Hoppla, wir leben!

Hoppla, wir leben!

Hoppla, wir leben! ist ein 1927 im Gustav Kiepenheuer Verlag erschienenes Drama von Ernst Toller (1893–1939), das am 1. September 1927 von Hanns Lotz an den Hamburger Kammerspielen uraufgeführt wurde[1] und das der Neuen Sachlichkeit zugerechnet wird.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Das Vorspiel des Stücks, das Toller Erwin Piscator und Walter Mehring widmete, zeigt eine Gruppe von Revolutionären, die nach der gescheiterten Novemberrevolution von 1919 im Gefängnis auf ihre Hinrichtung warten. Einer der Gefangenen, Wilhelm Kilmann, hat ein Gnadengesuch eingereicht und kommt bald frei. Die übrigen politischen Häftlinge – Karl Thomas, Eva Berg, Albert Kroll und zwei weitere Personen – müssen nach ihrer Begnadigung noch geraume Zeit in einem Internierungslager verbringen.

Karl Thomas, der in der Haftanstalt während des zehntägigen Wartens auf seine Hinrichtung dem Wahnsinn verfallen war, wird 1927 als klinisch geheilt aus einer Psychiatrischen Klinik entlassen. Als ersten seiner einstigen Mithäftlinge und Genossen sucht er Kilmann auf, der mittlerweile zum Innenminister avanciert ist. Zu Thomas' großer Enttäuschung hat Kilmann sich zu einem korrupten Funktionär entwickelt. Auch Eva Berg und Albert Kroll haben sich gewandelt. Sie arbeiten streng nach den Richtlinien „der Partei“, laufen jedoch Gefahr, über der politischen Alltagspraxis die große ideelle Perspektive aus den Augen zu verlieren.

Karl Thomas tritt eine Stelle als Hilfskellner in einem renommierten Hotel an. Als Augenzeuge von Intrigen und Bestechungen befällt ihn Verzweiflung über die vermeintliche Normalität der Verhältnisse der Weimarer Republik. Die Ironie des Schicksals will, dass ein gewaltbereiter nationalistischer Student Karl Thomas zuvorkommt, als dieser auf Kilmann wegen des Verrats an der Revolution ein Attentat verüben will (hingegen ist das erfolgreiche studentische Attentat gerade durch die rote Vergangenheit Kilmanns motiviert). Mit Ausnahme des toten Kilmann begegnen sich schließlich dieselben Personen im Gefängnis wieder wie 1919. Bevor der tatsächliche Mörder Kilmanns gefasst werden kann, nimmt Karl Thomas sich das Leben.

Literaturgeschichtliche Einordnung

In einer Revue isolierter Bilder veranschaulicht Hoppla, wir leben! plastisch die Entwicklung der Weimarer Republik in der kurzen wirtschaftlichen Blütephase nach 1923. Die Szenenfolge vermittelt einen groben Querschnitt der gesamten Sozialstruktur vom Proletariat bis zur Aristokratie. Der revolutionäre Optimismus der unmittelbaren Nachkriegszeit ist verflogen und dem Wiedererstarken der alten Mächte des Kaiserreichs gewichen. Tollers zeitkritisches Reportagestück wurde nach einer wenig beachteten Uraufführung am 1. September 1927 an den Hamburger Kammerspielen in der Inszenierung Erwin Piscators am Berliner Nollendorfplatz (Piscator-Bühne, 3. September 1927) zum spektakulären Bühnenereignis. Piscators virtuose Ausgestaltung der Bühnenhandlung unter Nutzung einer avantgardistischen Bühnenbildkonstruktion und komplexer Medienarrangements (Etagenbühne, Radiomeldungen, filmische Zwischenspiele etc.) ließ den Theaterkritiker Herbert Ihering urteilen: „Eine phänomenale technische Phantasie hat Wunder geschaffen.“[2]

Eine von Toller ursprünglich erwogene Variante des Schlusses, in der Karl Thomas „die alten Kameraden begreift, die in zäher Alltagsarbeit die Idee [der Revolution] weiterführen,“ das Irrenhaus verlassen will, von den psychiatrischen Beamten jedoch zurückgehalten wird – „jetzt erst sei er ‚staatsgefährlich‘ geworden, nicht vorher, da er ein unbequemer Träumer war“[3] – wurde erstmals bei einer Inszenierung Alwin Kronachers am 7. Oktober 1927 im Alten Theater Leipzig gespielt.[4]

Literatur

Ausgaben

  • Hoppla, wir leben! Ein Vorspiel und fünf Akte. Stuttgart: Reclam 1980 (RUB 9963).

Sekundärliteratur

  • Wolfgang Frühwald, John M. Spalek (Hrsg.): Der Fall Toller. Kommentar und Materialien. München, Wien: Carl Hanser 1979.
  • Cordula Grunow-Erdmann: Die Dramen Ernst Tollers im Kontext ihrer Zeit. Heidelberg: Carl Winter 1994 (Beiträge zur neueren Literaturwissenschaft. Dritte Folge, Band 133).
  • Andreas Lixl: Ernst Toller und die Weimarer Republik 1918-1933. Heidelberg: Carl Winter 1986.
  • Kirsten Reimers: Das Bewältigen des Wirklichen. Untersuchungen zum dramatischen Schaffen Ernst Tollers zwischen den Weltkriegen. Würzburg: Königshausen & Neumann 2000.

Zur Inszenierung der Piscator-Bühne (1927)

  • Ulrike Haß: Auge oder Ohr? Piscators „Politisches Theater“ und Tollers „Hoppla, wir leben!“ in Berlin 1927. In: Erika Fischer-Lichte, Doris Kolesch, Christel Weiler (Hrsg.): Berliner Theater im 20. Jahrhundert. Berlin: Fannei & Walz 1998. S. 117-133.
  • Klaus Schwind: Die Entgrenzung des Raum- und Zeiterlebnisses im „vierdimensionalen Theater“. Plurimediale Bewegungsrhythmen in Piscators Inszenierung von Hoppla, wir leben! (1927). In Erika Fischer-Lichte (Hrsg.): TheaterAvantgarde. Wahrnehmung – Körper – Sprache. Tübingen, Basel: UTB 1995 (UTB 1807). S. 58-88.

Einzelnachweise

  1. Peter Jung: Erwin Piscator. Das politische Theater. Ein Kommentar. Berlin: Nora 2007. S. 221.
  2. Herbert Ihering: „Hoppla, wir leben!“ Piscator-Bühne. In: Berliner Börsen-Courier, Nr. 414, 5. September 1927, zitiert nach: Herbert Ihering: Theater in Aktion. Kritiken aus drei Jahrzehnten. 1919–1931. Hrsg. von Edith Krull und Hugo Fetting. Berlin 1987. S. 282–285, hier S. 284.
  3. Ernst Toller: Quer durch. Reisebilder und Reden. Berlin 1930. Nach: Ernst Toller: Gesammelte Werke. Band 1, Kritische Schriften, Reden und Reportagen. München, Wien: Hanser 1978. S. 283.
  4. Peter Jung: Erwin Piscator. Das politische Theater. Ein Kommentar. Berlin: Nora 2007. S. 222.

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