Pleroma

Pleroma

Das Pleroma (griechisch, "Fülle") ist bei den Gnostikern das Glanz- und Lichtmeer, als Sitz der Gottheit, von wo alles Gute ausströmt. Sehr ähnliche Vorstellungen finden sich unter anderen Begrifflichkeiten im Tengrismus. Das Konzept des Pleroma scheint also ubiquitär zu sein.[1]

Bei dem Gnostiker Valentinus ist Pleroma das Reich göttlich-geistiger Fülle, Lebendigkeit, die kraftdurchwirkte Seinswelt im Gegensatz zum Kenoma, der stofflichen Leere.

Aus der Schrift adversus hereses des Irenäus von Lyon und aus dem Apokryphon des Apostel Johannes geht hervor, dass Plerom von den Gnostikern auch als die Fülle der Zeit angesehen wurde und somit gleichbedeutend ist mit Aion, als Transliteration des griechischen Wortes αιών für Ewigkeit, vgl. → Äon (Philosophie). Der Gnostiker fühlte sich unbehaglich auf dieser Welt. Die zeitliche Begrenztheit seines Lebens durch den Tod empfand er als Herausforderung, diese Zeit als Verhängnis aufzufassen.[2][3]

Nach Gershom Scholem[4] ist in der Kabbala die Thronwelt der Hechalot die Entsprechung zum Pleroma. Erich Neumann fasst den Begriff Pleroma als die göttliche Fülle in seinem „vorweltlichen“ Zustand auf. Der „eigentliche Zustand der Welt“ sei eben durch dieses Noch-nicht-Eintreten Gottes bedingt. Die angestrebte Verbindung zu dieser göttlichen Fülle sei nur auf mystischem Wege zu erzielen.[5]

Neue Ethik

Erich Neumann (1905-1960) gebraucht den Begriff Pleroma, um damit auf die Kollektiverschütterung des modernen Menschen einzugehen. Damit meint Neumann nicht nur die rein äußerlich und objektiv feststellbaren Katastrophen des ersten und zweiten Weltkriegs sowie den Abwurf der Atombomben über Japan – hier wären natürlich auch andere historische Umwälzungen in der Neuzeit zu nennen – er will damit vor allem auf die individuelle psychische Verfassung des modernen Menschen eingehen. Diese Verfassung versteht er als Wechselverhältnis aus körperlichen, wirtschaftlichen, politischen und historischen Gegebenheiten. Die moderne Unsicherheit des Einzelnen finde u. a. in der Massenpsychologie ihren Ausdruck. Die Erschütterung des Individuums sei auch bedingt durch eine historische Inflation des Ichs seit der Renaissance und insofern als eine Gegenbewegung zu verstehen. Das traditionelle Bewusstsein sei durch die Devise geprägt: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ Diese Maxime habe sich heute als fragwürdig erwiesen. Während in früheren Zeiten die Einhaltung der Moral den Einzelnen vor kollektiven Eingriffen, Maßnahmen und Einflüssen zu schützen vermochte, sei dies heute nicht mehr als selbstverständlich zu betrachten. Diese frühere Moral sei bewusstseinsbildend gewesen. Heute sei umgekehrt das individuelle Bewusstsein durch die Erfahrung kollektiver Unsicherheit geprägt. Dieses neue Bewusstsein verlange so nach einer neuen Ethik.

Als fragwürdige Auswege aus dieser beunruhigenden Situation ergeben sich nach Neuman grundsätzlich zwei Möglichkeiten:

  • die materialistisch-pessimistische Weltanschauung, die als deflationistisch zu verstehen sei, d. h. das Ichbewusstsein relativierend und auf seine Abhängigkeit von äußeren, u.a. auch körperlichen Gegebenheiten verweisend,
  • die pleromatisch-mystische Weltanschauung. Diese sei durch Verbindung mit eschatologischen Elementen geprägt. Damit sei ein Erlösungszustand gemeint, der utopisch vorweggenommen werde, da er sonst meist in die Endzeit verlegt werde. Es handelt sich also um eine Lösung, die Neumann im Hinblick auf das Ich des Einzelnen als inflationistisch bezeichnet, da sich das Ich mit dem Urgeist, der Gottheit usw. in eins setzt. Auf diese Weise werden alle Gegensätzlichkeiten dieser Welt illusionistisch umgangen, vgl. → Enantiodromie. Psychologisch gesprochen werde so auch das Schattenproblem umgangen. Als konkretes Beispiel für diese pleromatische Auffassung nennt Neumann die Christian Science. Die Gefahr sieht Neumann in einer Rekollektivierung im Sinne der Massenpsychologie, indem dem Einzelnen hierdurch seine Verantwortung abgenommen werde.

Beide vorstehende Auswege können nach Neumann keine Lösung darstellen für die genannte Herausforderung des modernen Menschen. Eine grundsätzlich zu fordernde Neue Ethik dürfe die Herausforderungen nicht ideologisch umgehen, sondern müsse sie annehmen, so wie sie sind und in ein jeweils individuelles Handlungskonzept integrieren.[5]

Einzelnachweise

  1. Meyers Lexikon
  2. Wolfgang Schultz: Dokumente der Gnosis. Mit Essays von Georges Bataille und Henri-Charles Puech. Bechtermünz, Augsburg 2000, ISBN 3-8289-4839-1, S. 28, 33
  3. Irenäus von Lyon: Adversus hereses. I, 17, 2
  4. Scholem (1957)
  5. a b Erich Neumann: Tiefenpsychologie und neue Ethik. Fischer, 1985, ISBN 3-596-42005-9, S. 79–84 (Reihe Geist und Psyche)

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