. dort fast ganz zunichte. Ihr Einfall gilt allgemein als der letzte Zug der Völkerwanderung und zudem als eines der möglichen Daten für das „Ende der Antike“. Justin konnte den Invasoren im Westen wenig entgegensetzen, da seine Aufmerksamkeit vor allem dem Norden und dem Osten des Reiches gelten musste: An der Donau ließ er mehrere erfolglose Feldzüge gegen die Awaren durchführen.

Die römisch-persische Grenze zum Zeitpunkt des Todes Justinians im Jahr 565.

Ebenso spitzte sich die außenpolitische Lage an der Ostgrenze des Imperiums zu. Im Jahr 572 brach der Krieg gegen die persischen Sassaniden wieder aus, die zuletzt 562 mit Ostrom einen Friedensvertrag geschlossen hatten (siehe auch Römisch-Persische Kriege). Anlass waren nicht gelöste Streitigkeiten in der Kaukasusregion, zudem kam es immer wieder zu Übergriffen der mit den Persern verbündeten Araber vom Stamm der Lachmiden. Spätantike Autoren werfen Justin vor, den Krieg leichtfertig provoziert zu haben, indem er eine Rebellion im persisch kontrollierten Teil Armeniens (Persarmenien) unterstützte, doch es ist unklar, ob der Kaiser, der sich als Schutzherr der Christen gab, den Hilferuf der armenischen Christen wirklich hätte ignorieren können, ohne einen Ansehensverlust zu erleiden. Vor allem aber gab es wohl unter den Römern auch Unzufriedenheit über den von Justinian mit Tributen erkauften Frieden von 562: 572 hätte man nach den Bestimmungen von 562 zu jährlichen Zahlungen an die Perser übergehen müssen; stattdessen verweigerte Justin die Abgaben und forderte sogar die bereits gezahlten 300.000 Goldstücke zurück. Diese Geste gab den Ausschlag, der Perserkönig, der friedenswillig gewesen war, nahm diesen Affront nicht hin, und der offene Krieg begann.

Der unkoordinierte römische Angriff blieb allerdings rasch stecken. Auch wenn beide Seiten ähnlich schlecht auf den Kampf vorbereitet waren, erzielten die Perser unter ihrem greisen Großkönig Chosrau I. bald bedeutende Erfolge. Die Truppen der Sassaniden überrannten bei ihrer Gegenoffensive das römische Mesopotamien und eroberten im Jahr 573 die wichtige Festung Dara. Auch ein schon 571 geschlossenes Bündnis der Römer mit den Göktürken, die den Persern in den Rücken fallen sollten (siehe Zemarchos), brachte nicht das gewünschte Ergebnis; im Gegenteil, bald wandten sich auch die Türken gegen Ostrom. Diese Häufung schlechter Nachrichten scheint Justins geistige Gesundheit angegriffen zu haben: Seit Anfang 574 zeigte der Kaiser Anzeichen einer schweren Geisteskrankheit. Auf Anraten seiner Gattin Sophia erhob Justin schließlich am 7. Dezember 574 den comes excubitorum (Gardekommandeur) und erfolgreichen General Flavius Tiberius Constantinus zu seinem Caesar (Mitkaiser). Dieser führte von da an praktisch alle Regierungsgeschäfte. Nun erzielten die Römer im Kampf gegen die Sassaniden endlich einige Erfolge: Justins Feldherr Justinian, der Bruder des Jahre zuvor vom Kaiser beseitigten Thronprätendenten Justin, konnte 575 oder 576 die Perser in der Schlacht bei Melitene schlagen. Es war eine der bis dahin schwersten persischen Niederlagen gegen die Römer, und König Chosrau konnte offenbar nur mit Mühe entkommen. Dennoch erwies sich der Erfolg als nicht kriegsentscheidend; die Perser erholten sich rasch von der Niederlage. Ostrom sah sich schließlich gezwungen, einen unsicheren Waffenstillstand durch die Wiederaufnahme der 562 vereinbarten jährlichen Tribute zu erkaufen. Dieser galt nur für Mesopotamien; Armenien war von seinen Bestimmungen ausgeklammert, und die Waffenruhe hielt auch nicht lange. Bereits 578 flammten die Kämpfe wieder auf.

Als Justin, der in der modernen Forschung überwiegend negativ beurteilt wird (im Gegensatz zu manchen Aussagen in den Quellen), 578 starb, wurde Tiberius Constantinus ohne Schwierigkeiten sein Nachfolger als Augustus.

Bewertung

Justin II. scheint ein eher mäßig begabter Kaiser gewesen zu sein. Einer recht umsichtigen Finanzpolitik stehen Rückschläge in der Außenpolitik gegenüber. Justin scheint – vielleicht aufgrund einer schwachen Position im Inneren – gegenüber allen „Barbaren“ aggressiv und undiplomatisch aufgetreten zu sein, ohne einen Blick für die realen Machtverhältnisse und das jeweils Machbare zu haben. Sein offensives Auftreten gegenüber den Persern wiederum verwickelte das Imperium in einen langjährigen und verlustreichen Krieg, der die meisten römischen Truppen zu einem Zeitpunkt band, als sie auf dem Balkan zur Abwehr der Slawen dringend benötigt worden wären. Der vom Kaiser angeregte Einsatz der Awaren gegen die Slawen wiederum hatte weitere awarische Plünderungsgelüste zur Folge. Erst Kaiser Maurikios, der zu Zeiten Justins II. noch Delegationsführer bei Waffenstillstandsverhandlungen war und später als Nachfolger von Justinian Feldherr wurde, konnte die von Justin II. mit verursachten Krisen zeitweilig meistern.

Quellen

Wichtige erzählende Quellen sind Euagrios Scholastikos (Buch 5 seiner Kirchengeschichte; Justin II. gegenüber eher negativ eingestellt), der dritte Teil der Kirchengeschichte des Johannes von Ephesos (ebenfalls Justin gegenüber feindlich eingestellt), Menander Protektor (nur fragmentarisch erhalten), Theophylaktos Simokates und Theophanes. Bis auf ein Fragment verloren ist hingegen das Werk des Johannes von Epiphaneia und das des Theophanes von Byzanz; die Historien des Johannes waren auch die Hauptquelle Theophylakts für diese Zeit. Knappe Bemerkungen zu Justin II. finden sich auch bei westlichen Autoren, so etwa bei Gregor von Tours (z.B. Historiae 4,40), Johannes von Biclaro und Paulus Diaconus (bzgl. der Invasion Italiens durch die Langobarden).

Des Weiteren ist die panegyrischen Dichtung In laudem Iustini Augusti Minoris in vier Büchern des Corippus zu nennen. Gesetze Justins sind in den Novellen zum Codex Iustinianus gesammelt.

Literatur

  • Averil Cameron: The Empress Sophia. In: Byzantion 45 (1975), S. 5–21.
  • Andrew Louth: The Eastern Empire in the sixth century. In: Paul Fouracre (Hrsg.): The New Cambridge Medieval History. Bd. 1. Cambridge University Press, Cambridge 2005, S. 93–117.
  • John Martindale: The Prosopography of the Later Roman Empire IIIa. Cambridge 1992, S. 754ff.
  • Walter Pohl: Die Awaren. 2. Aufl., C.H. Beck, München 2002.
  • Klaus Rosen: Iustinus II. In: Reallexikon für Antike und Christentum. Bd. 19 (1999), Sp. 778–801 (informativer Überblick).
  • Ernst Stein: Studien zur Geschichte des byzantinischen Reiches vornehmlich unter den Kaisern Justinus II. und Tiberius Constantinus. Metzler, Stuttgart 1919 (veralteter Forschungsstand, teils aber immer noch grundlegend).
  • Michael Whitby: The successors of Justinian. Justin II. In: Averil Cameron u.a. (Hrsg.): The Cambridge Ancient History. Bd. 14. 2. neubearbeitete Auflage. Cambridge University Press, Cambridge 2000, S. 86ff.
  • Michael Whitby: The Emperor Maurice and his Historian – Theophylact Simocatta on Persian and Balkan Warfare. Oxford 1988.

Weblinks

 Commons: Justin II – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien


Vorgänger Amt Nachfolger
Justinian I. Kaiser von Byzanz
565–578
Tiberios I.

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