Théodore Agrippa d’Aubigné

Théodore Agrippa d’Aubigné
D’Aubigné

Théodore Agrippa, chevalier d’Aubigné (* 8. Februar 1550 auf dem Schlösschen Saint-Maury bei Pons en Saintonge, Département Charente-Maritime ; † 29. April 1630 in Jussy bei Genf), war ein französischer Adeliger und protestantischer Militär. Mit seinem Epos Les Tragiques war er sicher der sprachmächtigste französische Autor seiner Epoche, des frühen Barock.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Schaffen

D’Aubigné (wie er in der französischen Geschichtsschreibung heißt) war erstes Kind seiner Eltern, die beide der ersten schon protestantisch erzogenen Generation angehörten. Die Mutter starb bei seiner Geburt.

Ein prägendes Erlebnis für den Achtjährigen war, dass sein Vater auf einer Parisreise mit ihm in Amboise Halt machte, ihm die aufgespießten Köpfe von hingerichteten protestantischen Anführern der sog. Verschwörung von Amboise (1560) zeigte und ihn schwören ließ „diese ehrenvollen Chefs“ zu rächen.

Da er früh Unterricht in den alten Sprachen bekommen und Talent hierfür bewiesen hatte, wurde er mit zehn zu dem protestantischen Pariser Humanisten Béroald in Pension gegeben. Wenig später, bei Ausbruch des Ersten Religionskrieges (1562/63), flüchtete er mitsamt seiner Schule nach Orléans, das von protestantischen Truppen gehalten wurde und wo sein Vater stellvertretender Befehlshaber war. Nach dem Fall der Stadt, bei dem der Vater ums Leben kam, wurde d’Aubigné von Verwandten nach Genf geschickt, wo er bei dem Humanisten und Reformator Théodore de Bèze seine Schulzeit fortsetzte. Mit 14 brannte er dort durch und geriet in Lyon an einen zweifelhaften Zauberer und Magier. Hiernach lebte er bei einem Vormund in der Saintonge.

Mit sechzehneinhalb brannte er abermals durch, diesmal um sich den protestantischen Truppen im inzwischen Dritten Religionskrieg (1568–70) anzuschließen. Hierbei lernte er den ein Jahr jüngeren Heinrich von Navarra kennen, den angehenden Chef des protestantischen Lagers und späteren König Heinrich IV..

Nach dem Friedensschluss wurde d’Aubigné von der Familie seiner Mutter in der Beauce aufgenommen. Dort begegnete er 1571 auf einem Nachbarschlösschen Diane Salviati, einer Nichte von Cassandre Salviati, die um 1550 von Pierre de Ronsard besungen worden war. Er verliebte sich und widmete ihr in den folgenden zwei Jahren Sonette, Oden und Stanzen im Stil Ronsards und der Pléiade-Schule – allerdings vergeblich, denn sie blieb abweisend und war überdies auch versprochen. D’Aubigné vereinigte später die Gedichte zwar unter den Titel Printemps (=Frühling) in einem Sammelband, ließ diesen aber ungedruckt (erschienen erst 1874).

Am 18. August 1572, bei der Hochzeit Heinrichs von Navarra mit Margarete von Valois (der Schwester König Karls IX.) war auch d’Aubigné in Paris, floh aber wenige Tage später, weil er bei einer Rauferei einen Soldaten der Stadtwache verletzt hatte. Er entging so dem Massaker der Bartholomäusnacht (23./24.8.), bei dem die katholische Partei das protestantische Lager zu enthaupten versuchte. Kurz darauf, da die Massaker sich auch auf die Provinzen ausdehnten, wurde er bei einem Anschlag auf ihn schwer verletzt und schleppte sich ins nahe Schlösschen Dianes, um in ihren Armen, wie er sich ausmalte, zu sterben.

Auf dem Krankenlager will er unter dem Eindruck der blutigen jüngsten Ereignisse eine Vision gehabt haben, die ihm den Plan zu einem Epos eingab. Es sollte vom tragischen Schicksal der französischen Protestanten handeln, d.h. ihrer grausamen Verfolgung durch die katholische Partei und die von ihr instrumentalisierte Staatsgewalt.

1573, angesichts der nahenden Heirat Dianes, ging d’Aubigné nach Paris und trat als „Schildknappe“ (écuyer) in den Dienst Heinrichs von Navarra, der seit der Bartholomäusnacht am Hof wie ein Gefangener lebte. Nicht unmöglich scheint, dass er hierbei, wie Heinrich selbst, eine Konversion zum Katholizismus vortäuschte.

Offenbar hatte oder suchte er in Paris auch Kontakt zu Literaten, denn 1574 gab er ein Gedicht auf den Tod des Dramatikers Étienne Jodelle in Druck, eines Mitglieds der Pléiade-Schule.

Anfang 1576 konnte er seinem Herrn zur Flucht aus Paris verhelfen. Er blieb an Heinrichs Seite, als dieser, rekonvertiert, im nunmehr Sechsten Religionskrieg (1576/77) den Kampf der Protestanten als ihr Chef wieder aufnahm. 1577 wurde d’Aubigné schwer verletzt. Auf dem Krankenbett diktierte er angeblich erste Passagen des vier Jahre zuvor konzipierten Epos, Les Tragiques.

Nach seiner Genesung überwarf er sich mit Heinrich, der ihm zu politisch, d.h. nicht radikal genug dachte, und zog sich auf ein Landgut in Westfrankreich zurück. Hier heiratete er 1583 und bekam mit seiner Frau rasch zwei Töchter und einen Sohn. Den Siebten Religionskrieg (1579/80) und den Beginn des langen achten und letzten (1585) erlebte er im selbstgewählten Abseits.

1587 hielt es ihn dort nicht mehr und er kehrte er zurück in die Dienste Heinrichs. Dieser war nämlich 1584, nach dem Tod des jüngeren Bruders des kinderlosen Königs Heinrich III., zum Thronanwärter aufgerückt, sah sich aber der mächtigen Allianz der Katholischen Liga gegenüber, die mit Hilfe Spaniens und Savoyen-Piemonts den Protestantismus auszurotten und einen eventuellen protestantischen König zu verhindern trachtete.

D’Aubigné nahm nun teil an den Kämpfen gegen die Liga, wobei es anfangs vor allem um die Rettung des protestantischen Lagers ging, nach 1589, der Ermordung von Heinrich III., zunehmend aber um die Durchsetzung der Thronansprüche Heinrichs von Navarra. In diesen Jahren war d’Aubigné nicht nur hoher Militär, sondern bekleidete auch hohe Verwaltungsämter in westfranzösischen Provinzen, die von den Protestanten kontrolliert wurden.

1593 versuchte er vergeblich, Heinrich von einer neuerlichen Konversion abzuhalten, mit der jener die Duldung von Teilen des katholischen Lagers zu erkaufen und den Thron zu sichern gedachte. Enttäuscht über Henris „Verrat“ an der Reformation zog sich d’Aubigné erneut zurück auf sein Landgut.

Hier erlebte er den frühen Tod seiner Frau (1595), die ihn mit den drei Kindern zurückließ. Vor allem aber schrieb er nun. So stellte er endlich Les Tragiques fertig, deren „Gesänge“ eins bis drei die Not des Volkes, die Verderbtheit des Hofes und die Willkür der katholisch beherrschten Gerichtsbarkeit zeigen, vier und fünf den Leidensweg der Protestanten, insbes. in der Bartholomäusnacht, sechs die Rache Gottes an den Ungerechten von Kain bis in die Gegenwart und sieben eine Vision des Jüngsten Gerichts. Zum Druck gab er das in paarweise reimenden Alexandrinern verfasste Epos vorerst jedoch nicht.

1597 begann er die romanartige Satire La Confession catholique du Sieur de Sancy, worin er, der aufrechte Protestant, den Opportunismus geißelt, mit dem viele Ehrgeizlinge im Gefolge ihres Königs konvertiert waren, um besser Karriere zu machen.

Ab 1601 arbeitete er an dem Werk, das ihm selbst sein wichtigstes war: die Histoire universelle, eine umfangreiche Geschichte der Religionskriege samt ihren europäischen Verästelungen aus der Sicht eines direkt Beteiligten.

Ganz zurückgezogen blieb er allerdings nicht. So scheint er im Jahr 1600 in Paris an fruchtlosen katholisch-protestantischen Religionsgesprächen teilgenommen zu haben, und 1607 verhinderte er als Wortführer der Kompromisslosen, der „fermes“, eine Annäherung der beiden Konfessionen. Denn sie hätte ja bedeutet, dass die Protestanten ihren Peinigern hätten vergeben müssen, womit diese der Gottesrache vielleicht entzogen worden wären, die ihnen Les Tragiques verkündet hatten. Auch mit Pamphleten bekämpfte d’Aubigné die Kompromissler unter den Protestanten, die „prudents“.

Ebenfalls 1607 stellte er die Confession catholique fertig, wiederum ohne das Werk zu publizieren (das erst 1660 in Köln erschien).

Nach der Ermordung von König Heinrich IV. und der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die Regentin Maria von Medici (1610) gelang ihm keine dauerhafte Rückkehr an den Hof. Vielmehr beteiligte er sich an Versuchen des wiederbelebten protestantischen Lagers, seine Positionen im Land zu sichern. So nahm er 1611 in Saumur an einer Versammlung von Mandatsträgern protestantischer Gemeinden teil; 1615 kämpfte er als hoher Offizier in einer protestantischen Armee gegen königliche Truppen.

1616 erschien, in der westfranzösischen Kleinstadt Maillé und unter einem Pseudonym, Les Tragiques, das nun jedoch, mehr als dreißig Jahre nach seiner ersten Konzeption, hier und dort obsolet wirken musste, selbst wenn die Thematik nach wie vor aktuell war.

Inzwischen hatte d’Aubigné denn auch ein wiederum satirisches romanartiges Werk begonnen, Les aventures du baron de Faeneste. Es kontrastiert in einer locker strukturierten Handlung den Titelhelden, einen lächerlichen aber selbstbewussten katholischen Höfling, mit einem gebildeten protestantischen Landedelmann, hinter dem der Autor selbst erkennbar ist. Teil I und II erschienen 1617, Teil III 1619 (alle ebenfalls in Maillé).

Etwa gleichzeitig ging, wiederum in Maillé, die Histoire universelle in den Druck: Band I kam 1618 heraus, Band II 1619.

Als eine große Enttäuschung erlebte d’Aubigné 1618, dass sein Sohn (wie seine Romanfigur Sancy) konvertierte. Er enterbte ihn im Zorn und bewirkte so, dass seine Nachkommen im Mannesstamm verarmten, darunter seine Enkelin Françoise, die allerdings, nach einem Zwischenspiel als bürgerliche Madame Scarron, Mätresse von Ludwig XIV. und schließlich als Madame de Maintenon dessen Gattin „linker Hand“ wurde.

1620 beteiligte sich d’Aubigné an einer Verschwörung gegen den Duc de Luynes, einen Günstling des jungen Ludwig XIII. Nach deren Scheitern wurde er aus Frankreich verbannt. Entsprechend wurde die dreibändige Ausgabe der Histoire universelle, die im selben Jahr herauskam, in Paris verurteilt und vom Henker verbrannt.

D’Aubigné fand Asyl in Genf, dem geistigen Zentrum des frankophonen Protestantismus, wo er in Stadtnähe ein verfallenes Schlösschen restaurierte und 1523 nochmals heiratete.

Als 1621 die königliche französische Armee einmal mehr einen Feldzug gegen die Truppen der Protestanten führte, wurde er als erfahrener Militär beauftragt, die Verteidigung von Genf gegen einen eventuellen Angriff vorzubereiten.

Seine letzten Jahre füllte er wieder mit Schreiben. So verfasste er kleinere staatstheoretische Schriften sowie Pamphlete gegen Luynes. Er überarbeitete Les Tragiques und publizierte das Epos, nun unter seinem Namen, in Genf (1523 oder 25). Er führte den Faeneste fort, dessen vierter Teil allerdings erst 1630 in seinem Todesjahr in Genf erschien. 1627 begann er einen vierten Band seiner Histoire, der die Zeit nach 1610 darstellen sollte, aber unvollendet blieb. Daneben verfasste die Autobiografie Sa vie à ses enfants (=Sein Leben, seinen Kindern [gewidmet]; gedruckt erst 1729). Unter dem Titel L’Hiver (=Winter) stellte er einen Band überwiegend religiöser Gedichte aus seinen mittleren Jahren zusammen (gedruckt 1630).

Nachleben

Wohl nur bei wenigen französischen Autoren klaffen die Entstehungszeiten und die Erscheinungsdaten ihrer Werke so oft und so weit auseinander wie bei d’Aubigné, mit dem Effekt, dass er die ursprünglich angesprochene Leserschaft meistens nicht mehr erreichte und dass sein Schaffen bei den Zeitgenossen fast unwirksam blieb. Hinzu kam, dass er auch in der Wahl seines wichtigsten Druckortes, des peripheren Städtchens Maillé, eher nachlässig war. Offensichtlich sah er selbst sich mehr als literarisch nur dilettierenden Edelmann denn als Autor. Den ihm gebührenden Platz in der Literaturgeschichte verdankt er erst seiner Entdeckung durch die Romantiker, die ihn bewunderten, insbesondere Victor Hugo. Im klassizistisch und katholisch geprägten kulturellen Gedächtnis der Franzosen ist er bis heute eine marginale Figur.

Schriften

  • Les Tragiques, Maillé 1616, 2. Aufl. Genf 1623 oder 1625.
  • Histoire universelle 1550–1601, Maillé 1616–20 (1620 auf richterlichen Befehl in Paris durch Henkershand verbrannt).
  • Les Aventures du baron de Faeneste, Maillé 1617–19, Bd. IV Genf 1630.
  • La Confession catholique du sieur de Sancy, Köln 1660, Paris 1693.
  • Sa vie à ses enfants, gedruckt als Histoire secrète, écrite par lui-même, Köln 1729 bis 1731.

Literatur

  • Jeanne Galzy: Agrippa d’Aubigné. Gallimard, 1965.
  • Armand Garnier: Agrippa d’Aubigné et le parti protestant, contribution à l’histoire de la Réforme en France. 3 Bände. Fischbacher, 1928.
  • Henning Mehnert: Agrippa d'Aubigné und die petrarkistische Tradition. In: Hempfer/Straub (Hrsg.): Italien und die Romania in Humanismus und Renaissance. Wiesbaden 1983

Weblinks

 Wikisource: Théodore Agrippa d’Aubigné – Quellen und Volltexte (Französisch)
 Commons: Théodore-Agrippa d'Aubigné – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

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