Euler-Liljestrand-Mechanismus

Euler-Liljestrand-Mechanismus

Der Euler-Liljestrand-Mechanismus oder Euler-Liljestrand-Reflex, klinisch auch als hypoxische pulmonale Vasokonstriktion (HPV) bezeichnet, beschreibt den Zusammenhang zwischen der Belüftung (Ventilation) und der Durchblutung (Perfusion) der Lunge, beschrieben als Ventilation-/ Perfusion-Verhältnis (oder V/Q-Quotient). Der Begriff Reflex ist irreführend, da Reflexe strenggenommen neuronal vermittelt sind. Besser ist die Verwendung des Begriffs hypoxische pulmonale Vasokonstriktion (HPV).

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Er wurde 1946 von Ulf von Euler und Göran Liljestrand entdeckt[1],obgleich schon die britischen Forscher J.R. Bradford und H.P.Dean im Jahre 1894 im Tierversuch an Hunden einen Anstieg des pulmonalarteriellen Druckes (PAP) unter Asphyxie beobachteten[2] (vergleiche auch hierzu Pulmonale Hypertonie).

Physiologie

Nimmt die Ventilation in einem Teil der Lunge ab – auch als alveoläre Hypoventilation bezeichnet – führt dies zu einem lokalem Sauerstoffmangel (Hypoxie) und zur reflektorischen Verengung (Konstriktion) der Blutgefäße in diesem Lungenabschnitt. Durch gezielte Vasokonstriktion der entsprechenden Lungengefäße in Arealen alveolärer Hypoxie kann die Lunge bzw. Lungenabschnitte die Perfusion der lokalen Ventilation anpassen. Dadurch wird verhindert, dass Blut die Lunge passieren kann, ohne oxygeniert zu werden (Shunt). Man kann physiologisch zwischen einer akuten Phase der HPV und einer protrahierten Phase differenzieren. Die HPV setzt innerhalb von wenigen Sekunden ein und erreicht nach ca. 15 Minuten ein Plateau.

Was sind die wichtigsten Auswirkungen der HPV? Es kommt zu einer Homogensierung des Ventilations-Perfusions-Verhältnisses. Die Partialdruckdifferenz zwischen Alveolen und Arteriolen, also die alveoarterielle Sauerstoff-Partialdruckdifferenz (AaDO2) verringert sich. Der pulmonale Shunt nimmt ab, das heißt die venöse Beimischung aus durchbluteten, aber nicht belüfteten Arealen nimmt ab. Der arterielle Sauerstoff-Partialdruck (paO2) erhöht sich im Sinne einer Normalisierung.

Phylogenetisch spielt die hypoxische pulmonale Vasokonstriktion wahrscheinlich eine wichtige Rolle bei der evolutionären Anpassung der regionalen Durchblutung von Lungenabschnitten an die regionale Ventilation. Der Mechanismus spielt auch bei der Höhenanpassung bzw. bei der Entstehung der Höhenkrankheit eine wichtige Rolle. So kann ein Höhenlungenödem auftreten, wenn es durch fortschreitende Hypoxie zu einer Vasokonstriktion der Pulmonalgefäße kommt. Dadurch steigt der Druck im kleinen Kreislauf an, was zu einer Schädigung des Kapillarendothels führt. Dadurch sind die Kapillaren durchlässiger und es besteht ein niedrigerer Luftdruck. In der Folge wird Flüssigkeit aus dem Intravasalraum in die Alveolen gepresst (high altitude pulmonary edema).

Pathophysiologie und klinische Bedeutung

Prinzipiell hat die hypoxische pulmonale Vasokonstriktion (HPV) bei allen Erkrankungen eine große Bedeutung, bei denen es bedingt durch eine alveoläre Hypoxie – also Abnahme des Sauerstoffgehaltes in den Alveolen – zu einer Umverteilung des Blutflusses aus eben diesen hypoxischen Arealen in besser oxygenierte Abschnitte der Lunge und damit zu einer Optimierung des Ventilations-Perfusions-Verhältnisses kommt. Solche Erkrankungen sind z.B. Pneumonien, chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen, akutes respiratorisches Lungenversagen (ARDS) und die Höhenkrankheit.

Molekulare Mechanismen

Die Frage ist, wie an den pulmonalarteriellen glatten Muskelzellen eine Sauerstoffdifferenz wahrgenommen wird (Sauerstoffsensorik und Signaltransduktion) und durch welche molekulare Mechanismen es zur HPV an der glatten Muskulatur der Pulmonalgefäße kommt.

Die Untersuchung der HPV erfolgte in und an verschiedenen Versuchsaufbauten bzw. Modellen, etwa dem Tiermodell, isolierten Lungenpräparaten oder Pulmonalarterien und endothelfreien Pulmonalarterienringen sowie an isolierten glatten Muskelzellen der Pulmonalarterien (PASMC=pulmonary artery smooth muscle cells). Zunächst konnten die glatten Pulmonalarterienmuskelzellen (PASMC) als der eigentliche histologische Ort der HPV bzw. die Lokalisation der Sauerstoffsensorik, die dann zur Vasokonstriktion führt, ausgemacht werden. Damit sind die PASMC sowohl die Sensor- als auch die Effektorzellen der HPV.

Es scheint belegt zu sein, dass ein zytosolischer Anstieg der Calciumkonzentration zur Konstriktion der PASMC führt. Strittig ist bisher die Herkunft des steigenden zytosolischen Calciums. Eine Hypothese sieht den Einstrom des Calciums über sogenannte spannungsabhängige L-Typ Calcium-Kanäle (VOCC=voltage-operated calcium channel) oder über Speicher-gesteuerte Calciumkanäle (SOCC=store-operated calcium channel) aus dem extrazellulären Raum. Andere Hypothesen postulieren die Herkunft des Calciums aus intrazellulären Speichern, wie etwa dem sarkoplasmatischen Retikulum oder auch aus den Mitochondrien.

Auch scheint eine Sensitivierung der PASMC gegenüber Calcium über den RhoKinase-Signalweg für die protrahierte Phase der HPV möglich.

Neben den Calciumkanälen, ob nun spannungsabhängiger L-Typ Kanal (VOCC) oder Speicher-gesteuerter Calciumkanal (SOCC), scheinen aber auch Kaliumkanäle eine wichtige Rolle bei der HPV zu spielen (Synergismus). Kommt es zum Abfall des Sauerstoffpartialdrucks – einer Hypoxie – an den Pulmonalarterienmuskelzellen (PASMC), wird der Kaliumkanal blockiert, was zur Depolarisation der Zelle führt. Spannungsabhängige L-Typ-Calciumkanäle werden aktiviert und es kommt zum Einstrom von Ca2+ über die Plasmamembran und zur Freisetzung von Calcium aus dem sarkoplasmatischen Retikulum. Der Anstieg der Calciumkonzentration bewirkt eine Kontraktion der glatten Gefäßmuskelzelle.

Fazit: Der Abfall des Sauerstoffpartialdrucks führt zu einer Inhibition von Kaliumkanälen, in deren Folge die Zellmembran depolarisiert wird – also Änderung des Membranpotentials in Richtung positiver (bzw. weniger negativer) Werte – und letztlich zur Öffnung von L-Typ Calciumkanälen.

Negative Beeinflussung

Die folgenden Faktoren bewirken eine Aufhebung des Euler-Liljestrand-Mechanismus oder wirken ihm entgegen. Dies ist klinisch in bestimmten Fällen (Thoraxchirurgie bzw. -anästhesie) nicht erwünscht.

Zu erwähnen ist, dass eine Azidose eine pulmonale Vasokonstriktion bewirken würde, die HPV nähme zu.[3]

Literatur

  • Enson,Yale; Giuntini,Carlo, et al.: The Influence of Hydrogen Ion Concentration and Hypoxia on the Pulmonary Circulation. Journal of Clinical Investigation Vol. 43, No. 6, 1964 pdf (englisch)
  • Rupp, Markus: Sauerstoffsensoren und Signaltransduktionswege der hypoxischen pulmonalen Vasokonstriktion – die Rolle von Diacylgycerol, spannungsabhängigem Ca2+-aktiviertem Kaliumkanal (BK) und Hämoxygenase 2. Inauguraldissertation, Gießen, 2010 pdf
  • Weißmann, N.: Vaskuläre Effekte der alveolären Hypoxie - Sensor- und Signaltransduktionsmechanimsmen. Pneumologie, 2002, 56: 511-513 Thieme Verlag pdf (deutsch)

Einzelnachweise

  1. Von Euler US, Liljestrand G: Observations on the pulmonary arterial blood pressure in the cat. Acta Physiol. Scand. 1946; 12: 301-320
  2. Bradford, J.R.; Dean, H.P.: The Pulmonary Circulation. J Physiol 1894 March 22;16(1-2):34-158.
  3. Larsen, R.; Ziegenfuß, T.: Beatmung. Springer Berlin, Heidelberg 1997

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