Soll und Haben (Roman)

Soll und Haben (Roman)

Soll und Haben ist ein 1855 erschienener Roman in sechs Büchern von Gustav Freytag. Er gehört zu den meistgelesenen Romanen im 19. Jahrhundert und ist ein Vertreter des bürgerlichen Realismus.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Anton Wohlfart, Sohn eines verstorbenen Kalkulators, wird auf die Bitte seines Vaters hin in das Kontor von Herrn T. O. Schröter in Breslau aufgenommen. Auf dem Weg zur Stadt lernt er durch Zufall Lenore, die Tochter des Freiherrn Rothsattel kennen, in die er sich verliebt. Am selben Tag begegnet er auch Veitel Itzig, einem ehemaligen jüdischen Schulkameraden, welcher ihn in die Stadt begleitet. Der junge Anton arbeitet sehr gewissenhaft in diesem Kontor, was ihm eine verkürzte Lehrzeit verschafft. Sein neuer Freund, Fritz Fink, erreicht bald, dass Anton zu Tanzstunden des Adels eingeladen wird, wo er Lenore wieder trifft. Als er aber von einigen Gerüchten seine Herkunft betreffend erfährt, bricht er mit der adeligen Gesellschaft, was ihm wegen der Bekanntschaft mit Lenore sehr leid tut. Später lernt er Bernhard kennen, den Sohn des jüdischen Kaufmanns Hirsch Ehrenthal, welchen er sofort in sein Herz schließt. Für Herrn Ehrenthal arbeitet nun Veitel Itzig, welcher von dem ehemals sehr erfolgreichen Rechtsanwalt, Herrn Hippus, unterrichtet wird. Herr Hippus verlor seinen Ruhm aufgrund unehrlicher Geschäfte mit Kunden. Als Familie Rothsattel ihrer verschwenderischen Lebensweise wegen in Geldsorgen gerät, macht Herr Rothsattel einige Geschäfte mit Herrn Ehrenthal, welcher von Veitel Itzig mittlerweile stark beeinflusst wird. Als die Geldsorgen den Baron nun schwerer drücken, beschließt er eine Zuckerfabrik auf seinem Gut zu errichten. Obwohl Herr Ehrenthal weiß, dass der Baron seine Schulden nicht begleichen und somit sein Gut durch den Bau der Fabrik verlieren werde, rät er ihm zu diesem, da er auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, das Gut dann zu übernehmen. Als Bernhard von diesem Vorhaben erfährt, will er den Vater davon abbringen. Dieser Versuch scheitert, da Veitel Itzig dies zu verhindern weiß, da er selbst auf den Erhalt des Gutes hofft. Bernhard stirbt kurze Zeit später an einer Krankheit. Als der Gutsherr seine missliche Lage erkennt, versucht er sich zu erschießen, überlebt diesen Versuch aber. Später unterstützt Anton die Familie beim Erhalt ihres Gutes, indem er das Kontor verlässt und selbst auf dem Gut arbeitet. Er bricht dies aber wegen schwerwiegenden Vorwürfen des verzweifelten Herrn Rothsattels nach einiger Zeit ab. Fritz Fink übernimmt das Gut und bekommt Lenore zur Frau. Veitel Itzig wird wegen unehrlicher Geschäfte polizeilich verfolgt und kommt dabei um. Als Anton als Besuch in sein altes Kontor kommt, wird er von Herrn Schröter in die Geschäftsführung aufgenommen und verliebt sich in Sabine, die Schwester des Inhabers.

Bedeutung

Die Figuren des Romans werden von Gustav Freytag in drei Bezugsgruppen unterteilt. Dies sind auf der einen Seite die bürgerliche Welt, auf der anderen Seite die adelige Welt und die Juden.

  • Die bürgerliche Kaufmannsfamilie Schröter repräsentiert Freytags Ansicht nach den idealen Typen der bürgerlichen Schicht. Sie zeichnet sich durch Ordnung, Ehrlichkeit und bürgerliche Tugenden aus. Für diese Familie gab es ein reales Vorbild: Gustav Freytag war ein enger Freund der Breslauer Kaufmannsfamilie Molinari, deren Großhandelshaus unter Theodor und Leo Molinari eines der bedeutendsten Unternehmen im Breslau des 18. und 19. Jahrhunderts war.[1]
  • Die jüdische Kaufmannsfamilie Ehrenthal stellt die unangepasste, nach materiellem Reichtum strebende und unehrliche Gruppe dar.
  • Den Adel präsentiert die Familie Rothsattel. Sie lebt abgeschottet vom Bürgertum und fordert für sich Privilegien. Beispielhaft für das Leben über ihren Verhältnissen ist der finanzielle Ruin, der droht.

Der Held des Romans ist Anton Wohlfart. Sein Lebensweg verläuft über mehrere Stationen hin zu einem Ziel. In diesem, den ganzen Roman andauernden Prozess, entwickelt sich Anton von seinen träumerischen Illusionen zu der bürgerlichen Welt, die Freytag vertritt. Dieser vertritt die Überzeugung „dass die freie Arbeit allein das Leben der Völker groß und sicher und dauerhaft macht.“

Kritik

Im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der NS-Geschichte wurde Freytag in den 1970er Jahren öfters vorgeworfen, in Soll und Haben antisemitische Stereotype verwendet zu haben. So sollen sie für ihn die Gruppe darstellen, die von Natur aus einzig auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Er gibt ihnen als "typisch" empfundene Namen (z.B. Veitel Itzig, Hirsch Ehrenthal). Zudem soll Freytag eine stark antislawische Haltung zeigen. Er beschuldige die Polen der Kulturlosigkeit und spreche ihnen deshalb ihre Tüchtigkeit bei der Arbeit ab. Als Lösung sieht er eine Anpassung an das deutsche Bürgertum, dem er generell eine höhere Tüchtigkeit bei der Arbeit zuspricht.

Daneben lässt Freytag allerdings auch jüdische und polnische Charaktere auftreten, die sich entgegen seinem klischeehaften Bild verhalten, wie etwa Bernhard, den intellektuellen Sohn Hirsch Ehrenthals und Freund Antons, der die Geldgier und die skrupellosen Geschäfte seines Vaters aufs schärfste verurteilt, sowie einen gewissen polnischen Offizier, der Anton und dessen Kontor mehrmals vor dem polnischen Pöbel schützt. Einerseits befinden sich diese Figuren in der Minderheit, andererseits bekräftigen die "Ausnahmen" das jeweilige Stereotyp.

Verfilmungen

Soll und Haben (D, 1924), unter der Regie von Carl Wilhelm, mit Hans Brausewetter, Mady Christians, Ernst Deutsch, Hugo Döblin, Karl Etlinger, Heinrich George, Olga Tschechowa u.a.

Im Jahr 1977 hätte Soll und Haben durch Rainer Werner Fassbinder verfilmt werden sollen, doch wurde dieses Projekt nach einer langen Debatte bezüglich des Antisemitismus des Stoffes aufgegeben.

Ausgaben

  • Soll und Haben. Roman in sechs Bänden, Leipzig: Fikentscher, [1855].
  • Soll und Haben. Roman in sechs Bänden, Leipzig: Hesse & Becker, [1855].
  • Soll und Haben. 3. Aufl, Leipzig, 1855.
  • Soll und Haben. Roman in 6 Büchern, Leipzig : S. Hirzel, 1887.
  • Soll und Haben. Roman in sechs Büchern. Mit einer Einleitung von Emil Ermatinger, Braunschweig / Hamburg : Georg Westermann, 1926 [Nachdruck 2009].
  • Soll und Haben. Roman in sechs Büchern, München [u.a.] : Hanser, 1977.
  • Soll und Haben. Roman in sechs Büchern. Durchges. von Meinhard Hasenbein. Mit einem Nachw. von Hans Mayer, Anmerkungen von Anne Anz. Vollst. Text nach der Erstausgabe Leipzig 1855, München : Dt. Taschenbuch-Verl., 1978 (dtv-Dünndr.-Ausg. 2044).
  • Soll und Haben. Roman in sechs Büchern, Waltrop [u.a.]: Manuscriptum, 2002.

Literatur

  • Hans Mayer: Ist Gustav Freytag neu zu entdecken? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. Februar 1977, S. 23.
  • Florian Krobb: 150 Jahre Soll und Haben. Studien zu Gustav Freytags kontroversem Roman, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005.
  • Christine Achinger: Gespaltene Moderne. Gustav Freytags Soll und Haben - Nation, Geschlecht und Judenbild, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2007.

Einzelnachweise

  1. Max Baselt: „Blick in die Albrechtstraße“

Weblinks


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