Jean-Jacques Rousseau

Jean-Jacques Rousseau
Jean-Jacques Rousseau, Pastell von Maurice Quentin de La Tour, 1753

Jean-Jacques Rousseau (* 28. Juni 1712 in Genf; † 2. Juli 1778 in Ermenonville bei Paris) war ein Genfer Schriftsteller, Philosoph, Pädagoge, Naturforscher und Komponist der Aufklärung. Der bedeutende Aufklärer gilt als einer der wichtigsten geistigen Wegbereiter der Französischen Revolution und hatte großen Einfluss auf die Pädagogik und die politischen Theorien des 19. und 20. Jahrhunderts.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Schaffen

Rousseaus Vater Isaac (1672–1748) war ein Uhrmacher und Forscher, dessen protestantische Vorfahren aus Glaubensgründen von Frankreich in die damals unabhängige Stadtrepublik Genf ausgewandert waren. Dort lebte auch sein Cousin Jacques Rousseau (1683–1753, Vater des französischen Orientalisten Jean-François Xavier Rousseau). Isaac Rousseau war von 1705 bis 1711 in Konstantinopel, wo er als Uhrmacher des Sultans am Serail (dem Palast des türkischen Herrschers) Genfer Uhren reparierte und wohin ihm sein Cousin Jacques später ebenfalls als Hofjuwelier folgte. Rousseaus Mutter Suzanne Bernard (1673–1712) war Tochter eines Genfer Pastors, in dessen Haus im Zentrum von Genf auch Rousseaus Eltern bei seiner Geburt lebten.[1] Als sie im Jahr 1712 neun Tage nach seiner Geburt – wahrscheinlich am Kindbettfieber[1][2]– starb, übernahm eine jüngere Schwester des Vaters den Haushalt. Sie kümmerte sich offenbar liebevoll um das oft kränkelnde und empfindsame Kind. Sein Vater förderte zudem früh die Leselust Rousseaus, indem er nächtelang gemeinsam mit ihm Bücher las, darunter auch die Biographien Plutarchs, die für den Rest seines Lebens seine Lieblingslektüre blieben.[3] 1718 zogen Vater und Sohn in das Handwerkerviertel St. Gervais auf der anderen Rhôneseite.

1722 änderte sich die Situation des Zehnjährigen dramatisch. Der Vater flüchtete nach einer Rauferei mit einem Offizier, in dessen Verlauf er diesen mit einem Degenstich verletzt hatte,[3] aus Genf vor der drohenden Gefängnisstrafe. Rousseau, den er in der Obhut seines Schwagers Gabriel Bernard zurückgelassen hatte,[3] verbrachte zunächst zwei Jahre bei Pfarrer Lambercier in Bossey, wo er Unterricht erhielt, aber unter ungerechter Bestrafung und körperlicher Misshandlung litt. Ähnlich erging es ihm später während eines Aufenthalts bei einer anderen Tante väterlicherseits. Mit zwölf ging er zunächst bei einem Gerichtsschreiber mit Namen Masseron, ein Jahr später bei einem Graveur names Abel Ducommun in die Lehre. Zwar fand er an seiner zweiten Tätigkeit mehr Gefallen als an der ersten, Leselust und Träumereien verschafften ihm jedoch nur wenige Freunde unter seinen Altersgenossen und führten immer wieder zu Bestrafungen.[4] Sein Vater heiratete 1726 ein zweites Mal in seinem Zufluchtsort Nyon und zeigte nur noch wenig Interesse an ihm.

Als Rousseau im März 1728 bei der späten Rückkehr von einem Sonntagsausflug das Stadttor verschlossen fand, was davor bereits zweimal geschehen war und ihm jeweils eine Prügelstrafe eingebracht hatte,[4] folgte er einer schon länger gehegten Idee und ging auf Wanderschaft. In Savoyen lernte er nach einigen Tagen einen katholischen Geistlichen kennen, der ihn an eine Madame de Warens in Annecy vermittelte, die gerade aus der Schweiz nach Savoyen ausgewandert und Katholikin geworden war. Sie nahm Rousseau auf, schickte ihn aber schon drei Tage später nach Turin, wo er sich nach vierteljähriger Unterweisung im Hospice des catéchumènes katholisch taufen ließ; die Reise dorthin unternahm Rousseau in Begleitung eines Bauernpaares zu Fuß.[5] In Turin verdingte er sich als Diener, später als Sekretär in adeligen Turiner Häusern.

Ein Jahr später kehrte er zu Madame de Warens zurück. Ihrem Vorschlag folgend trat er für kurze Zeit in das Priesterseminar von Annecy ein. Anschließend vermittelte sie ihn an den Leiter der Dom-Musikschule, da er ihr während der Hausmusikstunden als talentierter Sänger aufgefallen war. Der Schulleiter nahm ihn bei sich auf und unterrichtete ihn in Chorgesang und Flöte. Es folgten einige fruchtbare Monate, in denen Rousseau die Grundlagen seiner Musikkenntnisse erwarb.

Als sein Lehrer eine neue Stelle in Lyon antrat, begleitete Rousseau ihn zunächst, kehrte dann aber nach Annecy zurück. Madame de Warens war jedoch nach Paris abgereist. Er ging erneut auf Wanderschaft, die ihn unter anderem nach Lausanne, Nyon (wo er auch seinen Vater besuchte),[5] ins preußische Neuchâtel und im Sommer 1731 zum ersten Mal nach Paris führte. In Neuchâtel versuchte er sich zum ersten Mal erfolglos als Musiklehrer, in Paris arbeitete er als Diener eines jungen Schweizers. Im Übrigen war seine Wanderschaft allerdings häufig von großer Armut geprägt, die ihn teilweise zum Betteln zwang, ihn aber auch mit den notleidenden Bauern in Berührung brachte.[6]

Nachdem er erfahren hatte, dass Madame de Warens sich wieder in Savoyen aufhielt, diesmal in Chambéry, kehrte er zu seiner dreizehn Jahre älteren „Maman“, wie er sie liebevoll nannte, zurück. Sie nahm ihn nun wie einen Ziehsohn bei sich auf und vermittelte ihm eine Schreiberstelle im Katasteramt, die er jedoch 1732, nach acht Monaten, aufgab, um als freier Musiklehrer zu arbeiten.

Es folgten fünf relativ glückliche Jahre, die für seine Bildung – die er fast gänzlich autodidaktisch erwarb – sehr wichtig waren. Er las, musizierte, experimentierte und begann zu schreiben. „Maman“ führte ihren anfänglich widerstrebenden Jean-Jacques zudem in die Liebeskunst ein, hatte mit dem bei ihr als Faktotum beschäftigten Claude Anet neben Rousseau allerdings noch einen weiteren Liebhaber.[6] 1735 pachtete Madame de Warens ein Anwesen vor den Toren Chambérys mit dem Namen Les Charmettes. Für Rousseau verkörperte es in den kommenden drei Jahren das „Ideal eines geordneten und glücklichen Lebens.“[7]

Im Sommer 1736 erlitt er eine Augenverletzung durch einen Explosionsunfall bei chemischen Experimenten und reiste im Herbst zu einem Arzt nach Montpellier. Als er Anfang 1738 zurückkehrte, hatte Madame de Warens mit ihrem neuen Sekretär und Hausverwalter ein Verhältnis begonnen. Zwar bot sie Rousseau ein erneutes Dreiecksverhältnis an, er lehnte dies nun jedoch ab,[8] blieb allerdings noch zwei Jahre bei ihr, bis er im Frühjahr 1740 eine Stelle als Hauslehrer der Familie Mably in Lyon antrat.

Nachdem er im Frühjahr 1741 noch einmal nach Les Charmettes zurückgekehrt war,[8] reiste er im Sommer 1742 nach Paris, um ein von ihm entwickeltes, auf Zahlen basierendes[9] Notensystem von der Académie des sciences patentieren zu lassen. Er durfte es dort präsentieren, bekam ein Zertifikat und ließ Anfang 1743 seine Präsentation als Dissertation sur la musique moderne (dt.: Abhandlung über die moderne Musik) im Druck erscheinen. Auch lernte er den bekannten Komponisten Jean-Philippe Rameau kennen, der Rousseaus System zwar für dessen Exaktheit lobte, gleichzeitig sei es aber der abstrakteren Notenschrift, die den Verlauf der Melodie veranschauliche, unterlegen.[9] Auch sonst setzte sich Rousseaus Notationssystem nicht durch.

Immerhin erhielt er Zugang zu dem bekannten literarischen Salon von Madame Dupin und lernte führende Köpfe der Stadt kennen. Auch begann er die Oper Les Muses galantes. Im Sommer 1743 reiste er nach Venedig, wo er für den neuen französischen Gesandten als Gesandtschaftssekretär arbeitete.[10] Er zerstritt sich jedoch mit seinem Herrn und kehrte schon im Herbst 1744 nach Paris zurück.

Paris

Titelblatt von Rousseaus Discours sur les Sciences et les Arts, 1750

In Paris machte Rousseau 1745 die Bekanntschaft verschiedener Mäzene, mit deren Hilfe er seine fertiggestellte Oper Les Muses galantes aufführen ließ. Vor allem knüpfte er Kontakte zu anderen jungen Intellektuellen, darunter Denis Diderot und Jean-Baptiste le Rond d’Alembert, die Herausgeber der 1746 von Diderot initiierten Encyclopédie. Ebenfalls 1745 begann er ein Verhältnis mit der Wäscherin Thérèse Levasseur (1721–1801).

Es folgten weitere Jahre der literarischen Gehversuche (z. B. schrieb er 1747 eine Komödie, L’Engagement téméraire) in großer materieller Unsicherheit. Auch deswegen übergab seine Geliebte die 1746 und 1748 geborenen Kinder einer Einrichtung für „Findelkinder“ (Enfants trouvés), wo ihre Überlebenschancen gering waren. Dies entsprach einer damals nicht unüblichen Praxis. Voltaire machte dies dem späteren pädagogischen Theoretiker zum Vorwurf. Rousseau fand eine ganze Reihe von Entschuldigungen dafür[11], u. a. auch dass seine Arbeit schlecht oder gar nicht bezahlt worden sei, weshalb Thérèse auch für seinen Lebensunterhalt habe aufkommen müssen und sich nicht mit Kindern habe belasten können.

1749 war ein entscheidendes Jahr für Rousseau. Zu Jahresbeginn beauftragte ihn d’Alembert mit der Abfassung musikologischer Artikel für die Encyclopédie. Im Herbst besuchte er den in der Festung Vincennes inhaftierten Diderot und las unterwegs in der Zeitschrift Mercure de France die Preisfrage der Académie von Dijon: Le Rétablissement des sciences et des arts a-t-il contribué à épurer les mœurs? („Hat die Wiederherstellung der Wissenschaften und Künste dazu beigetragen, die Sitten zu läutern?“). Er verneinte in seinem Discours sur les Sciences et les Arts („Abhandlung über die Wissenschaften und die Künste“) eindeutig die Frage, da – wie er später in seiner staatstheoretischen Schrift Du contrat social weiter ausführen wird – der Mensch im Naturzustand unabhängig und frei lebt, in der auf Konventionen beruhenden Gesellschaft aber ein gefesselter Sklave ist: Der Mensch ist frei geboren, und liegt überall in Ketten.[12] Künste und Wissenschaften verschleiern nur das Schicksal des modernen Menschen.[13] Die Zivilisationsgeschichte wird wie in seinen anderen philosophischen Schriften zu einer Geschichte des Niedergangs (la dépravation). Die nach Luxus strebende zeitgenössische europäische Gesellschaft sah er in die sittliche Dekadenz abgleiten.[14] Der Discours lief den Vorstellungen vieler Intellektueller der Zeit zwar völlig entgegen, stieß bei anderen jedoch auf Interesse. Rousseau erhielt 1750 den ersten Preis und wurde, auch dank der Diskussion, die er auslöste, über Nacht europaweit bekannt. Seine Einkünfte stiegen und er konnte mit Thérèse in eine gemeinsame Wohnung ziehen. Allerdings gab das Paar 1751 auch ein drittes Neugeborenes bei den Findelkindern ab.

Ende 1752 wurde mit großem Erfolg seine Oper Le Devin du village („Der Dorfwahrsager“) zunächst vor dem Hof und 1753 auch in Paris aufgeführt. Als Rousseau dem König vorgestellt werden sollte, entzog er sich der Ehrung und versäumte damit möglicherweise die Zuweisung einer jährlichen Pension. Nach dem Erfolg des Devin wurde vom Théâtre Français auch seine Komödie Narcisse, ein Jugendwerk, angenommen.

Beginnende Schwierigkeiten

Statt sich zu etablieren, begab sich Rousseau nun in eine Art fundamentale Opposition. Noch 1753 begann er eine zweite kritische Preisschrift (s. u.). Daneben erregte er den Zorn nicht nur des Opernorchesters (das eine Rousseau-Puppe erhängte) mit seiner Lettre sur la musique française, in der er den französischen Musikstil zugunsten des italienischen herabsetzte. 1754 reiste er (mit einer Zwischenstation bei Madame de Warens) nach Genf, nahm die Staatsbürgerschaft der Genfer Republik wieder an und kehrte zum Protestantismus zurück.

1755 publizierte er, vorsichtshalber in Amsterdam, seinen Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes (Abhandlung über Ursprünge und Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen), der wiederum die Antwort auf eine Preisfrage der Académie de Dijon war: « Quelle est l’origine de l’inégalité parmi les hommes, et est-elle autorisée par la loi naturelle? » (deutsch: „Was ist der Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, und lässt sie sich vom Naturrecht herleiten?“). Rousseau, der ärmliche Kleinbürger, erklärt hierin die soziale Ungleichheit aus der Herausbildung der Arbeitsteilung und der dadurch ermöglichten Aneignung der Erträge der Arbeit Vieler durch einige Wenige, die anschließend autoritäre Staatswesen organisieren, um ihren Besitzstand zu schützen. Rousseau wurde mit dieser wahrhaft revolutionären Schrift einer der Begründer des europäischen Sozialismus.

Montmorency

Anfang 1756 lehnte er den Bibliothekarsposten ab, den ihm die Stadt Genf angeboten hatte. Stattdessen siedelte er um nach Montmorency nördlich von Paris als Gast der vielseitig interessierten, selbst schriftstellernden Madame d’Épinay, einer Freundin von Diderot. Mit diesem und dem Kreis der philosophes um ihn verfeindete er sich allerdings 1758, als er auf den kritischen Artikel „Genf“, den d’Alembert für die Encyclopédie verfasst hatte, mit der Lettre à d’Alembert sur les spectacles reagierte, worin er, der einstige Theaterautor, das Theater, dieses Lieblingskind der Aufklärung, als unnütz und potentiell unsittlich anprangerte.

Titelblatt der Erstausgabe Amsterdam, 1762

In Montmorency, wo er 1758 ein Häuschen mietete und vorübergehend auch Gast des hochadeligen Duc de Luxembourg war, schrieb er innerhalb von knapp sechs Jahren seine erfolgreichsten und langfristig wirksamsten Werke: den empfindsamen Briefroman Julie oder Die neue Heloise (1756–58, erschienen 1761), der die letztlich unmögliche Liebe des bürgerlichen Intellektuellen Saint-Preux zu der adligen Julie d’Étanges darstellt und z. T. von Rousseaus Leidenschaft für die Schwägerin von Madame d’Épinay, Madame d’Houdetot, inspiriert war; weiter den Bildungsroman Émile (1759–61, erschienen 1762), in welchem er dafür eintritt, Kinder und Jugendliche sich selbst und der Natur zu überlassen und von zivilisatorischen Einflüssen fernzuhalten; und drittens die staatstheoretische Schrift Du contrat social ou Principes du droit politique (Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes, (1760/61, erschienen 1762), die die Rechte der Individuen gegenüber dem Staat, aber auch dessen Ansprüche gegenüber den Individuen zu definieren und zu begründen versucht und den heute so wichtigen Begriff der Volkssouveränität prägt, auf dem die Legitimität von Volksentscheiden und allgemeinen Wahlen gründet.

Während Julie oder Die neue Heloise sofort nach ihrem Erscheinen Anfang 1761 ein großer Erfolg war und eine Welle von Briefromanen in ganz Europa auslöste (darunter Goethes Werther), wurde der Contrat social nach seinem Erscheinen im April 1762 verboten, ebenso der Émile, als er Ende Mai erschien. Die Sorbonne verurteilte das Buch Anfang Juni, das Parlement von Paris verbot es wenige Tage danach und erließ einen Haftbefehl gegen den Autor. Stein des Anstoßes war vor allem die im Émile als Einschub enthaltene Profession de foi du vicaire savoyard („Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars“). In diesem Text trägt Rousseau zunächst eine Philosophie von Erkenntnis und Moral vor, in der die Stellungnahme des eigenen Herzens bzw. Gewissens eine alles beherrschende Rolle spielt. Es folgt der Entwurf einer "natürlichen Religion", verbunden mit einer scharfen Kritik jeglicher Religion, die sich auf Offenbarung gründet (also auch des Christentums). Neben den französischen Autoritäten waren insbesondere die calvinistischen Oberen in Genf entrüstet. Sie verboten das Buch noch im Juli und erließen ebenfalls Haftbefehl.

Neuerliches Wanderleben

Manuskriptseite aus Deux Lettres à M. le Mareschal Duc de Luxembourg contenant une description du Val-de-Travers, Môtiers 1763
Rousseau in armenischer Tracht

Rousseau, der sofort geflüchtet war, fand Aufnahme bei einem Freund in Bern, wurde aber sehr rasch ausgewiesen. Im Juli wandte er sich über den Gouverneur Keith der damaligen preußischen Exklave Neuchâtel/Neuenburg an Friedrich den Großen, der ihm Asyl und etwas später sogar Bürgerrecht gewährte. Rousseau ließ sich nieder im neuenburgischen Städtchen Môtiers, wohin er Thérèse nachholte und wo er begann, sich als Armenier zu kleiden. Noch von Ende 1762 datiert eine erste Verteidigungsschrift Rousseaus, ein offener Brief an den Pariser Erzbischof, der im August den Émile ebenfalls verurteilt hatte.

Anfang 1763 stellte er in Môtiers sein wohl noch in Montmorency begonnenes Dictionnaire de la musique fertig. 1764 begann er mit botanischen Studien.

1765, vom 12. September bis zum 25. Oktober, lebte Rousseau auf der St. Petersinsel im Bieler See, die, wie er bekennt, glücklichsten Monate seines Daseins. Er zog sich in die Natur zurück, suchte auf der Insel Einsamkeit und begann ihre Pflanzen zu erfassen, er verfasst eine Flora Petrinsularis; gleichzeitig besuchten ihn dort Berühmtheiten aus ganz Europa. Der Berner Geheime Rat wies ihn aus.

Ende 1765 fühlte er sich auch in Môtiers unwillkommen und verfolgt, nicht zuletzt vielleicht, weil er begonnen hatte, sich als Armenier zu kleiden. Er nahm deshalb eine Einladung des Philosophen David Hume an und ließ sich einen Durchreise-Pass für Frankreich ausstellen. Unterwegs konnte er feststellen, dass er inzwischen durchaus auch Sympathisanten hatte. Bei einem Aufenthalt in Straßburg wurde er mit einer Aufführung des Devin de village geehrt, in Paris war er Gast des Prince de Conti und empfing in dessen Haus Besuche.

Rousseau in England, Porträt von Allan Ramsay, 1766

Das Jahr 1766 und die erste Jahreshälfte 1767 verbrachte er überwiegend in England, anfangs bei Hume, mit dem er sich aber zerstritt und der ihn attackierte. Immerhin fand er auch in England Sympathisanten vor, die z. B. den König bewogen, ihm eine Pension zu gewähren. 1767 und 1768 lebte er an verschiedenen Orten Frankreichs, unter anderem auf einem Schloss von Conti. Da der Haftbefehl des Pariser Parlaments nicht aufgehoben war, reiste er unter einem Decknamen und gab Thérèse als seine Schwester aus. 1769 und 1770 lebten sie auf einem Bergbauernhof in der südostfranzösischen Dauphiné, nachdem sie im August 1768 dort geheiratet hatten.

Ab 1763 verfasste er eine ganze Reihe kürzerer und längerer autobiografischer Texte, darunter seine 1765–1770 geschrieben, später berühmt gewordenen Confessions (Die Bekenntnisse), die erst posthum publiziert wurden. Darin schildert er auch intime Details aus seinem Leben sowie eigene Verfehlungen. Vor allem diese Schrift begründete die Untergattung der „selbstentblößenden“ Autobiografie. Den Titel wählte er in Anlehnung an den der Confessiones des Augustinus von Hippo.

Im Frühjahr 1770 verließ er seinen Bergbauernhof Richtung Paris. Bei einem Aufenthalt in Lyon ließ der Vorsteher der Kaufmannschaft ihm zu Ehren seinen Devin und sein lyrisches Kleindrama Pygmalion aufführen. Ab Juni lebte er wieder, zurückgezogen und von den Behörden geduldet, mit Thérèse in Paris. Er wurde hin und wieder zu Lesungen eingeladen und, da seine Ideen sich nun weiter verbreiteten, sammelten sich Bewunderer um ihn, darunter ab 1771 der später sehr bekannte Autor Bernardin de Saint-Pierre.

Etwa seit 1762 war Rousseau den nervlichen Belastungen aufgrund der zahlreichen Verunglimpfungen und Verfolgungen nicht mehr gewachsen. Seine Ängste und Abwehrhandlungen nahmen teilweise wahnhafte Züge an.

Die letzten Jahre

Rousseau in Ermenonville im Juni 1778
Île des peupliers („Insel der Pappeln“) mit dem Grabmal Rousseaus
Thérèse Levasseur, Witwe Rousseaus, vor der Pappelinsel. Nach einer Sepia von Caroline Naudet.

1772–1775 verfasste Rousseau den autobiografischen Dialog Rousseau juge de Jean-Jacques. 1774 gab er sein Dictionnaire des termes d’usage en botanique in Druck. 1776–1778 schrieb er sein letztes längeres Werk: die in lyrischer Prosa gehaltenen Rêveries du promeneur solitaire („Träumereien des einsamen Spaziergängers“), die auf ebenfalls neue Art Gegenwartsmomente zum Ausgangspunkt von autobiografischen Rückblicken machen und mit ihrem Einfangen von Naturstimmungen als eine Vorbereitung der Romantik gelten.

Im Mai 1778 folgte er einer Einladung des Marquis de Girardin auf dessen Schlösschen Ermenonville. Hier starb er wenig später, wahrscheinlich durch einen Schlaganfall, und wurde auf der Île des peupliers („Insel der Pappeln“) im Schlosspark, dem heutigen Parc Jean-Jacques-Rousseau, begraben. Seine Witwe Thérèse wohnte noch etwa ein Jahr in dem für ihn bestimmten Haus.

1794 ließ der jakobinische Wohlfahrtsausschuss Rousseaus sterbliche Überreste triumphal ins Pariser Panthéon überführen.

Rousseaus Grab ab 1794 im Panthéon, Paris

Musik und Theater

Mit selbst gedichteten und vertonten Stücken initiierte Rousseau zwei der bedeutendsten „bürgerlichen“ Theatergattungen des 19. Jahrhunderts: Mit dem publizistisch durch seine Lettre sur la musique française (1753) unterstützten Intermezzo Le Devin du village (1752) begründete er die Opéra comique, und mit seinem Melodram Pygmalion (1770, Musik von Coignet) schuf er das Theatermelodram. Durch sein Musiklexikon Dictionnaire de musique (1767) wurde er zudem zu einem der meistzitierten Ästhetiker des 18. Jahrhunderts.

Rousseaus Philosophie

Menschenbild

Ausgangspunkt des rousseauschen Denkens ist die Abscheu vor der etablierten Kultur und Gesellschaft seiner Zeit. Er stellt fest, dass die in Gesellschaft lebenden Menschen böse und eitel sind. Interessenkonflikte verleiten sie dazu, ihre wahren Absichten voreinander zu verbergen.

„Die Menschen sind böse; eine traurige und fortdauernde Erfahrung erübrigt den Beweis; jedoch, der Mensch ist von Natur aus gut, ich glaube, es nachgewiesen zu haben; […] Man bewundere die menschliche Gesellschaft, soviel man will, es wird deshalb nicht weniger wahr sein, dass sie die Menschen notwendigerweise dazu bringt, sich in dem Maße zu hassen, in dem ihre Interessen sich kreuzen, außerdem sich wechselseitig scheinbare Dienste zu erweisen und in Wirklichkeit sich alle vorstellbaren Übel zuzufügen.“

– Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen (Reclam, 1998, S. 115ff) Anmerkung IX

Rousseau kritisiert nicht nur die Gesellschaft seiner Zeit, sondern die Vergesellschaftung des Menschen schlechthin. Damit steht er in starkem Gegensatz zum Denken seiner Zeit: Seine Theorien wurden von den Vertretern der christlichen Kirchen sowie auch von vielen Denkern der Aufklärung abgelehnt. Die christlichen Kirchen hielten die Idee des „edlen Wilden“ für abwegig; der Mensch war für sie durch die Erbsünde belastet. Die Aufklärer schließlich betrachteten die Menschen als vernunftbegabt, lern- und gesellschaftsfähig.

Wenn jedoch der Mensch ein gemeinschaftsfähiges Wesen (griechisch: zoon politikon) wäre, wie auch Aristoteles behauptete, dann sollte gemäß Rousseau eigentlich überall freudvolle Harmonie herrschen. Da das nicht der Fall ist – die Menschen hassen, betrügen, verleugnen, belügen und morden – schließt er, dass der Mensch von Natur aus ein ungeselliges Wesen und nur außerhalb der Gesellschaft „gut“ sei. Diese These projiziert er nun mittels der genetischen Methode an ihren logischen und zeitlichen Anfang und gelangt so zum Begriff Naturzustand.

Im hypothetischen Naturzustand ist der einzige Trieb des Menschen die Selbstliebe (amour de soi). Sie gebietet ihm: „Sorge für dein Wohl mit dem geringstmöglichen Schaden für die anderen“ (Zweiter Diskurs). Neben der Selbstliebe kennt der Naturmensch das Mitleid (pitié), ein Gattungsgefühl, das nach Rousseaus Überzeugung auch die Tiere kennen. Alle anderen Fähigkeiten des Menschen ruhen noch, also die Vernunft, die Einbildungskraft und das Gewissen. Der Mensch ähnelt im Naturzustand einem wilden Tier, welches nur um sich selbst kreist. Sein Gutsein ist keine Bravheit im moralischen Sinne, sondern eher im Sinne von „naturgehorchend“.

Auf Grund äußerer Umstände, etwa Naturkatastrophen, wird er jedoch dazu gezwungen, sich mit anderen Gattungsexemplaren zusammenzutun. So entstehen Kultur und Gesellschaft und das Böse tritt in die Welt. Von großer Bedeutung ist die Einbildungskraft, mittels deren das Individuum aus seinem urwüchsig-narzisstischen Schlummer erwacht und sich in andere Wesen hineinversetzen kann. Sie ermöglicht aber auch den Vergleich der Individuen untereinander. Dadurch kann die naturgemäße Selbstliebe (amour de soi) in die naturwidrige Eigenliebe oder Selbstsucht (amour propre) umschlagen: Der Mensch sieht sich nun nur noch mit den Augen der anderen. Er möchte als leidenschaftlicher Rangkämpfer immer den ersten Platz einnehmen. Darüber hinaus verspürt er den drängenden Wunsch, dass die Nebenmenschen ihn sich selbst vorziehen. Dies ist jedoch schwer möglich, da auch alle anderen Menschen von der Eigenliebe angetrieben werden. So kommt es dazu, dass die Menschen ihre wahren Absichten verbergen. Sie geben ihr Eigeninteresse als Allgemeininteresse aus. Quelle des Übels sind also das naturferne Konkurrenzdenken und die amour propre. Im Gesellschaftszustand erwachen zudem die Vernunft, das bewusste Mitleid sowie auch die „widernatürliche“ moralische Reflexion.

Grundlage der rousseauschen Ethik ist nicht die Vernunft. Diese kann bestenfalls helfen, Vorteilhaftes und Unvorteilhaftes zu unterscheiden. Damit der Mensch aber auch gut handelt, bedarf es des Instinktes. Rousseau verwendet hier zwar den Begriff des christlichen „Gewissens“ und spricht gar von einer „angeborenen Liebe zum Guten“. Aber wie aus seinen Ausführungen im Émile hervorgeht, ist hier eine vorbewusste, gewissermaßen urweltliche Grundfähigkeit, eben der Instinkt, gemeint. Jemand, der gegen seinen Instinkt handelt, ist ein depravierter und unglücklicher Mensch. Die urwüchsige Selbstliebe zwingt uns geradezu, instinktgesteuert zu handeln, da sie die Befriedigung unserer Bedürfnisse verlangt. Rousseaus Denken zeichnet sich also dadurch aus, dass er nicht allgemeine ethische Regeln aufstellt, sondern zeigt, welches Interesse der Einzelne daran hat, „gut“ zu handeln.

Eine Rückkehr in den Naturzustand schließt Rousseau ausdrücklich aus, auch wenn viele Kritiker, allen voran Voltaire, ihm vorhielten, sie empfohlen zu haben. In einem Brief an Rousseau schreibt Voltaire spöttisch:

„Ich habe, mein Herr, Ihr neues Buch gegen die menschliche Gattung erhalten ... Niemand hat es mit mehr Geist unternommen, uns zu Tieren zu machen, als Sie; das Lesen ihres Buches erweckt in einem das Bedürfnis, auf allen Vieren herumzulaufen.“[15]

Rousseau fragt vielmehr, wie in konkurrierenden Gesellschaften kollektives, vom Instinkt gesteuertes Handeln möglich werden kann. Dabei beschäftigt er sich nicht nur mit der Kunst der Aufzucht des Einzelmenschen, der Pädagogik, sondern auch mit der Theorie des an der Natur orientierten Staates.

Politische Philosophie

(siehe hierzu auch Rousseaus politisches Hauptwerk „Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes“)

Rousseau stellt sich in seinen staatstheoretischen Texten die Frage, wie ein von Natur aus wildes und freies Individuum seine Freiheit behalten kann, wenn es aus dem Naturzustand in den Zustand der Gesellschaft eintritt bzw. diesen Zustand begründet. Rousseau geht davon aus, dass die Menschen im Naturzustand unabhängig voneinander leben. Sie verfügen über ausreichend Güter und sind friedlich. Insbesondere ist der Mensch weder der Philosophie und der Wissenschaft noch der Gier nach Luxusgütern verfallen. Im Unterschied zu Hobbes oder Locke zeichnet Rousseau ein positives Bild vom Menschen im wilden, tiernahen Zustand. Den genuin menschlichen Vermögen, so v. a. der Vernunft, steht er hingegen ablehnend gegenüber. Anderen Vertragstheoretikern wirft er vor, bei ihren Schilderungen des Urmenschen nicht realitätsnah geblieben zu sein und ihm überwiegend negative Attribute zugeschrieben zu haben.

Für den Verlust von Freiheit und Autonomie sieht Rousseau die Einführung des Privateigentums als Ursache:

„… da die Menschen außerdem begannen, ihre Blicke in die Zukunft zu richten, und alle sahen, dass sie einige Güter zu verlieren hatten gab es niemanden, der die Repressalie für das Unrecht, das er einem anderen zufügen konnte, nicht für sich selbst zu fürchten hatte. Dieser Ursprung ist umso natürlicher, als es unmöglich ist zu begreifen, wie die Vorstellung des Eigentums aus etwas anderem als der Handarbeit entstehen könnte; denn man vermag nicht zu sehen, was der Mensch beisteuern kann, um sich die Dinge anzueignen, die er nicht geschaffen hat, außer seiner Arbeit. Allein die Arbeit, die dem Bauern ein Recht auf das Produkt des Feldes gibt, das er bestellt hat, gibt ihm folglich ein Recht auf den Boden, zumindest bis zur Ernte, und so von Jahr zu Jahr – was, da es einen ununterbrochenen Besitz schafft, sich leicht in Eigentum verwandelt... (Es zeigt sich), dass die Aufteilung des Grund und Boden eine neue Art von Recht hervorgebracht hat. Das heißt, das Eigentumsrecht, das von dem Recht, welches aus dem natürlichen Gesetz resultiert, verschieden ist.“[16]

Die Wurzel der Entstehung des Eigentums sieht Rousseau in der Entstehung der Landwirtschaft:

„Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen »Dies gehört mir« und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wieviel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: »Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört.“[17]

und:

„Aus der Bebauung des Grund und Bodens folgte notwendigerweise seine Aufteilung und aus dem Eigentum, war es einmal anerkannt, die ersten Regeln der Gerechtigkeit. Denn um jedem das Seine zu geben, muss jeder etwas haben können.“[16]

Das Entstehen des Eigentums, meint Rousseau, spaltet also die Menschheit in Klassen. Das Eigentum offenbart sich als die Ursache des gesamten gesellschaftlichen Unglücks. Über die Entstehung eines „alles verschlingenden Ehrgeizes“,„künstlicher Leidenschaften“ und die „Sucht, sein Glück auf Kosten anderer“ zu machen, schreibt Rousseau:

„… alle diese Übel sind die erste Wirkung des Eigentums und das untrennbare Gefolge der entstehenden Ungleichheit.“[18]

Durch das Auftauchen der Institution des Eigentums entstehen erste gesellschaftliche Strukturen. Der Mensch ist nicht mehr autark, sondern von anderen abhängig; sei es als Herr, oder als Knecht. Um seinen Leidenschaften folgen zu können, unterdrückt der Eigentümer seine Knechte. Dies sind nach Rousseau die „schlechten“ Gesellschaftszustände, die er in seiner Abhandlung zum Sozialvertrag (contrat social) kritisiert. Grundlage dieser Zustände ist ein Vertrag, der jedem ermöglicht, sich wieder so frei zu fühlen, wie im Naturzustand. Dabei unterscheidet Rousseau „natürliche Unabhängigkeit“ von „bürgerlicher Freiheit“. Im Gegensatz zu Montesquieu wollte Rousseau das Volk in allen Bereichen der Politik einbeziehen und nicht nur in einer Gewalt (Legislative) mitwirken lassen.

Nach Rousseaus Auffassung ordnet sich jeder Bürger zum Zwecke eines rechtmäßig geordneten gesellschaftlichen Zusammenlebens freiwillig einem Gesellschaftsvertrag unter. Dessen Grundlage ist der Gemeinwille, welcher absolut und auf das Wohl des ganzen Volkes gerichtet ist. Jeder Einzelbürger ist somit Teil eines religiös überhöhten und konfessionell neutralen Staatswesens, welches den allgemeinen Willen vollstreckt und zugleich totale Verfügungsgewalt über ihn hat. Der Staat ist befugt, Gesetze zu verabschieden, die jederzeit den unantastbaren Willen des Volksganzen zum Ausdruck bringen. Dazu setzt Rousseau den Gesetzgeber ein. Der Gesetzgeber ist, betrachtet man nur das genuin als politisch bezeichnete Werk Rousseaus, ein umstrittenes Kapitel im Gesellschaftsvertrag. Hierzu ist es notwendig, ebenso den Émile zu beachten, der als ‚Erziehungs- oder Bildungsanleitung‘ für den perfekten Gesetzgeber gelesen werden kann. Hiermit erklärt sich die sonst unerklärbare Herkunft des Gesetzgebers.

Rousseaus Theorie des allgemeinen Willens stellt einen originellen und wirkungsmächtigen Versuch dar, der feudalistischen Königs- und Adelsherrschaft seiner Zeit die Legitimationsgrundlage zu entziehen. Sie beeinflusste viele andere politische Theoretiker und Philosophen des 18. und 19. Jahrhunderts, so u. a. Immanuel Kant. Neben Voltaire gilt Rousseau außerdem als einer der wichtigsten Wegbereiter der französischen Revolution. Der aktivste Exponent der jakobinischen Schreckensherrschaft, Robespierre, war ein großer Verehrer des Schriftstellers.

Langfristig wirkte sein Werk stark auf die Fragestellungen der Politologie und Soziologie ein.

Pädagogik

In Rousseaus pädagogischem Hauptwerk Emile oder über die Erziehung wird die fiktive Erziehung eines Jungen beschrieben. Die Erziehung beginnt im Kindesalter und endet mit der Heirat Émiles mit 25 Jahren. Der Zögling wird in seiner Kindheit von allen kulturellen Einflüssen abgeschottet. So wie die Natur einfach da ist, soll auch die urwüchsige Natur des Kindes zur Entfaltung gebracht werden. Jegliche direkte Einflussnahme von außen ist demnach zu vermeiden.

Das Hauptziel in der Jugendzeit Émiles ist die Herausbildung der sozialen Instinkte. Rousseau betont zwar immer wieder die Selbsttätigkeit des Zöglings, der sich vieles selbst aneigne, doch die eigentliche Kunst der Erziehung besteht darin, Émile soweit zu beeinflussen, dass sein Wille mit dem des Erziehers übereinstimmt. Die pädagogische Arbeit findet gewissermaßen „hinter seinem Rücken“ statt. So heißt es in Emile oder über die Erziehung: „Folgt mit Eurem Zögling den umgekehrten Weg. Laßt ihn immer im Glauben, er sei der Meister, seid es in Wirklichkeit aber selbst. Es gibt keine vollkommenere Unterwerfung als die, der man den Schein der Freiheit zugesteht. So bezwingt man sogar seinen Willen.“ Der vollkommen nach Rousseau erzogene oder aufgewachsene Mensch ist die Grundlage für den im Gesellschaftsvertrag (Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes) angeführten Gesetzgeber.

Besonders hervorzuheben ist Rousseaus Versuch, pädagogisches Handeln von der Sprache her zu begründen (Ladenthin). Damit bereitet er Anschauungen vor, die alles menschliche Denken, Erkennen, Gestalten und Handeln als Modi von Sprache verstehen (Johann Georg Hamann, Johann Gottfried Herder, Wilhelm von Humboldt).

Rousseaus Theorien beeinflussten viele namhafte Pädagogen, so z. B. Johann Heinrich Pestalozzi, Adolph Diesterweg, Maria Montessori und Ellen Key.

Werke

Ausgaben

  • Kurt Weigand (Übers.) (Hrsg.): Schriften zur Kulturkritik. 5. Auflage. Meiner, Hamburg 1995, ISBN 978-3-7873-1200-9 (Franz.-dt.).
  • Lettres élémentaires sur la botanique (Zehn botanische Lehrbriefe für eine Freundin). 1978 (Insel-Taschenbuch 366).
  • Heinrich Meier (Hrsg.): Diskurs über die Ungleichheit. Schöningh, Paderborn 1984, ISBN 3-8252-0725-0 (Krit. Ausg. d. integralen Textes).
  • Henning Ritter (Hrsg.): Schriften. Hanser, München 1978, ISBN 3-446-12503-5.
  • Dictionnaire de Musique. G. Olms, Hildesheim 1969 (Nachdruck).
  • Dorothea Gülke (Übers.), Peter Gülke (Übers.): Musik und Sprache. Ausgewählte Schriften. Heinrichshofen, Wilhelmshaven 1984, ISBN 3-7959-0424-2.
  • Der neue Dädalus. (Le nouveau Dédale. Übers. von Klaus H. Fischer); darin: Klaus H. Fischer: Rousseaus Schrift über die Aeronautik. Schutterwald/Baden 2000, ISBN 978-3-928640-58-9
  • Principes du droit de la guerre... übersetzt von und mit einer Einleitung zur Textgeschichte von Michael Bloch in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Jahrgang 58, Heft 2, Akademie Verlag, Berlin 2010

Literatur

  • Winfried Böhm, Frithjof Grell (Hrsg.): Jean-Jacques Rousseau und die Widersprüche der Gegenwart. Ergon, Würzburg 1991, ISBN 3-928034-06-5.
  • Jörg Bockow: Erziehung zur Sittlichkeit – Zum Verhältnis von praktischer Philosophie und Pädagogik bei Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant. Peter Lang, Frankfurt/M., Bern, New York 1984, ISBN 978-3-8204-5598-4.
  • Ernst Cassirer, Jean Starobinski & Robert Darnton: Drei Vorschläge, Rousseau zu lesen. Fischer, Frankfurt 1989, ISBN 3-596-26569-X
  • Ernst Cassirer: Die Einheit des Werkes von Jean-Jacques Rousseau. Dinter, Köln 1998 ISBN 3-924794-39-1
  • David Edmonds, John Eidinow: Rousseau’s Dog. Two Great Thinkers at War in the Age of Enlightenment. Harper Collins (Ecco), New York 2006, ISBN 0060744901. und Faber & Faber, London 2006, ISBN 0-571-22405-9.
  • Nils Ehlers: Der Widerspruch zwischen Mensch und Bürger bei Rousseau. Cuvillier, Göttingen 2004, ISBN 3-86537-306-2.
  • Iring Fetscher: Rousseaus politische Philosophie. Zur Geschichte des demokratischen Freiheitsbegriffs. 7. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-518-27743-X.
  • Jean Firges: Julie oder die Neue Héloïse. Die Genese der bürgerlichen Ideologie. Sonnenberg, Annweiler 2004, ISBN 978-3-933264-36-7. (Exemplarische Reihe Literatur und Philosophie, Bd. 18)
  • Klaus H. Fischer: Jean-Jacques Rousseau. Die soziologischen und rechtsphilosophischen Grundlagen seines Denkens. Wissenschaftlicher Verlag, Schutterwald/Baden 1991, ISBN 978-3-928640-00-8.
  • Maximilian Forschner: Rousseau. Alber, Freiburg 1977, ISBN 3-495-47349-1.
  • Jean Guéhenno: Jean-Jacques, Biographie in drei Bänden, Paris 1948–52
  • Karlfriedrich Herb: Rousseaus Theorie legitimer Herrschaft. Voraussetzungen und Begründungen. Königshausen und Neumann, Würzburg 1989.
  • Jean Chrétien Ferdinand Hoefer (Hrsg.): Nouvelle biographie générale, depuis les temps les plus réculés jusqu’à nos jours. Band 42, Diderot frères, Paris 1863, Sp. 737–766.
  • Volker Ladenthin, Sprachkritische Pädagogik. Beispiele in systematischer Absicht, Band 1: Rousseau – mit Ausblick auf Thomasius, Sailer und Humboldt, Weinheim 1996
  • Christiane Landgrebe: ‚Ich bin nicht käuflich‘ – Das Leben des Jean-Jacques Rousseau. Beltz, Weinheim 2004, ISBN 3-407-85784-5.
  • Jean Lechat: Discours sur les sciences et les arts. Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes. Rousseau. (Interpretationen) Reihe Balises, Série Oeuvres #91, Nathan, Paris 1994 ISBN 2-09-180758-3[19]
  • Günther Mensching: Rousseau zur Einführung. Junius, Hamburg 2003, ISBN 3-88506-384-0.
  • Martin Rang: Rousseaus Lehre vom Menschen. Göttingen 1959.
  • Hermann Röhrs: Jean-Jacques Rousseau. Vision und Wirklichkeit. 3. Auflage. Böhlau, Köln [u.a.] 1993, ISBN 3-412-12592-X.
  • Klaus Semsch: Rousseaus subjektive Distanznahme von der Rhetorik, in: Abstand von der Rhetorik. Strukturen und Funktionen ästhetischer Distanznahme von der ‚ars rhetorica‘ bei den französischen Enzyklopädisten, Hamburg: Felix Meiner 1999 (Studien zum 18.Jahrhundert, 25), S. 131–186. ISBN 3-7873-1396-6
  • Robert Spaemann: Rousseau – Bürger ohne Vaterland. Piper, München 1980 u.ö..
  • Jean Starobinski: Rousseau. Eine Welt von Widerständen. München 1988, u.ö., ISBN 3-596-10255-3.
  • Ulrich Steinvorth: Stationen der politischen Theorie. 3. Auflage. Reclam, Stuttgart 1994, ISBN 3-15-007735-4, S. 97–132.
  • Dieter Sturma: Jean-Jacques Rousseau. C. H. Beck, München 2001, ISBN 3406419496.
  • Bernhard H. F. Taureck: Rousseau. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt, Reinbek 2009, ISBN 3-499-50699-8.

Belletristik

Einzelnachweise

  1. a b Hans Brockard: Rousseaus Leben, in: Ders. (Hg.): Jean Jacques Rousseau: Gesellschaftsvertrag, Reclams Universal-Bibliothek, ergänzte Ausgabe von 2003, 2008, S. 177–202 (S. 177).
  2. Leo Damrosch: Jean-Jacques Rousseau – Restless Genius, 2005, S. 7.
  3. a b c Hans Brockard: Rousseaus Leben, in: Ders. (Hg.): Jean Jacques Rousseau: Gesellschaftsvertrag, Reclams Universal-Bibliothek, ergänzte Ausgabe von 2003, 2008, S. 177–202 (S. 178).
  4. a b Hans Brockard: Rousseaus Leben, in: Ders. (Hg.): Jean Jacques Rousseau: Gesellschaftsvertrag, Reclams Universal-Bibliothek, ergänzte Ausgabe von 2003, 2008, S. 177–202 (S. 179).
  5. a b Hans Brockard: Rousseaus Leben, in: Ders. (Hg.): Jean Jacques Rousseau: Gesellschaftsvertrag, Reclams Universal-Bibliothek, ergänzte Ausgabe von 2003, 2008, S. 177–202 (S. 180).
  6. a b Hans Brockard: Rousseaus Leben, in: Ders. (Hg.): Jean Jacques Rousseau: Gesellschaftsvertrag, Reclams Universal-Bibliothek, ergänzte Ausgabe von 2003, 2008, S. 177–202 (S. 181).
  7. Hans Brockard: Rousseaus Leben, in: Ders. (Hg.): Jean Jacques Rousseau: Gesellschaftsvertrag, Reclams Universal-Bibliothek, ergänzte Ausgabe von 2003, 2008, S. 177–202 (S. 181 f.).
  8. a b Hans Brockard: Rousseaus Leben, in: Ders. (Hg.): Jean Jacques Rousseau: Gesellschaftsvertrag, Reclams Universal-Bibliothek, ergänzte Ausgabe von 2003, 2008, S. 177–202 (S. 182).
  9. a b Hans Brockard: Rousseaus Leben, in: Ders. (Hg.): Jean Jacques Rousseau: Gesellschaftsvertrag, Reclams Universal-Bibliothek, ergänzte Ausgabe von 2003, 2008, S. 177–202 (S. 183).
  10. „im Grunde war es sehr natürlich, daß er zum Gesandtschaftssecretär lieber jemand haben wollte, der von ihm allein abhängig war, als einen Consul“ Rousseau „Bekenntnisse“ 8. Buch
  11. „Hätte ich sie der Frau von Epinay oder der Frau von Luxembourg überlassen, die sich sei es aus Freundschaft, sei es aus Edelmuth oder aus irgend einem andern Grunde später ihrer haben annehmen wollen, wären sie wohl zu gesitteten und gebildeten Leuten erzogen worden? Ich weiß es nicht; aber davon bin ich überzeugt, daß man sie zum Hasse, vielleicht zum Verrathe ihrer Eltern getrieben hätte; es ist hundertmal besser, daß sie sie gar nicht gekannt haben.“ Rousseau „Bekenntnisse“ 8. Buch
  12. Contrat Social, erste Zeile des Anfangskapitel
  13. „...les Sciences, les Lettres & les arts, moins despotiques & plus puissans peut-être, étendent des guirlandes de fleurs sur les chaînes de fer dont ils sont chargés, étouffent en eux le sentiment de cette liberté originelle pour laquelle ils sembloient être nés, leur font aimer leur esclavage, et, forment ce qu’on appelle des peuples policés.“ Siehe fr.wikisource
  14. „D’autres maux pires encore suivent les Lettres & les Arts. Tel est le luxe, né comme eux de l’oisiveté & de la vanité des hommes.“ Siehe fr.wikisource
  15. Weit, weit... Arkadien.: Über die Sehnsucht nach dem anderen Leben.(S. 26) (2000) http://books.google.at/books?id=eCwFCrNNYLoC&hl=en
  16. a b Rousseau, Jean-Jacques: Abhandlung über die Politische Ökonomie , in: Politische Schriften 1, S. 49 (S. 49).
  17. Rousseau, Jean-Jacques: Akademieschrift 2. Teil, Discours
  18. Rousseau, Jean-Jacques: Abhandlung über die Politische Ökonomie , in: Politische Schriften 1, S. 208 (S. 208).
  19. kapitelweise Interpretation, mit Zitaten von wichtigen Absätzen; synoptische Zeittafel des Lebens Rousseaus und der europäischen (Literatur-) Geschichte; besonders wertvoll sind die Anhänge (Annexés) mit verschiedenen Begriffslisten u. a. – Bibliographie. In Französisch

Weblinks

 Wikisource: Jean-Jacques Rousseau – Quellen und Volltexte (Französisch)
 Wikisource: Jean-Jacques Rousseau – Quellen und Volltexte
 Commons: Jean-Jacques Rousseau – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

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