Obersorbische Sprache

Obersorbische Sprache
Obersorbisch (Hornjoserbšćina)

Gesprochen in

Oberlausitz
Sprecher 40.000 [1]
Linguistische
Klassifikation
Offizieller Status
Anerkannte Minderheitensprache in: DeutschlandDeutschland Deutschland (Sachsen)
Sprachcodes
ISO 639-1:

ISO 639-2:

hsb

ISO 639-3:

hsb

Obersorbisch ist eine westslawische Sprache, die in der Oberlausitz in der Gegend der Städte Bautzen (Budyšin), Kamenz (Kamjenc) und Hoyerswerda (Wojerecy) gesprochen wird. Obersorbisch ist verwandt mit Niedersorbisch, Tschechisch, Slowakisch, Polnisch und Kaschubisch. Als slawische Sprache gehört Obersorbisch zu den indogermanischen Sprachen.

Obersorbisch zählt zu den gemäß der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen offiziell anerkannten Minderheitensprachen in Deutschland.[2] Im offiziellen Siedlungsgebiet in der Oberlausitz gibt es daher unter anderem zweisprachige Straßen- und Ortsschilder und staatliche Schulen mit obersorbischer Unterrichtssprache.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Eine einheitliche obersorbische Schriftsprache gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert. Zuvor bestanden eine katholische und eine evangelische Variante, die sich in Rechtschreibung, Grammatik und Vokabular teilweise unterschieden und von Geistlichen geprägt und kodiert worden waren. Dabei orientierte sich die katholische Variante in Bezug auf die Rechtschreibung eher am Tschechischen, die evangelische mehr am Deutschen. Mit der sogenannten „Sorbischen Wiedergeburt“ wurde unter Führung der Maćica Serbska aus den beiden Schriftsprachen eine einzige, nicht konfessionell gebundene. Wichtige Wegbereiter für diesen Prozess waren u. a. Jan Arnošt Smoler, Michał Hórnik und Handrij Zejler.

Phonologie

Konsonanten

Die konsonantischen Phoneme des Obersorbischen sind wie folgt:

Michał Frencels Matthäus-Evangelium
  Bilabial  Labio- 
 dental 
Alveolar Post-
alveolar
Palatal  Velar  Uvular Glottal
Plosiv p  b
pʲ  bʲ
  t  d
 
    k  g
kʲ  gʲ
   
aspirierter
Plosiv
          kʰ    
kʲʰ    
   
Nasal     m
    mʲ
      n
    nʲ
        ɲ
    ɲʲ
   
Vibrant                 ʀ
    ʀʲ
 
Affrikate     ʦ    
 
ʧ    
    ʥ
       
Frikativ   f    
fʲ    
s  z
 
ʃ  ʒ
 
  x    
xʲ    
  h    
hʲ    
Approximant     u̯
    u̯ʲ
          i̯      
Lateral         l
    lʲ
         

Die links stehenden Konsonanten sind stimmlos, die rechts stehenden stimmhaft. Die oben stehenden Konsonanten sind nicht
erweicht, die unten stehenden sind erweicht (palatalisiert).

Im Obersorbischen kommen sowohl Auslautverhärtung als auch regressive Assimilation der Phonation vor:

Vokale

Die vokalischen Phoneme sind wie folgt:

  Vorne   Zentral   Hinten
 Geschlossen
Blank vowel trapezoid.png
i •   
ɨ •   
  • u
ɪ •   
e •   
  • o


ɛ •    
   • ɔ


a •   
 Fast geschlossen
 Halbgeschlossen
 Mittel
 Halboffen
 Fast offen
 Offen

Die links der Punkte stehenden Vokale sind ungerundet (gespreizt), die rechts stehenden gerundet.

Wortakzent

Straßenschild in Bautzen

Der Hauptakzent (Betonung) liegt im Obersorbischen gewöhnlich auf der ersten Silbe, žida (ŽI-da) ['ʒida], łastojčka (ŁAS-tojč-ka) ['u̯astɔiʧka], kuzłapołna (KUZ-ła-poł-na) ['kuzu̯apou̯na], mit folgenden Ausnahmen:

  • Bei einigen älteren Komposita liegt die Betonung auf dem zweiten Bestandteil: lětstotk (lět-STOTK), wokomik (woko-MIK)
  • Neuere Lehnwörter auf -ěrować und -ować werden grundsätzlich vor dem -ować betont: reagować (re-A-go-wać), gratulować (gra-TU-lo-wać), kopěrować (ko-PĚ-ro-wać)
  • Fremdwörter, die über die deutsche Sprache in das Obersorbische gelangt sind, werden vor dem ersten sorbischen Bestandteil betont (Suffix oder Flexionsendung): agentura (a-gen-TU-ra), agitacija (a-gi-TA-ci-ja), ministerstwo (mi-ni-STER-stwo), procesjón (pro-ce'-SJÓN) (Nullendung im Nominativ)

In Wortgruppen (Syntagma) zieht die Präposition oft (vor einsilbigen Substantiven immer) die Betonung auf sich: ke mni (KE mni), na wšo (NA wšo), do šule (DO šule), na zahrodźe (NA zahrodźe), na polu (NA polu), do města (DO města), za tebje (ZA tebje)

Alphabet

Bautzen Ortschild.jpg

Das obersorbische Alphabet basiert auf dem lateinischen Alphabet, ergänzt um folgende diakritische Zeichen und Buchstabenkombinationen: č, ć, dź, ě, ch, ł, ń, ó, ř, š, ž. Nicht Teil des Alphabets sind q, v und x, diese kommen nur in Fremdwörtern vor. Das obersorbische Alphabet hat somit 34 Elemente.

Buchstabe a b c č ć d dź e ě f g h ch i j k ł l
Name a bei̯ cei̯ ʧei̯ ʧɛt dei̯ ʥei̯ / ʥɛt ei̯ ʲɨt ɛf gei̯ ha xa / kʰa i i̯ɔt / i̯ʊt ka ɛu̯ ɛl
Buchstabe m n ń o ó p r ř s š t u w y z ž
Name ɛm ɛn eʲn ɔ ʊ pei̯ ɛʀ ɛʃ ɛs ɛʃ tei̯ u u̯ei̯ ɨ / ɨpsilɔn zɛt ʒɛt

Beim alphabetischen Sortieren wird zwischen den Buchstaben n und ń sowie zwischen o und ó nicht unterschieden. So wird beispielsweise nósk (= Näschen) vor nosorohač (=Nashorn) einsortiert. Wenn sich zwei Worte nur durch diese Buchstaben unterscheiden, wird auch hier die alphabetische Reihenfolge berücksichtigt, so etwa bei won (= heraus, hinaus) – wón (= er) – wóń (= Duft).

Ě, Ń, Ó und Ř kommen nie am Wortanfang vor, deshalb sind die entsprechenden Großbuchstaben sehr selten und werden nur dann verwendet, wenn das ganze Wort in Großbuchstaben geschrieben wird (z. B. RÓŽEŃ (=(Grill-)Rost; Bratspieß).

Grammatik

Zweisprachiges Titelblatt der ersten vollständigen Bibelübersetzung in obersorbischer Sprache

Obersorbisch ist eine flektierende Sprache, das heißt, die Deklinierung und Konjugierung erfolgt mittels Endungen und häufig auch kleinen Änderungen im Stamm. Es gibt mehrere Deklinationen und mehrere Konjugationen, sowie zahlreiche Unregelmäßigkeiten. Die Wortfolge ist relativ frei und ermöglicht stilistische Differenzierungen.

Die sorbische Grammatik kennt drei grammatische Numeri – Singular, Dual und Plural – sowie vier grammatische Genera – männlich belebt, männlich unbelebt, weiblich und sächlich.

Nomina

Die Nomina verfügen neben den Kategorien Numerus und Genus über die Kategorie Kasus mit den sieben Fällen Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ, Instrumental, Lokativ und Vokativ, wobei der Vokativ nur im Singular der männlich belebten Substantive vorkommt.

Das grammatische Geschlecht der Nomina kann meist an der Wortendung erkannt werden. Männliche Nomina enden meist auf Konsonant, weibliche auf -a und sächliche auf -o oder -e. Ein Artikel wird in der Regel nicht gebraucht.

Deklinationsbeispiele

Im Singular werden die Nomina regelmäßig folgendermaßen gebildet:

Kasus (kazus) w (hart) w (weich) m (hart, unbelebt) m (hart, belebt) m (weich, belebt) n
1. (nominatiw) rjana žona njedźela rjany štom nan njetopyr rjane wokno
2. (genitiw) rjaneje žony njedźele rjaneho štoma nana njetopyrja rjaneho wokna
3. (datiw) rjanej žonje njedźeli rjanemu štomej nanej njetopyrjej rjanemu woknu
4. (akuzatiw) rjanu žonu njedźelu rjany štom nana njetopyrja rjane wokno
5. (instrumental) z rjanej žonu z njedźelu z rjanym štomom z nanom z njetopyrjom z rjanym woknom
6. (lokatiw) wo rjanej žonje wo njedźeli w rjanym štomje wo nanje wo njetopyrju na rjanym woknje
7. (wokatiw) štomo nano njetopyrje

Der Vokativ als siebenter Fall wird nur in der Einzahl männlicher Nomina gebraucht.

Adjektive

Bei Adjektiven gilt im Obersorbischen wie in den meisten slawischen Sprachen das Prinzip der Kongruenz, also die formale Übereinstimmung mit dem determinierten Nomen, z.B. rjana kniha („schönes Buch“), rjany štom („schöner Baum“) und rjane wokno („schönes Fenster“).

Verben (Konjugation)

Das Verbum verfügt neben den Kategorien Numerus und Genus über die Kategorien von Aspekt (perfektiv und imperfektiv) und Tempus (Präsens, Futur, Präteritum), Person und Modus (Imperativ, Konditional). Die Aspekte werden teilweise durch unterschiedliche Flexionsuffixe, teilweise durch Präfixe (in der Regel Perfektivierung imperfektiver Verben) ausgedrückt, in einigen wenigen Fällen auch durch zwei verschiedene Stämme.

Siehe auch

Sorbische Sprachen

Obersorbische Medien

  • Obersorbische Printmedien
    • Serbske Nowiny (Tageszeitung in obersorbischer Sprache)
    • Płomjo (Kinderzeitschrift in obersorbischer Sprache)
    • Rozhlad (Kulturzeitschrift in obersorbischer und niedersorbischer Sprache)
    • Katolski Posoł (Kirchenzeitung der katholischen Sorben in der Oberlausitz)
    • Pomhaj Bóh (evangelische Kirchenzeitung in obersorbischer Sprache)
    • Lětopis (mehrsprachige Zeitschrift für sorbische Sprache, Geschichte und Kultur)
  • Obersorbische Funkmedien

Sonstiges

Quellen

Lebensmittelgeschäft in Bautzen
  • Jana Šołćina, Edward Wornar: Obersorbisch im Selbststudium, Hornjoserbšćina za samostudij. Bautzen: Domowina-Verlag, 2000. ISBN 3-7420-1779-9

Weblinks

Wörterbücher

Weitere

 Commons: Obersorbische Sprache – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Jana Šołćina, Edward Wornar: Obersorbisch im Selbststudium, Hornjoserbšćina za samostudij. Bautzen: Domowina-Verlag, 2000. Seite 10.
  2. http://conventions.coe.int/treaty/Commun/ListeDeclarations.asp?NT=148&CM=1&DF=&CL=ENG&VL=1

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Obersorbische Vornamen — sind Vornamen, die im obersorbischen Kulturraum gebräuchlich sind. Sie werden also, anders als Germanische Namen oder Slawische Vornamen, in erster Linie nicht linguistisch, sondern kulturell definiert.[1] Aufgrund der vielfältigen äußeren… …   Deutsch Wikipedia

  • Sorbische Sprache — Dieser Artikel oder Abschnitt bedarf einer Überarbeitung. Näheres ist auf der Diskussionsseite angegeben. Hilf mit, ihn zu verbessern, und entferne anschließend diese Markierung. Sorbisch (serbšćina) Gesprochen in Deutschland …   Deutsch Wikipedia

  • Wendische Sprache — Dieser Artikel oder Abschnitt bedarf einer Überarbeitung. Näheres ist auf der Diskussionsseite angegeben. Hilf mit, ihn zu verbessern, und entferne anschließend diese Markierung. Sorbisch (serbšćina) Gesprochen in Deutschland …   Deutsch Wikipedia

  • Slawische Sprache — Die slawischen Sprachen (auch: slavisch) sind ein Zweig des Indogermanischen. Etwa 300 Millionen Menschen sprechen eine der rund 20 slawischen Sprachen als Muttersprache, 400 Mio. inklusive Zweitsprecher. Mit Abstand die sprecherreichste… …   Deutsch Wikipedia

  • Slawischen Sprache — Die slawischen Sprachen (auch: slavisch) sind ein Zweig des Indogermanischen. Etwa 300 Millionen Menschen sprechen eine der rund 20 slawischen Sprachen als Muttersprache, 400 Mio. inklusive Zweitsprecher. Mit Abstand die sprecherreichste… …   Deutsch Wikipedia

  • Niederwendische Sprache — Niedersorbisch Gesprochen in Niederlausitz Sprecher 14.000 Linguistische Klassifikation Indogermanisch Slawisch Westslawisch Sorbisch Niedersorbische Sprache …   Deutsch Wikipedia

  • Deutsch (Sprache) — Deutsch Gesprochen in Deutschland, Österreich, deutschsprachiger Teil der Schweiz, Luxemburg, Südtirol (Italien), Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens, Liechtenstein; Minderheiten in zahlreichen weiteren mittel und osteuropäischen Staaten;… …   Deutsch Wikipedia

  • Standarddeutsche Sprache — Deutsch Gesprochen in Deutschland, Österreich, deutschsprachiger Teil der Schweiz, Luxemburg, Südtirol (Italien), Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens, Liechtenstein; Minderheiten in zahlreichen weiteren mittel und osteuropäischen Staaten;… …   Deutsch Wikipedia

  • Westslawische Sprache — ██ Länder mit Westslawischen Sprachen Die westslawischen Sprachen sind neben den süd und ostslawischen Sprachen einer der drei Zweige der slawischen Sprachen, die ihrerseits zur indogermanischen Sprachfamilie gehören. Sie werden von rund …   Deutsch Wikipedia

  • Jugoslawische Sprache — Serbokroatisch (srpskohrvatski jezik) Gesprochen in Serbien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina, Kroatien, andere Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens Sprecher Es gibt keine Zahlen darüber, wie viele sich tatsächlich als Sprecher des… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”