Siegfried Bieber

Siegfried Bieber

Siegfried Bieber (* 23. Mai 1873 in Czersk / Westpreußen; † 25. November 1960 in New York City) war ein deutscher Bankier und Kunstsammler.[1]

Inhaltsverzeichnis

Leben

Bis 1933

Siegfried Bieber wurde 1873 in dem kleinen westpreußischen Ort Czersk geboren, einem abgelegenen, kleinen Dorf am Nordrand der Tucheler Heide, eines dünn besiedelten Wald- und Jagdgebiets. Czersk erhielt um diese Zeit einen Bahnhof an der preußischen Ostbahn, die für den kleinen Ort nun das Tor zur Welt öffnete, nach Westen in Richtung Berlin, nach Osten in Richtung Königsberg. Der nun folgende wirtschaftliche Aufschwung war verbunden mit einem raschen Bevölkerungswachstum. 1887 entstand der erste (heute noch bestehende) Holz verarbeitende Industriebetrieb, bald folgten weitere. In Czersk gab es eine kleine Synagogengemeinde mit 105 Mitgliedern im Jahr 1871, deren Zahl auf 229 im Jahr 1885 anwuchs.

Über die Familie, in der Siegfried Bieber geboren wurde, hat sich bis jetzt nichts ermitteln lassen. Mögliche verwandtschaftliche Beziehungen zu der bei Schwetz (heute Swiecie), in Schönau (heute Przechowo), ansässigen Familie des wohlhabenden jüdischen Mühlenbesitzers Jacob Bieber (dessen erste Frau Johanna, geb. Federmann, aus Zehdenick stammte), ließen sich bisher nicht nachweisen. Eine Tochter Jacob Biebers war die später international bekannt gewordene Archäologin Margarete Bieber.

Siegfried Bieber kam vermutlich schon im Kindes- oder Jugendalter nach Danzig.[2] Um 1900 arbeitete Siegfried Bieber einige Jahre in London bei der französischen Bank Crédit Lyonnais. In der britischen Hauptstadt heiratete er Josephine Postolkova, eine tschechische (damals österreichische) Staatsangehörige. Nach heutigem Wissen blieb die Ehe kinderlos.[3] Mit seiner Frau ging Bieber wenig später nach New York. Paul Wallich, der ab September 1908 ein sechsmonatiges Volontariat bei Goldman, Sachs & Co. ableistete, traf ihn dort als Leiter des Foreign Exchange Department. Im Sommer 1911 kehrte Bieber zurück nach London und arbeitete nun bei dortigen Filiale der von dem Danziger Otto Joel 1894 gegründeten Banca Commerciale Italiana. Gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Siegfried Bieber in einem britischen Sammellager für "feindliche Ausländer" interniert.

Auf Anregung von Hans Fürstenberg trat Siegfried Bieber 1919 als persönlich haftender Gesellschafter in die Berliner Handels-Gesellschaft ein, damals ein sehr einflussreiches Kreditinstitut auf dem Gebiet der Abwicklung großvolumiger Bankgeschäfte. Im Jahr 1923 oder 1924 bezog Siegfried Bieber in der Nikischstraße 4 eine Grunewald-Villa, die Bank stellte ihm ein Auto mit Chauffeur. Auf der anderen Seite der Nikischstraße, gegenüber der Villa, lag das weiträumige Anwesen des Verlegers Louis Ullstein. Nur wenige Schritte entfernt wohnten so bekannte Leute wie der Schriftsteller Lion Feuchtwanger oder der Kritiker und Essayist Alfred Kerr.

Am 26. Februar 1929 trag Siegfried Bieber der Gesellschaft der Freunde bei. Als im März desselben Jahres drei Geschäftsinhaber der Berliner Handels-Gesellschaft dem Nobelpreisträger Albert Einstein zu dessen 50.Geburtstag ein Segelboot zum Geschenk machten, blieben die Schenker in der Öffentlichkeit ungenannt. Es ist deshalb nicht sicher, ob Siegfried Bieber, der damals einer von insgesamt fünf Geschäftsinhabern war, an diesem Geschenk beteiligt gewesen ist.

Ebenfalls 1929 erwarb Siegfried Bieber von Geheimrat Richard Weber aus Berlin das 235 Hektar große Gut Dahmshöhe bei Altthymen, Kreis Templin. Der bei weitem größte Teil der Fläche bestand damals wie heute aus Wald, 30 Hektar wurden als Ackerland ausgewiesen, 40 Hektar als Grünland. Der Viehbesatz bestand aus 5 Pferden und 22 Rindern.

Sofort ging Bieber daran, sich hier einen exklusiven Landsitz zu schaffen, in einigem Abstand zur alten Gutsanlage mit ihren einfachen Wirtschaftsgebäuden. Der Architekt, den er mit dieser Aufgabe betraute, war Paul Schultze-Naumburg, damals einer der namhaftesten Architekten in Deutschland. Da Schultze-Naumburg vor allem repräsentative Villen und Herrenhäuser entwarf, gehörten natürlich auch Bauherren aus den Kreisen des jüdischen Großbürgertums zu seinen Kunden. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich Schultze-Naumburg jedoch immer mehr auf rassistische und antisemitische Positionen zubewegt. 1928 erschien sein Buch „Kunst und Rasse“, zwei Jahre später wurde er Mitglied der NSDAP. Siegfried Bieber können die Auffassungen seines Architekten nicht unbekannt geblieben sein. Offenbar traten seinen den Augen die rassistische Einstellung Schultze-Naumburgs zurück gegenüber der gemeinsamen Vorliebe für traditionelles, landschaftsverbundenes Bauen.

Als Siegfried Bieber das neue Haus 1930 bezog, war er 57 Jahre alt und auf dem Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn. Er und seine Frau Josephine waren engagierte Kunstsammler. Ihr Interesse galt besonders der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Auch die Räume im Schloss Dahmshöhe dürften einen Teil dieser Schätze beherbergt haben. Den 56 000 m² großen Park ließ Siegfried Bieber nach eigenen Detailplanungen anlegen.

1933 bis 1945

Das Ehepaar Bieber verließ Deutschland in der ersten Hälfte des Jahres 1935 und wählte als Exil Maroggia, einen kleinen Ort am Luganer See in der Schweiz. Nach dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bekam man jedoch einen schweizerischen Pass erst nach sechsjährigem Aufenthalt im Lande. Als Ausweg bot es sich an, das Bürgerrecht im benachbarten Fürstentum Liechtenstein zu beantragen. Zu den wenigen Emigranten, die diesen wegen der Einbürgerungstaxe sehr teuren Weg wählten (bzw. wählen konnten), gehörten neben dem Ehepaar Bieber die Brüder Georg und Martin Tietz, bis 1933 Besitzer des größten deutschen Warenhauskonzerns. Ihren Wohnsitz in der Schweiz durften die Biebers dennoch beibehalten.

Nachdem sie schon bei ihrer Emigration aus Deutschland eine „Reichsfluchtsteuer“ in Höhe von 670.000 RM zahlen mussten, wurde das Gut Dahmshöhe 1939 zwangsverkauft. Der Erlös kam auf ein Sperrkonto. Zusammen mit anderen in Deutschland verbliebenen Vermögenswerten wurde der Betrag später "zu Gunsten des Reiches eingezogen".

Zwischen 1938 und 1941 (der genaue Zeitpunkt ist bis jetzt unbekannt), entschlossen sich die Biebers, in die USA zu emigrieren.

Nach 1945

Siegfried Bieber starb im November 1960 in den USA, seine Frau zehn Jahre später. Zuvor hatten sie eine Stiftung gegründet, die sich unter anderem der Förderung biomedizinischer Forschungen widmet.[4] Eine Reihe von Kunstwerken, die von den Biebers noch vor 1933 in Berlin erworben worden waren, vermachte Josephine Bieber dem Metropolitan Museum in New York.

Obwohl Schloss Dahmshöhe seiner architektonischen Qualität und seinem historischen Hintergrund nach als herausragendes Beispiel für die Landhäuser des Berliner Großbürgertums gelten kann, wurde es nicht in die Landesdenkmalliste aufgenommen.

Literatur

  • Erika Schwarz: „… zu Lasten meines Conto’s“. Siegfried Bieber. Jude, Bankier, Gutsbesitzer, Emigrant. Hentrich & Hentrich, Berlin 2011, ISBN 978-3-942271-27-1.

Einzelnachweise

  1. vgl. hierzu und im Folgen "Zwischen Börsenparkett und Waldeinsamkeit - Siegfried Bieber und das Haus Dahmshöhe" von Hermann Aurich, online
  2. Bieber selbst bezeichnete sich später als Danziger bezeichnet. Paul Wallich und auch Otto Joel, Gründer der Banca Commerciale Italiana (1894) und selbst Danziger, sprachen von Siegfried Bieber als „gebürtigem Danziger“ bzw. „Danziger Landsmann“.
  3. http://www.maerkische-landsitze.de/damshoehe.htm
  4. Sie heisst "Siegfried and Josephine Bieber Foundation". Eine Homepage dieser Stiftung ließ sich jedoch nicht finden

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