Prager Fenstersturz

Prager Fenstersturz
Der zweite Prager Fenstersturz, 1618. Dieses besonders häufig verwendete Bild des Fenstersturzes ist eine nicht zeitgenössische Darstellung aus dem Theatrum Europaeum.

Mit Prager Fenstersturz werden drei bedeutsame Ereignisse der böhmischen und europäischen Geschichte in Prag bezeichnet.

Fensterstürze, auch Defenestration genannt, wurden im Mittelalter und in der frühen Neuzeit mehrmals verübt. Sie stellten eine Form der Lynchjustiz dar, die zwischen Feme (oft mit vorangehender formeller „Verurteilung“ durch die Ausführenden), Gottesurteil und gemeinschaftlich begangenem Mord steht.

Inhaltsverzeichnis

Erster Prager Fenstersturz 1419

Der Erste Prager Fenstersturz steht am Anfang der Hussitenkriege. Am 30. Juli 1419 stürmten Hussiten, Anhänger des vier Jahre vorher in Konstanz auf dem Scheiterhaufen als Ketzer hingerichteten Jan Hus, das Neustädter Rathaus am Karlsplatz in Prag, um dort gefangene Glaubensgenossen zu befreien. Dabei warfen sie zehn Personen aus dem Fenster: den Bürgermeister, zwei Ratsherren, den Stellvertreter des Richters, fünf Gemeindeältere und einen Knecht. Die Gestürzten wurden anschließend mit Hiebwaffen getötet, die die wartende Menge, unter der Kleidung verborgen, mitgebracht hatte. Ein weiterer Ratsherr starb in der Folterkammer. Der Volksaufstand war von radikalen Reformanhängern mit dem Prediger Jan Želivský an der Spitze vorbereitet worden.[1]

Zweiter Prager Fenstersturz 1618

Dieser Ausschnitt eines Flugblattes von 1618 zeigt keinen Misthaufen, sondern Steine. Die hier nicht abgebildete Legende zu dem Holzschnitt erklärt, dass dank Gottes die von den Statthaltern ausgehende Gefahr abgewendet worden sei, und sich später einer davon im Kloster verstecken wollte (rechte Bildhälfte).
Fenster im Seitenflügel des Alten Königspalastes in Prag
Fenster im Seitenflügel des Alten Königspalastes in Prag

Der Konflikt zwischen den evangelischen Ständen und ihrem katholischen Landesherren, Kaiser Matthias, sowie dem von ihm 1617 eingesetzten böhmischen König Ferdinand von Steiermark (1619 als Nachfolger Matthias' auch Kaiser) hatte sich zugespitzt, als die von Kaiser Rudolf II. im Majestätsbrief von 1609 zugestandene Religionsfreiheit verletzt wurde und die Stände mit Matthias um die politische Macht in Böhmen kämpften (siehe Böhmischer Ständeaufstand).

Am 23. Mai 1618 zogen knapp 200 Vertreter der protestantischen Stände unter der Führung von Heinrich Matthias von Thurn zur Prager Burg und warfen nach einem improvisierten Schauprozess die in der dortigen böhmischen Hofkanzlei anwesenden königlichen Statthalter Jaroslav Borsita Graf von Martinitz und Wilhelm Slavata sowie den Sekretär der Kanzlei Philipp Fabrizius aus einem Fenster etwa 17 Meter tief in den Burggraben.

Alle drei überlebten, weil sie – so die Legende – auf einen Misthaufen fielen, der sich unter dem Fenster angesammelt hatte. Der Misthaufen dürfte eine Erfindung späterer Zeiten sein und wird in den Erinnerungen der Beteiligten nicht erwähnt. Martinitz über den Sturz Slavatas:

Sie haben erst die Finger seiner Hand, mit der er sich festgehalten hat, bis aufs Blut zerschlagen und ihn durch das Fenster ohne Hut, im schwarzen samtenen Mantel hinab geworfen. Er ist auf die Erde gefallen, hat sich noch 8 Ellen tiefer als Martinitz in den Graben gewälzt und sich sehr mit dem Kopf in seinen schweren Mantel verwickelt.[2]

Slavata berichtet Folgendes über seinen eigenen Sturz, wobei er von sich selbst in der dritten Person spricht:

Graf Slavata hat sich an dem steinernen Gesims des untersten Fensters angestoßen und ist auf der Erde mit dem Kopf noch auf einen Stein gefallen.[2]

Der Fall Slavatas endete also unsanft, wenn auch durch ein Fenstersims etwas gebremst. Martinitz schreibt über den Fall des Sekretärs:

Haben letztlich noch den Herrn Magister Phillip Fabricius, röm. kais. Rat und Kgr. Böhmens Sekretarius [...], in den Graben geworfen.[2]

Ursache des glimpflichen Ausganges des Gewaltakts dürfte die damalige Mode und das kühle Wetter gewesen sein. Alle Beteiligten trugen weite schwere Mäntel, die den Fall stark dämpften.[3] Hinzu kommt, dass die Fenster, aus denen die drei geworfen wurden, sehr klein waren und sie somit nicht mit Schwung nach draußen befördert werden konnten. Außerdem haben sich alle drei gewehrt und Martinitz hielt sich noch am Sims fest, als er bereits draußen hing. Zudem ist die Wand unterhalb des Fensters nicht gerade, sondern nach außen angeschrägt, so dass die drei wohl eher hinunterrutschten als fielen.[4] Weiterhin ist unwahrscheinlich, dass sich im Burggraben der Prager Burg ausgerechnet unter den Fenstern der Ratskanzlei ein Misthaufen befunden haben soll.[5]

Die böhmischen Ständevertreter waren verblüfft darüber, dass die drei den Sturz relativ unbeschadet überstanden hatten, und schickten ihnen hastig einige Schüsse hinterher, die allesamt ihr Ziel verfehlten, da die Schützen durch das Gedränge an den Fenstern am sauberen Zielen gehindert wurden.[5] Unterschlupf und Schutz fanden die Statthalter anschließend bei der strengen Katholikin und Adeligen Polyxena von Lobkowicz.

Der dritte Überlebende des Fenstersturzes - in der Literatur „der Schreiber Fabritius“ genannt - war Magister Philipp Platter genannt Fabricius aus Müglitz (Mähren), Sekretär der königlich-böhmischen Hofkanzlei und Landesunterkämmerer der königlichen Leibgedingestädte. Er war 1608 mit „von Rosenfeld“ nobilitiert worden und erhielt am 24. März 1623 mit Diplom in Regensburg die zusätzliche Erhebung in den Reichs- und den alten böhmischen Ritterstand mit dem Prädikat „und Hohenfall“ sowie am 3. August 1628 in Prag das böhmische Bestätigungsdiplom. Sein Adelsname Philipp Fabricius von Rosenfeld und Hohenfall findet sich bei seinen Nachkommen in verkürzten Schreibformen.[6].

Dieses Defenestrieren war eine härtere Version des Werfens eines Fehdehandschuhs, eine Kriegserklärung an den Kaiser. Der Fenstersturz markierte den Beginn des Aufstands der böhmischen Protestanten gegen die katholischen Habsburger und gilt als Auslöser des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648).

Dritter Prager Fenstersturz 1948

Jan Masaryk

Der nichtkommunistische tschechoslowakische Außenminister Jan Masaryk (Sohn des Staatsgründers Tomáš Garrigue Masaryk) stürzte am 10. März 1948 (zwei Wochen nach dem Putsch des Kommunistenführers Klement Gottwald) im Schlafanzug aus dem Fenster seines Büros im heutigen Außenministerium (Palais Czernin) und starb darauf. Nach damaliger offizieller Darstellung beging er Suizid.

Die Gerüchte, dass es sich um einen Mord durch die kommunistische Geheimpolizei handelte, führten 1993 zur Wiederaufnahme der Untersuchungen, die nach zehnjähriger Dauer vorerst abgeschlossen wurden. 2002 wurde eine Expertise mit der Aussage erstellt, dass aufgrund der Lage des Körpers und aufgrund der vorgefundenen Verletzungen darauf zu schließen sei, dass Jan Masaryk mit Gewalt aus dem Fenster gestoßen worden ist. Auch habe eine russische Geheimdienstagentin das bereits damals in einer Aussage angedeutet. Die Aussage konnte jedoch später nicht erneut überprüft werden. Die Umstände des Todes gelten weiterhin als ungeklärt.

Literatur

  • Friedel Pick: Der Prager Fenstersturz i. J. 1618 - Flugblätter und Abbildungen. Veröffentlichungen der Gesellschaft deutscher Bücherfreunde in Böhmen Nr. 1, Prag 1918
  • Hans Sturmberger: Aufstand in Böhmen. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges, München 1959.
  • Walter F. Kalina: Der Dreißigjährige Krieg in der bildenden Kunst. Diplomarbeit, Universität Wien, 2001.
  • Peter Milger: Der Dreißigjährige Krieg. Gegen Land und Leute. Niedernhausen 2001, ISBN 3-572-01270-8

Weblinks

Belege

  1. František Šmahel: Die hussitische Revolution. Hannover, Hahn, Band 2, 2002, ISBN 3-7752-5443-9, S. 1003.
  2. a b c zitiert nach Milger, S. 40
  3. Hellmut Diwald: Wallenstein. Eine Biographie. Darmstadt 1969, S. 100
  4. Milger, S. 41
  5. a b Walter F. Kalina: Der Dreißigjährige Krieg in der bildenden Kunst. Diplomarbeit, Universität Wien, 2001, S. 17.
  6. Roman von Prochazka: Genealogisches Handbuch erloschener böhmischer Herrenstandfamilien, Neustadt an der Aisch, Degener & Co 1973, S. 243 Anm. 1.

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