Münchhausen-Trilemma

Münchhausen-Trilemma

Das Münchhausen-Trilemma versucht zu zeigen, dass Aussagen prinzipiell nicht abschließend begründbar seien. Es reduziert Begründungen dazu auf drei mögliche Basisfälle (Infiniter Regress, Zirkelschluss und Dogma) und weist sie als inakzeptabel zurück. Der Name ist eine ironische Anlehnung an Baron Münchhausen, der behauptete, sich an den eigenen Haaren aus einem Sumpf gezogen zu haben. Das Münchhausen-Trilemma enthält drei der fünf Tropen des Agrippa und wird deshalb auch Agrippa-Trilemma genannt.

Inhaltsverzeichnis

Die Trilemma-Situation

Münchhausen zieht sich aus dem Sumpf - Zeichnung von Theodor Hosemann

Angenommen, Satz p soll begründet werden. Drei Wege scheinen hierfür möglich:

  1. Infiniter Regress: Jede Aussage, die p begründet, muss wiederum begründet werden. Dies führt in einen „unendlichen Regress“. (Beispiel: Woher kommt der Mensch? – Er stammt von Adam und Eva ab! – Wer erschuf Adam und Eva? – Gott erschuf sie! – Wer erschuf Gott? )
  2. Zirkel: Die Begründung verläuft im Kreis. Eine Aussage, die p begründen soll, ist identisch mit p oder kommt in der Begründungskette, die p begründen soll, bereits vor. (Beispiel nach einer Komödie Molières: Warum ist das Mädchen stumm?Das Mädchen ist stumm, weil es sein Sprachvermögen verloren hat!Warum hat es sein Sprachvermögen verloren?Auf Grund des Unvermögens, die Sprache zu beherrschen!)
  3. Dogma: Die Begründung für p läuft nicht ins Unendliche, sondern der Regress kommt bei einem Dogma zum Stehen. Die Aussage, bei der die Begründung stoppt, ist selbstevident als Regressstopper gerechtfertigt. (Beispiel: Warum …? – Gott hat das in seinem unergründlichen Ratschluss so beschlossen!)

Da es keine unfehlbaren Quellen der Erkenntnis gibt, sondern allenfalls Quellen, deren Unfehlbarkeit dogmatisch behauptet wird, gibt es gemäß dem Münchhausen-Trilemma keinen privilegierten Zugang zur Wahrheit.[1]

Zur Problemgeschichte

Dass diese drei Alternativen bei Begründungssituationen vorliegen, findet sich bereits in der antiken griechischen Philosophie, zuerst in der Analytica posteriora des Aristoteles (Bekker-Zählung 72b5 ff.). In der pyrrhonischen Skepsis spielen diese eine wichtige Rolle.[2] Angeblich wurden diese Argumentationsfiguren von den Skeptikern um Agrippa (1. Jahrhundert n. Chr.) verwendet.[3]

In der modernen Philosophie hat dann Jakob Friedrich Fries die Forderung, alles zu beweisen, als widerspruchsvoll abgewiesen, weil sie zu einem infiniten Regress führe, und infolgedessen Kants Methode abgelehnt.[4] Eine weitere Darstellung findet sich bei Paul Natorp.[5] Im Anschluss suchte Leonard Nelson zu beweisen, dass Erkenntnistheorie überhaupt unmöglich sei. [6] Prominent aufgegriffen wurde das Argument insbesondere von dem kritischen Rationalisten Hans Albert, um gegen begründungsorientierte Ansätze zu argumentieren.

Ein Lösungsversuch ist die friessche Lehre, dass Wahrnehmungserlebnisse Sätze begründen können, deren Evidenz unmittelbar klar sei. Insbesondere Popper, der diese Position als Psychologismus bezeichnete, hat diesen Begründungsversuch in seinen Untersuchungen in der Logik der Forschung detailliert kritisiert.

Der Relativismus wählt als Ausweg aus dem Trilemma, dass alle Wahrheit relativ sei und vom Betrachter abhänge.

Die Diskursethik sucht eine Lösung, die vereinfacht auf der Annahme der Unmöglichkeit aufbaut, zu bezweifeln, dass man zweifeln kann. Hierbei handelt es sich allerdings um einen logischen Zirkelschluss, da die Feststellung der Unmöglichkeit daran zu zweifeln, dass man zweifeln kann, die Unbezweifelbarkeit des Gesetzes der Widerspruchslosigkeit voraussetzt und somit die zu beweisende Schlussfolgerung bereits in einer ihrer Prämissen enthält. Es ist logisch nicht möglich zu wissen, dass man nichts weiß, denn, wenn man nichts weiß, weiß man auch nicht, ob das Gesetz der Widerspruchslosigkeit wahr ist. Mit anderen Worten: Man weiß nicht, ob eine Aussage, die sich selbst widerspricht, falsch ist.

Der Kritische Rationalismus argumentiert mit dem Trilemma gegen das herkömmliche bzw. „klassische“ Vernunftverständnis, die Rechtfertigungsstrategie, die darauf abzielt, dass jeder Versuch einer unanzweifelbar gültigen Begründung einer Aussage, sei dieser deduktiv, induktiv, kausal, transzendental oder auf jedwede andere Weise geführt, daran scheitert, dass eine sichere Begründung wiederum sicher begründet werden muss. Der Kritische Rationalismus wählt einen Weg außerhalb des von Begründungsdenken geprägten Dogmatismus und Relativismus, indem er an der Existenz einer absoluten Wahrheit festhält (Absolutismus), aber von der Fehlbarkeit und dem Vermutungscharakter des Wissens ausgeht (Fallibilismus) und die Unmöglichkeit der positiven Erkenntnistheorie behauptet (Erkenntnisskeptizismus)).

Eine Philosophie, die sich praktisch versteht, setzt die Begründung hier bisweilen aus und stellt stattdessen einen Entschluss an den Anfang des Systems. So betont beispielsweise Fichte in § 1 im System der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre, dass der Anfang nicht be-, sondern gegründet werden müsse: „nicht zufolge einer theoretischen Einsicht, sondern zufolge eines praktischen Interesses; ich will selbständig sein, darum halte ich mich dafür.“

Kritik

Eine Kritik der These, dass es keine synthetischen apriorischen Urteile geben kann, findet sich bei Vittorio Hösle, der unter Bezugnahme auf Karl-Otto Apel eine Letztbegründung für möglich hält. Hösles Einwand bezieht sich auf den absoluten Anspruch des Münchhausen-Trilemmas. Wenn dessen Aussage wahr ist, dann ist es selbst eine apodiktische Aussage. Hösle reformuliert die Aussage des Münchhausen-Trilemmas zur Verdeutlichung als „Es ist letztbegründet, daß es keine Letztbegründung gibt.“ Diese Behauptung ist für Hösle in sich widersprüchlich.[7] Apel hat auf den grundlegenden Einwand gegen das skeptische Argument verwiesen, dass jeder Zweifel, der mit einem Absolutheitsanspruch vertreten wird, in einen „performativen Selbstwiderspruch“ führt.[8]

Micha H. Werner verweist darauf, dass das Münchhausen-Trilemma auf eine Begründung als analytische Wahrheit ausgerichtet ist und deshalb gilt, weil eine analytische Begründung nicht ohne Voraussetzungen auskommt. „Damit ist aber nicht die Frage beantwortet, ob es neben der Ableitung aus gegebenen Prämissen noch andere Begründungsmethoden gibt.“[9] Als eine solche Alternative nennt Werner den widerlegenden Beweis, der sich schon in der Metaphysik bei Aristoteles findet (1005b ff).

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. „Es gibt weder eine Problemlösung, noch eine für die Lösung bestimmter Probleme zuständige Instanz, die notwendigerweise von vornherein der Kritik entzogen sein müsste. Man darf sogar annehmen, dass Autoritäten, für die eine solche Kritikimmunität beansprucht wird, nicht selten deshalb auf diese Weise ausgezeichnet werden, weil ihre Problemlösungen wenig Aussicht haben würden, einer sonst möglichen Kritik standzuhalten. Je stärker ein solcher Anspruch betont wird, um so eher scheint der Verdacht gerechtfertigt zu sein, dass hinter diesem Anspruch die Angst vor der Aufdeckung von Irrtümern, das heißt also: die Angst vor der Wahrheit, steht.“ (Hans Albert: Traktat über kritische Vernunft. 1968).
  2. Sextus Empiricus: Grundriss der pyrrhonischen Skepsis I 164 ff.
  3. Diogenes Laertios IX, 88
  4. Jakob Friedrich Fries: Neue oder anthropologische Kritik der Vernunft. 1807, 2. Auflage in drei Bänden 1828-31, Nachdruck Berlin 1955, Band 1, §§ 70–73
  5. Paul Natorp: Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften. Leipzig/Berlin 1910, S. 31–32
  6. Karl R. Popper: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie. 2. verbesserte Auflage. Tübingen 1994, S. 106ff.
  7. Vittorio Hösle: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie, Beck, 3. Auflage. München 1997, S. 153-155
  8. Karl-Otto Apel: Auseinandersetzungen in Erprobung des transzendentalpragmatischen Ansatzes. Suhrkamp, Frankfurt 1998, S. 166-179
  9. Micha H. Werner: Diskursethik als Maximenethik. Könighausen & Neumann, Würzburg 2003, S. 18

Weblinks

Literatur

  • Hans Albert: Traktat über kritische Vernunft. Mohr Siebeck, Tübingen 1968.

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