St. Paul (Odessa)

St. Paul (Odessa)
St. Paul vor der Restaurierung (2005)

St. Paul ist eine lutherische Kirche in Odessa. Sie war nach St. Petersburg und Moskau die drittgrößte lutherische Kirche im Russischen Reich außerhalb der Ostseeprovinzen. Das 1976 durch Brandstiftung zerstörte Gebäude wurde seit 2005 als Kirche und Deutsches Zentrum St. Paul wieder aufgebaut und 2010 eingeweiht. Die Kosten in Höhe von 7,1 Millionen Euro wurden größtenteils von der bayrischen Landeskirche getragen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Um 1910

Um 1801 fanden die ersten lutherischen Gottesdienste in Odessa statt, und 1803 kam mit Johann Heinrich Pfersdorff der erste lutherische Pastor in die Kolonie Großliebenthal.

Die Stadtgemeinde konstituierte sich 1811 und berief ihren ersten eigenen Pfarrer. 1827 wurde die erste Kirche im neo-klassizistischen Stil am höchsten Punkt der Stadt gebaut und nach dem Apostel Paulus von Tarsus benannt. Um sie herum entstanden ein Lehrerseminar, ein Grundschule, eine sechsklassige Deutsche Realschule St. Pauli sowie ein Altersheim; später kamen noch Armen- und Waisenhaus sowie Wohnhäuser für Pastoren, Lehrer und den Kantor hinzu.

Um den Platzbedarf der ständig wachsenden Gemeinde zu befriedigen, die 1895 schon 7000 Mitglieder zählte, entstand 1896/97 ein völliger Neubau der Kirche unter der Leitung des Architekten Hermann K. Scheurembrandt. Das imposante Kirchengebäude im neuromanischen Stil hatte ein Fassungsvermögen von 1200 Menschen. Der Glockenturm war damals der höchste Turm der Stadt. Die Kirche erhielt eine Orgel der Firma Walcker.

Nach der Übernahme Odessas durch die Bolschewiken wurde 1922 das Altarsilber der Kirche beschlagnahmt. In den folgenden Jahren kam das kirchliche Leben durch die antireligiöse Politik Stalins fast ganz zum Erliegen. Der Pfarrer Karl Vogt wurde 1937 verhaftet und kam 1943 in einem Arbeitslager um. 23 Mitglieder der Gemeinde wurden im Oktober 1941 erschossen, darunter Theophil Richter, der Kantor der Gemeinde und Vater des Pianisten Swjatoslaw Richter.

In den 1950er Jahren wurde die Kirche zunächst als Fernsehstudio genutzt und ab 1957 von der Telekommunikationsgesellschaft zur Turnhalle umgebaut. Die Sanitäranlagen richtete man im ehemaligen Altarraum ein. Unzureichende Entwässerung führte in den folgenden Jahren zu einem fortschreitenden Verfall der Bausubstanz. Jahrelang wurde über einen Abriss des vernachlässigten Baus diskutiert.

Zerstörung und Wiederaufbau

Im Mai 1976 zerstörte ein vermutlich durch Brandstiftung gelegter Brand das gesamte Innere. Der Stadtrat Odessas beschloss den Erhalt der Ruine für das Konservatorium der Stadt; notdürftige Sicherungsarbeiten wurden durchgeführt, und das Gebäude wurde 1979 in die Liste der zu schützenden Baudenkmäler eingetragen.

Die Ukraine übertrug nach der Wiedererlangung der Selbständigkeit das Eigentum an der ausgebrannten Ruine und das benachbarte frühere Altersheim zurück auf die Gemeinde, die sich 1990 neu gegründet hatte, mit der Auflage, beides wieder instand zu setzen. Die Gemeinde trat ihre Rechte an die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche der Ukraine ab, und zunächst wurde bis 2002 das frühere Altersheim, das einzige der alten Gebäude der Gemeinde, das bis heute erhalten ist, zum Gemeindezentrum und Sitz der Kirchenleitung der Deutschen Evangelisch-Lutherische Kirche der Ukraine ausgebaut. Im Dachgeschoss entstanden Gästezimmer, deren Einnahmen dem Kirchenzentrum zugute kommen.

Zeitgleich lief eine intensive Diskussion über die Restaurierung der Kirche und ihre zukünftige Nutzung. 2005 begann der Wiederaufbau, der durch die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern und den Martin-Luther-Bund, den Freistaat Bayern und die Bundesrepublik Deutschland finanziert wird. Es erfolgte der Wiederaufbau des Hauptschiffs und seine künstlerische Gestaltung durch den schwäbischen Künstler Tobias Kammerer, während anstelle der Apsis, die wegen Einsturzgefahr abgerissen wurde, in einem modernen Anbau die bereits seit Jahren in Odessa tätigen deutschen kulturellen Einrichtungen, wie das Bayrische Haus oder das Büro der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit in einem „Deutschen Zentrum“ zusammengefasst werden.

2006 wurde zur Unterstützung der kirchlichen Arbeit die Evangelische Odessa-Stiftung gegründet, eine kirchliche Stiftung privaten Rechts mit Sitz in München.

Im April 2010 erfolgte die Wiedereinweihung der Kirche durch Bischof Uland Spahlinger.[1] Der bayerische Landesbischof Johannes Friedrich, der die Festpredigt halten sollte, und die Delegation der bayerischen Landeskirche wurden jedoch durch die Folgen des Vulkanausbruchs auf Island an der Teilnahme gehindert.[2]

Literatur

  • Claus-Jürgen Roepke: Eine Antwort des Glaubens auf die postkommunistische Herausforderung. Der Wiederaufbau der lutherischen Kirche in Odessa als „Deutsches Zentrum St. Paul“. In: Lutherische Kirche in der Welt. Jahrbuch des Martin-Luther-Bundes 55 (2008), S. 113-38

Weblinks

 Commons: St. Paul (Odessa) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Uland Spahlinger: Phönix aus der Asche. Die St.-Pauls-Kirche in Odessa wurde Ostern wieder eingeweiht. In: Lutherischer Dienst 46 (2010), Heft 3, S. 12f
  2. Einweihung der St. Paulskirche in Odessa ohne bayerische Beteiligung, EPD-Meldung vom 16. April 2010, abgerufen am 21. April 2010

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