Herculaneum

Herculaneum
Plan der Ausgrabungen von Herculaneum

Herculaneum (ital. Ercolano) war eine antike Stadt in Kampanien, am Golf von Neapel gelegen, die wie Pompeji und Stabiae beim Ausbruch des Vesuv am 24. August 79 untergegangen ist. Die heutige Stadt heißt Ercolano.

Inhaltsverzeichnis

Mythos

Auf dem Rückweg von seiner zehnten Aufgabe, bei der er die Herden des Geryon geraubt und das Ungeheuer erschlagen hatte, machte Herakles in Rom halt. Die Göttin Fauna verweigerte ihm, mit geheiligtem, nur für Frauen bestimmten Wasser seinen Durst zu stillen. In seinem Ärger erbaute Herakles einen Tempel, der ihm selbst geweiht war und in dem keine Frauen an den Zeremonien teilnehmen durften. Währenddessen stahl Cacus, ein Sohn des Vulcanus, dem Herakles einige Rinder aus der Herde des Geryon. Nach vergeblicher Suche wollte Herakles nach Griechenland zurückkehren, als er seine Kühe hörte. Er folgte dem Geräusch, traf auf Cacus, zerrte den Dieb aus seiner Höhle und erschlug ihn. An der Stelle, wo er Cacus erschlagen hatte, gründete Herakles der Sage nach die Stadt Herculaneum. Der Mythos ist bei Dionysios von Halikarnassos überliefert.[1]

Geschichte

Gesamtansicht der Ausgrabungen
Innenansicht eines Gebäudes in Herculaneum (Casa di Nettuno e Amphitrite, Nr.22)
Herculaneum, Neptun und Amphitrite, Wandmosaik im Haus Nr. 22
Bootshäuser
Skelettfunde aus Herculaneum

Über die Stadt in vorrömisch-oskischer Zeit ist wenig bekannt. Der Name Herculaneum deutet, vom Mythos abgesehen, darauf hin, dass es dem Namen und dem Ursprung nach griechisch war; und in der Tat erscheint es bei seiner frühesten Erwähnung, die wir kennen, durch Theophrast (314 v. Chr.), unter dem Namen Herakleion.

Auch von der Anlage her (ein regelmäßiges Rechteckmuster) liegt eine griechische Gründung nahe. Herculaneum war von einer Mauer umgeben, die ein Gebiet von ca. 20 Hektar einfasste, und lag an der Küstenstraße, die am Golf entlang von Neapolis nach Pompeji und Stabiae führte, der Trasse der späteren Via Domitiana.

Seit 307 v. Chr. gehörte Herculaneum zum römischen Einflussbereich. Im Bundesgenossenkrieg (91–88 v. Chr.) wurde es 89 v. Chr. von den Aufständischen unter Papius Mutilus besetzt, kurze Zeit später jedoch ohne großen Widerstand von einem Legaten Sullas erobert. Im Gegensatz zu einigen Nachbarstädten konnte es den Status eines Municipiums behalten. Nach römischem Vorbild lag die Verwaltung der Stadt in den Händen zweier oberster Magistrate mit einer Amtszeit von einem Jahr, den Duumviri.

Zum Zeitpunkt der Zerstörung hatte es etwa 4000 Einwohner. Herculaneum war demnach deutlich kleiner als Pompeji: eine kleine Hafenstadt, in der der Handel keine große Rolle spielte und an der der Seehandel weitgehend vorbeiging. Die Wirtschaft beruhte hauptsächlich auf dem Fischfang, Ackerbau und kleinem Handwerk. Die Ausstattung der freigelegten Häuser deutet aber auf teilweise großen Wohlstand der Einwohner hin. Wegen der natürlichen Schönheit, mit dem prächtigen Blick über die Bucht von Neapel und seiner reinen Luft – die von vielen antiken Schriftstellern gepriesen wurde – wurde Herculaneum gerne als Sommerfrische gewählt. Viele reiche Römer bauten dort ihre Villen und lebten dort mit ihren Sklaven und Handwerkern. Die bekannteste ist die Villa dei Papiri, benannt nach der dort gefundenen Bibliothek von Papyrusrollen.

Vesuvausbruch

Der katastrophale Ausbruch des Vesuv am 24. August 79 erfolgte für die Bewohner Kampaniens völlig überraschend. Da der Vulkan seit ca. 500 Jahren ruhte, wurde er nicht einmal mehr als Vulkan erkannt. Nur Strabo weist auf Ähnlichkeiten von Vesuv und Ätna hin. Auch das Erdbeben im Jahr 62 wurde nicht als Vorbote eines drohenden Ausbruchs interpretiert.

Der Verlauf des Ausbruchs ist durch zwei Briefe des Plinius an den römischen Historiker Tacitus[2] einerseits, andererseits durch die Befunde der Ausgrabungen sowie durch (vor allem in den letzten Jahren) durchgeführte geologische Untersuchungen des Gebietes und eine genaue Analyse der Schichtungen (Strata) des vulkanischen Materials, mittlerweile so gut bekannt, dass sich der Ablauf des Ausbruchs relativ genau nachzeichnen lässt.

Der Ausbruch begann am 24. August ca. 13 Uhr. Der Vulkanschlot riss auf und in einer schnell kilometerhoch wachsenden Eruptionssäule wurden Asche und Lapilli nach oben getragen. Beim Erreichen der Tropopause flachte die Wolke sich ab, sodass ihre Form von Plinius treffend mit der einer Schirmpinie verglichen wurde. Die Hauptwindrichtung ging gegen Südosten, sodass vulkanisches Material hauptsächlich auf Pompeji und die umliegenden Orte fiel. Das westlich des Vesuv gelegene Herculaneum war in der ersten Phase des Ausbruchs nur wenig betroffen. Während in Pompeji die Hausdächer unter der Aschenlast brachen, fielen in Herculaneum nur wenige Zentimeter Asche – dennoch genügend, um einen Großteil der Einwohner eilig flüchten zu lassen.

Lange Zeit wurde vermutet, fast allen Einwohnern wäre die Flucht gelungen, da sich in den ausgegrabenen Bereichen nur wenig Skelette fanden. Als 1982 der Grabungsbereich auf den antiken Strand von Herculaneum ausgedehnt wurde, erwies sich dieses als Irrtum. Im Inneren von zwölf Bootshäusern wurden dicht aneinander gedrängt ca. 250 Skelette gefunden. Warum die in den Bootshäusern Umgekommenen sich der allgemeinen Flucht nicht angeschlossen hatten, ist unklar. Möglicherweise hofften sie, über das Meer entkommen zu können, vielleicht meinten sie auch, in den relativ starken Gewölben der Bootshäuser vor Aschenregen und Lapilli sicher zu sein. Die Skelette weisen überdurchschnittlich häufig Anomalien auf, die auf Alter, Behinderung oder Krankheit hindeuten. Vermutlich waren diese Menschen nicht in der Lage mit dem Rest der Bevölkerung rechtzeitig zu fliehen.

Als in der Nacht die bis in die Stratosphäre aufgestiegene Eruptionssäule zusammenbrach, fiel das herausgeschleuderte Material auf die Flanke des Vesuvs zurück und bildete dort einen pyroklastischen Strom, der mit einer Temperatur von über 400 °C und einer Geschwindigkeit zwischen 100 und 300 km/h auf Herculaneum zuraste. Beim Erreichen der Bootshäuser (ca. 1 Uhr nachts) starben die dort Verbliebenen binnen Sekunden an thermischem Schock. Die Gebäude Herculaneums wurden von diesem ersten Strom nur relativ wenig beschädigt, da er nicht sehr viel Material mit sich führte. Eine Stunde später folgte ein weiterer Strom, der jetzt aber große Mengen von Material mit sich führte und die Gebäude Herculaneums mit großer Wucht traf. Gegen Morgen erreichte ein dritter Strom und im Laufe des Vormittags des 25. August ein vierter Strom die Stadt. Das Material der letzten Ströme war dicht, zähflüssig und füllte die Gebäude bis in den letzten Winkel aus. Herculaneum wurde unter einer vulkanischen Schicht von bis zu 20 m Stärke völlig begraben. Beim Abkühlen verfestigte sich dieses Material zu einer dichten Masse von Tuffstein.

Diesem Ablauf verdankt sich der gute Erhaltungszustand der Gebäude von Herculaneum und ihres Inventars:

  1. Bevor die Gebäude von Asche bedeckt wurden, war ihr Inneres bereits verfüllt, daher brachen die Dächer nicht ein.
  2. Die Hitze des ersten pyroklastischen Stroms karbonisierte (verkohlte) organische Materialien oberflächlich und entzog ihnen das Wasser.
  3. Unter der dichten Tuffsteinmasse lag Herculaneum praktisch abgeschlossen von Luft.

Entdeckung und Ausgrabung

Im Lauf der Jahrhunderte war die exakte Kenntnis der Lage des verschütteten Herculaneum verloren gegangen, dessen Reste im Mittelalter durch das Städtchen Resina (das erst seit 1969 Ercolano heißt) teilweise überbaut wurden. Man hatte zwar schon im 16. Jahrhundert einige Skulpturen und Inschriften gefunden, doch erst 1710 stieß ein Bauer zufällig beim Ausschachten eines Brunnens auf die Reste des Theaters von Herculaneum. Das Areal wurde von Emanuel-Maurice von Lothringen, Prince d’Elboeuf, angekauft, einem verbannten französischen Aristokraten, der als Befehlshaber der österreichischen Armee in Neapel stationiert war. In den folgenden Monaten ließ er auf eigene Kosten Ausgrabungen durch Stollenvortrieb vornehmen. Bei diesen Ausgrabungen wurden neun Statuen entdeckt, darunter die „Große“ und die zwei „Kleinen Herkulanerinnen“, die d’Elboeuf dem Prinzen Eugen in Wien schenkte (heute in Dresden).

Ab 1738 ließ Karl von Bourbon, König von Neapel, systematische Ausgrabungen durchführen. Am 11. Dezember fand man eine Inschrift über das „Theatrum Herculanense“, was die Vermutung des Marchese Don Marcello Venuti untermauerte, dass in der Erde Reste einer Stadt liegen mussten.[3] Man begann damit, im Theater und an anderen Stellen zunächst Schächte bis zum antiken Straßenniveau abzuteufen und anschließend je nach Reichtum an Fundstücken enge Stollen voranzutreiben. Die Ausgrabung erfolgte unter Leitung und Aufsicht des neapolitanischen Militärs. Besonders wertvolle Stücke wurden in einem Flügel der königlichen Residenz in Portici aufgestellt, wo ab 1758 das Museo Ercolanese untergebracht war.

1750 war (ebenfalls bei Anlage eines Brunnens) die Villa dei Papiri entdeckt worden, was der Grabungsbegeisterung neuen Schwung verlieh. Von 1750 bis 1761 und 1764/65 wurden unter hauptsächlicher Leitung von Karl Weber, einem Schweizer Militär-Ingenieur, systematische Grabungen auf dem Gelände der Villa und der sogenannten Basilika durchgeführt. Weber fertigte auch genaue Pläne an, die es heute ermöglichen, den Verlauf der Grabung und Fundorte einzelner Werke zu identifizieren. 1765 erzwang der Austritt von Gas in den Stollen einen Abbruch der Arbeiten und das Versiegeln der Zugänge.

Die Arbeiten wurden erst 1828 durch Franz I. von Bourbon wieder aufgenommen, jetzt aber erstmals im Tagebau. Auf einem vom Staat erworbenen 900 m² großen Areal wurden die Ausgrabungen unter Leitung des Architekten Carlo Bonucci bis 1855 fortgeführt. Fortgesetzt wurden sie mit Unterstützung des italienischen Königs Viktor Emanuel II. in den Jahren 1869 bis 1875, in denen unter großen Mühen in einem kleinen Teil des Grabungsgebiets die gesamte vulkanische Deckschicht abgetragen wurde.

Wegen der erheblichen Kosten des Abräumens scheiterten in der Folge Versuche, die Grabungen wieder aufzunehmen. Erst im Jahr 1924 begann unter Leitung von Amedeo Maiuri die nächste Grabungsphase, die mit kurzen Unterbrechungen bis heute andauert. Erschwert wird eine vollständige Ausgrabung durch die moderne Überbauung. Unter Maiuri war ein Gebiet von neun Hektar enteignet worden, die weitere Ausdehnung des Grabungsgebiets in nördlicher Richtung stößt an die Bebauungsgrenze von Ercolano.

Von 1982 bis 1988 wurde unter der Leitung der US-amerikanischen Archäologin Sara C. Bisel insbesondere das Gebiet des antiken Hafens und Strandes ausgegraben, wobei in den Bootshäusern eine große Zahl von Skeletten gefunden wurde, ein Fund, der zu einer genauen paläopathologischen und paläodemografischen Analyse eines repräsentativen, gleichzeitig verstorbenen Bevölkerungsquerschnitts einer antiken Stadt Gelegenheit gab.

In den Jahren 1996 bis 1998 wurden im Bereich der Villa dei Papiri Ausgrabungen unter freiem Himmel gemacht, bei denen bis dato unbekannte Untergeschosse der Villa gefunden wurden.

Funde

Neben zahlreichen z. T. gut (einschließlich ihrer Innenausstattung) erhaltenen Privathäusern sind auch einige öffentliche Bauten und vor den Toren der Stadt gelegene Villen freigelegt worden. An manchen Häusern sind noch römische Graffiti zu lesen, in Küchen wurde verkohlte Stücke von Brot, Getreide und Eierschalen gefunden.

Die meisten der in Herculaneum ausgegrabenen antiken Kunstwerke befinden sich heute im Archäologischen Nationalmuseum in Neapel; dazu gehören u.a. die an verschiedenen Stellen gefundenen Fresken und die 70 großen Bronzeskulpturen aus der Villa dei Papiri, die durch den Fund einer einzigartigen Bibliothek verkohlter Papyrusrollen mit Werken altgriechischer Philosophen bekannt geworden ist.

Bilder

Literatur

  • A. Allroggen-Bedel: Archäologie und Politik. Herculaneum und Pompeji im 18. Jahrhundert. In: Hephaistos 14, 1996, S. 217–252.
  • Amadeo Maiuri: Ercolano. I nuovi scavi (1927–1958). 1958.
  • Josef Mühlenbrock, Dieter Richter (Hrsg.): Verschüttet vom Vesuv - Die letzten Stunden von Herculaneum (Ausstellungskatalog). Zabern, Mainz 2006, ISBN 3-8053-3445-1.
  • Dieter Richter (Hrsg.): Pompeji und Herculaneum. Ein Reisebegleiter. (Insel-Taschenbücher Band 3099.) Insel Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-458-34799-2.
  • Dieter Richter, Ludwig Wamser (Hrsg.): Vorbild Herculaneum. Römisches Bayern und Antikenrezeption im Norden. Archäologische Staatssammlung, München 2006 (= Schriftenreihe der Archäologischen Staatssammlung, Bd. 4 [richtig: 5]), ISBN 3-927806-35-8.

Weblinks

 Commons: Ercolano (Archeological site) – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Dionysios von Halikarnassos, Antiquitates Romanae 1, 44
  2. Plinius, Epistulae 6, 16 und 20.
  3. C.W. Ceram: Götter, Gräber und Gelehrte. ISBN 3-499-61136-8, abgefragt am 10. Dezember 2010
40.80611111111114.3475

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