Belgien

Belgien

Belgien, unter den europ. Staaten (wenn man Basellandschaft nicht rechnet) der jüngste, ist von Holland, Rheinpreußen, Luxemburg, Frankreich und der Nordsee umgeben, 536 QM. groß und in 9 Provinzen eingetheilt: Antwerpen, Brabant, Ostflandern, Westflandern, Hennegau, Lüttich, Limburg, Luxemburg, Namur, mit einer Bevölkerung von 4430000 E., also 8100 auf 1 QM. Der Abstammung nach befinden sich darunter beinahe 21/2 Mill. Flamländer, deutschen Stammes, und gegen 2 Mill. Wallonen, keltischen Stammes. Die franz. Sprache und Bildung hat das Uebergewicht; der Versuch, das Flämische zu erhalten, muß an dem Umstande scheitern, daß alle höheren Lehranstalten entweder die franz. oder latein. Sprache gebrauchen, ein lebhafter Verkehr mit der deutschen Literatur nicht stattfindet, das Flämische selbst aber als ein von dem deutschen Sprachstamme losgetrennter Zweig nicht in die Länge vegetiren kann. Die große Mehrzahl der Belgier ist kath.; unter dem Erzbisthum Mecheln stehen die Bisthümer: Brügge, Gent, Tournay, Lüttich und Namur mit 229 Pfarreien und 2640 Hilfspfarreien; die 10400 Protestanten haben 28 Geistliche, die von dem Staate besoldet, aber von ihren Gemeinden gewählt werden. Der Boden ist beinahe ganz eben, nur der südöstl. Theil steigt in der Hochfläche der Ardennen bis 1200' an und versieht B. mit den wichtigsten Mineralien. Die bedeutendsten Flüsse sind die Schelde, die aus Frankreich kommt und das Land in 231/2 M. langem Laufe durchströmt; ihre schiffbaren Nebenflüsse sind Dender; Durme, Lys, Demer und Dyle; die Maas, ebenfalls schiffbar aus Frankreich eintretend, mit der Sambre, Ourthe und Roer; kanalisirte Küstenflüsse sind Yzer und Yperle. Außerdem hat B. ein Netz von 29 Kanälen mit einer Länge von 82 Meilen. Das Klima ist in den Küstengegenden oceanisch, d.h. feucht, mit milden Wintern und Sommern, im Südosten aber rauh. B. hat im Ganzen sehr fruchtbaren und ausgezeichnet gut angebauten Boden; von dem Gesammtareal der Oberfläche zu 2945593 Hectaren (1 H. = 10000 QMetr.) sind 1463663 Ackerboden, 345938 Wiesen und Weiden, 114086 Gärten, 539127 Waldung, 308254 Haide (vergl. Campine). Besonders fruchtbar sind die Polders (50000 Hectaren), Marschland, das durch Dämme gegen das Hereinbrechen der höher liegenden Flüsse geschützt werden muß. Der Landbau liefert: Weizen, Roggen, Hafer, Gerste, Buchweizen, vielen und vortrefflichen Flachs, Hanf, Hopfen, Cichorie, Tabak, Krapp, Runkelrüben u. Möhren, Obst u. Gemüse. Trefflich ist die Viehzucht; die Pferde zeichnen sich durch Größe und Kraft aus (Brabanter), das Rindvieh durch Größe und Milchreichthum; 1846 zählte man: 294537 Pferde, 1203801 Rindvieh, 662508 Schafe, 496564 Schweine. B. hat einen großen Reichthum an Eisen (1850 lieferten 131 Hochöfen 144452 Tonnen) und Steinkohlen (1850 Werth der Ausbeute 461/2 Mill. Fr.), außerdem baut man auf Blei, Kupfer, Zink, Galmei und Marmor. Die Industrie in Eisen und anderem Metall ist großartig; der Werth der Eisenfabrikate betrug 1846 über 521/2 Mill. Fr. Sehr bedeutend ist die Glasfabrikation, die in 35 Hütten betrieben wird. Die Leinenindustrie der Belgier ist seit dem Mittelalter weltberühmt und noch von größter Wichtigkeit; die Brüsseler und Brügger Spitzen behaupten ihr altes Ansehen; berühmt sind ferner: die Brüsseler Hüte und Wagen, die Strohgeflechte von Lüttich, das Papier von Namur, Porzellan u. Fayence von Dornyk, Brüssel, Bergen und Gent, die Handschuhe von Gent, die Teppiche von Brüssel, die Lederwaaren von Gent, Lüttich, Namur u. Brügge. die Dampfmaschinen von Seraing, die Feuerwaffen von Lüttich u.s.w. Die Fabrikation in Wolle und Baumwolle hat einen großen Aufschwung gewonnen und concurrirt auf dem Weltmarkt mit England. Die Einfuhr wurde 1850 auf 678956000 Fr. berechnet, die Ausfuhr 733762000 Fr.; die belg. Handelsflotte zählte 154 Segel zu 33000 Tonnen Last. Eingeführt werden: Baumwolle, Wolle, Wein, Colonialwaaren; ausgeführt: Steinkohlen, Wollen-, Baumwoll-, Leinenfabrikate, Glas, Metallwaaren, Leder, Wagen, Hüte u.s.w. Für Verkehrswege hat kein Staat wie B. gesorgt; es besaß 1850 Landstraßen 1247 Meil., Wasserstraßen 336 M., 172 M. Eisenbahnen. Von 1830–1850 wurden auf Straßen-, Eisenbahn- und Kanalbau verwandt 442903954 Fr. Die Eisenbahnen ertrugen 1850 die Summe von 14847540 Fr., die Betriebskosten beliefen sich auf 9195315 Fr. – B. ist eine konstitutionelle Monarchie; König ist Leopold I. von Sachsen-Koburg, geb. 1790; die Nationalvertretung geschieht durch 2 Kammern, Senat und Deputirten, die Mitglieder des ersten werden auf 8, die Deputirten auf 4 Jahre gewählt; die Uebermacht der Deputirtenkammer ist übrigens entschieden hervorgetreten. Für die Bildung sorgen 4 Universitäten: Lüttich, Gent, Löwen und Brüssel; Kunst- und Gewerbsschulen in allen größeren Städten, 3 Musikschulen (Conservatorien) in Brüssel, Lüttich, Gent, 2 Navigationsschulen in Antwerpen und Ostende, 2 Bergbauschulen zu Bergen und Lüttich, 1 polytechnische Schule zu Gent, 5753 Primarschulen. Der Unterricht ist in B. vollständig frei, daher bestehen neben den Staats- u. Gemeindeanstalten eine Menge Mittelschulen, die theils von dem Klerus, theils von Privaten gehalten und geleitet werden. – Die belg. Armee wurde 1853 auf 100000 Mann gebracht; Festungen sind: Antwerpen, Ostende, Nieuport, Ypern, Dornyk, Diest, Bergen, Philippeville, Charleroi, Namur, Ath, Dendermonde, Lüttich. An Kriegsfahrzeugen besitzt B. nur 5 mit 36 Kanonen. – Die Staatsausgaben betragen nach dem Budget von 1852115 Mill. Fr., die Einnahmen 117 Mill. Die Staatsschuld betrug 1851 Fr.: 656341422; das im Umlauf befindliche Papiergeld belauft sich auf 20 Mill. Thl. – Geschichte. B. war in der vorröm. und röm. Zeit von den keltischen Belgen bewohnt; die Römerherrschaft mischte röm. Bevölkerung bei, die Völkerwanderung aber niederdeutsche Stämme. In der späteren fränkischen, so wie in der deutschen Kaiserzeit war B. gewöhnlich zwischen Frankreich u. Deutschland getheilt; 1385 vereinigte es Burgund unter seinem Scepter. 1477 kam B. durch Maria von Burgund an Maximilian I. aus dem Hause Habsburg, durch seinen Enkel Karl V. wurde es mit den anderen Niederlanden seinem Sohne Philipp von Spanien zugewiesen; es empörte sich mit den anderen Provinzen, 4579 aber unterwarf es sich wieder der Krone, indem der Fanatismus der nördl. Provinzen gegen Alles Katholische die südl. zurückstieß. In der folgenden Zeit rissen die Franzosen in ihren Kriegen gegen Spanien viele Gränzbezirke ab und verwüsteten das ganze Land; 1714 kam B. an Oesterreich u. dieses war im Ganzen für B. eine glückliche Periode. 1789 jedoch verursachten die Verordnungen Kaisers Joseph II., die in das religiöse und politische Leben tief eingriffen, einen allgemeinen Aufstand, der 1790 mit Waffengewalt niedergeschlagen wurde. Im franz. Revolutionskriege war B. zuerst der Schauplatz u. der Preis der Schlachten; Pichegru eroberte es 1794 u. das Jahr darauf wurde es Frankreich einverleibt, bei dem es bis 1814 blieb. Der 2. Pariser Frieden u. Wiener Congreß vereinigte es mit Holland zu dem Königreich der Niederlande; allein die Verschiedenheit in Sprache u. Religion, das allseitige und grelle Vorherrschen des holländ. Elementes empörte die zahlreicheren Belgier und in Folge der Juliusrevolution wagte Brüssel am 24. August seine Revolution; am 23. Septbr. wurden die Holländer bei ihrem Angriff auf Brüssel geschlagen, es bildete sich eine provisorische Regierung und die Londoner Conferenz anerkannte sie. Das folgende Jahr wurde Prinz Leopold von Sachsen-Koburg König (21. Juli 1831) und als die Holländer im August einfielen und die belg. Korps zerstreuten, mußten sie vor einem franz. Heere wieder umkehren u. einen Waffenstillstand eingehen, der aber nicht verhinderte, daß die Franzosen 1832 die Citadelle am 14. Dez. zur Uebergabe zwangen. Lange wurde nun unterhandelt und erst 1842 kam der definitive Frieden zwischen B. und Holland unter der Garantie der Großmächte zu Stande; zugleich wurde B. die ewige Neutralität zugesichert. Seitdem besteht es als unabhängiger Staat; die Krisis von 1848 erschütterte es nicht, obwohl es die franz. Revolutionäre an nichts fehlen ließen und sogar einen Freischaarenzug wagten. Die Lage des Staates ist jedoch nicht ungefährdet; trotz der blühenden Industrie mehrt sich das Proletariat, in den Stadtbürgern überwuchert das franz. demokratisirende und irreligiöse Element, Frankreich selbst aber betrachtet B. als ihm zugehörig u. wartet nur auf eine Gelegenheit, um es eigen zu machen.


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