Orientierung (mental)

Orientierung (mental)

Die mentale Orientierung ist eine kognitive Fähigkeit, die es dem Subjekt ermöglicht, sich zeitlich, räumlich und bezüglich seiner Person - in seiner Umgebung - zu orientieren. Teilbereiche des Orientierungsvermögens sind

  1. Orientierung zur Zeit (siehe auch Zeitwahrnehmung)
  2. Orientierung zum Raum (siehe auch Räumliche Orientierung)
  3. Bewusstheit der eigenen Person (siehe Identität) und ihrer Bezüge (Situationsbewusstsein, Orientierung im sozialen Netzwerk)

Fehlt die Orientierungsfähigkeit teilweise oder ganz, zeitweise oder längerfristig, spricht man von Desorientiertheit, Orientierungslosigkeit, Verwirrung (s. unten).

Inhaltsverzeichnis

Wahrnehmung, Orientierung und Handlungsplanung

Informationen der Wahrnehmung bauen eine Bewusstheit zur Orientierung auf und aktualisieren sie. Gelernte Konstanten der Orientierung werden als Teil des Weltwissens im Gedächtnis gespeichert. Auf sie wird bei der Imagination, der Planung und der Raumzeitlichen Schlussfolgerung zurückgegriffen. Orientierung entsteht als eine Leistung des Subjekts. Sie ist eine Erkenntnis, die das Subjekt aktiv, handelnd im Umgang mit der Umwelt gewinnt und die auch nur in diesem Zusammenhang ihre Funktion hat.

Orientierung ist die handlungs- und bedeutungsbezogene, menschliche Sicht der Welt. Charakteristisch für Subjekte ist, dass für sie nicht Wahrnehmung als Abbildungsbeziehung von Welt von Bedeutung ist, sondern Wahrnehmung hinsichtlich Handlungsbedingungen und Handlungsangeboten. Welt ist also nicht „an sich“, sondern die Welt „für mich“ (und andere) als Subjekt interessant. Es geht nicht um „Features“, Oberflächen und Strukturen, Gegenstände und Menschen etc. an sich, sondern um Verhältnisse als Angebote für menschliches Handeln.

Beteiligte Gehirnbereiche

Die exakten Regionen im Gehirn, die bei der Orientierung einbezogen sind, sind noch unbekannt, aber sowohl Läsionen des Hirnstamms als auch einer Gehirnhälften wurden als Ursache für Desorientierung festgemacht. Daraus wird gefolgert, dass diese beiden Bereiche zusammenarbeiten, um die Bewusstheit aufrechtzuerhalten. Es wird angenommen, dass die Fähigkeit räumlich-geometrische Zusammenhänge zu erkennen vorwiegend in der rechten Gehirnhälfte angesiedelt sind.

Entwicklung der mentalen Orientierung

Bei erwachsenen gesunden Menschen sind alle Teilfähigkeiten des Orientierungsvermögens vorhanden. Säuglinge haben Wahrnehmung, aber noch keine vollständige Orientierung, sie muss in weiten Teilen erlernt werden.

Beeinträchtigung der Orientierung, Orientierungsverlust

Eine inkonstante Orientierung wird auch als Orientierungsstörung bezeichnet, eine fehlende Orientierung als Desorientiertheit. Sie betreffen zunächst vorrangig die zeitliche, dann die situative und örtliche, schließlich die autopsychische Orientierung. Orientierungsstörungen finden sich beispielsweise im Zusammenhang mit Bewusstseinsstörungen, Gedächtnisstörungen, Psychosen, organischem Psychosyndrom, Demenz oder Wahrnehmungsstörungen[1] (ICD-10-Code R41 - Sonstige Symptome, die das Erkennungsvermögen und das Bewusstsein betreffen). Schwere Orientierungsstörung wie Schlafwandeln und andere psychogene Orientierungsstörung werden dem Symptomkomlex F44 Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen) zugerechnet. Desorientiertheit tritt auch als Akute vorübergehende psychotische Störung (ICD-10 F23) oder als Reaktion auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen (F43) auf.

Der Verlust der Orientierung ist ein Teil der Verworrenheit und kommt bei den Krankheiten vor, bei denen die Gedächtnisfunktion ausgefallen ist, z.B. beim Korsakow-Syndrom, einer Kohlenstoffmonoxidvergiftung oder bei Morbus Alzheimer. Beeinträchtigung und temporärer Verlust der Orientierung können durch Giftstoffe im Körper hervorgerufen werden. Diese Zustände werden als Rausch und Delirium bezeichnet. Weitere Ursachen sind Schlafentzug, Regulationsprobleme der Körpertemperatur, Fehlernährung, erhöhten Hirndruck. Er kann auch als Nebenerscheinung anderer psychischen Erkrankungen auftreten. Orientierungsverlust findet typischerweise erst in der Zeit, dann im Raum und am Ende in der Identität statt. Menschen mit Alzheimer-Demenz verlieren unter anderem ihre Orientierung. Beim Neglekt geht ein Teil der physischen Identität verloren.

Tierreich

Die Verhaltensbiologie beschreibt Merkmale des Orientierungsverhaltens von Tieren, das ihnen hilft, sich in ihrer Umwelt zurechtzufinden.

Bei manchen Tieren wie den Schimpansen wird diskutiert, ob sie auch über eine Orientierung zur Identität verfügen. Gordon G. Gallup hat dazu ein Experiment durchgeführt, bei dem ein Schimpanse betäubt, auf der Stirn mit einem roten Punkt markiert wird, und nach dem Aufwachen einen Spiegel gezeigt bekommt. Da der Schimpanse sich beim Erblicken des Spiegelbilds an die eigene Stirn griff um den Punkt zu berühren, entstand die These, dass Primaten über ein Bewusstsein der Identität verfügen.[2]

Quellen

  1. Pschyrembel, Medizinisches Wörterbuch, 257. Auflage, 1993
  2. G. G. Gallup jr.: Chimpanzees: Self Recognition. In: Science. 167, 1970, S. 86–87.

Literatur


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Orientierung — steht für: Orientierung (mental), eine kognitive Fähigkeit, die die Orientierung eines Subjekts in Zeit, Raum und bezüglich der eigenen Person umfasst. Räumliche Orientierung, die Fähigkeit sich im Nahraum (Raum Lage Orientierung) und weiträumig… …   Deutsch Wikipedia

  • Räumliche Orientierung — (auch: Raumsinn) ist eine Fähigkeit von Menschen und Tieren, die ihnen hilft, sich im Raum und richtungsbezogen zurechtzufinden und angemessen zu bewegen. Inhaltsverzeichnis 1 Elemente des Orientierungssinns 2 Erwerb der räumlichen Orientierung 3 …   Deutsch Wikipedia

  • Sexuelle Orientierung — (auch Sexualorientierung oder Geschlechtspartner Orientierung) erfasst die nachhaltigen Interessen einer Person bezüglich des Geschlechts eines potentiellen Partners auf der Basis von Emotion, romantischer Liebe, Sexualität und Zuneigung.… …   Deutsch Wikipedia

  • Mini-Mental State Examination — Der Mini Mental Status Test (Abk. MMST) wurde 1975 von Folstein und Kollegen entwickelt, um ein für den klinischen Alltag geeignetes Screening Verfahren zur Feststellung kognitiver Defizite zu bieten. Seit seiner Einführung in den klinischen… …   Deutsch Wikipedia

  • Mini Mental Status — Der Mini Mental Status Test (Abk. MMST) wurde 1975 von Folstein und Kollegen entwickelt, um ein für den klinischen Alltag geeignetes Screening Verfahren zur Feststellung kognitiver Defizite zu bieten. Seit seiner Einführung in den klinischen… …   Deutsch Wikipedia

  • Mini-Mental-Status-Test — Der Mini Mental Status Test (Abk. MMST) wurde 1975 von Folstein und Kollegen entwickelt, um ein für den klinischen Alltag geeignetes Screening Verfahren zur Feststellung kognitiver Defizite zu bieten. Seit seiner Einführung in den klinischen… …   Deutsch Wikipedia

  • Desorientiertheit — Orientierung ist allgemein der Begriff für die Ausrichtung in einem Bezugsrahmen. Inhaltsverzeichnis 1 Wortherkunft 2 Physikalische Ausrichtung in Bezugssystem 3 Kognitive Fähigkeit: Orientierungsstörung, Desorientiertheit 4 Psychologisch… …   Deutsch Wikipedia

  • Orientieren — Orientierung ist allgemein der Begriff für die Ausrichtung in einem Bezugsrahmen. Inhaltsverzeichnis 1 Wortherkunft 2 Physikalische Ausrichtung in Bezugssystem 3 Kognitive Fähigkeit: Orientierungsstörung, Desorientiertheit 4 Psychologisch… …   Deutsch Wikipedia

  • Orientierungsstörung — Orientierung ist allgemein der Begriff für die Ausrichtung in einem Bezugsrahmen. Inhaltsverzeichnis 1 Wortherkunft 2 Physikalische Ausrichtung in Bezugssystem 3 Kognitive Fähigkeit: Orientierungsstörung, Desorientiertheit 4 Psychologisch… …   Deutsch Wikipedia

  • Altersdemenz — Klassifikation nach ICD 10 F00.0 Demenz bei Alzheimer Krankheit F01.0 Vaskuläre Demenz F02.0 Demenz bei anderenor …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”