Musa as-Sadr

Musa as-Sadr
Plakate mit dem Portrait von Musa as-Sadr sind in den schiitischen Wohngebieten der libanesischen Städte häufig zu sehen

Sayyid Mūsā as-Ṣadr oder Imam Mūsā-e Sader (arabisch ‏السيد موسى الصدر‎‎, persisch ‏ امام موسى صدر‎‎; * 15. Mai 1928 in Ghom/Iran; † 1978?) war ein iranischstämmiger Libanese, Philosoph und prominenter Führer der Schiiten im Libanon und Gründer der Amal-Bewegung. Musa as-Sadr ist der Onkel von Sadegh Tabatabai[1] und gilt als einer der Lieblingsschüler von Chomeini während dessen Exil im Irak von 1965 bis 1978. Er war Cousin des Großayatollahs Grand Ayatollah Muhammad Baqir as-Sadr, der von Saddam Hussein hingerichtet wurde. Seine Nichte ist mit Mohammad Khatami, dem ehemaligen Präsidenten des Iran verheiratet.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Musa as-Sadr wurde am 15. Mai 1928 in der iranischen Stadt Ghom geboren. Nachdem er in seiner Heimatstadt die Grundschule besucht hatte, zog er nach Teheran, wo er den Grad des Gelehrten (faqih) erlangte. Danach kehrte er nach Ghom zurück, um dort in verschiedenen religiösen Instituten Islam zu lehren. Er veröffentlichte eine Zeitschrift namens „Schule des Islam“ (maktabi islam) und ging 1960 in den Süd-Libanon, um als Nachfolger des drei Jahre zuvor verstorbenen Sayyid Abdalhussain Scharaffuddin al-Musawi die Position als islamisches Oberhaupt der dortigen Schiiten zu übernehmen.

Aktivitäten im Libanon

Musa as-Sadr (links) mit Ägyptens Präsident Nasser in den 1960ern

Während seiner Zeit im Libanon begann er sich, zusätzlich zu den religiösen Themen, auch für die Bedingungen des Lebens im Allgemeinen, insbesondere im sozialen Bereich, der armen Bevölkerung zu interessieren. 1969 wurde der Hohe Islamische Schiitische Rat (SISC) gegründet, zu dessen Vorsitzenden und Präsidenten er für eine Amtszeit von sechs Jahren gewählt wurde und daher den Ehrentitel Imam von der Bevölkerung bekam. Anfang 1975 wurde er für eine weitere Amtsperiode, die bis zu seinem 65 Lebensjahr angedauert hätte (bis zum 15. Mai 1993), wieder gewählt. Imam Mussa as-Sadr gründete viele soziale Institutionen, Berufsschulen, Krankenhäuser und Zentren zur Bekämpfung des Analphabetentums.

Imam Musa as-Sadr war bei allen geistlichen und politischen Lagern hoch geachtet, besonders aber bei den Christen aufgrund seiner Offenheit gegenüber ihnen. 1960 gründete er zusammen mit dem katholischen Erzbischof Grégoire Haddad die „Soziale Bewegung“, nahm an dem Islamisch-Christlichen Dialog 1962 teil und hielt während der Osterfeierlichkeiten eine Rede in einer Kirche des Kapuzinerordens. Er erlernte viele Sprachen und war ein bekannter Intellektueller. Musa as-Sadr spielte eine überaus wichtige Rolle in der libanesischen Politik.

Libanesischer Bürgerkrieg

Imam Musa as-Sadrs Aktivitäten gewannen an nationaler Aufmerksamkeit, als er auf die Gefahr eines Angriffs Israels gegen den Süd-Libanon hinwies, dessen Bevölkerung zum größten Teil Schiiten waren. Um jedoch zu verhindern, dass dieser Kampf spalterischen Zielsetzungen annahm, richtete er 1971 ein Komitee ein, dass alle südlibanesischen geistlichen Oberhäupter einschloss (sowohl Muslime als auch Christen), um politischen und sozialen Aktivitäten effektiver nachgehen zu können. Am 18. März 1974 leitete er eine Serie von Protestaktionen gegen die Vernachlässigung der Regierung von ländlichen Gebieten ein und gründete „Die Bewegung der Entrechteten“, dessen Parole „kontinuierlicher Kampf bis es keine Entrechteten mehr im Libanon gibt“ war. Während des Bürgerkriegs gründete er die Amal-Bewegung, die „Brigaden des libanesischen Widerstandes“, ein militärisch ausgerichteter Flügel der „Bewegung der Entrechteten“, welche zusammen mit der „Libanesischen Nationalen Bewegung“ und dem „Palästinensischen Widerstand“ gegen das Projekt der Aussiedlung der Palästinenser in den Libanon kämpfte.

Sein Verschwinden

Musa as-Sadr verschwand schließlich Ende August 1978 während einer Reise durch Libyen und wurde nie wieder gesehen. Er befand sich auf dem Weg mit zwei Begleitern auf dem weg zu einem Treffen mit Staatschef Gaddafi[2]. Seine Anhänger, die zunächst auf eine Art Verborgenheit hofften, machten später Muammar al-Gaddafi für sein Verschwinden verantwortlich. Das stellvertretende libysche Staatsoberhaupt Abd as-Salam Dschallud erklärte im April 1979 bei einem Besuch in Teheran, Musa as-Sadr sei in Italien verschwunden.

Auf Wunsch von Sadegh Tabatabai erkundigte sich Außenminister Genscher am 5. November 1980 beim Leiter des libyschen Auslandsgeheimdienstes Belgassem nach dem Verbleib Musa as Sadrs. Belgassem berichtete von einer von ihm im Mai 1978 (sic!) initiierten Untersuchung. Musa as-Sadr habe am 31. August 1978 Libyen verlassen; er solle mit zwei Begleitern auf dem Flugplatz in Rom angekommen und dann verschwunden sein. Der deutsche Botschafter in Rom Arnold berichtete am 28. November 1980, dass die italienischen Behörden bereits 1978 zum Schluss gekommen seien, dass es keinerlei Beweise für die Ankunft Musa as-Sadrs in Rom gebe. Es sei zwar ein „Musa as-Sadr“ im Holiday Inn am Parco dei Medici eingecheckt haben, jedoch sei dieser "kleiner Statur gewesen, habe einen riesigen Vollbart getragen und habe in der lateinischen Handschrift Klein- mit Großbuchstaben verwechselt". As-Sadr indes sprach sehr gut Englisch und Französisch, war 1,90 und trug einen gestutzten Bart[3].

Die italienische Regierung gehe vielmehr von einer libyschen Täterschaft aus: "Musa as-Sadr habe jahrelang für die Schiiten im Libanon Unterstützung aus Libyen bezogen. Die schiitische Volksgruppe habe sich aber im libanesischen Bürgerkrieg auf die Seite der Maroniten geschlagen... Von seiten der libyschen Geldgeber sei dieses Verhalten der Schiiten aber als ein Verrat an der muslimischen Sache betrachtet worden."[4]

Im August 2011 verlangten as-Sadrs Familie, das iranische Parlament sowie die Führungen von Amal und Hizbullah von den libyschen Rebellen offiziell eine Untersuchung von as-Sadrs Verbleib. [5]

Ahmed Ramadan, ein enger Vertrauter Gaddafis, behauptete, dass Musa as-Sadr nach einem Gespräch mit Gaddafi getötet wurde. Ein Flug nach Italien hätte nie stattgefunden und wäre als Vorwand erfunden worden.[6]

Literatur

  • Esther Meininghaus: Mūsā as-Sadr – schiitischer Geistlicher oder libanesischer Realpolitiker? Das politische Erwachen der Schiiten im Islam. EB-Verlag, Hamburg 2008. (Bonner islamwissenschaftliche Hefte, Heft 7)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Tim Geiger, Amit Das Gupta, Tim Szatkowski: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1980 Bd. II: 1. Juli bis 31. Dezember 1980. R. Oldenbourg Verlag, München 2011, S. 1420.
  2. http://zeitenspiegel.de/de/projekte/reportagen/der-papst-der-muslime/article/
  3. http://zeitenspiegel.de/de/projekte/reportagen/der-papst-der-muslime/article/
  4. Tim Geiger, Amit Das Gupta, Tim Szatkowski: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1980 Bd. II: 1. Juli bis 31. Dezember 1980. R. Oldenbourg Verlag, München 2011, S. 1420.
  5. http://www.bbc.co.uk/persian/iran/2011/08/110823_l39_mousa-sadr_libya_lebenon.shtml
  6. http://derstandard.at/1319182600098/Vertrauter-Gaddafi-liess-libanesischen-Schiitenfuehrer-Moussa-Sadr-liquidieren

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